Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Tourismus im Zulu-Dorf

Was Elijah Mbonane Südafrika-Reisenden einst nicht zeigen sollte

Von Odile Jolys, Johannesburg *

Die Drakensberge im südlichen Afrika werden als ideales Wandergebiet gerühmt. Vom Alltag der Bewohner erfahren Reisende in der Regel sehr wenig, denn der Tourismus liegt immer noch weitgehend in weißen Händen. Abhilfe will Elijah Mbonane schaffen.

Auf den Straßen des südafrikanischen Highvelds schlängeln sich viele Autos an zahlreichen Schlaglöchern vorbei. Sie sind unterwegs in Richtung des Royal National Parks und des grandiosen Amphitheaters, einer acht Kilometer langen zerklüfteten Felswand der Drakensberge. Wer im Sommer die überfüllten Strände am Indischen Ozean rund um Durban meiden will, findet hier in der basaltischen Gebirgskette Ruhe und Entspannung.

Kaum ist der Oliviershoek-Pass erreicht, eröffnet sich ein atemberaubendes Panorama: Die Drakensberge erheben sich abrupt aus der sattgrünen Landschaft und erinnern an dunkle Zinnen einer mittelalterlichen Burg. Die Zulus nennen die Drakensberge »Quathlamba«, was einen Festungswall gegen Lanzen bezeichnet. In Afrikaans, der Sprache der weißen Siedler, heißen sie »Berge der Drachen«.

Auf der Passstraße halten Touristen an und lassen sich von der Aussicht berauschen. Etliche Händler wissen das auszunutzen: Frauen verkaufen ihre Korbgeflechte, Jugendliche Tierfiguren aus Ton.

Die Zeiten haben sich geändert

Die Bevölkerung der Region gehört mehrheitlich der Gruppe der Zulus an, der größten afrikanischen Bevölkerungsgruppe Südafrikas. Mit dem Eindringen der weißen Siedler in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden die damals hier ansässigen San, volkstümlich auch »Buschmänner« genannt, entweder getötet oder in das benachbarte Lesotho jenseits der Drakensberge verdrängt. Gleichsam als »Puffer« gegen die Überfälle der San auf das Vieh der Siedler wurden Schwarze gezwungen, sich hier anzusiedeln. Später wurde das Gebiet zu einem »Homeland« erklärt, in dem die Apartheidregierung die Schwarzen einpferchte.

Wie vielerorts in Südafrika ist der Tourismus auch hier – abgesehen vom Nationalpark – noch immer weitgehend in weißer Hand. Einschlägige Unternehmen bieten Wanderungen, Tierbeobachtungen und Angeltouren an. Die Branche wirbt mit dem Naturerlebnis. Stiefkinder sind Geschichte und Kultur.

Selbst viele der Höhlen- und Felsenmalereien, die die San hinterlassen haben, sind nur halbherzig touristisch erschlossen. »Die Wirtin unserer Unterkunft hatte uns gezeigt, wo kürzlich Höhlenmalereien restauriert wurden«, erzählt ein französisches Rentnerehepaar. »Und was war da? Eindrucksvolle Felsenmalereien, aber ohne ein Hinweisschild und ohne jegliche Erklärungen!« Die Franzosen bedauern: »Wir sind nun zwei Wochen in Südafrika und haben immer noch den Eindruck, nicht die leiseste Ahnung vom Alltag der Menschen hier zu haben.«

Elijah Mbonane will Abhilfe schaffen. Er bietet geführte Touren in das vor dem Nationalpark gelegene Zulu-Dorf an. Schon als Zwölfjähriger hatte er in einem nahe gelegenen Hotel gearbeitet. »Immer wenn ich Reisende zu einer Wanderung begleiten musste, stellten sie mir viele Frage über das Leben hier, über mein Dorf. Während der Apartheid war es von meinem Arbeitgeber aber nicht erwünscht, dass ich viel erzähle, und schon gar nicht, dass ich jemanden in mein Dorf mitnehme.«

Die Zeiten haben sich geändert. Elijah machte sein Abitur und gründete den »Siyaphambili Tourist Guide & Porters Service«. Mittlerweile hat er vier weitere Touristenführer an Bord geholt. Viele Hürden waren zu überwinden: Sein Tourismus-Studium musste Elijah wegen Geldmangels aufgeben, die erforderliche Ausbildung, um legal als Reiseführer arbeiten zu können, schaffte er nur mit finanzieller Hilfe einer Nichtregierungsorganisation. Auch kostete es ihn viel Mühe, die Dorfgemeinschaft von seinem Projekt zu überzeugen.

