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Nach der Wahl die Sezession

EU und USA richten über Sudan-Abstimmung - und wollen Abspaltung des Südens

Von Gerd Schumann *

Einigkeit sieht anders aus. Die Bewertungen - international wie national - des fünftägigen Wahlverlaufs im Sudan könnten kaum kontroverser ausfallen. Sie reichten am Dienstag von »weder frei noch fair« (USA) über »hinter internationalen Standards zurückgeblieben« (Carter-Zentrum) und von »ernsthaften Mängeln« geprägt (EU) bis hin zu »nach afrikanischen Standards fair« (Rußland). Im ostafrikanischen Land selbst und auf dem Kontinent zeigt sich ein ähnliches Bild. Während Teile der Opposition »das reinste Chaos« beobachteten und Südafrika den »ungünstigen« Zeitpunkt monierte, lobte die Afrikanische Union (AU) den »friedlichen Verlauf«, und die Nationale Wahlkommission (NEC) sprach von »Fairneß«, »freien Bedingungen« und »neuen Erfahrungen«. Die Kritiken insbesondere westlicher Beobachter, so NEC-Sprecher Abdullah Ahmed Abdullah am Montag, berücksichtigten allesamt nicht die »Bedingungen, unter denen die Abstimmung durchgeführt wurde«.

Abdullah hat recht. Von vornherein war klar, daß es um die Infrastruktur des Landes nicht zum besten steht und daß zudem die unsicheren Lagen in den Westprovinzen des Darfur und im teilautonomen Südsudan alles andere als günstig für eine »freie und faire« Wahldurchführung waren. Trotzdem war allen Beteiligten der herausragende Stellenwert der Abstimmung als »Meilenstein«, so AU-Chef Jean Ping, bei der Überführung des Landes hin zu friedlichen und stabilen Verhältnissen bewußt. Zumindest schreibt das »Umfassende Friedensabkommen« (CPA) von 2005 zwischen den Kriegsparteien in Khartum und dem Süden die gesamtsudanesischen Wahlen als zwingende Voraussetzung für das schon jetzt als »historisch« angesehene Referendum im Januar 2011 vor. Dieses soll dann über den zukünftigen Status des Südsudan entscheiden, also eine eventuelle Abspaltung vom Sudan.

Darauf - und also auf eine in der Geschichte des postkolonialen Afrika beispiellose Separierung - setzen inzwischen ohne Einschränkung die USA. Außenamtssprecher Philip J. Crowley bezeichnete laut Sudan Tribune vom Dienstag die - zugleich als unfair und unfrei gegeißelten - Wahlen als »sehr wichtigen Schritt«, um den »Friedensdeal« von 2005 weiterzuführen und dem Süden »einen Weg zur Unabhängigkeit über das Referendum im Januar« zu ebnen. Bisher seien ja bereits eine »Autonomie« und »die Aufteilung der Ölvorkommen« erreicht worden, nun müsse es auf diesem Weg weitergehen.

Dabei wirkt als Statthalter Washingtons in der südsudanesischen Hauptstadt Dschuba, aber auch in der Regierung zu Khartum zuverlässig die inzwischen zur Partei formierte Volksbefreiungsbewegung SPLA. Sie sorgte in der Schlußphase des Wahlkampfs für einen Boykott von Teilen der Opposition, als sie ihren als Alternative zum favorisierten Präsidenten Omar Al-Baschir angetretenen Kandidaten zurückzog. Offensichtlich wurde seitens der führenden Kraft im Süden nicht nur ein Imageverlust befürchtet, sondern auch eine Aufwertung von Al-Baschir als potentiell frei gewähltem Staatsoberhaupt - und folglich einer Anerkennung seiner Autorität trotz des vom Internationalen Strafgerichtshof gegen ihn erlassenen Haftbefehls.

Daran konnte weder den USA noch der SPLA gelegen sein, was auch die Bewertungen des Abstimmungsverlaufs erklärt. Umso interessanter erscheint die Erklärung von Véronique de Keyser vom Wochenende. Die Leiterin der 130köpfigen EU-Wahlbeobachtermission konstatierte bei der Durchführung im Süden »weniger Kontrolle« als im Norden, statt dessen »Verwirrung, Zusammenstöße und Einschüchterung«. Allerdings fielen diese für das Referendum wahrlich ungünstigen Voraussetzungen letztlich nicht entscheidend ins Gewicht, meinte de Keyser weiter. Vielmehr bedeuteten die Wahlen einen »großen Schritt«, der »Demokratie im Sudan einen Raum zu eröffnen« und energisch auf die Volksabstimmung hinzuarbeiten.

Der Westen setzt mit aller Kraft auf eine Staatwerdung des Südens. Dabei geht es zuvorderst um die Verfügungsgewalt über die dortigen Ölvorkommen. Al-Baschir, der unter George W. Bush als Chef eines »Schurkenstaats« geächtet worden war, erläuterte dazu vor kurzem: »Früher liefen unsere Erdölgeschäfte über amerikanische Firmen. Aber die entschieden sich, aus dem Sudan auszusteigen. Sie dachten offenbar, daß niemand an ihre Stelle treten würde« (Spiegel, 12/2010). Sein Land sei nunmehr mit chinesischen, indischen und malaysischen Firmen im Geschäft. Die entsprechenden »Verträge sind deutlich besser als die mit den Amerikanern«.

* Aus: junge Welt, 21. April 2010


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