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Gewalt am Kap

Südafrika: Polizei tötet streikenden Farmarbeiter. Provinzpremier will Einsatz von Armee

Von Christian Selz, De Doorns/Kapstadt *

Es war ein Satz, ausgesprochen im Eifer eines per Telefon zugeschalteten Fernsehinterviews, der die ganze Tragik der Streikwelle in Südafrika zusammenfaßte. Als Helen Zille, Premierministerin der Provinz Westkap, gefragt wurde, wie es zu den tödlichen Polizeischüssen auf einen 28jährigen Farmarbeiter am Mittwoch morgen gekommen sei, wollte sie den Vorfall zunächst gar nicht kommentieren. »Es ist ziemlich ungewöhnlich, daß nur eine Person gestorben ist«, schob die führende Politikerin der Democratic Alliance (DA) dann nach. Sie wird die Umstände gemeint haben, das Chaos, die wütenden Farmarbeiter, die brennenden Weinfelder, die umgestürzten Polizeifahrzeuge. Und Zille hat sicherlich auch an Marikana gedacht, jene verarmte Bergbausiedlung nordwestlich von Johannesburg, wo die Streikwelle begonnen hat, die nun auch die südafrikanische Landwirtschaft immer stärker betrifft. Verglichen mit dem dortigen Polizeimassaker, dem im August 34 Bergarbeiter zum Opfer fielen, war es in dem kleinen Dorf Wolseley, 115 Kilometer nordöstlich von Kapstadt, tatsächlich »nur« ein Toter. Daß der Region jetzt ein Flächenbrand droht, scheint Zille allerdings selbst zu wissen. Noch im selben Interview forderte sie die Regierung auf, die Armee in die bestreikten Gebiete zu entsenden.

Seit die Arbeiter auf den Traubenfeldern der Kleinstadt De Doorns vor zwei Wochen in den Streik getreten sind, tobt auf ihrem Rücken eine politische Schlammschlacht. Der landesweit regierende African National Congress (ANC) wirft Zilles DA vor, sich nur für die Interessen der Farmer einzusetzen. Die DA spricht den Streiks dagegen die Legitimität ab: Der ANC und der Gewerkschaftsbund COSATU hätten die Aufstände inszeniert, um daraus politischen Nutzen zu ziehen, und die Schuld liege letztendlich bei Arbeitsministerin Mildred Oliphant. Die habe schließlich den Mindestlohn in der Landwirtschaft festgelegt. Was sich in Südafrika derzeit abspielt, ist Resultat einer explosiven Mischung aus völlig verarmten und entrechteten Landarbeitern, sturen Landbesitzern und politischem Opportunismus der beteiligten Parteien, die den Streik haben eskalieren lassen. 69,39 Rand beträgt der Mindesttageslohn für Farmarbeiter zur Zeit, umgerechnet 6,14 Euro – doch etliche der Streikenden beklagen, daß ihre Löhne bei nur 60 bis 65 Rand liegen. Neun Stunden arbeiten sie dafür offiziell auf den Feldern, tatsächlich jedoch oft wesentlich länger. Wer gegen die Hungerlöhne aufsteht oder versucht, sich gewerkschaftlich zu organisieren, muß mit der Kündigung rechnen. »Sie scheuchen uns wie Hunde«, klagt der Farmarbeiter Johannes Klaasen, und sein Kollege Koos Willemse erzählt von Arbeitseinsätzen in den frisch mit Chemikalien besprühten Weinfeldern – »während die Blätter noch naß sind«.

Die Farmarbeiter berichten von Arbeits- und Lebensbedingungen, die an Frondienst und Sklaverei erinnern. Dabei wissen einige von ihnen sehr wohl auch, daß Lokalpolitiker des ANC über Leiharbeitsfirmen am Elend verdienen – und mit dem Streik auch ihren eigenen Einfluß an der Basis festigen wollen.

Währenddessen weiten sich die Arbeitskämpfe aus, 16 Regionen des Landes sind inzwischen betroffen, Obst- und Weinfarmen gleichermaßen. Wie die Bergleute kämpfen auch die Farmarbeiter aus purer Verzweiflung um bessere Lebensbedingungen und Zukunftschancen für ihre Kinder. 150 Rand (13,26 Euro) pro Tag verlangen sie, die Farmbesitzer bieten kaum mehr als die Hälfte. Für einen Übergangslohn von 80 Rand täglich – so sieht es auch der Plan der Regierung Zuma vor – sollen die Farmarbeiter nun für die nächsten zwei Wochen auf die Felder zurückkehren. In der Zwischenzeit will Arbeitsministerin Oliphant einen neuen Mindestlohn ausarbeiten. Ob die Arbeiter mitmachen, bleibt abzuwarten. Ohne Geld und Essen könnten sie aber dazu gezwungen sein. Die Alternative, das ist in Südafrika nicht erst seit den tödlichen Schüssen vom Mittwoch klar, wäre eine eskalierende Welle der Gewalt.

* Aus: junge Welt, Freitag, 16. November 2012


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