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Der Präsident als Schwachstelle

Jahresrückblick 2013. Heute: Südafrika. Größte Gewerkschaft NUMSA gegen neoliberale Wirtschaftspolitik. Regierungsallianz vor Bruch

Von Christian Selz *

Die Daumen zeigten nach unten. Unüberhörbare, langgezogene Buhrufe hallten durch das Johannesburger FNB-Stadion, als Südafrikas Präsident Jacob Zuma am 10. Dezember auf die mit internationalen Staatsgästen besetzte Rednertribüne schritt. Einige der rund 50000 Menschen im weiten Rund, die eigentlich gekommen waren, um ihres verstorbenen Freiheitshelden Nelson Mandela zu gedenken, ließen ihre Hände über dem Kopf rotieren. Das Auswechselzeichen bekommen an gleicher Stelle sonst Fußballer des Spitzenklubs Kaizer Chiefs zu sehen, wenn sie in ihrer Arena am Rande des Megatownships Soweto mal einen schlechten Tag erwischen. Zuma dagegen, während seiner zehnjährigen politischen Haft auf Robben Island selbst Linksverteidiger und Schiedsrichter in der Häftlingsliga, hat sich nicht nur einmal verdribbelt. Die dringend benötigte Industrialisierung Südafrikas konnte er seit seinem Amtsantritt 2009 nicht voranbringen. Die Arbeitslosenquote ist seitdem sogar leicht gestiegen, offiziell auf nunmehr 24,7 Prozent, inoffiziell stagniert sie bei 40 Prozent. Zuma, bis zum Hals in Skandale verstrickt, baut derweil seinen Machtapparat in der Regierungsallianz aus African National Congress (ANC), Kommunistischer Partei Südafrikas (SACP) und dem Gewerkschaftsbund COSATU zur Festung aus. Damit entwickelt er sich zum Antagonisten des allseits beliebten Versöhners Mandela – und für seinen ANC vor den Wahlen im kommenden Jahr zur Schwachstelle.

In Südafrika vergeht kaum ein Tag ohne Sozialproteste. In den Townships brennen Barrikaden, die Forderungen nach Sozialwohnungen, Wasser- und Kanalisationsanschlüssen, besseren Gesundheitseinrichtungen oder Schulen, die Kindern Perspektiven eröffnen, werden lauter. Zur selben Zeit läßt Staatsoberhaupt Zuma sein ländliches Anwesen im Dorf Nkandla ausbauen – aus Staatsmitteln, als Sicherheitsmaßnahme. Der am 19. Dezember von einem mit mehreren Ministern gespickten »Taskteam« veröffentlichte Untersuchungsbericht zeigt in entlarvender Banalität, wie sehr Zumas Regierung von Korpsgeist durchdrungen ist – und mit welcher Arroganz sie die eigene Bevölkerung für dumm verkauft. Eine Freilufttribüne im Zentrum des Landsitzes ist demnach nämlich »kein Amphitheater« sondern eine Stützmauer, errichtet als »Bauwerk mit Stufen«. Der offensichtliche Swimmingpool wird zum Löchwasserreservoir umgedeutet, auch für Hühner- und Kuhstall finden sich in dem Dokument noch staatstragende Sicherheitsgründe. Bis zur Schreckensvision präsidialen Rindviehs, das am den Komplex umgebenden Elektrozaun Fehlalarm auslösen könnte, geht das »Taskteam«. Umgerechnet fast 20 Millionen Euro hat der angebliche Schutz des Präsidenten den südafrikanischen Staat insgesamt gekostet.

Für den Rechtsbeistand der Überlebenden des Polizeimassakers an den Bergarbeitern von Marikana hatte Südafrikas Regierung derweil auch 2013 keinen Cent übrig. Die Aufarbeitung durch die Untersuchungskommission, die jenen mörderischen Tag im August 2012, als Polizisten mit halbautomatischen Gewehren 34 Kumpel erschossen und Dutzende weitere verletzten, droht an der mangelnden Finanzierung der Opferanwälte noch immer zu scheitern – vom Mauern der Sicherheitskräfte und Regierungsvertreter ganz zu schweigen.

Offene Konfrontation

Diese soziale Kälte, gepaart mit Opulenz im eigenen Umfeld hat für die Zuma-Administration auch einen erheblichen politischen Preis. Schien zumindest der Flügelkampf innerhalb des ANC nach den parteiinternen Wahlen im Dezember 2012 noch befriedet, steht das Auseinanderbrechen der Regierungsallianz ein Jahr später kurz bevor. Für den heftigsten Knall sorgte die Metallarbeitergewerkschaft ­NUMSA, die auf einem Sonderkongreß vom 17. bis 20. Dezember ihr Verhältnis zum ANC debattierte. Die Delegierten stimmten schließlich gegen eine Unterstützung der Regierungsallianz bei den Wahlen im kommenden Jahr und forderten Zuma zum Rücktritt auf.

