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"Der Farmer kontrolliert alles!"

Farmarbeiterinnen in Südafrika demonstrieren für ihr Recht auf Land

Von David Betge *

Auf einem kleinen Parkplatz, direkt an der Hauptstraße haben sie sich versammelt und warten. Ungefähr dreißig Frauen und zehn Männer stehen in kleinen Gruppen beisammen und sprechen leise miteinander. Einige gähnen und reiben sich den Schlaf aus den Augen. Etwas abseits steht ein Kameramann und blickt unschlüssig in die Runde. Noch passiert nichts, was sich zu dokumentieren lohnt.

Die Sonne scheint warm an diesem Frühlingsmorgen, über den Bergen des Ceres Tals im südafrikanischen Westkap. Die Männer und Frauen warten auf Busse mit denen Arbeiter, von den anderen im Umkreis gelegenen Farmen kommen sollen. Eigentlich hätten sie schon längst hier sein müssen. Stattdessen kommt jetzt die Polizei. Vier Wagen rollen auf den Parkplatz, auf dem sich die Gruppe versammelt hat und ein Duzend Polizisten in voller Kampfmontur klettern heraus. Sie tragen Schutzwesten und schwarze Protektoren über den Armen und Beinen, die Pistolen haben sie an die Oberschenkel geschnallt. In einiger Entfernung beziehen sie Stellung und blinzeln mit ernsten Gesichtern in die Sonne.

Mitarbeiterinnen der Nichtregierungsorganisation Women on Farms Project (WFP) haben für diesen Samstag zu einem Protestmarsch der Farmarbeiterinnen aufgerufen. Von verschiedenen Farmen wollen die Menschen in Ceres, der Hauptstadt des Distriktes und unter anderem Sitz eines internationalen Fruchtsaftherstellers mit gleichem Namen, zusammenkommen um für ihr Recht auf Landbesitz zu demonstrieren. Der Protestmarsch wurde nicht genehmigt. Das bringt alle Beteiligten in eine schwer einzuschätzende Situation. „Wir wissen nicht, wie die Polizei reagieren wird, wenn wir marschieren. Ich hoffe, die werden uns nicht alle verhaften“, sagt Fatima Shabodien mit einem halben Lächeln. Sie ist die Direktorin von Women on Farms. Ihre Organisation hat sich in den vergangenen Jahren einen Namen gemacht im Kampf um Land und Landrechte für Frauen. Sie gehören zu den wenigen einflussreicheren Nichtregierungsorganisationen in Südafrikas Weinbauregion, der Provinz Western Cape, die sich für die Rechte der ärmsten Gruppen der Bevölkerung einsetzen. Auch die Vertreter der anderen Seite, der organisierten, kommerziellen und meist weißen Agrarbetriebe, erkennen dies an.

Annelize Crosby, parlamentarische Kontaktperson für Agri SA, der wichtigsten Organisation kommerzieller Farmer im Land, sitzt in einem Café an der schicken Kapstadter Waterfront. Die resolute blonde Frau hat ihren Terminkalender und ihr Blackberry vor sich liegen und erläutert mit Nachdruck die Position ihres Arbeitgebers zum Thema Landumverteilung. Seit dem Ende der Apartheid ist die Neuverteilung des Agrarlandes zentraler Bestandteil des nationalen Landreformprogramms. Ursprünglich sollten bis 2001 dreißig Prozent der nutzbaren Fläche an schwarze Farmer umverteilt werden. Während der Apartheid hatte die weiße Minderheitsregierung mit restriktiven Gesetzen dafür gesorgt, dass 87 Prozent der Agrarfläche des Landes in die Hände der aus Europa eingewanderten Afrikaaner fielen. Nur dreizehn Prozent des Bodens blieben demnach für die schwarze Mehrheit, die weit über achtzig Prozent der Bevölkerung des Landes ausmacht. Dieses Missverhältnis sollte nach dem Ende der Apartheid möglichst schnell ausgeglichen werden. Doch administrative Hürden und massive Unterfinanzierung des Landreformprogramms sorgten dafür, dass die Ziele auch heute, siebzehn Jahre später, bei Weitem nicht erreicht wurden.

