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Südafrika unter Schock

17jährige grausam vergewaltigt und ermordet. Verbrechen sind "Symptome einer kranken Gesellschaft"

Von Christian Selz, Johannesburg *

Die brutale Vergewaltigung und Ermordung einer 17jährigen hat in Südafrika eine landesweite Debatte über sexuelle Gewalt ausgelöst. Zeitungen erinnern an den Fall einer Studentin in Indien, der Ende vergangenen Jahres weltweit für Entsetzen sorgte, Demonstranten fordern die Wiedereinführung der Todesstrafe und Politiker kündigen aktionistisch Maßnahmen an. Vorschläge für Sondergerichte und spezialisierte Polizeieinheiten geistern durch die eilig einberufenen Debatten, auch im Parlament. Die Ursachen, die in Südafrika zu einer der höchsten Vergewaltigungsraten weltweit führen, kommen darin allerdings kaum vor. Das Land hat ein riesiges, historisch verankertes Gewaltproblem.

Mehrere Männer waren vor zwei Wochen in der Kleinstadt Bredasdorp, knapp 200 Kilometer östlich von Kapstadt, über die Schülerin Anene Booysen hergefallen. Nach der Vergewaltigung schnitten sie ihr den Unterleib auf. Ein Sicherheitsmann fand Booysen schließlich unweit ihres Elternhauses, Polizisten sammelten herausgerissene Därme auf, selbst die eigentlich an brutale Verletzungen gewohnten behandelnden Ärzte begaben sich einer Lokalzeitung zufolge anschließend in psychologische Betreuung. Retten konnten sie die junge Frau nicht. Vor ihrem Tod schaffte sie es allerdings noch, einen der Täter zu identifizieren: ihren Exfreund. Zusammen mit einem der weiteren Vergewaltiger sitzt der 22jährige inzwischen in Untersuchungshaft, während die Polizei noch immer nach weiteren Beteiligten fahndet.

Es ist ein rarer Erfolg der südafrikanischen Justiz. Nur 13 Prozent der 56272 angezeigten Vergewaltigungen in der Polizeistatistik des Geschäftsjahres 2010/2011 führten zu einer Verurteilung. Experten schätzen, daß die Dunkelziffer drei- bis viermal so hoch ist. Wer nach schockierenden Zahlen sucht, findet Hochrechnungen nach Stunden und Minuten. Die Justiz trägt daran sicherlich Mitschuld. Die Polizei hat kaum Experten für die Beweisaufnahme nach Vergewaltigungen, es fehlt an geschulten Seelsorgern, und die Gerichte arbeiten zu langsam. Lulu Xingwana, Ministerin für Frauen und Kinder in der Regierung des African National Congress (ANC), forderte daher mehr finanzielle Mittel für Polizeisondereinheiten und die – ohnehin bereits diskutierte – Etablierung von Spezial-Gerichten, die sich nur mit sexueller Gewalt beschäftigen sollen. Doch die mangelhafte Bekämpfung der Auswirkungen ist nicht das eigentliche Hauptproblem.

»Junge Männer, die sich in einem Land, in dem sie nicht arbeiten können, in dem sie nicht durch irgendeine Art von wirtschaftlicher Aktivität Wertschätzung erfahren, entmannt fühlen, werden anfällig für Situationen, in denen eine Frau zum Boxsack wird, an dem sie ihre Frustration auslassen können«, versuchte Oppositionsführerin Lindiwe Mazibuko (Democratic Alliance) das Phänomen zu erklären. »Es gibt heute Familien, in denen Dinge passieren, von denen wir nie gedacht hätten, daß sie möglich wären: Daß man systematische Vergewaltigungen von Kindern haben kann und trotzdem nie ans Ende der Geschichte kommt – es ist fast normal geworden«, berichtete die einstige Aktivistin der südafrikanischen Schwarzen-Bewegung Mamphela Ramphele im junge-Welt-Interview bereits im vergangenen Jahr. »Wir haben Eltern, die ihre Kinder an alte Männer verkaufen. Das sind Symptome einer kranken Gesellschaft«, so Ramphele, die ihr Volk als Folge der Apartheid als verwundet und traumatisiert beschreibt.

Mit den Auswirkungen eines Staats, der die Mehrheit seiner Bürger systematisch mit Gewalt unterdrückte und entwürdigte, wird Südafrika, das auch eine der höchsten Mordraten der Welt hat, daher noch lange zu kämpfen haben. »Dieser Akt ist schockierend, grausam und zutiefst unmenschlich, er hat keinen Platz in unserem Land. Wir dürfen niemals zulassen, daß wir uns an solche Akte schlimmster Kriminalität gegen unsere Frauen und Kinder gewöhnen«, mahnte Präsident Jacob Zuma (ANC). Nur Tage später fand die Polizei am Montag die Leiche einer 19jährigen unter dem Bett ihres Freundes in einem Kapstadter Vorort. Sie war vergewaltigt worden.

* Aus: junge Welt, Freitag, 15. Februar 2013


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