Auf vielen Parzellen ein Mandela-Haus

Jetzt aber spaziert Elijah mit den Fremden durch sein Dorf. Dabei ist reichlich Zeit, das Dorfleben zu beobachten und alle Fragen zu stellen, die einem durch den Kopf gehen. Das Auto haben wir im Hof des Dorfchefs abgestellt bei dieser Gelegenheit auch kurz mit dem traditionellen Oberhaupt der Gemeinschaft gesprochen. »Die Leute hier arbeiten entweder als Angestellte in den Hotels der Umgebung oder sie sind weggezogen nach Johannesburg oder Durban und kommen nur in ihren Ferien zurück«, erklärt der Dorfchef. Neben dem gewählten Bürgermeister fungiert er als traditionelle Autorität in der Gemeinschaft und regelt wichtige Angelegenheiten – die Landfrage ebenso wie Streitigkeiten zwischen Familien. Ob die Leute immer zufrieden mit ihrem Chef sind? »Na ja«, antwortet Elijah, »wenn wir denken, dass er schlecht entscheidet, dann zeigen wir unseren Unmut und erinnern ihn an seine Pflichten.«

Ein Stück weiter begegnen wir einer jungen Frau, die Wasser am Brunnen pumpt. Zweimal am Tag schleppt sie ihre 30 Liter Wasser in Eimern nach Hause. »Nur die Reichsten im Dorf haben Leitungswasser«, erklärt Elijah. Auf dem Weg scherzen wir mit neugierigen Kindern und begrüßen die Bewohner, die vor ihren Häusern kleine Felder zumeist mit Mais bestellen. Aus Maismehl wird Pap zubereitet, das Grundnahrungsmittel vieler Südafrikaner. Ein Traktor kommt uns entgegen. Es ist der einzige im Dorf, der Besitzer leiht ihn gegen Geld aus.

In der Schebeen, der Dorfkneipe, braut die Wirtin das traditionelle Bier selbst. Es schmeckt bitter und ist hochprozentig. Die meisten Gäste bevorzugen daher das normale Bier, aber der Preis macht das Selbstgebraute attraktiv.

Wir sehen nur wenige mit Reet gedeckte Häuser im Dorf. »Das ist teurer als ein Blechdach. Außerdem muss es immer wieder gepflegt werden«, erklärt unser Begleiter. Er macht uns auch darauf aufmerksam, dass auf vielen Grundstücken ein Haus mit grünem Blechdach steht. »Das sind die Mandela-Häuser: Jede Familie hat von der Regierung ein Haus bekommen.«

Der erste Weg führt zum Sangoma

Später wird der Sangoma besucht, der traditionelle Heiler. Vor dem Betreten des Rundhauses mit einem einzigen Raum ziehen wir die Schuhe aus, Frauen und Männer nehmen getrennt auf Teppichen Platz. Ein Altar, an dem der Sangoma mit den Ahnen spricht, Tierpelze, Tücher mit dem Abbild des Zulu-Königs und viele Behälter mit getrockneten Kräutern dekorieren den kleinen Raum. Knochen liegen in einer Ecke bereit.

Als er zum Sangoma berufen wurde, musste er die Schule abbrechen, erklärt der junge Mann. »Die Leute kommen wegen Krankheiten oder wegen Kinderlosigkeit zu mir. Wenn ich nichts machen kann, schicke ich sie zum Krankenhaus«, gesteht er.

Die Mehrheit der Südafrikaner geht bei Beschwerden zuerst zum Sangoma. Der ist näher, weil es in jedem Dorf einen gibt, und es entspricht dem Glauben der Menschen, dass eine Krankheit auch mit anderem als nur mit körperlicher Schwäche zu tun hat: Die Ahnen sind unzufrieden oder jemand will etwas Böses, meint man.

»Der Besuch im Dorf hat uns gefallen. Es war nicht irgendwie aufgesetzte Folklore«, konstatieren zufrieden die beiden Rentner aus Frankreich. »Der Sangoma wollte uns nicht die Zukunft voraussagen und keiner hat nach Geld gefragt.« Freundlich und sachkundig beantwortet Elijah jede Frage. Er zeigt das dörfliche Leben mit viel Takt und Würde.

Wir hätten auch eine Schule besuchen können und das Waisenhaus, das von einem belgischen Ehepaar auf die Beine gestellt wurde, oder eine Gerichtsverhandlung der Chefs. Elijah kommt es vor allem darauf an, die Fremden für seine Gegend und die Bewohner zu interessieren. »Zu lange waren wir getrennt und wissen immer noch zu wenig voneinander.« Der Preis für die Tour ist verhandelbar, je nachdem, was man sehen will. Einen Teil des eingenommenen Geldes gibt Elijah den Gastgebern im Dorf, ein anderer Teil ist für Gemeinschaftsprojekte vorgesehen.

Während der Wanderungen entdecken wir ein einfaches, aber gutes Restaurant, das sehr gepflegte Zimmer anbietet. Kein Reiseführer, kein Schild weist darauf hin. Weiße Touristen sind hier, in einer der sehenswertesten Regionen Südafrikas, eben Exoten. »Aber wir buchen beim nächsten Mal hier«, versichern unsere wissbegierigen französischen Reisegefährten.

* Aus: Neues Deutschland, 21. April 2011


Zurück zur Südafrika-Seite

Zurück zur Homepage