Im Westkap, der Provinz mit den wohl höchsten Bodenpreisen des Landes, setzen sich die kommerziellen Farmer und ihre Lobbyorganisation Agri SA dafür ein, dass Farmarbeiter über so genannte share equity Programme Zugang zu Land erhalten. Zentral für das Konzept der Eigentumsanteile ist, dass Farmarbeiter und Arbeiterinnen Anteile an den Farmen erwerben auf denen sie angestellt sind und auf diese Weise am Gewinn beteiligt werden sollen. Das Geld hierfür kommt in der Regel aus Darlehen der Regierung. Frau Crosbys Ansicht nach ist dies ein besonders nachhaltiger und für beide Seiten durchaus profitabler Weg die Landreform umzusetzen.

Fatima Shabodien bezweifelt das. Von den drei, von WFP betreuten Projekten bei denen Farmarbeiter Anteile an Farmen erworben hätten, sei bislang nur in einem Fall eine Dividende gezahlt worden und zwar in Höhe von umgerechnet 55 Euro, nach sieben Jahren. Auch Karin Kleinbooi vom Institut für Armuts-, Land und Agrarstudien an der Universität des Westkap bezweifelt die Wirksamkeit von share equity Programmen: „In einer Reihe von Fällen, die ich mir näher angeschaut habe, war es immer der Farmer, der profitiert hat. Häufig wurde das Geld benutzt, um Betrieben in Krisensituationen über den Berg zu helfen.“ Außerdem würden die Farmer ihr Land und den Agrarbetrieb nicht selten juristisch voneinander trennen, sodass die Anteilseigner letztlich zwar Anteile am Betrieb nicht jedoch am Landbesitz erwerben würden. Somit trage dieses Konzept faktisch meist überhaupt nicht zur angestrebten Umverteilung von Land bei, da die Landbesitzrechte sich nicht änderten.

Auch einige der Frauen, die nun in Ceres demonstrieren, haben Geld in die Farmen investiert auf denen sie leben. „Der Farmer kontrolliert alles! Wir durften zahlen, aber wir dürfen nichts mitbestimmen“, sagt Anna Oncke wütend. Die kleine Frau mit dem vom Wetter gegerbten Gesicht, auf dem die tiefen Falten an Ackerfurchen erinnern, ist dem Aufruf von Women on Farms gefolgt, weil sie sich betrogen fühlt. Sie verlangt Zugang zu Land, das sie bewirtschaften kann, um ihre Familie zu ernähren und sie möchte das Geld, welches sie dem Farmer gegeben hat, zurück haben und es in neues, eigenes Land investieren. Mit dem Protestmarsch soll Druck auf die lokalen Behörden und die Farmer Gegend ausgeübt werden. Denn während Organisationen wie Agri SA direkten Kontakt zu den südafrikanischen Parlamentariern haben, bleibt der ländlichen Bevölkerung und den Nichtregierungsorganisationen, die mit den Farmarbeiterinnen zusammenarbeiten, meist nur der Weg zu den lokalen Behörden.

Manchmal durchaus mit Erfolg. Je weiter jedoch eine Gemeinde von den urbanen Zentren, in diesem Fall Kapstadt, entfernt ist, desto schwieriger wird es die nötige Medienaufmerksamkeit zu erhalten. Ceres, zum Beispiel liegt weit abseits der Nationalstraße N1 und ist damit vergleichsweise mühevoll zu erreichen. Immerhin ist außer dem Kameramann, von dem niemand weiß zu wem er gehört, auch ein Journalist der großen afrikaanssprachigen Tageszeitung Die Burger gekommen.

