Schwieriger Geburtstag
Südafrikanischer ANC zelebriert 100jähriges Bestehen in trügerischer Einigkeit. Kritiker zum Schweigen gezwungen
Von Christian Selz, Kapstadt *
Der African National Congress feiert an diesem Sonntag sein 100jähriges Bestehen. Doch zum Jubiläum, das die heutige südafrikanische Regierungspartei zunächst mit einem Gottesdienst in der Kirche in Bloemfontein (Mangaung) begeht, in der die Partei am 8. Januar 1912 gegründet wurde, scheint die einstige Befreiungsbewegung so zerstritten wie nie zuvor. Die Mutterpartei verbannte gar sämtliche Grußbotschaften von Allianzpartnern und eigenen Parteiligen aus dem Festprogramm – normalerweise eine Standardprozedur bei Feiern des ANC. Ein Sprecher begründete die Maßnahme mit dem enggestrickten Programm. Doch die wahren Gründe dürften tiefer liegen: Der Haussegen hängt schief in der Regierungsallianz, erst kürzlich hatte die Disziplinarkommission des ANC die gesamte Führung der Partei-Jugendliga (ANCYL) abgestraft, ihren Präsidenten Julius Malema gar für fünf Jahre ausgeschlossen. Weil das Berufungsverfahren noch läuft, hätte Malema, der ANC-Präsident Zuma zuletzt scharf angegriffen und öffentlich lächerlich gemacht hatte, auf der Feier sprechen dürfen. Diese Bühne ist ihm nun ebenso entzogen, wie den Vertretern des Gewerkschaftsbundes COSATU, die der ANC-Führung wiederholt politisches Versagen und Korruption vorwarfen.
Zuma will den honorigen Gästen – allein 50 ehemalige und aktuelle Staatspräsidenten werden erwartet, selbst über eine Teilnahme des inzwischen 93jährigen ANC-Übervaters Nelson Mandela wird spekuliert – eine dem Anlaß würdige Feier präsentieren und nicht vor erwarteten 100000 Anhängern schmutzige Wäsche waschen. Das Programm soll die herausragenden und selbstlosen Leistungen der Freiheitskämpfer herausstellen, die Südafrika von der Knechtschaft des rassistischen Apartheid-Regimes befreit haben und den ANC schließlich zur Regierungspartei emporhoben. Es geht um Heroisierung und Ehre, doch die Risse im Familienfrieden kann die Partei damit nicht kitten, sie sind zu tief.
Als Mandela Ende der 80er Jahre noch im Gefängnis saß, traf sich sein späterer Stellvertreter und Nachfolger im Präsidentenamt, Thabo Mbeki, bereits auf Initiative britischer Unternehmer mit Vertretern des Apartheid-Regimes. Deren Versuch, die Exilführung um Mbeki und Mandela gegeneinander auszuspielen, mißlang zwar, doch der unterschwellige Verdacht, die Revolution verraten zu haben, verfolgt den ANC bis heute. Schuld daran war auch die Einführung der neoliberalen GEAR-Strategie (»Wachstum, Arbeitsplatzschaffung und Umverteilung«) gegen den Willen der Allianzpartner 1996, die dem ANC zwar die Anerkennung der Weltbank brachte, aber nichts an der extrem ungleichen Einkommensverteilung im Land änderte und zudem Millionen Arbeitsplätze kostete. Es war der Beginn der Spaltung der einstigen Befreiungsbewegung, die auch Zuma, ursprünglich der Kandidat der Gewerkschaften, Kommunisten und der Jugendliga, nicht korrigieren konnte.
Im Gegenteil: Diejenigen im konservativen, weißen Lager und in der Wirtschaft, die ihn fürchteten, hat der neue Präsident positiv überrascht. Seine Unterstützer dagegen hat er enttäuscht, Südafrika ist nach wie vor eines der Länder mit der höchsten Ungleichheit weltweit; während sich zwar eine schwarze Elite bildet, wächst die Schere zwischen arm und reich dennoch weiter.
Zuma hat im Amt nicht ausschließlich versagt. Er hat mit staatlichen Infrastrukturprogrammen Arbeitsplätze geschaffen, bei der HIV/AIDS-Bekämpfung riesige Fortschritte erreicht, eine gesetzliche Krankenversicherung für alle Südafrikaner auf den Weg gebracht und trotz internationaler Mißgunst eine perfekte Fußball-WM organisiert. Doch die heißen Eisen hat sein ANC auch im 100. Jahr nicht angepackt: Das Schulsystem ist eine Misere geblieben, die den Kindern der Armen schon früh jede Perspektive nimmt; beinahe wöchentlich kommen neue Fälle von Korruption und Vetternwirtschaft in der Regierung ans Tageslicht, und die brisante Frage der Landverteilung bleibt nahezu gänzlich unberührt.
