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Juba – der teuerste Slum der Welt

Zweieinhalb Jahre nach Unterzeichnung des Friedensabkommens in Südsudan – ein Modell für den Konflikt in Darfur?

Von Peter Böhm, Juba *

Medien und Politiker richten ihre Aufmerksamkeit derzeit auf die Konfliktregion Darfur im Westen Sudans. Darüber droht der Süden des Landes in Vergessenheit zu geraten. Nach jahrelangem Krieg hatten sich die Zentralregierung und die Rebellen der Sudanesischen Volksbefreiungsarmee (SPLA) erst 2005 auf ein Friedensabkommen für den Süden geeinigt.

Der Jeep der Militärpolizei rast mit bestimmt 90 Stundenkilometern durch die sandigen Straßen Jubas. Eilig raffen Straßenhändler ihre Waren zusammen, Fußgänger springen in nahe Straßengräben. Doch es kommt, wie es kommen muss: Ein junger Mann wird von dem Jeep erfasst und durch die Luft geschleudert. Der Wagen aber rast einfach weiter.

Nach ein paar Minuten kommt er zurück, zwei weitere Fahrzeuge mit Soldaten im Schlepptau. Mit ihren Gewehren im Anschlag steigen alle aus. Der Fahrer erkundigt sich nach dem Zustand des überfahrenen Mannes. Der liegt auf der Straße und wimmert. Deshalb lässt ihn der Fahrer auf die Ladefläche des Jeeps legen, um ihn ins Krankenhaus zu bringen.

»Die Soldaten nehmen keinerlei Rücksicht im Straßenverkehr«, klagt der 23-jährige Samson Rissi, der an einem Kiosk in der Nähe Pfannkuchen, Mehl und Zucker verkauft, »sie überfahren Leute und reißen Stände nieder.« Seit vor einigen Wochen jedoch eine aufgebrachte Menge in Juba zwei Fahrzeuge angezündet und einen Fahrer gelyncht hat, berichtet Rissi, stiegen die Unfallfahrer in der Stadt nur noch gut bewaffnet aus.

»Da wird man nicht so schnell ungeduldig«

Über die junge Regierung in Juba, mit fast 300 000 Einwohnern die vorläufige Hauptstadt Südsudans, will sich Rissi aber nicht beschweren. In stockendem Schulenglisch sagt er gar: »Sie ist großartig.« Und das, obwohl seit dem Abzug der Armee aus dem Norden vor zwei Jahren in Juba weder der Müll eingesammelt noch die Straßen gereinigt oder die Straßengräben instand gehalten werden, wie er einräumen muss. Ganz zu schweigen vom Bau einer neuen Straße. Rissi zuckt mit den Schultern und lacht, als seien das kleine Unannehmlichkeiten, die man eben in Kauf nehmen muss.

Die Einstellung des Kleinhändlers ist typisch für Juba. Sie zeigt vor allem eines: welch riesigen Vertrauensvorschuss die Regierung Südsudans auch zweieinhalb Jahre nach ihrer Amtsübernahme noch genießt. »Das ist einfach zu erklären«, erläutert Daniel Issa von der Hilfsorganisation »Accross« in Juba, »die Leute haben mehr als 20 Jahre auf eine eigene Regierung gewartet. Da wird man nicht so schnell ungeduldig.«

Bis zum Abschluss des Friedensabkommens zwischen den Rebellen der Sudanesischen Volksbefreiungsarmee (SPLA) und der Zentralregierung in Khartum im Januar 2005 galt der Konflikt um Südsudan als einer der längsten und brutalsten in Afrika. Eine dem arabisch-islamischen Kulturkreis zugehörige Bevölkerung im Landesnorden stand den afrikanisch-christlichen Südsudanesen gegenüber. Nach der Unabhängigkeitserklärung Sudans 1956 gab es für den Süden nur elf Jahre des Friedens. Zwei Millionen Menschen kamen durch den Konflikt ums Leben, mehr als vier Millionen wurden vertrieben, zehntausende leben noch heute in Flüchtlingslagern im benachbarten Kenia.

Vor dem Abkommen kontrollierte die SPLA fast alle ländlichen Regionen Südsudans, die Regierung in Khartum dagegen beherrschte einige Garnisonsstädte wie Juba und Wau. Verhandelt wurde in den 90er Jahren etliche Male, doch nie machte die Zentralregierung die entscheidenden Zugeständnisse, die den Rebellen wichtig waren: weit reichende Autonomie oder Unabhängigkeit für den Süden des Landes.

Darfurs Rebellen am Zug

Von Martin Ling **

Solange geredet wird, wird weniger geschossen. Dass sich fast alle der über ein Dutzend Rebellengruppen in Darfur im tansanischen Arusha bemüht haben, eine gemeinsame Grundlage für Verhandlungen mit der Regierung in Khartum zu finden, ist ein Fortschritt – wenn auch auf niedrigem Niveau. Dennoch: Um mittelfristig überhaupt eine Friedensperspektive für Darfur entwickeln zu können, ist unter anderem die Einigung der Rebellengruppen auf einen Minimalkonsens eine wichtige Bedingung. Umso schwerer wiegt, dass der Anführer der gewichtigsten Rebellenfraktion der inzwischen dreigespaltenen Sudanesischen Befreiungsarmee (SLM) nicht nach Arusha reiste. Abdul Wahid Mohammad al-Nur fordert einen Waffenstillstand mit der Regierung und den von ihr geförderten Janjawid-Reitermilizen als Gesprächsgrundlage. Mit gutem Grund: Schließlich wurde ein solcher bereits im April 2004 erstmals beidseitig vereinbart, um wiederholt und bis jetzt gebrochen zu werden.

