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Stromlieferant Eskom kann Bedarf nicht mehr decken

Kaputtgespart und teilprivatisiert: Stromlieferant Eskom kann Bedarf nicht mehr decken. IWF revidiert Wachstumsprognose. Regierung plant Bau von Atomkraftwerken

Von Christian Selz *

Viel ging nicht mehr am Montag nachmittag im Johannesburger Nobelvorort Sandton, SUVs und Sammeltaxis standen im Zentrum der südafrikanischen Finanzwirtschaft Stoßstange an Stoßstange. Im Feierabendverkehr ist das in der südafrikanischen Metropole zwar keine Seltenheit, doch der Ausfall der Ampelanlagen vergrößerte das Chaos, 150 zusätzliche Beamte mußten eingesetzt werden. Der Grund der misslichen Situation ist im Land seit Monaten hinlänglich bekannt: Der nationale Stromversorger Eskom kann den Bedarf nicht mehr decken. Deshalb schaltet der halbstaatliche Konzern derzeit landesweit stundenweise Teile des Netzes ab, in allen Städten, Viertel für Viertel reihum. Weil ab Februar auch noch ein Reaktor des einzigen Atomkraftwerks des Landes routinemäßig gewartet werden muß, sieht die Prognose im wahrsten Sinne des Wortes düster aus. Bis April gibt es nur zwei Werktage, für die Eskom keine »hohe Wahrscheinlichkeit von Stromabschaltungen« ankündigt. Wirtschaftsnahe Medien und die neoliberale Opposition rufen nun nach einer schnellstmöglichen Privatisierung des Energiekonzerns. Sie lassen dabei allerdings unerwähnt, dass genau derartige Versuche Ursache des Status quo sind.

Mbekis Umverteilung

Mitte der 90er Jahre, als Nelson Mandela auf seiner Versöhnungsmission als Präsident noch die Hände weißer Rugby-Weltmeister schüttelte, ersetzte eine Führungsclique um seinen Stellvertreter und späteren Nachfolger Thabo Mbeki das auf einen sozialen Wohlfahrtsstaat orientierte Regierungsprogramm »Wiederaufbau und Entwicklung« durch die Leitlinie »Wachstum, Arbeit und Umverteilung« (GEAR). Umverteilt wurde dabei, zum Entzücken der Bretton-Woods-Institutionen, vor allem aus Staatshand in Investorentaschen. Als Mbeki 1999 in die politische Spitzenposition der Republik aufstieg, waren gut eine Million Arbeitsplätze vernichtet, der Gewerkschaftsbund und die Kommunistische Partei innerhalb der Regierungsallianz mit seinem ANC marginalisiert sowie etliche staatliche Konzerne zerschlagen. Auch Eskom geriet dabei ins Visier der zu »Liberalisierern« gewordenen Freiheitskämpfer: Um das Unternehmen börsenfein zu machen, wurden – die Deutsche Bahn AG ließ grüßen – Investitionen und Instandhaltungsmaßnahmen auf die lange Bank geschoben und Teile der Stromgewinnung sowie die Versorgung in einigen Metropolen privatisiert. Das Kernstück des Konzerns blieb jedoch als Vehikel zur Vergesellschaftung von Verlusten in staatlicher Hand. Das war auch nötig, weil Südafrika langjährige Verträge mit Aluminiumschmelzen eingegangen war, die ihre Elektroenergie nicht nur weit unter Marktpreis, sondern auch unterhalb der Gestehungskosten beziehen, der Regierung aber strategisch wichtig sind, um den Aufbau einer verarbeitenden Industrie im Land voranzutreiben.

Die Folgen seiner Privatisierungspolitik bekam bereits Mbeki gegen Ende seiner zweiten Amtszeit zu spüren. Als Eskom nach Jahren der Mahnung, stärker in Kraftwerke zu investieren, Anfang 2008 zu zeitweisen Stromabschaltungen greifen musste, erklärte der Präsident das mit dem gestiegenen Bedarf einer gewachsenen Wirtschaft. Zudem habe seine Regierung Haushalte ans Stromnetz angeschlossen, die während der Apartheid unterdrückt und vernachlässigt worden waren. Mbekis innerparteilicher Rivale Jacob Zuma, der ihn 2008 erst als ANC-Präsident stürzte und schließlich 2009 auch die Staatsführung übernahm, hat damals offensichtlich gut zugehört. »Unsere Elektrizitätsinfrastruktur war nie darauf ausgelegt, einer größeren Bevölkerung zu dienen«, erklärte er vergangenen Mittwoch während des Weltwirtschaftsforums im schweizerischen Davos.

Fadenscheinige Argumente

»Die Ausweitung des Stromnetzes auf mehr Haushalte, die in der Vergangenheit ausgeschlossen waren, hat in Verbindung mit einer wachsenden Wirtschaft starken Druck auf die Infrastruktur aufgebaut, die besserer Wartung und Erweiterung bedarf«, fuhr Zuma in bemerkenswerter Übereinstimmung mit seinem Vorgänger fort. Beide verschwiegen, dass Südafrikas Wirtschaft in all den Jahren nie stärker als prognostiziert gewachsen ist und auch der Ausbau des Stromnetzes in den ländlichen Regionen von langer Hand geplant war.

Zuma könnten die derzeitigen Teilabschaltungen allerdings auch nicht ganz ungelegen kommen. Während wohlhabende Südafrikaner sich Dieselgeneratoren anschaffen und Tiefkühlpizzen an Beliebtheit einbüßen, erscheint das von ihm bevorzugte, umgerechnet 70 Milliarden Euro schwere Atomenergieprogramm nötiger denn je. Der Präsident weilte zu Verhandlungen über den Bau neuer Kraftwerke bereits beim BRICS-Partner in Moskau und kündigte am Rande des Forums in Davos an, zu dem Thema bald Stellung zu nehmen. Südafrikanische Medien spekulieren daher, dass der Präsident in seiner jährlichen Rede zur Lage der Nation am 12. Februar Vollzug melden könnte. Das Projekt stößt allerdings nicht nur bei Kernkraftgegnern auf Widerstand. Das Misstrauen im Land ist groß, ausgerechnet den seit Jahren durch Korruptionsvorwürfe belasteten Zuma, der bereits wegen des umgerechnet 20 Millionen Euro teuren »Sicherheitsausbaus« seines ländlichen Privatanwesens am Pranger steht, zu einem Vorhaben dieser Größenordnung zu ermächtigen.

Die Notwendigkeit des Ausbaus der Stromgewinnung ist allerdings unumstritten. Aufgrund von Wartungsarbeiten war Eskom zuletzt nicht einmal mehr in der Lage, während der Wochenenden die Speicherbecken der Wasserkraftwerke vollzupumpen und importiert inzwischen Energie aus Namibia und Mosambik. Der Internationale Währungsfonds (IWF) hat seine Prognose zum Wirtschaftswachstum in Südafrika aufgrund der ungesicherten Stromversorgung bereits in der Vorwoche von 2,3 auf 2,1 Prozent herabgesetzt. Ohne zügige Schritte aus der Krise droht dem Land der buchstäbliche Blackout.

* Aus: junge Welt, Freitag, 30. Januar 2015


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