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"Es geht nur gewaltlos"

Rommel Roberts über seinen Kampf gegen die Apartheid und im heutigen Südafrika *


Seine Mutter Maureen, indischer Herkunft, gehörte zu den starken Frauen Südafrikas, denen Rommel Roberts sein Erinnerungsbuch an den Kampf gegen die Apartheid vor allem widmet: »Wie wir für die Freiheit kämpften. Von stillen Heldinnen und Helden in Südafrika« (Lokwort, 224 S., br., 19,90 €). Der Aktivist und Quäker (Society of Friends), 1949 in Durban geboren und in Mafeking aufgewachsen, besuchte die High School in Kapstadt. Nach dem Studium der Theologie leistete er Gemeindearbeit in verschiedenen Townships, oft an der Seite des Erzbischofs Desmond Tutu, dessen Sekretär für Entwicklung er schließlich wurde. Roberts Aufgabe war es zudem, Geld für den nationalen Befreiungskampf im In- wie auch im Ausland zu sammeln. Derzeit lebt er mit seiner Frau Robin im Dorf Hanover in der Nähe von King Williams Town am Kap, wo er viele soziale Projekte betreut.
Mit Rommel Roberts sprach in Berlin Karlen Vesper.



Mr. Roberts, verdankt sich Ihr Vornamen einer Verehrung für den »Wüstenfuchs« Erwin Rommel?

In der Tat hat mein Vater eine gewisse Bewunderung für Rommel gehegt, als er gegen den deutschen Feldmarschall kämpfte. Er beschloss, wenn er einen Sohn bekäme, würde er diesen nach ihm benennen. Ich habe aber mit Militär und Militarismus nichts zu tun. Ich bin Pazifist und setzte mich stets für Gewaltlosigkeit im Sinne von Mahatma Gandhi und Martin Luther King ein, auch in den härtesten Zeiten des Kampfes gegen die Apartheid.

Am 27. April 1994 fanden in Ihrer Heimat die ersten freien Wahlen statt. Sie markierten mit dem grandiosen Sieg des ANC unter Nelson Mandela das Ende der Apartheid. Wie erlebten Sie diesen Tag?

Mit harter Arbeit. Zwar schienen wir nach Jahren opfer- und entbehrungsreichen Kampfes endlich am Ziel. Aber es war keineswegs garantiert, dass die Wahlen friedlich verlaufen würden. Verschiedene politische, soziale und ethnische Gruppen beschuldigten sich gegenseitig unlauterer Methoden im Wahlkampf. Ich habe in Mafeking, der Hauptstadt von Bophuthatswana, geholfen, dass alles ordnungsgemäß verläuft. Vor einigen Wahllokalen mussten die Leute über 24 Stunden ausharren, weil es keine Stimmzettel oder nicht genügend gab. Sie wurden dann mit Helikoptern eingeflogen. Es war Stress pur. Aber es ist fair zugegangen. Nachdem endlich alle gewählt hatten, senkte sich plötzlich eine eigenartige Ruhe über das Land. Als dann das Ergebnis verkündet wurde, begannen die Freudenfeste. Die Menschen tanzten auf den Straßen, zündeten Feuer an, sangen die Nacht durch. Ich feierte mit Freunden im ANC-Zentrum. Es war wunderbar. Unsere totale Erschöpfung schien verflogen, verdrängt durch ein erhabenes Gefühl der Befreiung und Erleichterung. Aber danach sanken wir wie Steine in unsere Betten.

Haben Sie blutige Ausschreitungen im Wahlkampf befürchtet?

Die Gefahr bestand, ob Stammesfehden auf dem Lande oder blutige Unruhen in den Städten. Es kam zu Plünderungen, die man mit dem Argument legitimierte, sich nur von den Reichen zu nehmen, was rechtmäßig den Armen gehörte. Es gab eine Gefängnisrevolte und in Bophuthatswana gar einen Putschversuch.

Der Übergang von der Apartheid zur Demokratie in Südafrika wurde bereits 1989 eingeleitet. Wussten Sie von den Geheimgesprächen zwischen der Regierung und dem ANC?

