Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Krasse Unterschiede in der Versorgung

In Südafrika soll eine nationale Krankenversicherung eingeführt werden / Kosten sind hoch

Von Armin Osmanovic, Johannesburg *

Südafrikas Regierung will kommendes Jahr mit der Einführung einer nationalen Krankenversicherung beginnen.

Bislang sind nur 16 Prozent der 50 Millionen Südafrikaner krankenversichert – und zwar privat. Pro Kopf belaufen sich die Ausgaben auf jährlich 11 500 Rand (1150 Euro). Die anderen 84 Prozent verfügen über keine Krankenversicherung, haben aber Zugang zu einer kostengünstigen Versorgung. Die staatlichen Gesundheitsausgaben belaufen sich auf 2766 Rand pro Jahr und Person.

Die Ausgaben für das private und öffentliche Gesundheitssystem sind in Südafrika relativ hoch. Sie belaufen sich auf 8,6 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Die Quote entspricht etwa der in Großbritannien, während Malaysia oder Thailand, die Südafrikas Wirtschaftsstruktur mehr entsprechen, nur vier Prozent für Gesundheit ausgeben. Allein zwischen 2006 und heute hat Südafrikas Regierung die Gesundheitsausgaben um knapp 77 Prozent auf 106 Milliarden Rand erhöht. Neue Krankenhäuser wurden errichtet und mehr Personal wurde eingestellt. Die Leistungen des öffentlichen Systems sind aber mangelhaft. Es fehlt vor allem an qualifiziertem Personal und einer guten Infrastruktur. Die Lebenserwartung liegt in Südafrika bei nur 53,5 Jahren für Männer und 57,2 Jahren für Frauen.

Die Einführung einer staatlichen Krankenversicherung im kommenden Jahr soll die großen Unterschiede in der Versorgung ausgleichen helfen. Wer privat versichert ist, genießt Zugang zu gut geführten Krankenhäusern – die Versorgung muss einen Vergleich mit Europa nicht scheuen. Die Masse an Patienten ist aber auf staatliche Krankenhäuser und Ärzte angewiesen, wo es ganz anders aussieht. So wartet man in Afrikas größtem Krankenhaus, dem im Johannesburger Stadtteil Soweto gelegenen Chris-Hani-Bargwanath-Hospital, nicht selten einen ganzen Tag auf einen behandelnden Arzt. Zu Stoßzeiten, an Wochenenden, wenn viele Patienten eingeliefert werden, die sich häufig aufgrund von zu großem Alkoholkonsum bei Schlägereien oder durch Stürze verletzt haben, sind die Betten gleich mehrfach belegt. Manche Patienten müssen, wenn das Hospital mit seinen mehr als 3000 Betten überbelegt ist, trotz Schmerzen am Boden nächtigen.

Schlechter ist die Versorgung in den staatlichen Häusern auch, weil bei den Medikamenten gespart wird. Die Arzneimittel sind zwar kostenfrei für Patienten ohne private Krankenversicherung, verabreicht werden aber meist nur Generika oder Medikamente, die schon lange auf dem Markt sind. An teuren Medikamenten und aufwendigen Behandlungsmethoden wird gespart.

Die Einführung der nationalen Krankenversicherung trifft auf viel Kritik. Vor allem die hohen zusätzlichen Kosten von über 250 Milliarden Rand (20 Milliarden Euro) und die damit verbundene Frage der Finanzierung werden diskutiert. Für die Finanzierung müssten die Steuern erhöht werden. Ein bis drei Prozent des Bruttoeinkommens könnten, so Experten, auf die Arbeitnehmer mit mehr als 200 000 Rand Jahresgehalt als Belastung zukommen. Möglich ist aber auch an eine Erhöhung der Mehrwertsteuer. Beides würde die Mittelklasse treffen, die bereits jetzt über eine hohe Steuerlast klagt.

Jonathan Broomberg, Vorstandsvorsitzender der größten privaten Krankenversicherung, Discovery, bewertet die Regierungspläne insgesamt als positiv. Er erwartet sich positive Effekte für Südafrikas Wirtschaft durch eine bessere Versorgung der Menschen, befürwortet aber ein langsames Vorgehen bei der Einführung der nationalen Krankenversicherung. Und Helen Schneider, Gesundheitsexpertin an der University of the Western Cape, sieht trotz der Gefahr, dass das neue öffentliche System große Mängel aufweisen könnte, die Notwendigkeit der Einführung einer nationalen Krankenversicherung. Die Unterschiede zwischen öffentlicher und privater Versorgung seien einfach zu groß.

* Aus: Neues Deutschland, 23. September 2011


Zurück zur Südafrika-Seite

Zurück zur Homepage