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Der Kampf geht weiter

Am Sonntag feiert Südafrika 20 Jahre Freiheit. Doch die Regierung kämpft noch immer mit der Macht der Konzerne – und mit Korruption in den eigenen Reihen

Von Christian Selz, Johannesburg *

Geschlagene zwei Stunden lang schiebt sich die Blechkolonne zum Feierabend aus dem Zentrum von Johannesburg hinaus. Auf knapp 40 Kilometern führt die Route vorbei an üppigen Golfanlagen, riesigen Einkaufszentren und den umzäunten Eigenheimkomplexen der oberen Mittelschicht. Dort im Norden der Metropole, wo es keine Straßenbeleuchtung gibt und die Schlaglöcher zu Kratern werden, liegt Diepsloot. Das Township war am Donnerstag schon in den Morgennachrichten im Radio erwähnt worden. Aufgebrachte Einwohner hatten die nahegelegene Autobahn blockiert, die die Hauptstadt Pretoria mit dem dünn besiedelten nördlichen Westen des Landes verbindet. Den Grund ihres Protests - im ganzen Land gibt es deren monatlich Tausende - erfuhren die Hörer nicht, die Nachricht hatte es lediglich in den Verkehrsfunk geschafft.

Am Sonntag feiert Südafrika den 20. Jahrestag der ersten demokratischen Wahlen. Regierungschef Jacob Zuma, gleichzeitig Präsident des seit 1994 regierenden African National Congress (ANC) wird seine Rede anläßlich dieses »Freedom Day« getauften Feiertags erneut nutzen, um auf die Errungenschaften des Landes hinzuweisen. Der Zugang zu Schulen und medizinischer Versorgung für die vormals brutal unterdrückte schwarze und farbige Bevölkerungsmehrheit, Strom- und Wasseranschlüsse, der Sozialstaat, der Alten, Kindern und Arbeitsunfähigen eine Grundsicherung garantiert, und die drei Millionen Häuser des sozialen Wohnungsbaus sind die Themen, mit denen die Regierung vor den Wahlen am 7. Mai punkten will. Die weltweit kaum erreichte Ungleichheit Südafrikas ist aber auch zum Ende des zwanzigsten Jahres der Freiheit nicht zu übersehen. In Townships wie Diepsloot springt die soziale Spaltung des Landes förmlich ins Auge. Diejenigen, die Arbeit in der Stadt haben, schleichen dort gegen 19 Uhr von den Sammeltaxis in ihre kleinen Häuschen, um am nächsten Morgen um fünf Uhr wieder aufzustehen. Ihr Weg führt vorbei an unzähligen Kneipen, kleinen Spelunken mit Billardtischen, Horte der Desillusionierten, in denen der Wirt seine Kundschaft nicht selten durch ein Fenster im Gitterverschlag bedient.

»Wir haben Polikliniken und Schulen, aber die Berufsschulen sind weit weg von Diepsloot«, sagt Valdah Seshane auf die Frage, was ihr der Freiheitstag bedeutet. »Ich bin sehr dankbar dafür, daß es einen Prozeß gibt, aber wir müssen auch sehen, daß der ANC vor Problemen steht.« Als erstes nennt sie die ungelöste Landfrage, dann die fehlenden Veränderungen in der Wirtschaft. »Unsere Wirtschaft ist noch immer in den Händen der Weißen, die erhalten wollen, was sie haben, während andere um ein besseres Leben kämpfen«, sagt sie. »Aber es wird kein besseres Leben geben, wenn wir nicht lernen zu teilen.« Se­shane war fünf Jahre alt, als Nelson Mandela Staatspräsident wurde, heute engagiert sich die junge Frau in den Jugendligen der Kommunistischen Partei Südafrikas (SACP) und des ANC, den beiden Parteien, die zusammen mit dem Gewerkschaftsbund COSATU die Regierungsallianz bilden. Der Ortsverband der Young Communist League of South Africa (YCLSA) hat an diesem Donnerstag abend den SACP-Vizegeneralsekretär Jeremy Cronin im örtlichen Jugendzentrum zu Gast. Der will die jungen Kader für die anstehenden Wahlen mobilisieren, redet aber auch offen über die Probleme des Landes, allen voran die Korruption und die ungebrochene Macht des Kapitals.

Cronin, Sohn einer weißen Kapstädter Mittelstandsfamilie, in den späten 60er Jahren in die verbotene SACP eingetreten, ist in Diepsloot ein »Held«, wie ihm ein junger Mann in blauer Arbeitskluft per Wortmeldung bescheinigt. Sieben Jahre hatte ihn das Apartheidregime für seine Arbeit in der SACP eingekerkert und ihn auch nicht rausgelassen, als seine Frau an einem Hirntumor starb. Wenn dieser Mann also von einem »konstanten und fortgeführten Krieg« spricht, den die mächtigen Konzerne des Landes »gegen uns führen«, dann ist das keine Wahlkampfrhetorik, sondern Überzeugung. »25 Prozent der Gewinne«, rechnet er vor, »sauge« das Großkapital alljährlich aus Südafrika heraus, »anstatt hier in Arbeitsplätze zu investieren«. Doch ein Allheilmittel, diese Macht zu brechen, hat er auch nicht mitgebracht. Entsprechend ruhig fällt die Reaktion der Jungkommunisten aus. Lauter wird es, als Cronin, immerhin stellvertretender Minister für den staatlichen Sektor, die Korruption in den eigenen Reihen kritisiert. Dutzende Offizielle habe sein Ministerium in Zusammenhang mit dem umgerechnet fast 20 Millionen Euro teuren Ausbau der Privatresidenz von Präsident Zuma bereits »gefeuert«. Dafür, daß das Staatsoberhaupt selbst für die unverhältnismäßigen Ausgaben verantwortlich sei, gebe es allerdings keine Beweise.

