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Gemischte Aussichten

Südafrika wieder im Alltag. Die Fußballweltmeisterschaft hinterläßt neben horrenden Schulden aber auch Chancen

Von Christian Selz, Port Elizabeth *

Als Nelson Mandela am vergangenen Sonntag (11. Juli) vor dem WM-Finale auf einem Golfwagen durch das monumentale Soccer-City-Stadion fuhr und den knapp 85000 Fans zuwinkte, brandete Jubel auf. Mandela, Vater und Idol des neuen Südafrikas, lächelte und genoß die kollektive Begeisterung sichtlich. Doch wie so vieles bei diesem globalen Spektakel kam auch dieser Moment nicht ohne bitteren Beigeschmack daher. Mandelas Enkel Mandla Mandela warf der FIFA vor, großen Druck auf seinen Großvater ausgeübt zu haben, damit der greise Mann der Abschlußfeier beiwohne. Doch die gesundheitlichen Bedenken mußten der perfekten Inszenierung weichen. Am morgigen Sonntag nun wird Mandela 92 Jahre alt. Die Aussichten für sein Land, für dessen Befreiung vom Rassismus er 27 Jahre im Gefängnis saß, sind zum Geburtstag ebenso durchmischt wie das Fazit des jüngsten Fußballspektakels.

Um 0,4 Prozent habe die WM das Bruttoinlandsprodukt gesteigert, gab Finanzminister Pravin Gordhan diese Woche bekannt. Die Zahlen sind aber noch nicht endgültig, da noch Abrechnungen aus den Provinzen fehlen. Vorsichtigere Analysten hatten zuvor von lediglich 0,2 Prozent gesprochen. Auch die sichtbaren WM-Erfolge kommen in ähnlichen Dimensionen daher. Für Infrastrukturmaßnahmen und den Bau der Arenen wurden zwar Hunderttausende Jobs geschaffen, die meisten davon sind aber bereits wieder abgebaut, seit die Projekte fertiggestellt sind. Trotzdem: Die erfolgreiche WM hat das Bild von Afrika in der Welt positiv verändert und die von der Regierung Zuma erhofften zusätzlichen Wirtschaftsinvestitionen und der prognostizierte Tourismusanstieg sind zumindest nicht völlig aus der Luft gegriffen.

Wenn die südafrikanischen Medien den Nutzen der für den Steuerzahler umgerechnet vier Milliarden Euro teuren Weltmeisterschaft aufrechnen, stehen meist sowieso nicht die kühlen Zahlen im Vordergrund. Das Turnier habe die Südafrikaner vereint und ein Zusammengehörigkeitsgefühl erzeugt, das am Kap seit dem Ende der Apartheid noch immer vermißt worden war. »Die WM war für uns eine Anlaufstelle, um zusammenzukommen und stolz zu sein«, sagt auch der Soziologe Udesh Pillay vom Forschungszentrum für Sozialwissenschaften in Durban.

In der Tat: Die Südafrikaner haben während der WM ein freundliches Gesicht nationaler Einigkeit gezeigt und den Fußball-Nationalismus kleingehalten. Als das eigene Team ausgeschieden war, unterstützten viele die Ghanaer, aber auch das englische oder das brasilianische Team, häufig bunt geschminkt und gekleidet in den jeweiligen Landesfarben. Trotzdem gab es schon während des Turniers Gerüchte, daß nach Turnierende fremdenfeindliche Attacken wieder zunehmen würden. Noch in der Nacht nach dem Endspiel kam es räumlich begrenzt in einigen Kapstädter Townships zu Übergriffen auf Einwanderer aus anderen afrikanischen Ländern.

Regierung und Polizeiführung reagierten mit einer Mischung aus hartem Durchgreifen und öffentlichem Abwiegeln. Die Lage hat sich inzwischen wieder beruhigt, aber die Gründe liegen tiefer. Das eklatant schlechte Bildungssystem und die extrem hohe Arbeitslosigkeit haben schon vor der WM immer wieder zu Protesten geführt, die in etlichen Fällen auch die Gewalt gegen afrikanische Ausländer schürten. Die wichtigste Ursache aber ist das Versagen des Staates. Er ist dabei gescheitert, Häuser für die Ärmsten zu bauen, die medizinische Grundversorgung, ein funktionierendes Polizeiwesen auch in den Townships, fließendes Wasser, eine Kanalisation und den Anschluß ans Stromnetz zu gewährleisten. Es gab sogar Berichte, nach denen lokale Politiker den Fremdenhaß steuerten und befeuerten, um von ihrem eigenen Versagen abzulenken.

Blade Nzimande, Generalsekretär der an der Regierung beteiligten Kommunistischen Partei Südafrikas (SACP), forderte am Donnerstag (15. Juli), Lokalpolitikern strikte Erfolgsziele aufzuerlegen und die untätigen unter ihnen »zu entfernen«. Zwelinzima Vavi, Generalsekretär des Gewerkschaftsbundes COSATU, kündigte an, enger mit den Behörden zusammenzuarbeiten, um die sozialen Dienste zu verbessern. Vor dem Hintergrund der horrenden WM-Verschuldung dürfte das nicht leicht werden, doch der vereinigende und euphorisierende Geist des Turniers liefert auf der anderen Seite zumindest den idealen Zeitpunkt. Oder wie es Pillay formuliert: »Wir haben jetzt einen Wohlwollensfaktor und den müssen wir als Sprungbrett nutzen, wenn es um die Sozialversorgung geht – diese Dynamik dürfen wir nicht verpassen.«

* Aus: junge Welt, 17. Juli 2010


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