Ich wusste, dass etwas im Gange ist, aber selbst Nelson Mandela wusste nicht genau Bescheid. Es wird immer mit dem Finger auf Botha gezeigt, die »hässliche Fratze« der Apartheid. Dabei hat er schon 1986 Unterhändler beauftragt, zweigleisig Gespräche mit dem ANC im Lande und im Exil zu führen, ohne dass die einen von den Gesprächen der anderen wussten. Mandelas Position war konsequent: Man kann nicht verlangen, dass Leute, die man ins Gefängnis geworfen oder ins Exil gezwungen hat, für Verhandlungen bereitstehen.

Der ANC verlangte dann ja auch seine bedingungslose Freilassung.

So ist es. Als Botha im März 1989 einen Schlaganfall erlitt, entschied dessen Nachfolger de Klerk die Verhandlungen fortzusetzen, aber jetzt öffentlich zu machen. Das war sein Verdienst, indes nicht uneigennützig.

Gibt es einen Zusammenhang zwischen dem Umbruch vor 25 Jahren in Osteuropa und den Vorgängen in Ihrer Heimat?

Den gibt es zweifellos. Mit Gorbatschows Glasnost und Perestroika und dem Fall der Berliner Mauer schien der Kalte Krieg beendet. Das hatte nicht nur Auswirkungen auf Südafrika, sondern auf die ganze Welt.

Sie wurden zur Zeit der Apartheid mehrfach verhaftet, das erste Mal schon als Neunjähriger.

Weil ich mit Freunden auf einem Rasen spielte, den »nur Weiße« betreten durften, keine Schwarzen oder Farbigen wie ich. Die Anschuldigungen bei späteren Verhaftungen waren ernster. Ich wurde des »Terrorismus« angeklagt, was natürlich nichts mit meiner Arbeit zu tun hatte.

Worin bestand Ihre Arbeit?

Netzwerke aufbauen, Spenden für unsere sozialen Aktivitäten und für die Angehörigen Inhaftierter oder Ermordeter zu sammeln. Ich übermittelte Nachrichten, setzte mich gegen Zwangsräumungen und Vertreibungen ein, versuchte das Elend in den »No Name Camps« zu mildern und half in Not geratenen Menschen, die ungerechten Gesetze der Apartheid zu umgehen. Als ich das erste Mal vom Geheimdienst verhaftet wurde, legte man mir als »Beweis« unter anderem Dokumente vor, die ich aus den Niederlanden erhalten und deren Botschafter persönlich übergeben hatte. Da war mir klar, dass die Geheimdienste des Westens mit der Apartheid zusammenarbeiteten, obwohl sie es öffentlich leugneten.

Fürchteten Sie im Gefängnis um Ihr Leben?

Oh ja, bei der ersten Verhaftung durch die Geheimpolizei hatte ich eine höllische Angst. Schlimmer als die Verhöre und die Folter war die Einsamkeit in der Zelle. Ich war ein Gefangener meiner Angst. Ich haderte mit meinem Schicksal. Mein Selbstbewusstsein schmolz wie Eis in der Sonne. Ich hatte nicht einmal mehr Kraft für Gebete. Bis ich eines Morgens den Entschluss fasste, meine Lage zu akzeptieren – egal, was mich erwartete.

Das geht so einfach?

Einfach war es nicht. Ich sang in meiner Zelle, am häufigsten »Herr, ich kann nicht entfliehen«. Lieder können ungeahnte Kraft verleihen. Und ich begann die Wärter freundlich zu grüßen, was sie anfangs sehr irritierte. Später erwiderten sie meine Grüße und begegneten mir freundlicher, einer gab mir dann sogar eine Portion vom Essen ab, das ihm seine Frau zubereitet hatte, und genehmigte mir eine erste heiße Dusche. Mit der neuen inneren Einstellung konnte ich auch meinen Verhörern gelassener gegenübertreten, sogar »Spyker« van Wyk, dem schlimmsten von allen. Spyker bedeutet Nagel, was seine Ermittlungsmethoden meinte.

Sie haben später sogar einem Gefängniswärter öffentlich gedankt.

