Angst um die nackte Existenz
Südafrikas Somalier fürchten neue feindselige Gewalt
Von Armin Osmanovic, Johannesburg *
Gerüchte auf den Straßen, Berichte in den Medien: Nach der
Fußballweltmeisterschaft drohe Südafrika eine neue Welle
fremdenfeindlicher Übergriffe. Bislang blieb das Schreckensszenario aus,
doch ganz unbegründet sind die Warnungen nicht.
Wir haben uns mit Abdinasir Ahmed von Somali Association in South Africa
(SASA) im Johannesburger Stadtteil Mayfair verabredet. Bekannt ist das
Viertel auch als »Little Mogadischu«. Denn es ist eine Hochburg von
Einwanderern aus Somalia. Abdinasir, Student der Journalistik, ist
freiwilliger Helfer bei SASA, einer Organisation von Somaliern, die ihre
Landsleute unterstützt. Er empfängt uns in einem karg möblierten Büro.
Hinter ihm an der Wand hängen ein paar Plakate des südafrikanischen
Innenministeriums, die Fremdenfeindlichkeit verurteilen und zu Toleranz
aufrufen.
Halb leere Regale in somalischen Läden
Abdinasir kommt gleich zur Sache. In ruhigem Ton berichtet er, was ihm
auf den Nägeln brennt: Die Somalier in Südafrika sind ständig
Übergriffen ausgesetzt. 2008 war für Südafrikas Migranten das mit
Abstand schlimmste Jahr. Im Johannesburger Township Alexandra wütete im
Mai der Mob gegen Ausländer. Von dort breiteten sich die Unruhen in
viele andere Townships des Landes aus. Nach Polizeiangaben fanden damals
62 Menschen den Tod, 100 000 wurden aus ihren Häusern vertrieben.
Doch schon vor 2008, sagt Abdinasir, erlebte die somalische Gemeinschaft
in Südafrika fremdenfeindliche Angriffe. Allein 2006 hätten 120 Somalier
in der Provinz Westkap ihr Leben verloren. Nun wächst die Angst, dass
nach der Fußballweltmeisterschaft eine neue Gewaltwelle anrollen könnte.
Viele der somalischen Geschäftsleute sind besorgt und halten sich mit
dem Kauf neuer Waren zurück, die Regale seien deshalb in vielen
Geschäften halb leer. Sie wollen vorbereitet sein, berichtet uns
Abdinasir, wenn Unruhen ausbrechen sollten. Worauf sich die Angst
gründet? Bei SASA melden sich immer mehr Somalier, die von Südafrikanern
bedroht werden. Ausländer sollen nach der Fußballweltmeisterschaft, wenn
die Aufmerksamkeit der internationalen Öffentlichkeit abnimmt, aus ihren
Läden und Häusern vertrieben werde.
SASA will »Brücken zwischen Südafrikanern und Somaliern bauen«, erklärt
Abdinasir. Dafür wurde erst kürzlich ein Fußballturnier organisiert, und
per Internet und an Informationsständen wird die Öffentlichkeit über das
Leben der somalischen Gemeinschaft in Südafrika unterrichtet.
»Ja, wir Somalier sind geschäftstüchtig«, erklärt der hagere junge Mann.
»Wir kommen in Südafrika mit nichts, mit nackten Füßen an, vertrieben
durch den seit Jahren tobenden Bürgerkrieg zu Hause in Somalia. Wir
trinken keinen Alkohol und wir verspielen unser Geld nicht. Wir sparen
alles und investieren es in unsere Geschäfte. Wir nehmen aber den
Südafrikanern nicht die Arbeit weg, wie viele behaupten, sie arbeiten
doch sogar in unseren Geschäften.« Abdinasir ist überzeugt, dass die
Südafrikaner gastfreundlich sind. Die Gewalt gegen die Somalier ist
seiner Ansicht nach politisch motiviert.
Die Regierung ist nach den ausländerfeindlichen Unruhen 2008 nicht
untätig geblieben. Sondereinheiten wurden gebildet und die
geheimdienstliche Aufklärungsarbeit in den Townships wurde verstärkt.
Armee und Polizei sind derzeit noch stärker präsent. Ihre Anwesenheit
soll anzeigen, dass der Staat im Gegensatz zu 2008 vorbereitet ist und
dass man Unruhen diesmal schnell und hart beantworten will.
Politiker lenken von eigenem Versagen ab
Abdinasir findet, das sei nicht genug. In den Townships fehle es an
Bildungsangeboten, die die Menschen zu Toleranz erziehen, klagt er
sichtlich enttäuscht. Vor allem aber mangele es an einer konsequenten
Verfolgung politischer Anführer, die Hass gegen Migranten säen. In Port
Elizabeth, in der Provinz Ostkap, erzählt er, habe ein Mitglied des
Gemeinderats den Somaliern mit Vertreibung gedroht, falls sie nicht
selber ihre Geschäfte schließen.
