Gefährlicher Staub in Goldminen
Erkrankte Bergleute in Südafrika fordern seit Jahren vergeblich eine Entschädigung
Von Kristin Palitza, Kapstadt *
Im südafrikanischen Goldbergbausektor sind in den vergangenen Jahrzehnten unzählige Arbeiter an der unheilbaren Lungenkrankheit Silikose erkrankt. Die Betreiber weisen jede Verantwortung von sich, nun aber hat sich der Bergbaugigant Anglo American erstmals bereit erklärt, zumindest die medizinischen Kosten für 18 südafrikanische Bergleute zu begleichen.
Wilson Mafolwana erkrankte an Silikose, nachdem er von 1972 bis 1994 in den Schächten der Präsident-Steyn-Goldmine in der Provinz Free State im zentralen Flachland Südafrikas geschuftet hatte. »Die Schächte wurden fast nie mit Wasser abgespritzt. Alles war sehr, sehr staubig«, erinnert sich der 62-Jährige, der an ständiger Atemnot leidet. Arbeiter hätten damals auch keine Schutzmasken erhalten. Mafolwana berichtet, er sei entlassen worden, nachdem er beantragt hatte, über Tage zu arbeiten. Der Familienvater erhielt eine Einmalzahlung von umgerechnet 2300 Euro als Entschädigung für seine angeschlagene Gesundheit. Seine Familie muss von monatlich 100 Euro staatlicher Rente überleben.
Mafolwana gehört zu einer Gruppe von 18 südafrikanischen Bergleuten, die seit 2004 von Anglo American Entschädigung für Verletzungen und Arbeitsunfähigkeit fordern. Die ehemaligen Untertagearbeiter, die in Goldminen des weltweit drittgrößten Bergbaugiganten schufteten, leiden an der Lungenkrankheit Silikose. Einige stellen Rechtsansprüche in Höhe von umgerechnet 300 000 Euro. Der britisch-südafrikanische Konzern lehnt dies ab. Das Gerichtsverfahren ist für 2012 angesetzt. Nun aber hat Anglo American einen ersten Schritt gemacht. Der Konzern versprach, die medizinischen Kosten der 18 Bergleute zu tragen.
Die Gruppe hofft, einen Präzedenzfall zu schaffen. Falls sie Erfolg hat, könnte auf Anglo eine Lawine zehntausender Klagen zukommen. Der Konzern behauptet, sich aus reinem Wohlwollen jetzt zu den Zahlungen entschlossen zu haben. Man habe sich »entschieden, als verantwortungsvolles Unternehmen zu handeln und auf das Hilfeersuchen einzugehen, obwohl wir fest davon überzeugt sind, dass wir nicht haftbar sind«, sagte Generaldirektorin Cynthia Carroll während der Hauptversammlung des Unternehmens kurz vor Ostern.
Silikose ist eine Atemwegserkrankung, die beim Einatmen von kristallinem Siliziumdioxid entsteht und zur Vernarbung der Lungen führt. Die Folgen sind schwere Atembeschwerden. In vielen Fällen führt Silikose zu erhöhtem Risiko von Tuberkulose, Herzversagen, chronischer Bronchitis oder Emphysemen. Es dauert gewöhnlich zehn bis 30 Jahre, bis sich die ersten Symptome bemerkbar machen. Dann sind die Bergleute meist nicht mehr in den Minen angestellt. Und so weisen Bergbauunternehmen die Verantwortung von sich. Anglo habe alles getan, um Bergleute zu schützen, sagte Konzernsprecher Pranill Ramchander in Johannesburg. »Anglo American glaubt nicht, dass wir in irgendeiner Weise für die Silikose-Ansprüche der ehemaligen Goldbergleute haftbar sind.« Daran werde sich auch nichts ändern.
Zugleich versucht der Konzern, die Schuld anderen Unternehmen in die Schuhe zu schieben. Die Kläger seien in südafrikanischen Goldminen angestellt gewesen, an denen Anglo American mit weniger als 25 Prozent beteiligt sei. Daher seien diese Unternehmen für die Gesundheit und Sicherheit ihrer Angestellten verantwortlich gewesen.
So zieht sich der Rechtsstreit bereits seit Jahren hin. Und wenn der Fall im nächsten Jahr endlich vor Gericht kommt, ist es für einige der betroffenen Bergleute bereits zu spät. Vier der Kläger sind bereits verstorben.
Laut Richard Meeran, Anwalt der Londoner Kanzlei Leigh Day, der die Bergleute vertritt, geht es um die Gesundheit von 125 000 Menschen, die zwischen 1970 und 2000 für Anglo American unter Tage gearbeitet haben. »Anglo American Südafrika war das größte Goldabbauunternehmen während dieser Zeit, und die meisten der betroffenen Arbeiter waren in dessen Minen angestellt«, erklärte er.
Der südafrikanische Goldabbau wurde bis 2003 von Anglo American dominiert. Das Unternehmen war mit einer halben Million Angestellten bei Weitem der größte Arbeitgeber des Sektors. Für die Gesundheit der Bergleute soll der Konzern nicht viel getan haben. Professor Tony Davies, ehemaliger Direktor des Zentrums für Arbeitsmedizin, sagt, der Staubgehalt sei seit 50 Jahren gleich geblieben. »Die Goldminen sind voll von Siliziumdioxidstaub. Wer diesem ausgesetzt ist, hat ein erhöhtes Risiko, Silikose zu bekommen. Es ist eine unheilbare, behindernde und tödliche Lungenerkrankung«, erklärt Davies, der weiß, wovon er spricht: In den vergangenen zehn Jahren hat er mehr als 10 000 Bergleute untersucht und behandelt.
* Aus: Neues Deutschland, 27. April 2011
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