Mittlerweile verbreitet sich eine Nachricht unter den Wartenden wir ein Lauffeuer. Einer der Farmer, von dessen Farm der Großteil der noch erwarteten Demonstranten kommen soll, habe seinen Angestellten gedroht, er werde sie entlassen und von seinem Land verjagen, würden sie an der geplanten Demonstration teilnehmen. In Rage habe er den Schlüssel des Busses, mit dem die Leute nach Ceres fahren wollten, entwendet und sei damit verschwunden. Sofort springen Fatima und einige ihrer Mitarbeiterinnen in ein Auto um zu der Farm zu fahren. Währenddessen haben die Versammelten Transparente ausgepackt und halten sie den immer noch im Hintergrund abwartenden Polizisten entgegen. Auch die Passanten an der Hauptstraße werden langsam aufmerksam. Einer der wenigen Männer der Gruppe hat sich ein Megafon gegriffen und beginnt mir rauer Stimme zu singen. Sofort bildet sich ein Kreis um ihn. Die anderen Männer und einige Frauen stimmen in den Gesang ein und beginnen zu tanzen. Auf den Gesichtern einiger Polizisten erscheint zum ersten Mal an diesem Morgen ein Lächeln.

Es ist der erste Protestmarsch den WFP in Ceres organisiert, um auf die Situation landloser Farmarbeiter aufmerksam zu machen. Zwar gehört das Landreformprogramm zu den fünf nationalen Prioritäten der Regierung von Präsident Jacob Zuma, aber in vielen Teilen des Landes scheint der Prozess zu stagnieren. Die Regierung ist gerade dabei die Mechanismen für die Umverteilung zu reformieren und hat mit hohen Landpreisen und schwierigen Aushandlungsprozessen, aber auch mit den eigenen überbürokratisierten Prozessen zu kämpfen. Fatima erzählt, dass manche Farmer sich schlicht weigern, ihr Land im Zuge der Landreform an Kleinbauern zu verkaufen, obwohl es in der Umgebung Farmer gibt, „die zwölf Farmen besitzen, von denen sie einen großen Teil des Landes gar nicht nutzen.“ Hinzu kommen Gesetzesrelikte aus der Apartheidzeit, die es fast unmöglich machen Land im Zuge der Umverteilung in kleinere Parzellen aufzuteilen. So mussten in der Vergangenheit immer wieder große Gruppen von Menschen, die sich kaum kannten, gemeinsam und ohne das notwendige Know-how oder Unterstützung von Seiten der Regierung Farmen bewirtschaften. Projekte, die in vielen Fällen kläglich scheiterten.

Unter der Landbevölkerung herrscht Frustration, während Politiker wie Julius Malema, Vorsitzender der ANC Youth League, der Jugendorganisation der größten Regierungspartei, versuchen, diese Frustration zur politischen Mobilisierung zu nutzen. Enteignung ist ein Schlagwort, das in diesem Zusammenhang immer wieder fällt. Vor allem die weißen Farmer denken dabei meist an die Geschehnisse im benachbarten Simbabwe, wo es zu Beginn des Jahrtausends zu massiver Gewalt und daraufhin zur internationalen Isolation des Landes kam. Das Enteignungen in Verbindung mit einer entsprechenden Entschädigung durchaus ein legitimes Mittel zur Landumverteilung sind, welches durch die Verfassung gedeckt ist, wird von dieser Seite aber gern unterschlagen. Abgesehen von Lautsprechern wie Malema fehlt der Landbevölkerung eine starke und vor allem seriöse Lobby auf der nationalen, politischen Bühne.

Zwei amerikanische Praktikantinnen von WFP, haben begonnen Flyer zu verteilen, auf denen die Forderungen der Frauen stehen. Die Farmbesitzer der Gegend sollen ihren Arbeiterinnen Land, zur Bewirtschaftung in Kooperativen, zur Verfügung zu stellen. Außerdem werden der Bürgermeister, Vertreter der lokalen Farmer Organisation und der Direktor des provinzialen Ministeriums für ländliche Entwicklung und Landreform aufgerufen, sich endlich mit den Frauen an einen Tisch setzen. Häufig haben die Frauen, die mit ihren Männern und Kindern auf den Farmen leben, nur für drei bis fünf Monate im Jahr Arbeit und die Gehälter der Männer allein reichen oft nicht aus um ihre Familien zu ernähren. Mit einem Stück Land, um Obst und Gemüse anzubauen, könnten die Frauen zumindest dafür sorgen, dass ihre Kinder nicht hungrig zu Bett gehen müssen.