Auf dem Papier gab es schon mehrere Anläufe, den Darfur-Konlikt friedlich beizulegen, zuletzt das Friedensabkommen 2006 mit seinen im Prinzip durchaus tragfähigen Bausteinen: Entwaffnung der Janjawid-Rebellen, Integration der Rebellen in die Armee, Entschädigung der Flüchtlinge, Referendum in naher Zukunft. Doch nur eine einzige SLM-Fraktion unterschrieb.

Damit es zu einem tragfähigen Frieden kommt, muss die Regierung in Khartum ein Gutteil ihrer Macht abgeben, die sie bisher mit einer Politik der verbrannten Erde gegen die opponierenden Darfuris verteidigt hat. Gegenüber dem Südsudan war sie dazu bereit, auch weil der internationale Druck wuchs. Eine Einheit der Rebellen in Arusha würde Khartum zusätzlich unter Zugzwang setzen – und auch al-Nur.

** Aus: Neues Deutschland, 7. August 2007



Erst als Anfang 2003 die Rebellion in Darfur, im Westen Sudans, begann, und Khartum in die Defensive geriet, änderte sich das. Offenbar entschied man dort, dass es wichtiger sei, den Rücken für den Konflikt in Darfur frei zu haben, denn auch mit einer kleinen Rebellenbewegung im Osten des Landes hat die Zentralregierung inzwischen Frieden geschlossen. So gipfelten die Verhandlungen zwischen Khartum und der SPLA im Januar 2005 schließlich in der Unterzeichnung des sogenannten umfassenden Friedensabkommens (CPA). Die Zentralarmee zog sich aus dem Süden zurück, der SPLA als Regierung Südsudans wurde die Hälfte der Einnahmen aus dem Erdölexport des Landes – geschätzte 40 Millionen US-Dollar monatlich – zugesagt. Im Jahre 2009 sollen im gesamten Land Wahlen stattfinden, und – wenn alles glatt geht – wird der Süden im Jahr 2011 die Chance bekommen, durch ein Referendum über die Unabhängigkeit vom Norden zu entscheiden.

Die Bilanz der ersten zweieinhalb Regierungsjahre der SPLA ist jedoch höchst bescheiden. Offensichtlich ist das Interesse Khartums, die Unfähigkeit der Regionalregierung zu demonstrieren. Tatsächlich gibt es in den Krankenhäusern von Juba keine Medikamente und in den Ministerien verwandelt sich der Haushalt in dünne Luft. In einem internen Bericht, der im Juni bei einem Seminar im Erziehungsministerium vorgestellt wurde, heißt es, dass die Mehrzahl der Lehrer auf der Gehaltsliste des Ministeriums eigentlich Armeeangehörige seien. Und die Wochenzeitung »Juba Post« berichtete, in der Region Warrap gebe es eine Reihe unberechtigter Gehaltsempfänger, die auf der Regierungsliste mit den Namen von Tieren geführt werden.

Celia Malibor vom Erziehungsministerium will gar nicht bestreiten, dass ihre Abteilung für Frauenförderung in diesem Finanzjahr keinerlei Projekte angeregt oder gefördert hat. Frau Malibor holt den Haushaltsplan des Ministeriums aus der Schublade ihres Schreibtisches und zeigt auf einen Posten in der Tabelle: »Sehen Sie, hier wurden 2,5 Millionen US-Dollar für uns eingestellt.« Das Geld sei jedoch nie in der Abteilung angekommen. Wo ist es? Sie lacht vielsagend. »Ich weiß nur, dass es nicht angekommen ist«, sagt sie dann entschlossen.

Im Krankenhaus der Stadt ist es dasselbe. »Was die Versorgung mit Medikamenten, Instrumenten, Betten betrifft, eigentlich alles außer unseren Gehältern, sind wir auf humanitäre Organisationen angewiesen«, bekennt der Kinderarzt Martin Aboka. Vor vier Monaten hat er eine Arbeit in den USA aufgegeben, um in seinem Heimatland zu helfen. Darauf, was ihn hier erwartete, war er jedoch nicht vorbereitet. Es gibt kein Röntgengerät, keine Klimaanlage, oft keinen Strom, und weil es zu wenig Betten in der Kinderabteilung gibt, liegen viele Patientinnen mit ihren Kindern auf Tüchern im Gang.

Der anderthalbjährige Sohn Zacharia Bolis ist eindeutig unterernährt. Zu essen gebe es zwar in ihrem Dorf, 80 Kilometer östlich von Juba, genug, sagt die Mutter, die 25 Jahre alt ist. Weil ihr Sohn Durchfall bekam, habe er jedoch immer mehr abgenommen, und ihr habe lange das Geld gefehlt, um ins Krankenhaus zu fahren.

Hohe Zeit für Goldgräber

Die Märkte sind voll in Juba. Alle Waren, selbst Tomaten und Zwiebeln, werden jedoch aus Uganda importiert. Die vielen humanitären Organisationen und der Umfang des Staatshaushaltes sorgen dafür, dass in der Stadt eine Menge frisch gedruckter sudanesischer Pfunde und US-amerikanischer Dollar-Scheine im Umlauf sind. Eine einzige Übernachtung in einem Einzelzelt oder in einem Schlafcontainer kostet vielerorts 200 Dollar. »In Juba herrscht eine richtige Goldgräberstimmung«, sagt der Ugander Tony Ayena, der Gebrauchtwagen aus seinem Heimatland importiert. Zwar sei Juba bestimmt »der teuerste Slum der Welt. Ab wer hier kein Geld verdienen kann, ist auf jeden Fall selbst schuld.«

* Aus: Neues Deutschland, 7. August 2007


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