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Keine Gerechtigkeit

Südafrika: Untersuchungskommission zu Massaker an Bergarbeitern droht an Anwaltskosten zu scheitern

Von Christian Selz *

Die Kapitulation des südafrikanischen Rechtsstaates erfolgt in kleinen Schritten. Als Ian Farlam, Vorsitzender der nach ihm benannten Untersuchungskommission zum Massaker an den Bergarbeitern von Marikana, am Montag einmal mehr die Anhörungen vertagte, gab er sich noch zuversichtlich. »Es gibt eine ernsthafte Möglichkeit, daß für Kosten der Verletzten und Verhafteten Finanzmittel aufgebracht werden«, begründete der pensionierte Richter die zunächst auf drei Tage angesetzte Verschiebung. Der südafrikanische Staat wird allerdings weiterhin nicht für die Gerichtskosten der Kumpel aufkommen. Das bestätigte der Oberste Gerichtshof in der Hauptstadt Pretoria mit einem Urteil vom vergangenen Donnerstag. Die Untersuchung des blutigsten Massakers Südafrikas seit der Apartheid könnte daran nun scheitern. Für die Regierung um Präsident Jacob Zuma wäre das zwar peinlich, wirklich ungelegen käme ihr ein vorzeitiger Abschluß des Falles aber auch nicht.

Die bisher ans Tageslicht gelangten Beweise sind erdrückend für Zuma, seinen loyalen und protegierten Polizeiminister Nathi Mthethwa sowie die von ihm eingesetzte Polizeichefin Riah Phiyega. Da sind die E-Mails und Telefongespräche, mit denen ANC-Schwergewicht Cyril Ramaphosa, damals Großaktionär und Aufsichtsratsmitglied beim bestreikten Bergbaukonzern Lonmin und inzwischen Vizepräsident der Regierungspartei, am Vortag des Massakers in Polizei- und Regierungskreisen auf ein entschiedenes Vorgehen gegen die streikenden Bergarbeiter drängte. Am 16. August 2012 feuerten die aufgereihten Spezialkräfte ihre halbautomatischen Gewehre ab. Augenzeugen berichteten von Jagdszenen, Erschießungen vom Helikopter aus und von Verletzten, die mit Panzerfahrzeugen absichtlich überfahren wurden. Unabhängige Reporter entdeckten Hinrichtungsspuren zwischen Felsen, wo Polizisten zusammengekauerte Kumpel exekutiert hatten. 34 von ihnen fanden den Tod – und die Manipulation begann. Die obligatorische Legende von den schwerbewaffneten Bergarbeitern, die auf die Polizeikette gestürmt seien, untermauerte deren Führung mit Bildern der Toten, die Macheten noch in der Hand. Die Verteidigung der Kumpel fand in den Polizeiarchiven schließlich Stunden zuvor gemachte Aufnahmen der gleichen Leichen – ohne Waffen.

Aus der Logik eines Autokraten wie Zuma scheint es da fast logisch, daß seine Regierung für solche Bloßstellung nicht auch noch bezahlen will. Die gründliche Untersuchung, die er in den Tagen nach dem Massaker gegen »vorschnelle Urteile« stellen wollte, ist allerdings spätestens jetzt als Lippenbekenntnis entlarvt. Worin seine ANC-Regierung die wirklichen Prioritäten sieht, läßt sich relativ einfach an Zahlen ablesen. 5,6 Millionen südafrikanische Rand, also knapp eine halbe Million Euro, hat allein das üppige Anwaltsteam der Polizei bisher gekostet – beglichen selbstverständlich aus der Staatskasse. Die 270 Verletzten und nach dem Massaker Verhafteten jedoch, von denen einige vor knapp einem Jahr zu Pflegefällen geschossen wurden und etliche noch immer mit Anklagen rechnen müssen, erhielten für gerichtlichen Beistand nicht einen Cent. Im Gegenteil: Ursprünglich hatte die Staatsanwaltschaft die festgenommenen Kumpel sogar allen Ernstes wegen Mordes vor Gericht bringen wollen – weil sie mit ihrem Protest die Polizeischüsse erst provoziert hätten.

Ihre Rechte würden schließlich »von mangelnder Repräsentanz nicht beeinträchtigt, da es sich um eine Untersuchungskommission und kein Verfahren« handele, argumentierte schließlich die südafrikanische Gerichtskostenbeihilfestelle. Das Morden in Marikana geht derweil weiter. Am Sonntag töteten unbekannte einen Anhänger der regierungstreuen Bergarbeitergewerkschaft NUM. Sie liefert sich inzwischen einen blutigen Kampf um Einfluß mit der radikalen, regierungskritischen Gewerkschaft AMCU. Wie in all den Mordfällen zuvor gab es keine Festnahmen. Bei der Polizei daran ein Interesse zu vermuten, wäre allerdings auch naiv. In Marikana mordet sie mit. In wessen Auftrag, das soll die Kommission ab Donnerstag weiter verschleiern.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 24. Juli 2013


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