Unruhe in Südafrika
Sogar ein Friedensnobelpreisträger zündelt *
Wachsende Spannungen in Südafrika. Radikale Töne und gewalttätige Proteste sind dafür ebenso Belege wie irritierende Reden von Friedensnobelpreisträger Tutu. Die Forderung nach Nationalisierung von Industrien und Enteignung von Weißen gewinnt an Zustimmung.
Kapstadt (dpa) - Die Proteste der Arbeitslosen würden im September "das Land unregierbar" machen, hatte der Funktionär der südafrikanischen Regierungspartei ANC, Andile Lungisa, gedroht. Die Macht der "fünf weißen Familien..., der Stellenbosch-Mafia", müsse gebrochen werden. Am Dienstag bekam Südafrika einen Vorgeschmack davon, wie es aussehen könnte, wenn die zornige schwarze Jugend des Landes ihre Wut entlädt.
Etwa 6000 Anhänger des ANC-Jugendligachefs Julius Malema randalierten vor dem ANC-Hauptquartier in Johannesburg, wo sich der 30-Jährige wegen "parteischädigenden Verhaltens" rechtfertigen musste. Die Demonstranten attackierten Journalisten, schmissen Schaufenster ein und verbrannten T-Shirts mit dem Porträt des ANC-Vorsitzenden und Staatspräsidenten Jacob Zuma. Der ANC-Veteran Kebby Maphatsoe verurteilte die Aktionen als "Keime eines Bürgerkriegs". Wirklich erstaunt haben die Vorgänge in Südafrika kaum jemanden.
Sehr viel überraschender war der jüngste Vorstoß des Friedensnobelpreisträgers Desmond Tutu. Dem heute 79-Jährigen hat es Südafrika mit zu verdanken, dass das Ende des rassistischen Apartheid-Systems in den 90er Jahren nicht in Rassenhass und Bürgerkrieg endete. Vor einem Jahr hatte Tutu angekündigt, nun endlich "in Würde alt zu werden". Er wolle sich der Familie widmen, "lesen, schreiben, beten und nachdenken". Schon damals glaubten viele dem charismatischen, sendungsbewussten Ex-Erzbischof kein Wort.
Nun hat er tatsächlich wieder seine Stimme erhoben: Er forderte eine "Reparations"-Abgabe von den Weißen. Angesichts der großen Kluft zwischen Arm und Reich sollten die Weißen, die "von der Apartheid profitierten", eine Art Sondersteuer entrichten. Damit heizte Tutu das brisante Thema Rassismus in Südafrika weiter an. "Zum ersten Mal seit 17 Jahren ist das Thema der Hautfarbe wieder in den Mittelpunkt der Debatte gerückt", kommentierte erschrocken die "Cape Times".
Die Zustimmung im ANC wächst. Auch der Gewerkschaftsverband Cosatu stimmte in den Chor der Verstaatlichungsbefürworter ein. Die Proteste des öffentlichen Dienstes mündeten in den vergangenen Wochen oft in Vandalismus und Plünderungen. Das gesellschaftliche Klima in Südafrika wird deutlich rauer. Hintergrund sind die unbestrittenen krassen sozialen Gegensätze, die auch nach dem Ende der Apartheid nicht kleiner geworden sind. Eher im Gegenteil.
Das US-Politikinstitut "Council on Foreign Relations" (Washington) kam jüngst zu dem Ergebnis, dass "die Einkommensschere zwischen Arm und Reich noch zugenommen hat". Südafrika gilt als das Land mit der größten sozialen Ungleichheit in der Welt. Das Afrika-Zentrum für strategische Studien (Washington) begründet die "wachsende politische Gewalt" mit der Armut der schwarzen Mehrheit. Die Enttäuschung vieler Menschen nähre die Radikalität. Es verschwimme auch die Grenze zwischen teilweise korrupter Politik und der wuchernden Kriminalität.
Die Vergesellschaftungs-Fantasien eines Malemas oder Tutus jüngste Geistesblitze sind Reaktionen auf das spürbare Unbehagen in der südafrikanischen Gesellschaft. Allerdings gibt es Zweifel, ob diese Ideen im Kampf gegen die Armut helfen. Die Stiftung des Ex-Präsidenten Frederik de Klerk, auch ein Friedensnobelpreisträger, zeigte sich über Tutus Vorstoß tief irritiert und warnte vor dem gefährlichen Gedanken einer "Rassenschuld". Zur südafrikanischen Demokratie gehöre "die Idee, dass wir nicht mehr Gesetze verabschieden, die auf eine bestimmte ethnische Gruppe zielen". Schon jetzt dienten die Steuergesetze dem sozialen Ausgleich. In der Tat zahlen nur etwa sechs der 50 Millionen Südafrikaner Steuern, etwa 14 Millionen leben von staatlicher Sozialhilfe oder dem Kindergeld.