Als ich von der »Cape Times« interviewt wurde, bat ich die Redaktion, meinen speziellen Dank an ihn zu drucken. Das tat sie. Zum Entsetzen einiger meiner Freunde. Später begegnete ich dem Wärter zufällig vor einem Supermarkt und umarmte ihn.

Jesu Gebot »Liebet eure Feinde« dürfte indes für eine Mutter, deren Kind in Soweto erschossen wurde, eine unerträgliche Zumutung sein.

Täuschen Sie sich nicht in der südafrikanischen Seele! Es gibt eine tief sitzende, originäre und tradierte Menschlichkeit. Die natürlich unter Umständen beschädigt werden kann. Aber ein Land, ein Volk findet keinen Frieden, wenn es nur Hass und Feindschaft, Rache- und Vergeltungsgelüste gibt. Das war auch der Grundgedanke der Wahrheitskommission.

Haben vor dieser alle die Wahrheit offenbart?

Gewiss nicht. Die Wahrheitskommission wurde von Mandela 1996 begründet, Vorsitzender war Desmond Tutu. Sie war zeitlich begrenzt bis 1998, viel zu kurz. Die Ergebnisse waren letztlich einseitig. Während die Beweise für Gräuel der Apartheid detailliert zusammengetragen und von Hunderten bezeugt wurden, gab es eine auffallende Zurückhaltung, unmenschliche Taten der Befreiungsbewegung aufzudecken. Zeugen schwiegen aus Angst vor Repressalien durch die neue Regierung.

Welche Untaten meinen Sie?

Zum Beispiel die »Halskrausen«-Morde. Menschen, die man verdächtigte, keinen klaren, militanten Standpunkt gegen die Apartheid zu beziehen, gar Verräter oder Informanten, also »Impimpi« zu sein, stülpte man Autoreifen um den Hals, übergoss sie mit Benzin und zündete sie an.

Wurden auch Sie als Prediger von Gewaltlosigkeit mal verdächtigt, nicht »konsequent genug« gegen die Apartheid zu sein?

Ja. Nachdem ich Desmond Tutu, den Friedensnobelpreisträger von 1984, bat, kraft seiner Autorität einzuschreiten. Eine Freundin namens Sue warnte mich, es gäbe einen Mordauftrag gegen mich. Kurz darauf bestätigte die Gefahr mein Bruder Alan, der in der United Democratic Front war. Ich dachte nicht daran, mich zu verkriechen. Nach ein paar Tagen sagte Sue: »Mach dir keine Sorgen, wir haben es geschafft, mit gewissen Leuten fertig zu werden.« Sie gab mir zu verstehen, dass die Drohung gegen mich mit gleicher Elle beantwortet worden sei. Ich war entsetzt.

Die Wahrheitskommission verhinderte letztlich, dass die Henker der Apartheid bestraft wurden.

Was ist gewonnen, jemanden an die Wand zu stellen und zu erschießen? In Deutschland, das den Horror des Zweiten Weltkrieges und millionenfachen Judenmord verschuldet hat, gibt es viele Denkmäler und Museen, aber der Nürnberger Prozess wird immer noch als Siegerjustiz empfunden. Man fühlt sich stigmatisiert. Das wollten wir in Südafrika verhindern. Man muss vorwärts, nicht rückwärts schauen. Wenn wir uns auf die Vergangenheit konzentrieren, sind wir verdammt, ewig in ihr zu leben. Ich muss Ihnen aber in einem Punkt recht geben: Die Wahrheitskommission hat keine Gerechtigkeit gebracht, aber das war nicht ihre Aufgabe – sondern Versöhnung. Keine Nation hat größeren Schrecken durchlitten als Südafrika: 400 Jahre Sklaverei, entrechtet, geknechtet, ausgeplündert und ausgeblutet. Uns kann nur der Weg, den Mahatma Gandhi wies, helfen.

Satyagraha.