Während Zuma sich parteiintern an seine Macht klammert, gibt der ANC im Jubiläumsjahr ein armseliges Bild ab, das der Geschichte der Bewegung kaum gerecht wird. Politische Alternativen liefert die Allianz kaum, ihre Fähigkeit zu wesentlichen wirtschaftlichen Veränderungen scheint mehr als begrenzt, die alten Eliten halten das Land im Griff. Das wird auch bei der 100-Jahr-Feier einmal mehr mit bitterer Ironie deutlich: Die Kirche, in der sich der ANC einst gründete, mußte die Partei von einem Immobilienspekulanten für umgerechnet eine Million Euro zurückkaufen, um dort feiern zu können. Erworben hatte der Unternehmer das Gebäude Zeitungsberichten zufolge vor acht Jahren für lediglich 28000 Euro.
* Aus: junge Welt, 7. Januar 2012
Südafrika gehört allen ...
Vor 100 Jahren wurde der Afrikanische Nationalkongress gegründet
Von Hans-Georg Schleicher **
Bereits im Dezember vergangenen
Jahres wurde in den Straßen von
Johannesburg gefeiert. Sangomas,
traditionelle Heiler, zündeten
Räucherwerk an, Veteranen des
Befreiungskampfes beschworen
tradierte Werte. Offiziell wird jedoch
der Jahrestag der Gründung
von Afrikas ältester politischer Organisation,
des Afrikanischen Nationalkongresses
(ANC), am 8. Januar
in Mangaung begangen, dem
früheren Bloemfontein. Denn dort
war der ANC 1912 gegründet worden.
Die koloniale Aufteilung Afrikas
war weitgehend abgeschlossen,
als an dessen Südspitze 1910
die weiße Herrschaft in einer Südafrikanischen
Union konstituiert
wurde, gegen die die schwarze
Bevölkerungsmehrheit lange Widerstand
geleistet hatte. 1906
wurde eine letzte militärische Rebellion
zerschlagen. Sechs Jahre
darauf gründeten in einer Schule
in Bloemfontein Häuptlinge sowie
Vertreter der schwarzen Mittelschicht
den South African Native
National Congress (SANNC), der
1923 in ANC umbenannt wurde.
Dessen Ziele waren die Einheit der
Afrikaner, die Verteidigung ihrer
Freiheiten gegen zunehmende
rassistische Diskriminierung und
gegen die Einschränkung grundlegender
Menschenrechte der
Schwarzen. SANNC-Generalsekretär
Solomon Plaatje beklagte,
Schwarze würden zu Parias im eigenen
Land, wo per Gesetz der
Großteil des Bodens Weißen zufiel.
Die neue Organisation setzte zunächst
auf Appelle und Petitionen
und versuchte 1919 sogar, ihre
Forderungen auf der Versailler
Konferenz vorzutragen.
Die Kooperation mit der Kommunistischen
Partei Südafrikas
verschaffte dem ANC seit den
1930er Jahren verstärkt Zugang
zu schwarzen Arbeitern und
Kleinbauern. In der 1944 entstandenen
ANC-Jugendliga schärften
künftige Führer wie Nelson Mandela,
Walter Sisulu und Oliver
Tambo ihr Profil. Als 1948 in Südafrika
die rassistische Apartheid
zur Staatspolitik erhoben und
durch ein Gesetzeswerk verankert
wurde, antworteten der ANC und
andere Organisationen mit Boykott,
Streiks und zivilem Ungehorsam.
Höhepunkt des gewaltfreien
Widerstandes einer sich
formierenden Volkskongressbewegung
war 1955 die Freiheitscharta:
»Südafrika gehört allen,
die dort leben, Schwarzen und
Weißen.« Das Apartheid-Regime
antwortete mit einem Hochverratsprozess
und mit verschärften
Repressionen. Als das Sharpeville-
Massaker 1960, der Ausnahmezustand
und ein Verbot des ANC
und anderer Organisationen dem
friedlichen Widerstand kaum noch
Raum ließen, optierten ANC und
die KP für bewaffnete Aktionen als
Teil des politischen Kampfes.
Das Regime verschärfte seinen
Terror und konnte Führungsstrukturen
des ANC zerschlagen.
