Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Zerreißprobe

Südafrika: ANC-Kongreß eröffnet. Staatspräsident Zuma kämpft um seine Wiederwahl an die Parteispitze

Von Christian Selz, Kapstadt *

In Mangaung (früher Bloemfontein) ist am Sonntag der Wahlparteitag des African National Congress (ANC) eröffnet worden. Fünf Tage lang geht es in der Hauptstadt der zentralen Provinz Free State um nicht weniger als die politische Zukunft Südafrikas. Offiziell wählen die Delegierten auf dem alle fünf Jahre stattfindenden Kongreß zwar lediglich den Parteichef. Doch nach einem ungeschriebenen ANC-Gesetz tritt der auch als Spitzenkandidat bei den folgenden Parlamentswahlen an – und die hat der seit Ende der Apartheid 1994 regierende ANC stets mit mehr als 60 Prozent der Stimmen gewonnen. 2014 wählt Südafrika erneut und de facto wird somit Mangaung – wie der Kongreß im Partei- und Medienjargon kurz heißt – entscheiden, wer das Land dann regiert. Seit Mitte der vergangenen Woche steht fest, daß Amtsinhaber Jacob Zuma in seinem Vize Kgalema Motlanthe einen Herausforderer haben wird, doch tief in verfeindete Lager gespalten ist der ANC ohnehin seit Jahren.

Während der Nominierungsphase der vergangenen Monate lieferte sich der ANC einen internen Machtkampf, wie er häßlicher kaum hätte sein können. Berichte von Scheinmitgliedern und Einschüchterungen tauchten auf, ganze Ortsverbände wehrten sich gegen ihren Ausschluß aus dem Wahlprozeß, während mancherorts gar die Fäuste flogen. Am heftigsten Zwischenfall soll Polizeiminister Nathi Mthethwa vor zwei Wochen selbst federführend beteiligt gewesen sein: Der Zuma-Loyalist soll Motlanthe-Anhänger aus einer lokalen Nominierungskonferenz in der Provinz North-West gedrängt und anschließend den Befehl gegeben haben, mit Gummigeschossen auf sie zu schießen. Am Ende stimmte die Versammlung für Zuma, dessen Gegner protestierten erfolglos vor dem ANC-Hauptquartier in Johannesburg.

Gemessen an den Nominierungen der Ortsverbände hat Jacob Zuma den Machtkampf im ANC gewonnen. Überzeugt hat er aber selbst seine Anhänger nicht. Die reden inzwischen von Lulaismus – in Anlehnung an den brasilianischen Staatschef, der das Gros seiner Sozialprogramme in der zweiten Amtszeit auf den Weg brachte. Aber Zuma ist kein Lula. Der einst als Kandidat der ANC-Linken an die Spitze gelangte Veteran des Anti-Apartheid-Kampfes hat sich zum autoritären Machtstrategen entwickelt, der seine Präsidentschaft mit der Vergabe politischer Ämter an Loyalisten und einem zunehmend rigideren Sicherheitsstaat absichert. Landesweit hat er extrem an Ansehen verloren, insbesondere nach seiner kalten Reaktion auf das Massaker an Bergarbeitern in Marikana, bei dem die Polizei 34 Menschen erschoß. Nicht wenige Kumpel glauben, daß Zuma und sein Getreuer Mthethwa selbst den Schießbefehl gegeben haben. Dazu kommt eine anhaltende Kontroverse um Zumas ländlichen Wohnsitz, den er für umgerechnet 20 Millionen Euro ausbauen ließ.

Doch parteiintern zeigen die Schwächen und Skandale kaum Wirkung, Zuma hält die Zügel fest in der Hand. Motlanthe, der seine Kandidatur erst am Donnerstag überhaupt bestätigte, ließ seinen Sprecher daher fast entschuldigend verlauten, daß es ihm nicht darum gehe, »gegen irgend jemanden zu stehen oder irgendwen herauszufordern«. Motlanthe spielt die Moralkarte, er hält sich penibel an die in der Realität längst außer Kraft gesetzten Gesetze der ANC-Basisdemokratie. Er kämpft gegen die Tendenz zur Listenwahl, weil er die Partei nicht im Lagerkampf zerreißen will und weil er auf dieser Ebene gegen den gut vernetzten Zuma ohnehin keine Chance hätte.

Der Vizepräsident, sagte sein Sprecher, wolle den ANC-Ortsverbänden eine Stimme geben. Weil deren überwältigende Mehrheit allerdings Zuma nominiert hat, weil Motlanthe bei den mächtigen ANC-Verbänden lediglich auf die Unterstützung der Jugendliga bauen kann, und weil er zwar ruhig, sachlich und staatsmännisch, aber eben auch blaß und ohne erkennbares Konzept zum Wandel daherkommt, bescheinigen Analysten dem Herausforderer kaum Aussichten auf den ANC-Thron. Statt dessen könnte er sogar seinen Posten als Vize verlieren. Für diesen nominiert ist ausgerechnet Cyril Ramaphosa, ein ehemaliger Gewerkschaftsführer und jetziger Gesellschafter des Bergbaukonzerns Lonmin, der die Marikana-Mine betreibt. Ihm wird vorgeworfen, nur einen Tag vor dem Massaker an der Bergleuten in einer E-Mail ein hartes Durchgreifen gegen die streikenden Arbeiter gefordert zu haben. Für den ANC, der seine Kraft ein Jahrhundert lang aus der Unterstützung der schwarzen Arbeiterklasse gezogen hat, wäre die Wahl eines solchen Geschäftsmoguls daher richtungsweisend.

* Aus: junge Welt, Montag, 17. Dezember 2012


Zurück zur Südafrika-Seite

Zurück zur Homepage