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Der schwarzen Bombe abgeschworen

Südafrika: Von der heimlichen Kernwaffenmacht zum geläuterten Abrüstungschampion

Von Wolfgang Kötter *

Eine Meldung schreckt im November 2007 die Leser des Saturday Star in Johannesburg auf: "Schwer bewaffnete Männer haben das Kontrollzentrum von Südafrikas Atomforschungszentrum Pelindaba bei Pretoria gestürmt und dort einen Manager schwer verletzt. In dem Forschungszentrum soll waffenfähiges Uran lagern."

30 Gramm Tritium aus Israel

Wie bitte, waffenfähiges Uran? So fragt man sich. Aber ja, auszuschließen ist das nicht. Es scheint nahezu in Vergessenheit geraten - als am Kap der Guten Hoffnung noch die Apartheid herrschte, war Südafrika von den siebziger Jahren an als heimlicher Atomstaat in der Spur. Das seither in Pelindaba lagernde Uran würde nach dem Urteil des Nuklearexperten Micah Zenko für etwa zwei Dutzend Atomsprengköpfe reichen. "Wenn es den bewaffneten Einbrechern gelungen wäre, in den Lagerraum des hoch angereicherten Urans einzudringen, hätten sie das Material für die erste Terroristen-Atombombe der Welt mitnehmen können", glaubt der in Harvard tätige Wissenschaftler.

Es ist der 22. September 1979, als die optischen Sensoren des amerikanischen Vela-I-Satelliten im südlichen Atlantik zwei kurz aufeinander folgende Lichtblitze registrieren, wie sie ansonsten für Atomwaffenexplosionen typisch sind. Auch andere Indizien sprechen für einen Kernwaffentest in der Region zwischen Bouvet-Insel und Prince-Edward-Island. So messen in den Tagen darauf verschiedene Wetterstationen in der Antarktis eine erhöhte Radioaktivität. Aufzeichnungen von Hydrophonen und seismische Messungen deuten auf die Detonation eines nuklearen Gefechtskopfes mit einer Sprengkraft von etlichen Kilotonnen TNT, die auf Meereshöhe oder wenig darüber gezündet wurden. Offenbar haben sich zum fraglichen Zeitpunkt auch Schiffe der südafrikanischen Marine in der Nähe des vermeintlichen Testfelds aufgehalten, besagen protokollierte Einsatzmeldungen.

In den Monaten danach mehren sich die Hinweise darauf, dass Südafrika und Israel möglicherweise gemeinsam mit Kernwaffen experimentieren. Aber trotz aller Recherchen, nicht zuletzt von Experten der Vereinten Nationen, lässt sich nie eindeutig klären, was am 22. September 1979 tatsächlich geschah. Aussagen des israelischen Atomwissenschaftlers Mordechai Vanunu stützen schon bald die Vermutung über eine Beteiligung seines Landes an einem denkbaren Test. Vanunu hat gegenüber der britischen Sunday Times im Oktober 1986 erstmals öffentlich gemacht, dass sein Land neben einem zivilen auch ein militärisches Nuklearprogramm verfolgt. Es kursiert das Gerücht, es sei daher auch möglich gewesen, zwischen 1977 und 1979 30 Gramm Tritium an Südafrika zu liefern, bereitgestellt vom israelischen Kernforschungszentrum Dimona.

Südafrikas Bevölkerung erfährt von alldem sehr viel später, erst nach dem Ende der Rassentrennung. Der letzte weiße Präsident Frederik Willem de Klerk erklärt dem überraschten Parlament am 24. März 1993, es sei gelungen, seit 1974 insgesamt sechs Atomsprengsätze zu produzieren, die aber habe man inzwischen mit sämtlichen Unterlagen und Produktionseinrichtungen unter internationaler Kontrolle vernichtet.

In der Ära des Übergangs zu einer von Apartheid befreiten Gesellschaft hat sich Südafrika freiwillig dafür entschieden, auf Kernwaffen zu verzichten und Inspektoren der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) einzuladen, dies zu überprüfen. Nach den Inspektionen überreicht Außenminister Pik Botha Anfang 1994 dem damaligen IAEA-Chef Hans Blix eine aus dem verschrotteten Metall von Trägerraketen gefertigte Pflugschar.

Uran selbst anreichern

Mit dem Verzicht Südafrikas ist Mitte der neunziger Jahre eine der höchsten Barrieren für ein atomwaffenfreies Afrika aus dem Weg geräumt. Zuvor geisterte das Phantom der "schwarzen Bombe" durch so manche Rede afrikanischer Politiker. Mit eigenen Kernwaffen sollte den nuklearen Ambitionen Südafrikas begegnet werden. Viele Staaten sahen im Apartheidregime das Haupthindernis für eine kernwaffenfreie Zone, wie sie die Organisation für Afrikanische Einheit (OAU) mit Blick auf den gesamten Kontinent bereits 1964 zum Ziel erklärt hatte.

Als Südafrika seinen nuklearen Ambitionen abschwört, quittieren das Algerien, Namibia, Niger, Sambia und Tansania umgehend mit ihrem Beitritt zum Vertrag über die Nichtweiterverbreitung von Kernwaffen (NPT). Die Gefahr eines atomares Wettrüstens auf dem afrikanischen Kontinent scheint definitiv abgewendet - die "schwarze Bombe" ad acta gelegt. Um das zu besiegeln, unterzeichnen am 11. April 1996 45 Staaten in Kairo den Vertrag über die Afrikanische Kernwaffenfreie Zone, der Produktion, Erwerb, Gebrauch, Erprobung, Lagerung und Stationierung von Kernwaffen in der Region und den angrenzenden Seegebieten verbietet. Die Partner werden zur ausschließlich friedlichen Nutzung der Kernenergie verpflichtet und dürfen sich an keinerlei militärisch motivierten Nuklearaktivitäten anderer Ländern beteiligen. Das Abkommen verlangt von den Signatarstaaten ausdrücklich, keine Kernwaffenforschung zu betreiben. Es werden genaue Prozeduren zur überwachten Demontage kerntechnischer Anlagen festgeschrieben. Sie zu kontrollieren, obliegt der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) sowie der Afrikanischen Nuklearenergiekommission (AFCONE). Wer radioaktiven Müll verklappen will, sieht sich dank des Kairo-Vertrages gleichfalls in die Schranken gewiesen.

Trotz aller Normen und Regeln, Anlass zu Euphorie besteht nicht. Da von den notwenigen 28 Ratifikationen des Kairoer Abkommens im Augenblick noch vier ausstehen, bleibt die kernwaffenfreie Zone bis auf weiteres ein Projekt - offiziell erklärt werden kann sie noch nicht. Schließlich erlebt die Kernenergie in Afrika derzeit - wie in anderen Weltregionen auch - eine Renaissance sondergleichen. Gemeinsam mit Brasilien und Indien will Südafrika künftig verstärkt an der friedlichen Nutzung der Atomkraft arbeiten. Bisher ist zwar erst ein Kernkraftwerk in Betrieb, aber mit dem technologischen Beistand Russlands sollen demnächst sechs weiter Meiler entstehen, für die eine eigene Anreicherung von Uran außer Frage steht.

* Wolfgang Kötter ist Konfliktforscher und Politikwissenschaftler an der Uni Potsdam.

Aus: Wochenzeitung "Freitag" 26, 27. Juni 2008



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