Nächstes Jahr finden in Südafrika Wahlen zu den Gemeinde-, Stadt- und
Distriktparlamenten statt. Einige Politiker machen mit
fremdenfeindlichen Sprüchen für sich Stimmung. Der Vorwurf, dass die
Migranten den Einheimischen Arbeit und Unterkunft wegnehmen, soll auch
von ihrem eigenen Versagen ablenken, sind viele doch mehr damit
beschäftigt, in die eigene Tasche zu wirtschaften als die Probleme der
Menschen, die mangelnde Versorgung mit Wasser, Strom und Bildung, zu
lösen. Die Migranten müssen als Sündenböcke herhalten.
Spaziergang durch »Little Mogadischu«
Abdinasir macht mit uns einen Rundgang durch »Little Mogadischu«. In
diesem kleinen Johannesburger Viertel finden sich die Somalier der Stadt
zusammen. Hier in der Gemeinschaft fühlen sie sich sicherer. Überfällen
und fremdenfeindlichen Pöbeleien sind sie jedoch auch in »Little
Mogadischu« ausgesetzt.
Auf den Straßen begegnen wir Frauen in ihren traditionellen langen
Gewändern in gedeckten Farben, zumeist braun oder grau. Die Gesichter
der meisten Frauen sind wie in Somalia üblich unverschleiert. Männer
dominieren das Straßenbild. Sie stehen vor den Geschäften und
unterhalten sich auf Somali, das dem Arabischen verwandt ist.
Abdinasir führt uns in eine kleine Geschäftsstraße, die wie ein
arabischer Suk anmutet: Ein Geschäft reiht sich an das andere. Die Läden
bieten Stoffe, billige Schuhe, Elektroartikel und andere Dinge des
täglichen Gebrauchs an. Natürlich fehlen auch die kleinen Telefonläden
nicht, von denen aus man kostengünstig nach Hause, nach Somalia, oder
sonst wohin telefonieren kann. Am Ende der kleinen Straße liegt die
äußerlich schmucklose Moschee. Sie ist in einer ehemaligen Lagerhalle
untergebracht. Wir schauen in den Anbau hinein und sehen einen grün
kachelten Raum, in dem die Waschungen vor dem Gebet stattfinden.
Von der Moschee gehen wir weiter zu einer großen Halle. Abdinasir
schüttelt immer wieder kurz Hände. Er ist im Viertel bekannt. Draußen an
der Halle prangt die Aufschrift »Shopping Center«, davor parken viele
Autos und am Haupteingang müssen wir uns an dem großen BMW eines wohl
sehr geschäftstüchtigen Somaliers vorbeizwängen. Im Innern des Komplexes
befinden sich zahlreiche Geschäfte mit dem bekannten Warensortiment.
Montagmittag ist es noch recht ruhig. »Am Nachmittag, wenn es auch
wärmer wird, dann ist hier im Viertel alles auf der Straße«, weiß Abdinasir.
Er zeigt uns das Restaurant »Kismayo«, das im Herzen des
Einkaufszentrums liegt. Neben einer großen Theke stehen in einem
Innenhof mehrere Tische und Stühle. Alle sind so aufgereiht, dass man
den großen Fernseher gut im Blick hat. Gerade läuft der arabische
Nachrichtensender »Al-Dschasira«. Im Restaurant erhält man traditionelle
somalische Küche und natürlich kann man hier auch einen »qaxwo«, den
somalischen Kaffee, trinken.
Ob man hier auch Khat, die traditionelle Droge am Horn von Afrika
erhält, wollen wir von Abdinasir wissen. Erst scheint er nicht
verstanden zu haben, auf die Nachfrage druckst er ein bisschen herum,
hatte er uns doch in seinem Büro erzählt, dass die Somalis keinen
Alkohol trinken und deshalb so tüchtig seien. Kurz und sehr leise
gesteht er schließlich, es gebe wohl einige, die Khat kauen. Sie seien
aber im Viertel sehr isoliert. Später zeigt er uns noch das Geschäft,
das die Droge verkauft.
Werden die Somalier wegen ihres islamischen Glaubens in Südafrika
verfolgt? Abdinasir verneint die Frage. Dass Somalier Muslime sind,
spiele bei den Übergriffen keine Rolle. »In Südafrika leben Muslime
schon seit der britischen Kolonialzeit.«
Für einen Platz auf dem Flickenteppich
Auf dem Rückweg von »Little Mogadischu« fahren wir Richtung Oriental
Plaza. Hier wohnen vor allem indischstämmige Südafrikaner. Das Land ist
seit langem ein Flickenteppich verschiedener Bevölkerungsgruppen. Nach
dem Ende der Apartheid sind neue Flicken hinzugekommen - Afrikaner aus
allen möglichen Ländern. Abdinasir kämpft dafür, dass auch die Somalier
einen Platz auf diesem Teppich finden. Viele seiner Landsleute wollen
aber wegen den Bedrohungen einfach nur weg.
* Aus: Neues Deutschland, 28. Juli 2010
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