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Für einen Lohn zum Leben

In Südafrika streiken 220000 Metallarbeiter. Neben Gehaltserhöhungen und Wohnzulagen fordern sie auch eine andere Regierungspolitik

Von Christian Selz *

Zwelinzima Vavi, Generalsekretär des größten südafrikanischen Gewerkschaftsbunds Congress of South African Trade Unions (COSATU), ist ein Mann klarer Worte. Die Korruption, die Vetternwirtschaft und den Verrat an der eigenen Revolution, die er im regierenden African National Congress (ANC) ausmacht, spricht der dabei dennoch stets ruhig und nüchtern wirkende Gewerkschafter seit Jahren deutlich an. Als der rechte COSATU-Flügel ihn dafür kaltstellen wollte, bedankte Vavi sich für die Unterstützung der linken Metallarbeitergewerkschaft NUMSA gegen »die Hyänen«. Kein Wunder also, daß er auch jetzt nicht zurückschreckt, den Streik der Metallarbeiter offensiv zu verteidigen, von denen seit Dienstag 220000 unbefristet die Arbeit niedergelegt haben. »Die Forderung nach einem Lohn, der zum Leben reicht, ist politisch«, nahm er am Dienstag auf einer Kundgebung in Johannesburg denjenigen den Wind aus den Segeln, die den Streik wahlweise als unvernünftig oder Wirtschaftssabotage einstuften, und schob nach: »Denn es ist die Politik, die diese Konditionen nach 20 Jahren Demokratie noch zuläßt«.

Zwölf Prozent mehr Gehalt und mindestens 1000 südafrikanische Rand (68 Euro) Wohnzulage verlangt die NUMSA und legte in ihrem ebenfalls am Dienstag veröffentlichten Memorandum an die Verhandlungskommission des Unternehmerverbandes auch die Details jener miserablen Bedingungen offen, auf die Vavi sich berief. 5300 Rand (375 Euro) bekommt ein Metallarbeiter demnach in der untersten Gehaltsstufe – womit sich die geforderte Erhöhung auf umgerechnet 45 Euro beliefe. Die Unternehmer bieten zwischen 5,6 und acht Prozent im ersten Jahr und anschließend für zwei Jahre den Ausgleich der offiziellen Inflationsrate. Bestreikt werden derzeit vor allem metallverarbeitende Betriebe, Industriezulieferer, aber auch der halbstaatliche Strommonopolist Eskom.

»Die meisten unserer Mitglieder in diesem Sektor leben in Blechhütten und informellen Siedlungen, ihre Löhne reichen nicht aus, damit sie sich vernünftige Wohnungen leisten können«, erläutert die NUMSA in dem Memorandum. Mehr als 20 Prozent ihres verfügbaren Einkommens müssen die Arbeiter demnach durchschnittlich für Fahrtkosten aufbringen – ein Erbe der Apartheid-Stadtplanung, die Schwarze fernab der Arbeitsstätten zwangsansiedelte. Die Inflationsrate für Treibstoff liegt derzeit bei 14,3 Prozent, Lebenmittel verteuerten sich im Mai der jüngsten verfügbaren Statistik zufolge um 9,1 Prozent.

Den Streik der Metallarbeiter vor diesem Hintergrund als politisches Manöver zu diffamieren ist daher plump und dreist – dazu braucht es nicht einmal den Vergleich mit den über hundertmal höheren Managergehältern, den die NUMSA anführt. Und dennoch ist die Strategie hinter dem Streik zum jetzigen Zeitpunkt – eine Woche nach dem Ende der fünfmonatigen Arbeitsniederlegung in den südafrikanischen Platinbergwerken – deutlich. Die Metallarbeitergewerkschaft will den Schwung aus dem erfolgreichen Bergarbeiterstreik aufnehmen und für ihren Machtkampf mit dem ANC nutzen. Der regiert in einer Allianz mit der Kommunistischen Partei Südafrikas (SACP) und dem COSATU, dessen stärkste Einzelgewerkschaft die NUMSA ist. Dennoch hatten sich die Metallarbeiter auf einem Sonderkongreß im Dezember vergangenen Jahres mit klarer Mehrheit gegen die fortgesetzte Unterstützung des ANC ausgesprochen, dessen Nationalen Entwicklungsplan bis 2030 sie in ihrer Resolution als »Programm unseres Klassenfeindes« kritisierten.

Die NUMSA will den Streik nun auch für politische Weichenstellungen nutzen, was deutlich an ihren Forderungen zu erkennen ist. Von den Unternehmern verlangt die Gewerkschaft beispielsweise den völligen Verzicht auf Zeitarbeitsagenturen und Subventionen zur Anstellung junger Arbeitsloser. Beide Punkte hatten die NUMSA und COSATU im ANC-Programm nicht durchsetzen können. Der Streik dürfte daher auch ein Versuch sein, zukünftige Allianzen außerhalb der Regierungsallianz zu schmieden. Angekündigt hat die NUMSA-Führung die Bildung einer »Vereinigten Front«, die weitere Gewerkschaften und Protestbewegungen zusammenführen soll.

Vor diesem Hintergrund muß der jetzige Arbeitskampf in der Metallindustrie auch als Fortführung des Platinstreiks verstanden werden. »Die Arbeiter in Marikana haben uns gezeigt, daß Geduld und Ausdauer nötig sind, um zu erreichen, wofür wir kämpfen«, zitierte die südafrikanische Nachrichtenagentur SAPA passenderweise die Arbeiterin Mapula Seale, die ihren Angaben zufolge in einer Firma, die Zündsysteme für Kraftfahrzeuge herstellt, monatlich 3800 Rand (259 Euro) – und damit noch weniger als die Lohnuntergrenze der Branche – verdient. Der Vergleich mit den Bergarbeitern, die für die niedrigsten Gehaltsgruppen jährliche Erhöhungen von drei mal umgerechnet 70 Euro erkämpft hatten, ist da freilich attraktiv. Nur so ist auch zu erklären, daß selbst die äußerst regierungsnahe National Union of Mineworkers (NUM), die den Streik an den Platinminen nicht hatte mittragen wollen, plötzlich ihre Solidarität mit der NUMSA ausdrückt.

* Aus: junge Welt, Donnerstag 3. Juli 2014


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