Tutu tritt in die zweite Reihe
Südafrikas Friedensnobelpreisträger zieht sich ins Privatleben zurück
Von Hans-Georg Schleicher *
Künftig wird man seine Stimme seltener vernehmen. Der südafrikanische
Erzbischof Desmond Tutu kündigte an, sich demnächst aus der
Öffentlichkeit zurückzuziehen.
Es ist ein Abschied auf Raten: Heute wird der frühere südafrikanische
Erzbischof und Friedensnobelpreisträger Desmond Tutu die Buchmesse in
Kapstadt eröffnen. An seinem wenige Tage zuvor verkündeten Vorhaben,
sich alsbald aus der Öffentlichkeit zurückzuziehen, ändert das freilich
nichts. In der Kathedrale St. Georg in Kapstadt hatte der emeritierte
Kirchenführer erklärt, mit 79 Jahren wolle er sich der Familie widmen,
dem nachmittäglichen Tee mit seiner Frau und dem Besuch von Kindern und
Enkelkindern.
Seit Nelson Mandela aus Alters- und Gesundheitsgründen kaum noch
öffentlich auftritt, sahen viele in der mahnenden, oft unbequemen Stimme
Tutus die moralische Autorität Südafrikas. Tutu hatte seine Entwicklung
ganz in den Dienst der unterdrückten schwarzen Mehrheit seines Volkes
gestellt. Er wollte eigentlich Arzt werden, konnte sich aber nur eine
Ausbildung als Lehrer leisten. Aus dem Lehrer wurde Anfang der 60er
Jahre, auf dem Höhepunkt der Apartheid-Repressionen, ein anglikanischer
Priester. 1978 wurde er Generalsekretär des Südafrikanischen
Kirchenrates, der vehement gegen Menschenrechtsverletzungen des
Rassistenregimes auftrat.
Ich erlebte den streitbaren Geistlichen, wie er - auf internationalem
Parkett noch unerfahren - 1981 in New York vor der UNO zur Isolierung
des Apartheid-Regimes aufforderte und um internationale Unterstützung
für die Sache seines Volk bat. Auch im persönlichen Gespräch
beeindruckte sein leidenschaftliches Engagement. Wortwahl, Mimik und
Gestik ließen ahnen, wie wirkungsvoll der Kirchenmann auf der Kanzel und
bei öffentlichen Auftritten in Südafrika agierte. 1984 wurde ihm der
Friedensnobelpreis verliehen. Als Erzbischof von Kapstadt seit 1986 war
Tutu eine der wichtigsten Stimmen des Widerstands gegen die Apartheid.
Im neuen Südafrika der 90er Jahre setzte Tutu seine Autorität für die
Versöhnung des zutiefst gespaltenen Landes und die Überwindung
politischer, ethnischer und sozialer Gräben ein. Als Vorsitzender der
Wahrheits- und Versöhnungskommission ging er ganz in dieser schwierigen
und nicht unumstrittenen Aufgabe auf. Unvergessen ist, wie der
Erzbischof bei Anhörungen zu Ausmaß und Details der Apartheidverbrechen
Angehörige von Opfern tröstete und angesichts der brutalen Wahrheit
selbst in Tränen ausbrach.
Tutu hielt mit seiner Meinung nie zurück und legte wiederholt den Finger
auf Missstände auch im neuen Südafrika. Außenpolitisch forderte er,
afrikanische Diktatoren zur Rechenschaft zu ziehen, kritisierte Israels
Politik gegenüber den Palästinensern als »Apartheid« und engagierte sich
für Frieden, Rüstungsbegrenzung und Armutsbekämpfung.
Seiner Ankündigung in Kapstadt folgten Würdigung und Wertschätzung aus
allen politischen Lagern. Oppositionsführerin Helen Zille nannte ihn
eine internationale Ikone furchtloser Integrität. Der ANC unterstrich
seine Rolle im Kampf gegen die Apartheid. Dabei waren Tutus Beziehungen
zum ANC zuletzt ambivalent. Seine Kritik an der Ablösung Thabo Mbekis
als Präsident und seine Zweifel an dessen Nachfolger Jacob Zuma brachten
ihm heftige Reaktionen vom ANC und der Gewerkschaft COSATU ein. Kritisch
äußerte sich Tutu auch zu Korruption und Ineffizienz der Verwaltung. Der
überschäumende Kritiker musste allerdings auch schon mal vorschnelle und
drastische Äußerungen korrigieren. Allgemein geschätzt wird der ihm
eigene Humor, der ihn auch bei der Ankündigung seines Rückzugs nicht
verließ. Auf die Frage nach seiner Gesundheit, antwortete er
verschmitzt: Ich werde so bald nicht kentern. Und mit seinem trockenen
Lachen verriet er, er sei immer der Township-Schelm geblieben. Selbst im
Weißen Haus habe er sich mal gezwickt, ob er es wirklich sei.
Beobachter glauben nicht, dass sich Tutu völlig aus dem politischen
Geschehen heraushalten wird. Auf jeden Fall bleibt er weiterhin in einer
Gruppe älterer Staatsmänner bei Friedensbemühungen aktiv. Bei seiner
Rückzugsankündigung warnte Tutu Journalisten, ihn zu kontaktieren: Er
werde sich selbst melden. Man darf gespannt sein, wann und wozu das
künftig geschehen wird.
* Der Autor, langjähriger Diplomat der DDR, war 1981 in New York
tätig.
* Aus: Neues Deutschland, 30. Juli 2010
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