Valdah Seshane nutzt die Gelegenheit, um darauf hinzuweisen, daß Korruption ohnehin nicht nur auf die oberen Regierungsebenen begrenzt sei. Auch in ihrem Bezirk von Diepsloot gebe es Probleme, selbst die Aktiven innerhalb der YCLSA wüßten oft nicht, nach welchen Kriterien öffentliche Aufträge vergeben würden. Den Aktionen des lokalen Bürgermeisters – selbst mit nun leicht versteinerter Mine auf dem Podium vertreten – fehle es an Transparenz. »A luta continua« schallt es zum Ende der Veranstaltung durch die Halle – »der Kampf geht weiter«. Auch das ist in Südafrika zwanzig Jahre nach dem Ende der Apartheid weit mehr als eine Parole.

* Aus: junge Welt, Samstag 26. April 2014


"Wir können es besser machen"

Südafrikas Geschichte nach dem Ende der Apartheid ist eine von Fortschritten, Fehlern und der falschen Illusion, der soziale Kampf sei gewonnen. Ein Gespräch mit Jeremy Cronin **

Jeremy Cronin ist stellvertretender Generalsekretär der South African Communist Party (SACP) und seit 2012 stellvertretender Minister für den staatlichen Sektor.


Im African Communist, dem Journal der South African Communist Party, haben Sie 1992 in einem Artikel geschrieben »Wahlen zu gewinnen, gibt uns das Recht zu regieren, aber nicht die Macht«. Gilt dieser Satz noch?

Ja, und ich denke, das ist offensichtlicher denn je. Der ANC hat mit seinen Allianzpartnern Wahl um Wahl gewonnen, aber es gibt natürlich sehr mächtige Kräfte, die den Kurs der Regierung beeinflussen können. Selbst im Vergleich zu Industrienationen ist die Macht des Monopolkapitals in Südafrika extrem hoch, was viel mit der Geschichte des Kapitalismus in Südafrika im späten 19. Jahrhundert und dem Aufkommen des Bergbaus zu tun hat. Wir haben sehr starke Oligopole, deshalb ist die Macht der Regierung stark eingeschränkt.

Wenn 1992 ein Zauberer zu Ihnen gekommen wäre mit dem Angebot, Südafrika bis 2014 so zu gestalten, wie es heute ist, hätten Sie angenommen?

2014 ist mit Sicherheit eine große Verbesserung gegenüber 1992, das Angebot wäre also verlockend gewesen, aber ich hätte geglaubt und glaube immer noch, daß wir es besser machen können. Mitte der 90er Jahre gab es ein neoliberales Strukturprogramm. Das war zwar nicht von außen auferlegt, aber es wurde in dem Glauben angenommen, sonst etwas noch Schlechteres vom Internationalen Währungsfonds zu bekommen. Das war ein Fehler. Trotzdem gab es aber auch eine signifikante Umverteilung: Renten, Sozialhilfen, Wohnungsbau und wichtige Fortschritte im Gesundheits- und Bildungssektor. Aber wir haben es nicht geschafft, echte Schneisen in die Macht des Großkapitals zu schlagen.

Die SACP kämpft seit Jahren dafür, Leiharbeit zu verbieten, aber die Regierung setzt das nicht um. Läßt Sie das nicht daran zweifeln, daß Sie in der richtigen Allianz sind, oder wie können Sie die Allianz in Ihre Richtung bringen?

Ich glaube, wir haben große Fortschritte beim Thema Leiharbeit gemacht. Sie ist nicht verboten, und es gibt im Parlament die Debatte, ob das überhaupt legal wäre. Gute Arbeitsvermittlungen können in einer Situation wie in Diepsloot, wo Arbeitsplätze meilenweit weg sind, in der Tat eine positive Rolle spielen. Aber die Leiharbeitsfirmen, die wir in Südafrika haben, sind als Antwort auf die fortschrittlichen Arbeitsgesetze entstanden, um sie zu umgehen. Inzwischen sind sowohl die Leiharbeitsfirmen als auch die Einrichtungen, in der die Leute eingesetzt werden, rechtlich gemeinsam der Arbeitgeber. Wir haben Leiharbeit also nicht als solches verboten, aber die wichtigsten Lücken in der Gesetzgebung, die alle möglichen Perversitäten zuließen, geschlossen.

1992 haben Sie davor gewarnt, die damaligen Verhandlungen mit der Apartheidregierung nicht mit dem »ultimativen Ziel« zu verwechseln. Der Wahltag wurde dann »Freiheitstag« genannt, als wäre damit die Freiheit erreicht und nicht nur der Anfang gemacht.

Die ANC-Zeitung hatte in den Wochen nach der Wahl 1994 eine Titelseite mit der Schlagzeile »Endlich frei« und ein Bild von Jets – vermutlich geflogen von ehemaligen Apartheid-Piloten – über den neu beflaggten Union Buildings (Sitz des Präsidenten in Pretoria; jW). In der gleichen Woche haben wir als Kommunistische Partei den African Communist mit der Titelzeile »A Luta Continua« (Der Kampf geht weiter; jW) herausgebracht. Der ANC war darüber nicht froh. Aber die Botschaft, daß das damals der Brückenschlag in einen langen, andauernden Kampf war, war uns wichtig.

Interview: Christian Selz

** Aus: junge Welt, Samstag 26. April 2014


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