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Frage der Reihenfolge

Termin-Turbulenzen: Khartum besteht auf Durchführung der Sudan-Wahlen in einer Woche. Teile der Opposition kündigen Boykott an. Südsudans SPLM zieht Kandidaten zurück

Von Gerd Schumann *

In einer Woche soll der Sudan wählen. Ab dem 11. April steht drei Tage lang die gesamte politische Infrastruktur des nordostafrikanischen Staates zur Abstimmung: Präsidentschaft, Parlament, Gouverneure, Provinzräte, kommunale Vertretungen… – je nach Region des größten afrikanischen Flächenlandes können bis zu zwölf Voten abgegeben werden. »Und dabei wird es auch bleiben«, verkündete Präsident Omar Al-Baschir am Donnerstag in der südostsudanesischen Provinzstadt Sinjah entschlossen.

Der favorisierte Spitzenkandidat der Nationalen Kongreßpartei (NCP) hatte zuvor zur Kenntnis nehmen müssen, daß große Teile der Opposition die Neutralität der Nationalen Wahlkommission (NEC) infrage stellten. 19 Parteien hatten sich getroffen, einige erklärten im Anschluß, sie würden die Wahlen boykottieren, darunter die schwergewichtigen Parteien Umma, Umma Reform und Erneuerung (URRP), die demokratischen Unionisten (DUP). Andere wie die national orientierte PCP (Volkstümliche Kongreßpartei) halten an ihrer Beteiligung fest, manche schwanken. Am schwersten wiegt jedoch, daß die Haltung der mitregierenden SPLM (Sudanesische Volksbefreiungsbewegung) unklar blieb. Sie hatte am Mittwoch zunächst ihren Präsidentschaftschaftskandidaten Yassir Arman zurückgezogen, jedoch zugleich verlautbart, sie beteilige sich aber ansonsten, außer in der Westprovinz Darfur. Am Freitag dann berichtete die Sudan Tribune, anonymen Quellen zufolge verzichte die SPLM nun auch im Norden.

Damit wäre der 2005 nach langem Bürgerkrieg begonnene Friedensprozeß akut gefährdet. Wenn es zu einer »Blockade des Termins« käme, »werden wir uns weigern, die Volksabstimmung über die Unabhängigkeit des Südsudan im kommenden Jahr abzuhalten«, erklärte Al-Baschir. Der vom Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag per Haftbefehl wegen Verbrechen in Darfur zur Fahndung ausgeschriebene Präsident weiß sehr wohl, welche Bedeutung die sudanweiten Wahlen für ihn und seine NCP haben: Ein Erfolg würde das Ansehen der Regierenden in Khartum international wie national deutlich fördern. Dieses wiederum würde für Khartum auch die Rahmenbedingungen für das Anfang 2011 vorgesehene Referendum über eine Abspaltung des Südsudan verbessern.

Als Unterzeichner des 2005 mit der SPLM abgeschlossenen »Umfassenden Friedensabkommens« (CPA) würde ein allgemein anerkannter Wahlsieger Al-Baschir über alle noch offenen Fragen der Umsetzung gewichtig mitreden, so das realpolitische Kalkül des Präsidenten. Das beträfe nicht nur die Modalitäten der Volksabstimmung, sondern auch die Grenzziehung Nord-Süd und die Ölverteilung. Wenn Khartum schon nicht das »vom Westen vermittelte Abkommen« (Spiegel, 12/2010) und also die Sezession des Süden verhindern kann, sollte doch zumindest ein einheitlicher Handelsraum Sudan erhalten bleiben – und das hieße vor allem, daß der Export des »schwarzen Goldes« wie bisher über die sudanesische Hauptstadt und den Rotmeerhafen Port Sudan geschehe. Damit könnte die Rechnung des Westens, über einen von ihm ausgehaltenen und hochgerüsteten zukünftigen Staat »Südsudan« an das Öl heranzukommen, durchkreuzt werden. Der bisher vorrangig China vorbehaltenen Zugriff bliebe bestehen.

Nun stehen die als »zentraler Meilenstein« (Sudan Tribune, 1.4.) des Friedensprozesses geltenden Wahlen in ihrer angestrebten Form zur Disposition. Die Folgen eines weitgehenden Boykotts wären unabsehbar. Bisher zeigte sich Al-Baschir entschlossen, den im CPA vorgesehenen Übergangsprozeß zu akzeptieren. So verständigte er sich mit wichtigen Rebellengruppen in der westlichen Krisenregion Darfur, beschritt konsequent den Weg der Einbeziehung von SPLM-Vertretern in Khartum, signalisierte eine Anerkennung des Referendumsergebnisses – allerdings unter Einhaltung der im CPA festgelegten Abstimmungsfolge. »Bevor wir das Referendum über den weiteren Verbleib des Südens im Staatsverband abhalten, wollen wir mit den Wahlen im April die Voraussetzungen dafür schaffen«, so Al-Baschir jüngst im Spiegel.

Zur Zeit sucht der US-Sonderbeauftragte Scott Gration alle wichtigen sudanesischen Akteure auf. Das Pokern um die Abspaltung des Südens hat begonnen.

* Aus: junge Welt, 3. April 2010


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