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Friedenssignale aus Khartum

Erstes Treffen zwischen den Präsidenten von Sudan und Südsudan seit der Sezession

Martin Lejeune, Khartum *

Erstmals seit der Abspaltung des Südsudans von Sudan besuchte am Samstag Südsudans Präsident Salva Kiir den sudanesischen Präsidenten Omar al-Baschir in Khartum. Dabei versicherten beide angesichts zahlreicher ungelöster Konflikte ihren Friedenswillen.

Die Abspaltung Südsudans von Sudan ist seit dem 9. Juli Fakt. Es gibt aber noch eine Reihe von Streitpunkten zwischen beiden Staaten. Besonders erbittert ist der Streit um die ölreiche Grenzregion Abyei, die seit Mai von der sudanesischen Armee besetzt wird. Es gilt zudem weitere Grenzfragen und wirtschaftliche Angelegenheiten zu klären. Beide Staaten müssen unter anderem einen Kompromiss in der Frage der Verteilung der Öleinnahmen aus der Region finden: Während die meisten Ölfelder im Südsudan liegen, verlaufen die Pipelines durch den Norden, wo mit dem Hafen von Port Sudan auch der einzige Meerzugang der Region liegt.

Gesprächsbereitschaft zur Konfliktlösung ist offenbar auf beiden Seiten vorhanden, wie das Präsidententreffen im prachtvollen »Haus der Freundschaft« an der Nilpromenade in Khartum am Wochenende illustrierte. »Wir respektieren die Entscheidung unserer Brüder im Süden«, sagte Sudans Präsident Omar al-Baschir zu seinem südsudanesischen Amtskollegen Salva Kiir zum Auftakt der Verhandlungen. »Wir haben starke gemeinsame bilaterale Interessen, die niemals durch Grenzen gestört werden können.« Kiir antwortete: »Es ist schön, wieder zu Hause in Khartum zu sein. Unser Besuch ist ein Symbol dafür, dass wir uns in Zukunft gute Beziehungen zwischen unseren beiden Staaten erhoffen. Jede Münze hat zwei Seiten. Sudan ist ein Land mit zwei Seiten. Wir haben die Verantwortung, für die Völker beider Seiten zu sorgen.«

In der Tat reiste Kiir mit einer hochkarätig besetzten Delegation an, die sämtliche Minister und Staatssekretäre seines Kabinetts umfasste. Das Kolloquium der beiden Kabinette hatte mehrere brisante Themen zu diskutieren, allen voran die noch ausstehende endgültige Markierung der gemeinsamen Grenze sowie die prekäre Sicherheitslage im Grenzgebiet. »Wir müssen flexible Grenzen haben, wir dürfen die Bewegungsfreiheit der Bürger Familien und Stämme, deren Heimat durch die Grenzen durchschnitten wird, nicht einschränken«, mahnte al-Baschir seinen Kollegen aus dem abtrünnigen Süden.

Derzeit gibt es eine Reihe schwelender Konflikte in Sudan. Immer wieder flackern Kämpfe in den Gebieten Abyei, Südkordofan und Blauer Nil auf. Auch in den Nubabergen und in Darfur hat sich die Lage noch nicht beruhigt. Beide Staaten bezichtigen sich gegenseitig, jeweils die eine oder andere gegeneinander kämpfende Rebellengruppe zu unterstützen.

Offiziell jedoch versicherten sich beide Präsidenten bei dem Treffen im »Haus der Freundschaft« ihres Willens zum Frieden. »Wir werden niemals wieder zurück in die Zeiten des Krieges und der Bitterkeit gehen, die so viele Opfer auf beiden Seiten forderte. Frieden und Stabilität werden davon abhängen, dass wir aufhören, uns in die Angelegenheit des Anderen einzumischen«, sagte al-Baschir zu diesem heiklen Punkt bei den Gesprächen. Und Kiir erwiderte: »Wir dürfen nie wieder gegeneinander Krieg führen. Ich hoffe, dass wir beide uns dessen bewusst sind, wie dringend wir Lösungen für unsere gemeinsamen Probleme benötigen. Krieg ist keine Lösung für welches Problem auch immer. Unsere Probleme können wir nur lösen, indem wir miteinander reden. Wir sollten öfters telefonieren.«

Zu dem Streit zwischen den beiden Ländern über die Aufteilung der Erdöleinnahmen hatten beide Seiten bei dem Treffen nichts verlauten lassen. Es sei aber hinter den Kulissen über Prozentzahlen verhandelt worden, hieß es aus regierungsnahen Kreisen. Kiir sagte bei dem Treffen nur: »Wir bitten die Experten unserer beiden Länder, eine gemeinsame Strategie für die Erdölverarbeitung und den -export zu entwickeln.« Kiirs Problem ist, dass er nach der von ihm forcierten Abspaltung von Sudan über das Gros der Erdölfelder verfügt, jedoch nicht über Raffinerien, die in Sudan stehen.

Zudem braucht Kiir den Sudan für den Export über das Rote Meer, zu dem nur der Sudan Zugang hat. Al-Baschir möchte nach der Schmach der bitteren Niederlage bei dem Referendum all dies für die »Brüder im Süden« nicht kostenfrei machen.

Allerdings drängt eine Lösung auf diesem Gebiet. Durch die Uneinigkeit über die prozentuale Aufteilung stockt die Förderung des Öls, fehlen die Devisen aus dem Export. um die soziale Entwicklung voranzutreiben. Die Leidtragenden sind die Bevölkerungen beider Staaten, die über hohe Preise klagen. Am vergangenen Dienstag schoss die Armee in Wau auf Teilnehmer einer Demonstration gegen die hohen Lebenserhaltungskosten, an der Studenten, Arbeiter und Gewerkschafter teilnahmen. Unterschiedlichen Quellen nach gab es einen und sechs Tote. Zwar datiert der letzte Angriff auf die Hauptstadt Khartum auf den Monat Mai 2008, doch die »Bewegung 30. Januar« sowie die Girfna-Jugend haben seit dem Ausbruch des Arabischen Frühlings mehrmals zu Protesten in Khartum mobilisiert. Die Sicherheitskräfte sind daher wachsam und überall präsent. Es gibt viele Straßenkontrollen in Khartum.

* Aus: neues deutschland, 10. Oktober 2011


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