Der bemühte sich daraufhin vom
Exil aus um den Aufbau einer
schlagkräftigen Organisation. Die
Untergrundarbeit im Lande blieb
schwer und verlustreich. Die Gefängnisinsel
Robben Island mit
prominenten ANC-Führern wurde
zum Symbol des Kampfes, aber
auch zur »Universität« für ANCKämpfer.
Der ANC erhielt Unterstützung
von sozialistischen und
afrikanischen Staaten, es half die
weltweite Solidarität progressiver
Kräfte. Internationale Sanktionen
schränkten den Spielraum des
Apartheid-Regimes ein,. Nicht zufällig
kam es 1976 zum Soweto-
Aufstand, nachdem mit der Unabhängigkeit
Angolas und Mosambiks
der Einflussbereich Pretorias
geschrumpft war. Der ANC erhielt
danach großen Zulauf von Jugendlichen.
Befreiungskampf und innerer
Widerstand, internationale Solidarität
und Sanktionen beschleunigten
die Krise des Apartheid-Regimes.
1990 verkündete Südafrikas
Präsident de Klerk überraschend
die Wiederzulassung der
verbotenen Organisationen, die
Freilassung politischer Gefangener
und politische Rechte für alle.
Der ANC kehrte nun legal nach
Südafrika zurück. Es war der Beginn
vom Ende der Apartheid. Das
»südafrikanische Wunder«, die
Vermeidung eines Bürgerkrieges,
war dem Verhandlungsgeschick
des ANC, seiner Unterstützung
durch die Massen und der Versöhnungspolitik
Mandelas zu danken.
Die Kompromissbereitschaft
war jedoch nicht unumstritten innerhalb
des ANC selbst.
Freie Wahlen brachten 1994
dem ANC die politische Macht. Der
sozioökonomische Transformationsprozess
erweist sich angesichts
weltweiter neoliberaler Dominanz
als langwierig. Ursprüngliche soziale
Ziele des ANC sind in weite
Ferne gerückt. Die Erwartungen
der Bevölkerungsmehrheit auf eine
grundlegende Veränderung ihrer
Lebensverhältnisse blieben
bisher weitgehend unerfüllt. Die
Überwindung der Apartheid als
historische Leistung des ANC ist
jedoch unumstritten. Die ANCFührer
Albert Luthuli und Nelson
Mandela erhielten dafür den Friedensnobelpreis.
Heute sieht sich Südafrika neuen
komplizierten Herausforderungen
gegenüber. Sie zu bewältigen
wird auch davon abhängen,
wie es dem ANC gelingt, seine Einheit
zu wahren sowie Charakter
und Profil zu schärfen.
* Aus: neues deutschland, 7. Januar 2012
Daten und Fakten: Geschichte des ANC
1912: In Bloemfontein gründen schwarze Intellektuelle den South African Native National Congress.
1923: Umbenennung in African National Congress (ANC).
1948: Die Reunited National Party übernimmt mithilfe der kleineren Afrikaner Party (beide fusionieren später zur National Party) die Regierung und führt ihr Rassentrennungsprogramm der »Grand Apartheid« ein.
21. März 1960: Bei friedlichen Protesten gegen die Paßgesetze erschießt die Polizei in Sharpeville 69 Menschen. Die Nachricht des Massakers geht um die Welt.
16. Dezember 1961: Der friedliche Widerstand ist gescheitert, eine Gruppe um Nelson Mandela gründet Umkhonto we Sizwe, den bewaffneten Arm des ANC.
16. Juni 1976: Bei Schülerprotesten gegen die Einführung von Afrikaans als einziger Unterrichtssprache erschießt die Polizei in Soweto Hunderte Kinder und Jugendliche. Das Bild des sterbenden Hector Pieterson verursacht internationale Bestürzung. Zusammen mit der Ermordung des Black-Consciousness-Anführers Steve Biko ein Jahr später, führt das Massaker Tausende junge Südafrikaner zum Gang in den militanten Untergrund
11. Februar 1990: Der Anfang vom Ende der Apartheid: Sabotageaktionen, Ausschreitungen in den Townships, der militärische Erfolg Kubas gegen südafrikanische Truppen in Angola und internationale Sanktionen lassen das Apartheid-Regime schließlich einlenken. Nelson Mandela, internationale Ikone des Freiheitskampfes kommt nach 27jähriger Haft frei.
27. April 1994: Bei den ersten freien Wahlen des Landes wählen die Südafrikaner den ANC mit überwältigender Mehrheit in die Regierung, Mandela wird Präsident. Bei allen folgenden landesweiten Wahlen, erreicht der ANC über 60 Prozent der Stimmen.
(cl)
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