Jetzt kommen Fatima und ihre Begleiterinnen zurück. Die meisten der Farmarbeiterinnen waren nach dem Auftritt des Farmers zu verängstigt, um mit auf die Demo zu kommen, zumindest aber der Schlüssel für den Bus hat sich wieder angefunden und so kommen einige neue Demonstranten hinzu. Nach einer kurzen Ansprache setzt sich der, nun auf ungefähr achtzig Menschen angewachsene, Zug endlich in Bewegung. Die Polizisten bewegen sich ebenfalls. Aber statt die illegale Demonstration, die sich tanzend und singend auf der Hauptstraße fortbewegt und den Verkehr behindert, anzuhalten bilden sie auf beiden Seiten des Zuges einen Kordon. Ein Polizeiwagen fährt hinter dem Zug, einer setzt sich an die Spitze, sperrt Kreuzungen und stoppt den Gegenverkehr. Auf diese Weise bewegt sich der Protestmarsch bis an den Rand der kleinen Stadt, vorbei an großen Agrarbetrieben mit Parklätzen voller LKW und riesigen Lagerhallen, bis zu einem großen, kahlen Stück Land direkt am Ortseingang.

Die von verdorrtem Gras bedeckte Wiese ist ungenutzt, „obwohl uns die Distriktbehörde erklärt hat, es gebe hier kein Land für die Frauen“, sagt Fatima. Also werden sie dieses Land heute symbolisch besetzen.

Die Demonstranten bilden einen großen Kreis. Eine der Farmarbeiterinnen bittet um das Megafon. Sie stellt sich in die Mitte des Kreises und beginnt mit wütender Stimme ihre Forderungen aufzuzählen: Die Farmer sollen sich an ihre Versprechen halten und ihren Arbeitern Land zur Verfügung stellen oder bessere Löhne zahlen. Sie verlangten doch nicht mehr als ein Stück Land um ihre Familien zu ernähren, der Farmer aber behandle sie wie Verräter. Als sie fertig ist, nimmt eine andere Frau das Megafon, auch sie erzählt von ihren Kindern, die hungrig seien, in diesem Landstrich, wo es überall riesige Farmen gibt. Dann beginnt sie zu beten. Sogar die Polizisten, die sich wieder in einiger Entfernung aufgebaut haben, scheinen gerührt, zumindest schweigen sie mit ernsten Gesichtern. Als das Gebet beendet ist, beginnt irgendjemand zaghaft die Nationalhymne zu singen. Die Umstehenden stimmen ein. Als der Gesang ausklingt, erschallen „Viva“ Rufe. „Viva Women on Farms!“ rufen die Versammelten im Chor, während einige bereits in Richtung der Busse laufen. Die Rufe verhallen in der Weite des Ceres Tals.

Bevor die Menschen in die Busse steigen, um auf ihre Farmen zurückzukehren, verteilen die Mitarbeiterinnen von WFP Hot Dogs und Getränke. Auch die Polizisten bekommen etwas ab und bald stehen alle gemeinsam und andächtig kauend in der Sonne. Der Zeitungsreporter und der Kameramann sind längst verschwunden. Von den lokalen Regierungsbehörden war niemand vor Ort.

Als ich mich zwei Wochen später mit dem Direktor des Ministeriums für ländliche Entwicklung und Landreform treffe, weiß er nichts von dem Protest der Frauen in Ceres. Zwar gab es einen kleinen Artikel in Die Burger, aber auch die Mitarbeiterinnen von WFP sind selbstkritisch bei ihrer Nachbesprechung. Es seien zu wenige Teilnehmer mobilisiert worden und ein renommierter Redner um die Medien anzulocken habe gefehlt. Auch hätten andere Nichtregierungsorganisationen involviert werden müssen. Jetzt sollen erst noch einmal Gespräche mit den lokalen Behörden stattfinden. Dort, so die Hoffnung, wird es am einfachsten sein, Druck aufzubauen. Ob gegen den Farmer wegen des Entwendens der Schlüssel Anzeige erstattet wird, ist noch nicht entschieden.

Der Protestmarsch war vorerst nur ein Warnschuss, beim nächsten Mal soll es lauter werden.

* David Betge, Student der Politikwissenschaft, FU Berlin


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