Die Begründung fiel heftig aus. Die NUMSA kritisierte SACP und ANC für die verpaßte Industrialisierung und unterstellte sogar Absicht: »Die ANC-Regierung einschließlich ihrer Komponente aus der Führung der SACP trägt die Verantwortung für einen massiven Rückgang des Industrialisierungsniveaus im Land.« Das sei »kein Unfall« und liege nicht an »Inkompetenz oder Ineffizienz«, hieß es im Abschlußdokument des Sonderkongresses. Ursächlich sei statt dessen »die Tatsache, daß die Führung des ANC und der SACP die Interessen des weißen Monopolkapitals und Imperialismus vor den Interessen der Arbeiterklasse« schützten. Als Beleg dient die Weigerung von ANC und SACP, Bergwerke, Banken und Monopolindustrien zu verstaatlichen. Die ­NUMSA fordert das im Einklang mit der Freiheitscharta, einem Leitdokument des ANC aus dem Jahr 1955, welches die Partei selbst aber heute wesentlich neoliberaler interpretiert als zu Zeiten der Apartheid.

Kampf um Gewerkschaften

Die NUMSA ist seit dem faktischen Kollaps der staatstragenden Bergarbeitergewerkschaft NUM, die sich im Vorjahr gegen die Streiks der Kumpel gestellt hatte, stärkste Einzelformation innerhalb des COSATU. Mit ihrem Gewicht fordert sie immer deutlicher eine sozialistische Auslegung und Umsetzung der Freiheitscharta. Das drückt sich auch in der Ablehnung des »Nationalen Entwicklungsplanes« aus, den der ANC 2012 vorgestellt und inzwischen zu seinem zentralen Dokument gemacht hat. Die NUMSA sieht darin »das Programm unseres Klassenfeindes« und kritisiert den Abbau von Beschäftigtenrechten ebenso wie die Fokussierung auf Privatinvestitionen zur Schaffung von Arbeitsplätzen. Außerdem wehrt sich die Metallarbeitervertretung gegen die von ANC und SACP betriebene Spaltung des Gewerkschaftsbundes, den sie als »von inneren Kämpfen zerfressen« ansieht.

Die Auseinandersetzung um den rund zwei Millionen Mitglieder starken Arbeiterdachverband dürfte für die politische Entwicklung in Südafrika entscheidend sein. Die kampferprobten COSATU-Gewerkschaften haben mit ihrer Streikmacht mehr als einmal bewiesen, daß sie das Land lahmlegen können. Als Teil der Regierungsallianz blieben sie allerdings in letzter Instanz auch gewissermaßen unter deren Kontrolle. Käme es – wie von der ­NUMSA gefordert – zum Bruch mit dem ANC und der fest zu ihm stehenden SACP, drohten Zuma nicht nur massive Stimmenverluste sondern auch politisch motivierte Generalstreiks. Dieses Szenario versuchte die Regierung zuletzt mit einer hochrangig besetzten Taskforce zu verhindern. Die sollte ­COSATU nach offizieller Lesart bei der Bewältigung seiner organisatorischen Probleme helfen, war aber nichts weiter als der kaum verdeckte Versuch, den Gewerkschaftsbund wieder auf Linie zu trimmen. Mit dem Unterstützungsentzug der ­NUMSA ist diese Strategie gescheitert.

Spannend wird nun die Frage, ob es der radikalen Metallarbeitergewerkschaft gelingt, innerhalb des ­COSATU eine Mehrheit für die Abspaltung aus der Regierungsallianz zu finden, oder ob der Gewerkschaftsbund daran zerbricht. Die Zuma-treue COSATU-Führung befürchtet offensichtlich ersteres und wehrt sich nach Kräften gegen die Einberufung eines Sonderkongresses, bei dem die Mitglieder über die Bündnisfrage entscheiden könnten. Sperrt sie sich zu sehr, dürften allerdings spätestens auf dem nächsten regulären Kongreß die gleichen Auswechselzeichen zu sehen sein, mit denen ANC- und Staatspräsident Zuma in Johannesburg konfrontiert war.

* Aus: junge Welt, Montag, 30. Dezember 2013


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