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Gewerkschaften machen ernst

Südafrikas Regierungsallianz droht an neoliberalen Programmen zu zerbrechen

Von Christian Selz *

Das Ergebnis war eindeutig. Mit den Stimmen der absoluten Mehrheit des regierenden African National Congress (ANC) und der größtenteils neoliberalen Oppositionsparteien verabschiedete Südafrikas Parlament am Donnerstag ein Gesetz zur Einführung von Steuererleichterungen für Unternehmen, die Jugendliche einstellen. Doch die Harmonie von Kapstadt täuscht. Seit Jahren kämpft der südafrikanische Gewerkschaftsbund COSATU, eine der drei Säulen in der Regierungsallianz mit dem ANC und der Kommunistischen Partei (SACP), gegen den Jugendlohnzuschuß. Die Arbeitervertreter befürchten Lohndumping und Entlassungen älterer Mitarbeiter. Den offenen Affront im Parlament will die Metallarbeitergewerkschaft NUMSA nun mit einer Kampagne gegen den ANC beantworten.

»Wir merken jetzt, daß der ANC nicht bereit ist, der Arbeiterklasse zu dienen«, erklärte Mbuso Ngubane, NUMSA-Regionalsekretär in der Provinz KwaZulu-Natal, unverblümt. »Sie haben alle unsere Forderungen abgewiesen.« Mit einer Frage, die für das aus dem Kampf gegen die Apartheid hervorgegangene Bündnis purer Sprengstoff ist, schloß Ngubane seine Brandrede ab: »Was hat der ANC jemals für die Arbeiterklasse getan?« Seit Nelson Mandelas Zeiten hat der ANC eine neoliberale Wirtschaftspolitik verfolgt, die noch immer auf den ewig unerfüllten Sozialpakt von Unternehmen und Staat setzt. Radikalere Fragen zu den Besitzverhältnissen weist er stets barsch zurück. Die Liste der unerfüllten Gewerkschaftsforderungen ist lang – von einem Zeitarbeitsverbot über eine Lockerung der strikten Finanzpolitik nach Weltbankblaupause bis zur Ablehnung einer Straßenmaut. Hauptärgernis für die Gewerkschaften ist derzeit der Nationale Entwicklungsplan, mit dem der ANC im kommenden Jahr in den Wahlkampf ziehen will. Wirtschaftspolitisch setzt die Partei darin auf Wachstum durch Flexibilität und internationale Investoren.

Deshalb kündigt NUMSA, die mitgliederstärkste und radikalste Einzelgewerkschaft, nun Massenproteste gegen die ANC-Regierung an – pünktlich zur Vorstellung des Wahlprogramms Anfang Januar. Auf einem Sonderkongreß im Dezember will sie zudem über eine Abspaltung vom Gewerkschaftsbund beraten, dessen Spitze trotz sporadischer Kritik weiter loyal zum Kabinett von Jacob Zuma steht. Da die NUMSA mit den Gewerkschaften der Lebensmittelindustrie (FAWU) und der Kommunalbeschäftigten (SAMWU) starke Verbündete an ihrer Seite weiß, scheint eine Spaltung von COSATU in einen progressiven und einen ANC-treuen Flügel wahrscheinlicher denn je.

* Aus: junge Welt, Samstag, 2. November 2013


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