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Am Scheideweg

Südafrika: 30 Jahre nach ihrer Gründung kämpft die Bergarbeitergewerkschaft mit Massenaustritten

Von Christian Selz, Kapstadt *

Heute vor 30 Jahren endete im südafrikanischen Klerksdorp der bis dato wichtigste Bergarbeiterkongreß des Landes. An seinem Ende stand die Gründung der National Union of Mineworkers (NUM), die als geeinte Vertretung nicht nur den schwarzen Bergleuten eine mächtige Stimme gab, sondern auch als Keimzelle bei der Formierung des Gewerkschaftsbundes COSATU 1985 diente. Mit der NUM begann die moderne Geschichte der südafrikanischen Arbeiterbewegung, doch eine große Feier zu ihrem 30jährigen Bestehen findet nicht statt. Die Stimmung innerhalb der Gewerkschaft ist alles andere als festlich, denn die NUM hat in den großen Platin- und Goldminen nach monatelangen wilden Streiks nahezu keinen Einfluß mehr.

Es sind vor allem zwei Entwicklungen, die die einst so kämpferische NUM in den Augen ihrer Mitglieder bedeutungslos machen. Zum einen ist da der Umgang mit dem Versprechen »Ein besseres Leben für alle«. Mit diesem Slogan warb der regierende African National Congress (ANC) seit dem Ende der Apartheid millionenfach auf Wahlplakaten. Erfüllt ist dieses Versprechen bis heute nicht. Die NUM hat zwar immer wieder Lohn¬erhöhungen durchgesetzt und mit ihren Kampagnen auch bei der Arbeitssicherheit in den gefährlichen Minen viel erreicht. Doch in den staubigen Gassen zwischen den Wellblechhütten der Kumpel reicht das nicht. Die Bergleute hatten auf bessere Lebensbedingungen gehofft, auf ein eigenes, kleines Häuschen für die Familie, mit Strom und Wasseranschluß, und auf Bildungschancen für die Kinder, denen sie die Knochenmühle unter Tage ersparen wollten. Erfüllt haben sich die Träume nur für die wenigsten von ihnen – und für die Gewerkschaftsfunktionäre. Zum anderen sehen die Bergleute eben, daß sich die Betriebsräte der NUM von der Basis entfernten. Sie haben für sich selbst höhere Gehälter als für ihre Kollegen ausgehandelt und sind von der Arbeitervertretung zum loyalen Sozialpartner der Bergbaukonzerne mutiert. NUM-Gründungsgeneralsekretär Cyril Ramaphosa ist heute ein schwerreicher Geschäftsmann mit Beteiligungen an Bergbaukonzernen und guten Chancen, in zwei Wochen zum Vizepräsidenten des regierenden ANC aufzusteigen. Ramaphosa ist dabei nur ein Beispiel für das Geflecht der Mächtigen aus Wirtschaft, Regierung und Gewerkschaften, die Südafrika fest im Griff haben. Außerdem steht die Bergbaubranche symbolisch für die südafrikanische Gesellschaft, in der die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer werden.

Die Crux liegt in der Verflechtung des Gewerkschaftsbundes mit dem ANC im Regierungsbündnis, was eine unabhängige Arbeitervertretung ausschließt und die COSATU-Gewerkschaften gleichzeitig verantwortlich macht für die gebrochenen Versprechen der Regierung. Besonders schwer wiegt das, wenn die Staatsmacht gewaltsam gegen Arbeiter vorgeht. In der Folge des Polizeimassakers von Marikana, bei dem im August 34 Bergleute erschossen wurden, und den anschließenden monatelangen wilden Streiks in allen großen Minen des Landes ist die NUM deshalb förmlich in sich zusammengefallen. Anstatt die Streiks zu unterstützen, hatte ihre Führung die Aufstände als konterrevolutionär beschimpft, Arbeiterkomitees die Nutzung von Gewerkschaftsräumlichkeiten versagt und in einzelnen Minen gar »Rädelsführer« an die Polizei ausgeliefert.

Vor der Untersuchungskommission zum Marikana-Massaker versucht eine NUM-Delegation dieser Tage nun fieberhaft, die Erschießung zweier Arbeiter durch NUM-Funktionäre zu widerlegen. Ein wirklich überzeugendes Ergebnis wird es dazu nach der Verhaftung etlicher Zeugen vermutlich nie geben, doch die Bergarbeiter haben ihr Urteil ohnehin längst gefällt. Die zu Jahresbeginn mit 360000 Mitgliedern stärkste Einzelgewerkschaft Südafrikas ist nach Massenaustritten während der Streiks um mehr als die Hälfte geschrumpft. Das behaupten zumindest politische Analytiker in Südafrika – die NUM selbst schweigt zu den Zahlen. Wenn sich die südafrikanische Gewerkschaftsbewegung nicht grundlegend neu orientiert, könnte sich diese Tendenz bald auch in anderen Bereichen bemerkbar machen.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 05. Dezember 2012


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