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Südafrikas langer Weg

Dem ANC steht am Mittwoch erneut klarer Wahlsieg bevor

Von Christian Selz, Kapstadt *

Zum Ende seiner Rede griff Jacob Zuma zu dem Mittel, das er am sichersten beherrscht: Er sang. Das Lied »Yinde Lendlela« ist seit seiner Wiederwahl als Präsident – und damit Spitzenkandidat – des African National Congress (ANC) im Dezember 2012 das Markenzeichen des südafrikanischen Regierungschefs. Morgen (7. Mai) sind Parlamentswahlen in Südafrika. Einer am Sonntag in der Sunday Times veröffentlichten Umfrage zufolge erreicht der ANC, der in einer Allianz mit der South African Communist Party (SACP) und dem Gewerkschaftsbund COSATU regiert, 63,9 Prozent der Stimmen. An einer erneuten absoluten Mehrheit für die seit 1994 ununterbrochen regierende einstige Befreiungsbewegung zweifelt nahezu niemand.

»Der Weg, den wir nehmen, wird lang sein«, sang Zuma am Sonntag zum offiziellen Abschluß der Kampagne der Partei in seiner Muttersprache Zulu. Knapp 100000 Anhänger waren am letzten offiziellen Wahlkampftag ins FNB-Stadion am Rande Sowetos, der größten Township des Großraums Johannesburg, gekommen. Zehntausende verfolgten die Kundgebung auf Videoleinwänden im ganzen Land. Für Zuma war es bis zu diesem Moment in der Tat ein langer Weg. Die zweite Kandidatur des durch Korruptionsvorwürfe, Sexskandale und den umgerechnet knapp 20 Millionen Euro teuren Sicherheitsausbau seines Privatwohnsitzes gebrandmarkten Staatspräsidenten rief auch in der eigenen Allianz zahlreiche Kritiker auf den Plan. Deren Kaltstellung, der Aufbau einer loyalen Clique um Zuma und der brutale Umgang des Staats mit Protesten wie beim Massaker von Marikana im August 2012, als die Polizei 34 streikende Bergarbeiter erschoß, hat den ANC und seine Partner tief gespalten. Selbst bei der Trauerfeier für Expräsident Nelson Mandela im vergangenen Dezember war Zuma ausgebuht worden. Nun berichtete der Mail & Guardian am vergangenen Freitag von weitreichenden internen Disziplinierungsmaßnahmen, um ein erneutes Fiasko zu verhindern. »Wir kennen alle Leute in den Bussen«, zitierte die Wochenzeitung die mit der Organisation der Veranstaltung beauftragte Premierministerin der Hauptstadtprovinz Gauteng, Nomvula Mokonyane. »Wir erwarten keine Anarchie, und wir werden sie nicht tolerieren.«

Daß die namentlich registrierten Besucher während Zumas Rede in Scharen die Ränge verließen, konnte aber auch Mokonyane nicht verhindern. Zu blutleer und nüchtern war der Auftritt des Amtsinhabers, minutenlang las Zuma die Statistiken zu den Errungenschaften des ANC ab, die er bereits am Freiheitstag eine Woche zuvor und am 1. Mai in ähnlicher Form präsentiert hatte. Mitreißend ist das nicht, doch ist der ANC in Südafrika gefühlt alternativlos. Die neoliberale Democratic Alliance (DA), der jüngsten Umfrage nach bei 23,7 Prozent notiert, lieferte im Johannesburger Stadtteil Randburg – zu Apartheidzeiten eine Hochburg der rassistischen National Party – zeitgleich zwar eine glatt durchchoreografierte Show nach dem Muster eines US-amerikanischen Fernsehgottesdiensts ab, wußte außer einer Stärkung der Wirtschaft aber keine Konzepte zur Armutsbekämpfung anzubieten.

Noch ein paar Kilometer weiter nördlich lieferte Julius Malema, aus dem ANC verbannter ehemaliger Präsident der ANC-Jugendliga, selbst ernannter Revolutionär in Louis-Vuitton-Schuhen und seinem offiziell geführten Titel zufolge nun »Oberbefehlshaber« der neu gegründeten Partei »Economic Freedom Fighters«, eine mitreißende Rede ab. Vor 30000 Anhängern versprach er im Lucas-Moripe-Stadion in der Township Atteridgeville vor den Toren der Hauptstadt Pretoria weitreichende Verstaatlichungen von Schlüsselindustrien und Ländereien. Vor allem unter verarmten Jugendlichen kann Malema, gegen den wegen Steuerhinterziehung und Bereicherung bei der Vergabe von Staatsaufträgen ermittelt wird, punkten. Der Einzug seiner Partei ins Parlament als drittstärkste Kraft mit rund fünf Prozent der Stimmen gilt als sicher, dem ANC gefährlich werden dürfte aber auch er nicht.

Denn Zuma hat die Zahlen auf seiner Seite. 3,3 Millionen Häuser im sozialen Wohnungsbau seit 1994, eine Million Stromanschlüsse in den vergangenen fünf Jahren und Kindergeld für elf Millionen Kinder heute.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 6. Mai 2014


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