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Südafrika diskutiert Landreform

ANC-Jugendliga fordert vor Parteitag Enteignungen ohne Entschädigung

Von Christian Selz, Kapstadt *

Knapp drei Wochen vor dem alle fünf Jahre stattfindenden Programmparteitag des African National Congress (ANC) kocht in Südafrika die lange verdrängte Diskussion um die Landreform wieder auf. Den Anstoß gab die Jugendliga des ANC (ANCYL). Deren Vizepräsident Ronald Lamola drohte weißen Farmbesitzern in einer als Warnung verpackten Botschaft mit Attacken »wie in Simbabwe«, sollten sie nicht freiwillig Land an arme Schwarze abgeben. Gwede Mantashe, ANC-Generalsekretär und gleichzeitig Vorsitzender der Kommunistischen Partei Südafrikas (SACP), wies dies als »rabiate Polemik« zurück. Der ANC-Parteitag werde sich detailliert mit der Landfrage beschäftigen, entschädigungslose Enteignungen wie von der Jugendliga gefordert, seien aber nicht mit den Grundsätzen der Mutterpartei vereinbar.

Fakt ist jedoch, daß der bisherige Fortschritt der Landreform auch innerhalb des ANC für Enttäuschung und Kritik sorgt. 6,8 Millionen Hektar Land wurden unter dem Regierungsprogramm seit 1994 zurückgegeben – gerade einmal 27 Prozent des in dem 2014 auslaufenden 20-Jahre-Plan gesetzten Ziels. Über 80 Prozent des nutzbaren Agrarlandes sind zudem weiter in der Hand von Weißen, die lediglich neun Prozent der Bevölkerung ausmachen. »Wir warnen davor, weiterhin die Gier auf Kosten der Mehrheit zu priorisieren und wiederholen die Bedenken des Vizepräsidenten, daß ANC oder ANCYL nicht in der Lage sein könnten, die Flut der mit der Geschwindigkeit des Wandels unzufriedenen, verzweifelten und landlosen Millionen von Südafrikanern aufzuhalten«, legte die Jugendliga in einer Pressemitteilung vom Mittwoch nach.

Der Konflikt schwelt im Land seit langer Zeit, selbst die Gründung des ANC vor 100 Jahren war zu großen Teilen dem Widerstand gegen das 1913 eingeführte Landgesetz geschuldet, das Schwarzen den Besitz von Grund und Boden außerhalb der winzigen Homelands untersagte. In der Landfrage manifestierten sich schon lange vor ihrer offiziellen Einführung die Apartheid und die Unterdrückung der Schwarzen durch die weiße Minderheit. Die ANCYL kann sich deshalb breiter Unterstützung sicher sein, wenn sie von Land spricht, »das der ursprünglichen Bevölkerung Südafrikas illegal und unmoralisch genommen wurde«. Interessant ist aber vor allem der Zeitpunkt des Vorpreschens. Nach dem Parteiausschluß ihres Präsidenten Julius Malema kämpft die Jugendliga um ihr politisches Überleben. Sie braucht einen einigenden Feind. Zumindest hier ging der Plan auch auf: Die rechte Bürgerrechtsinitiative AfriForum, ein Ableger der »christlichen« Bergbaugewerkschaft Solidarity, die ihrerseits aus der rassistischen weißen Mine Workers Union hervorging, erstattete nur einen Tag später Anzeige wegen Einschüchterung und Volksverhetzung. Der Jugendliga hilft die damit einhergehende Öffentlichkeit, um sich mit inhaltlichen Forderungen auf die politische Landkarte zurückzubringen.

Doch auch in der Mutterpartei gibt es Strömungen, denen das Vorpreschen der Jugendliga vor dem Programmparteitag äußerst gelegen kommen dürfte. Gewichtige Teile des mit der Regierungspartei verbündeten Gewerkschaftsbundes COSATU, die SACP und linke Kräfte im ANC streben eine Verfassungsänderung an, um nicht nur in der Landfrage, sondern in der Transformation der gesamten südafrikanischen Wirtschaft schneller voranzukommen. Es geht um grundlegende Reformen im Bergbausektor, aber auch ganz prinzipiell um die Auffassung des ANC, daß die als Kompromiß mit der alten Apartheid-Regierung geschaffene Verfassung den Spielraum der Partei zu sehr einschränkt. Die radikalen Forderungen der Jugendliga werden sich dabei zwar nicht durchsetzen, aber sie bereiten den Boden für einen stärkeren Wandel.

Vereinigungen wie AfriForum laufen dagegen freilich Sturm. Sprecher Ernst Roets ließ sogar bereits die Säbel rasseln: Das oberste Gesetzwerk des Landes sei »mehr als eine Verfassung, es ist die Verkörperung eines Abkommens. Würde der ANC die Verfassung fundamental ändern, käme das einem Bruch des Friedensabkommens gleich«.

* Aus: junge Welt, Samstag, 9. Juni 2012


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