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Krisenprovinz Jonglei

Südsudan: Hunderte Tote bei bewaffneten Kämpfen am Weißen Nil. SPLA-Abtrünnige kontra SPLA-Regierungstruppen. Elende Lage der zurückkehrenden Flüchtlinge

Von Raoul Wilsterer *

Die Jubelfeier nach dem Unabhängigkeitsreferendum im Südsudan ist Geschichte, auch wenn sie erst fünf Wochen zurückliegt. Was die Zukunft dem neuen Staat, der sich am 9. Juli offiziell gründen und damit endgültig von der Republik Sudan abspalten will, bringen wird, steht in den Sternen. Zwar gab es in der Vergangenheit auch optimistische Stimmen, nach denen der Ölreichtum den achteinhalb Millionen Einwohnern sozialen Fortschritt – vor allem: Bildung, saubere Nahrung und ein Gesundheitswesen – bringen könnte. Doch derzeit scheinen eher die Skeptiker recht zu bekommen, die Nordostafrika – nach Somalia – einen zweiten »Failed State« namens »Südsudan« voraussagten: Allein in den vergangenen drei Wochen starben bei Massakern und Kämpfen mindestens 400 Menschen, darunter nach übereinstimmenden Agenturberichten etwa 150 am Sonntag (6. März).

Jonglei heißt die erste, an Äthiopien grenzende Krisenprovinz innerhalb des Krisenstaats in spe. Hier stehen sich die aus der ehemaligen »Sudanesischen Volksbefreiungsarmee« (SPLA) gebildeten Truppen der regierenden »Befreiungsbewegung« (SPLM) und »bewaffnete Elemente«, wie sie die Tageszeitung Sudan Tribune am Mittwoch nannte, gegenüber. Die Gefechte ereigneten sich in einem Gebiet, das weitgehend unter Kontrolle von General George Athor steht, einem ehemaligen SPLA-Offizier, dem enge Beziehungen zu Lam Akol nachgesagt werden. Dieser wiederum gehörte lange Zeit der SPLM-Führung an, war als erster Südsudanese nach dem Umfassenden Friedensabkommen (CPA) vom Januar 2005 Sudans Außenminister, wurde im Oktober nach Flügelkämpfen abgesetzt und gründete im Juni 2009 die SPLM-DC (Sudanesische Befreiungsbewegung-Demokratischer Wandel), der er bis heute vorsteht.

Der militärisch ausgetragene Kampf um die Macht im zukünftigen Südsudan hat gerade erst begonnen. Darin nehmen die SPLA-Streitkräfte die Hauptrolle ein. Ihre Aufgabe sei es, so deren Sprecher Colonel Philip Aguer, gegen »Rebellen« vorzugehen. Am vergangenen Sonntag sei ein Trupp seiner Soldaten auf deren Weg zu einem Markt in einem Ort der Provinz Jonglei angegriffen worden. Über 60 Tote habe es gegeben, darunter acht Regierungssoldaten. Die bewaffneten »Renegaten« (Sudan Tribune) von General Athor widersprachen. 169 SPLA-Mitglieder seien gestorben, während sie selbst 34 Männer verloren hätten. »Es war eine der härtesten Konfrontationen, und ich glaube, sie werden eine lange Zeit benötigen, um sich für einen weiteren Angriff neu zu formieren«, wertete Athors Sprecher James Puok, der die SPLA beschuldigte, sechs Dörfer niedergebrannt zu haben, weil diese mit den Rebellen »kollaboriert« hätten.

Wie viele potentielle Aufständische unter Waffen stehen, ist derzeit unübersichtlich. Verschiedene ethnische Gruppierungen verfügen über eigene Einheiten. Ein Großteil der ehemaligen SPLA-Mitglieder wird zudem nicht in die zukünftige Armee integriert werden – die Rede ist von 34000 Exkämpfern, die mit Ende des CPA-Prozesses nicht mehr bezahlt werden. Es könnten sich folglich weitere Rebellengruppen ebenso formieren wie kriminelle Zusammenschlüsse.

Zu den vielfältigen Ursachen für diese absehbare Entwicklung gehört zuvorderst der Kampf um Macht, Einfluß, Posten und zu verteilende Gelder in der Hauptstadt Dschuba, aber auch in den insgesamt zehn Provinzen. Das alles geschieht unter den Augen der westlichen Mächte, an der Spitze die USA, die den Unabhängigkeitsprozeß von Beginn an moderierten und förderten, aber auch die UN-Truppen. Sie erleben derzeit nicht nur die militärischen Scharmützel, sondern auch die massenhafte Rückkehr von Kriegsflüchtlingen aus Khartum in den Süden. Dort, so Hilfsorganisationen, erwartet sie das Elend: Es fehle an Nahrung, Unterkunft, Medikamenten, Zugang zu sauberem Trinkwasser.

Die Regierung in Dschuba hatte die Exilanten mit Versprechungen gelockt, doch hat die zugesagte Landverteilung noch nicht einmal ansatzweise begonnen. Nun drohen angesichts der militärischen Gewalt neue Massenfluchten – diesmal innersüdsudanesisch.

* Aus: junge Welt, 10. März 2011


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