Ja, ziviler Ungehorsam und Gewaltlosigkeit als geistige Waffen. Wenn man Frieden will, müssen die Methoden friedlich sein. Ich vertraue auf die Zivilgesellschaft, die in Südafrika in den Jahrzehnten des Kampfes gewachsen ist. Der Erfolg unseres Bus-Boykotts 1975 verdankte sich Gewaltlosigkeit und Geduld. Durch eine zivile Kampagne erreichten wir 1984 die Abschaffung der Passgesetze ...

Aber kurz darauf kam es wieder zu einer Eskalation der Gewalt.

In der Annahme, dass die Apartheid nun nur noch eines heftigen Stoßes bedurfte, um wie ein Kartenhaus zusammenzufallen, erhöhte sich die Gewaltbereitschaft. Meine Freunde und ich mahnten: Eine Revolution frisst sich selbst auf, wenn sie nur Angst schürt, Schrecken verbreitet und Terror ausübt. Wir sind angetreten, die Gewalt in unserem Lande, Herrschaftsinstrument der Apartheid, zu beenden. Gewaltfreiheit erlangt man nicht mit Gewalt.

Dem ANC wurde vom Apartheid-Regime vorgeworfen, kommunistisch infiltriert gewesen zu sein.

Botha witterte hinter jedem Busch Kommunisten, wie Bush und auch die heutige US-Regierung hinter jedem Busch Terroristen wittern. Das Gespenst des Kommunismus sollte Unterstützer abschrecken.

Die namenlosen Helden, an die Sie mit Ihrem Buch erinnern, sind vor allem Frauen. Wie kommt das?

Weil sie das Fundament und Rückgrat der Bewegung waren. Sie brachten die größten Opfer, mussten mit ansehen, wie ihre Kinder eines Hungertodes starben, ihre Männer willkürlich eingesperrt wurden oder für immer verschwanden. Sie waren es, die als erste sagten: »Das werden wir nicht mehr länger dulden.« Sie zogen vor die Gefängnisse, streikten, organisierten Massenkundgebungen. Ihnen vor allem ist es zu danken, dass die Segregation, die Teilung in schwarze und weiße Gebiete – das Herzstück des Systems – aufgegeben werden musste. Damit begann die Macht der Apartheid zu bröckeln.

Wie steht es heute um die Regenbogen-Nation, die Mandela versprach?

Wir stehen heute vor neuen Herausforderungen. Die Grenze verläuft nicht zwischen Schwarz und Weiß, sondern zwischen »The Haves and the Have Nots«, zwischen Arm und Reich, Oben und Unten. Es gibt Tausende schwarze Dollarmillionäre, die in den ehemals nur der weißen Minderheit vorbehaltenen Vierteln leben. Die Rassengesellschaft wurde zu einer Klassengesellschaft. Korruption und Ungerechtigkeit grassieren nach wie vor, heute allerdings unter einer schwarzen Regierung.

Warum sind Sie nicht in einem Regierungsamt, um das zu ändern?

Man bat mich mehrfach, aber ich habe immer noch im Ohr, was ein Führer des Befreiungskampfes 1994 sagte: »Kameraden, die Zeit ist gekommen, um die Früchte des Kampfes zu genießen, bedient euch!« Das ist nicht mein Denken. Und deshalb habe ich mich auch zu den bevorstehenden Wahlen nicht aufstellen lassen. Ich arbeite lieber an der Basis, unter den einfachen Menschen, die unter dem neuen Kalten Krieg und den neuen Formen des Kolonialismus leiden.

Die Großmächte haben nichts aus der Geschichte gelernt, wie der Streit um die Ukraine und der Wettlauf um profitable Geschäfte in Afrika zeigt. Russland baut fünf neue Nuklearwerke bei uns, obwohl wir kein Energieproblem haben. Das US-Kapital ist stark präsent. China hat auf dem Kontinent Fuß gefasst. Die alten Kolonialmächte mischen kräftig mit. Afrikas stöhnt und blutet unter den kriminellen Machenschaften der einheimischen Elite und ausländischer Konzerne, ethnischen Konflikten und Bürgerkriegen. Unser Kampf ist längst nicht beendet, er muss weitergehen. Aber das geht nur gewaltlos.

* Aus: neues deutschland, Samstag 26. April 2014


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