* Aus: Neues Deutschland, 1. September 2011
Spannungen in Südafrika wachsen
Ausschreitungen vor dem Sitz des ANC
Von Armin Osmanovic, Johannesburg **
Von »Keimen eines Bürgerkriegs« sprach Kebby Maphatsoe, ein Veteran des Kampfes gegen die
Apartheid in Südafrika. Etwa 6000 Anhänger Julius Malemas, des Chefs der ANC-Jugendliga, hatten
am Dienstag in Johannesburg ihrem Zorn Luft gemacht.
Vor dem Sitz des Afrikanischen Nationalkongresses (ANC) in der Innenstadt Johannesburgs
lieferten sich die Jugendlichen eine Straßenschlacht mit der Polizei. Die setzte Wasserwerfer und
Tränengas ein, um das Parteihaus zu schützen. Neben Polizisten wurden auch einige Journalisten
von wütenden Demonstranten verletzt.
In dem Gebäude sitzt die Schiedskommission des ANC über Julius Malema und vier weitere
Funktionäre der Jugendliga zu Gericht. Vorgeworfen wird den »Angeklagten« parteischädigendes
Verhalten. Sie hatten sich öffentlich für einen Regimewechsel im Nachbarland Botswana
ausgesprochen.
Julius Malema forderte ein Ende der Herrschaft der in Botswana regierenden Demokratischen Partei
unter Präsident Ian Khama. Die Opposition solle, so Malema, eine Strategie ausarbeiten, das
Regime auf demokratische Weise zu stürzen. Denn Botswanas Regierung sei »ein Türöffner für den
Imperialismus und eine Gefahr für die Sicherheit Afrikas«.
Khama hatte den Zorn Malemas erregt, als er im Juli den Haftbefehl des Internationalen
Strafgerichtshofs gegen den libyschen Machthaber Muammar al-Gaddafi unterstützte. Zugleich war
das Gerücht gestreut worden, Botswana habe sich bereit erklärt, das US-amerikanische
Afrikakommando AFRICOM, bislang in Stuttgart ansässig, bei sich aufzunehmen. Das aber hatte die
Regierung in Gaborone dementiert.
Die eigentlichen Ziele der Attacken Malemas und seiner Jugendliga sind indes Südafrikas Präsident
Jacob Zuma und dessen Afrikapolitik. Südafrikas Zustimmung zur UN-Resolution 1973, die das
Eingreifen der NATO in Libyen ermöglichte, wird als Ausverkauf Afrikas an den Westen
gebrandmarkt.
Zudem steht Zuma auch den Nationalisierungsforderungen der Jugendliga ablehnend gegenüber.
Malema will Bergbauunternehmen, Banken und landwirtschaftliche Großbetriebe ohne
Entschädigung verstaatlichen. Er präsentiert sich damit – nicht ohne Erfolg – als »Stimme der
Armen«, die Beschwerde darüber führen, dass die krassen sozialen Unterschiede in Südafrika auch
nach dem Ende der Apartheid nicht kleiner geworden sind.
Nächstes Jahr im Dezember wird ein neuer ANC-Präsident bestimmt. Malema wird nachgesagt, er
wolle Zuma durch den gegenwärtigen Vizepräsidenten Kgalema Mothlante ersetzen. Nicht zuletzt
deshalb stieß der Ruf nach Regimewechsel in Botswana bei den ANC-Vorderen auf Entsetzen und
Ablehnung. Nach kurzer interner Beratung leitete der ANC gegen Malema und einige seiner
Mitstreiter ein parteiinternes Disziplinarverfahren ein. Malema droht der Rauswurf aus der Partei,
denn wegen Angriffen gegen Zuma war er bereits vor einem Jahr vom ANC-Disziplinargericht
verurteilt worden.
Wenn sich Jacob Zuma nicht gegen den Chef der Jugendliga durchsetzen kann, werden die
Stimmen derer lauter, die dem Präsidenten Schwäche vorhalten und einen anderen Kandidaten
unterstützen. Aber auch ein ANC-Ausschluss Malemas ist für Zuma gefährlich, denn der Boss der
Jugendliga weiß viele unzufriedene schwarze Südafrikaner hinter sich.
** Aus: Neues Deutschland, 1. September 2011
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