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Walmart entdeckt Afrikas Konsumenten

Einzelhandelsriese will von Südafrika aus einen neuen Markt erschließen / Gewerkschaften besorgt

Von Odile Jolys, Johannesburg *

Die US-Einzelhandelskette Walmart will nach Afrika und hat Südafrika als Ausgangsort für seine Expansionspläne auf dem Kontinent gewählt.

Walmart, der globale Markführer unter den Supermarktketten, will den südafrikanischen Einzelhändler Massmart für 4,2 Milliarden US-Dollar kaufen. Im Falle einer Übernahme würde Walmart in 13 weiteren afrikanischen Staaten, darunter Nigeria und Ghana, aktiv werden. »Südafrika bietet einen Wachstumsmarkt. Demografie und Wirtschaftstrend passen gut zu uns«, sagte Walmart-Vizepräsident Andy Bond, in dessen Zuständigkeit auch das Afrika-Geschäft liegt.

Massmart beschäftigt um die 30 000 Arbeitnehmer. Die wichtigsten Marken sind Game, Makro und Builders Warehouse. Das Angebot ähnelt Walmart, es gibt alles vom Grundnahrungsmittel bis zur Haushaltausstattung. In Südafrika könnte Walmart auf eine gute Infrastruktur aufbauen und auf Konsumenten, die ihren Nahrungsmittelkauf bereits überwiegend in Supermärkten tätigen.

Die Liste der Vorwürfe ist lang

Während die Wirtschaftswelt die Übernahmeabsicht als Herausforderung für die Konkurrenz begrüßt und sich davon Preissenkungen für den Konsumenten verspricht, klingen bei Gewerkschaftern und Umweltaktivisten die Alarmglocken. Walmarts Ruf ist auch in Südafrika schlecht. Die Supermarktkette mit Sitz in Betonville, Arkansas, die Gewinn mit einer ausgeklügelten Zuliefererkette macht und miserable Löhne bezahlt, sah sich in den letzten Jahren mit einer Reihe von Klagen konfrontiert. Kinderarbeit bei Zulieferern, Beschäftigung illegaler Einwanderer, Benachteiligung von Frauen, Missachtung von Umweltbestimmungen, Gewerkschafts- und Arbeiterrechten – die Liste der Vorwürfe ist lang. Zuletzt versuchte Walmart sein Image mit Umweltmaßnahmen zu verbessern. Und in Brasilien können sich die Mitarbeiter nun gewerkschaftlich organisieren.

Südafrikas einflussreicher Gewerkschaftsdachverband COSATU heißt Walmart dennoch nicht willkommen, befürchtet er doch eine Lohnabwärtsspirale. In der Provinz Westkap kündigte COSATU gegen jede Eröffnung eines Walmart-Ladens Widerstand an. Die Gewerkschaften sorgen sich auch um die örtlichen Zulieferer. Mit seiner starken Marktstellung ist Walmart in der Lage, Lieferbedingungen zu diktieren. Walmarts Importe aus China machten vor der Krise zehn Prozent der Gesamtimporte in die USA aus.

Nicht überall ist es Walmart gelungen, sich zu etablieren. In Deutschland und Südkorea scheiterten die Amerikaner am bereits vorhandenen Überangebot und in Südafrika könnten die traditionell starken Gewerkschaften Paroli bieten. Ein Treffen mit Massmart-Managern, Walmart-Vizepräsident Andy Bond und Gewerkschaftern soll schon stattgefunden haben. Bond verspricht den Südafrikanern neue Arbeitsplätze.

Auslandsaktivitäten werden wichtiger

Der Konzern setzt verstärkt auf Auslandsaktivitäten, da er in den Vereinigten Staaten unter dem Konsumrückgang seit der Krise zu kämpfen hat. Afrika könnte dabei ein vielversprechender Markt werden. Laut der Beratungsfirma McKinsey wächst die Konsumkraft, der Handelssektor ist für 13 Prozent des Wachstums auf dem Kontinent verantwortlich. Gestützt werde dieser Trend durch eine wachsende junge Bevölkerung, eine rasante Urbanisierung und die Zunahme einer konsumfreudigen Mittelschicht. Diese ist jetzt schon größer als jene Indiens. In 2014 rechnet McKinsey mit 106 Millionen Haushalten, die 5000 US-Dollar und mehr zu Verfügung haben. Diese Summe ist die Grenze, bei der Leute anfangen, mehr als die Hälfte ihres Geldes für andere Güter als Grundnahrungsmittel auszugeben. Die südafrikanische Wochenzeitung »Mail and Guardian« kommentierte die Walmart-Pläne daher wie folgt: »Was Walmart wirklich kauft, ist der Glaube an eine südafrikanische und afrikanische Mittelschicht, die Idee, dass Afrikaner in Zukunft als Konsumenten von Gütern und Dienstleistungen und nicht mehr als Empfänger von Hilfe zählen.«

Für den US-Historiker Nelson Lichtenstein ist der Kapitalismus des 21. Jahrhunderts ein Produkt der großen Einzelhandelskonzerne wie Walmart. Sie erschließen die Märkte, legen die Preise fest und bestimmen, wie die Arbeit für den gigantischen Warenstrom, der über ihre Ladentheken fließt, weltweit verteilt wird. Gelingt Walmart die angestrebte Expansion, wäre Afrika demnach im Kapitalismus des 21. Jahrhundert angekommen.

* Aus: Neues Deutschland, 3. November 2010


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