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Eine gute Geschichte

Tausende feiern Südafrikas Freiheitstag vor dem Präsidentensitz

Von Christian Selz, Pretoria *

Ein gewisser Lerneffekt ist Südafrikas Politikern nicht abzusprechen. Nach dem 100. Geburtstag des regierenden African National Congress (ANC) im Januar 2012 war die Führungsebene um Staats- und Parteipräsident Jacob Zuma noch harsch kritisiert worden, weil die Spitzenpolitiker auf der Bühne genüßlich die Geburtstagstorte verspeist hatten, während für die Anhänger keine Verpflegung vorgesehen war. Einen großen Kuchen schnitt Zuma auch am gestrigen Sonntag an, als in der Hauptstadt Pretoria Regierungsangaben zufolge gut 27000 Menschen zur zentralen Freiheitstag-Zeremonie zusammenkamen. Doch dieses Mal ging das gesamte Zuckerstück an ein Kinderheim in Johannesburg. Der Feiertag erinnert an die ersten demokratischen Wahlen 1994. 20 Jahre liegt das Ende der Apartheid nun zurück und die »Regenbogennation« hat – in Zumas Worten vom Sonntag – »eine gute Geschichte zu erzählen«.

»Ich habe gewählt«, antwortet Nomusa Sangweni mit dem Brustton der Überzeugung auf die Frage, was sie an jenem 27. April 1994 gemacht habe. »Um vier Uhr morgens war ich da und stand in der Schlange«, erinnert sich die heute 49jährige. In Soweto habe sie damals gewohnt, heute lebt sie in einer Sozialwohnung in Bedfordview, einem ehemals Weißen vorbehaltenen Viertel im Osten Johannesburgs, gut 60 Kilometer südlich von Pretoria. »Meine Kinder konnten auf eine gute Schule gehen, mein Sohn hat heute einen Abschluß in Betriebswirtschaft, meine Tochter arbeitet in einer Marketingfirma, sie wohnt in der ›weißen‹ Vorstadt und fährt ihr eigenes Auto«, zählt Sangweni, die ihr gelbes ANC-T-Shirt auch 2014 noch mit Stolz trägt, die Alltäglichkeiten auf, die ihr selbst zu Apartheidzeiten verwehrt waren. »Ich habe auch ein behindertes Kind«, erzählt sie weiter, »eine Tochter, sie wurde mit dem Down-Syndrom geboren; später hat sie auch noch Krebs bekommen. Aber heute muß ich sie nicht im Schlafzimmer verstecken, sie wird behandelt, sie hat im Krankenhaus ihre Chemotherapie bekommen, kostenlos. Deswegen bin ich heute hier.« Im strahlenden Sonnenschein zieht unterhalb der Union Buildings, dem Sitz des Präsidenten, eine bunte Parade vor der Bühne vorbei. Tanzgruppen und als Schmetterlinge verkleidete Kinder lachen und springen auf dem Rasen umher. Sangweni strahlt.

Das Loblied der einfachen ANC-Anhängerin und Supermarktkassiererin, die nie eine Schule besucht hat, ist auch die Botschaft von Präsident Zuma, der in seiner trockenen Rede die Statistiken zu 20 Jahren Freiheit vom Skript abliest. Der ANC-Politiker, der sich in anderthalb Wochen für eine zweite Amtszeit an der Staatsspitze wählen lassen will, spricht von den 95 Prozent der Südafrikaner, die inzwischen Zugang zu sauberem Trinkwasser haben. 1994 waren es lediglich 60 Prozent. Er erwähnt die knapp drei Millionen Häuser, die unter der Ägide des ANC im sozialen Wohnungsbau entstanden sind und verweist auf das Recht auf Bildung, auf Gesundheitsversorgung, auf Elektrizität und auf soziale Sicherheit, die allesamt nach dem Ende der Apartheid in die neue Verfassung Südafrikas aufgenommen wurden. »Wir haben Südafrika zu einem besseren Ort gemacht«, sagt Zuma. »Wir sollten uns selbst zum Erreichten gratulieren.« Die Menschen in den ersten Reihen applaudieren, wenn auch nicht lang. »Es gibt noch viel zu tun«, deutet Zuma zumindest an, doch wirklich warm wird das Publikum nicht mehr mit seinem Präsidenten, dessen knapp 20 Millionen Euro teurer Privatwohnsitz noch immer eines der Hauptthemen in den Medien des Landes ist.

»Freiheit zu Lebzeiten«, hatte die Tageszeitung Sowetan am Wahltag 1994 mit einer Parole des Freiheitskampfes getitelt. Aus wirtschaftlicher Sicht war das sicherlich verfrüht, doch Lethabo Shiloane sind derlei Einwände zu eindimensional. »Freiheit bedeutet für mich Gleichheit, und daß jeder, unabhängig von Hautfarbe oder Geschlecht, Rechte und etwas zu sagen hat«, erklärt die 20jährige. Als die Südafrikaner die Apartheid abwählten, war sie genau vier Wochen alt. Sie weiß nicht, erzählt sie, ob ihre Mutter sie damals mitgenommen hat, aber in einem ist sie sicher: »Sie hat gewählt. Für uns.«

* Aus: junge welt, Montag 28. April 2014


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