Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Spalte und herrsche

Washington und Brüssel kündigen Anerkennung des Südsudan an

Von Gerd Schumann *

Jetzt geht alles sehr schnell. Mit Bekanntgabe des offiziellen Wahlergebnisses am Montag – 98,8 Prozent der abstimmenden Südsudanesen entschieden sich demnach für eine Abspaltung von der Republik Sudan – meldeten sich umgehend Washington und Brüssel zu Wort. Es sei ein »erfolgreiches und inspirierendes Referendum« gewesen, gab US-Präsident Barack Obama zum besten, und gab damit Einblick in strategische Planspiele für die Zukunft.

Wieso »erfolgreich«? Laut des umfassenden Friedensvertrags zwischen Khartum und Dschuba aus dem Januar 2005 sollten alle Beteiligten, darunter auch die im Süden tätigen UN-Truppen und Nichtregierungsorganisationen, ihre Arbeit an der Wahrung der Einheit des Landes ausrichten. Wieso »inspirierend«? Im Zuge der Entkolonisierung des Kontinents seit Mitte des vergangenen Jahrhunderts galt die Unveränderbarkeit der existenten Grenzen als ungeschriebenes Gesetz. Dieses sollte – vor allem ethnischen oder (macht)politisch begründeten – Abspaltungen vorbeugen.

Auch die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton sprach umgehend von einem »neuen Staat« und sagte diesem »Hilfe aus Europa« zu. Die Erhebung der serbischen Provinz Kosovo zum eigenen Staat läßt grüßen. Und deren Vorgeschichte: Die Zerschlagung des Vielvölkerstaats Jugoslawien nach 1990 wäre ohne die Orientierung des Westens unter Führung der BRD und des Vatikans, später auch unter Beteiligung der USA und der NATO, nicht machbar gewesen. Ausgefochten wurde sie auf den kroatischen und bosnischen Schlachtfeldern unter Einsatz vieler vom Westen gelieferter Waffen. Die Bombardierung Belgrads und Rest-Jugoslawiens erledigte dann der Nordatlantikpakt selbst und schuf auf den Trümmern die Republik Kosovo per Volksabstimmung.

Wie dort geht es im Südsudan nicht um eine »lange Reise zu Gerechtigkeit und Demokratie«, als die Obama nun das südsudanesische Referendum verklärte, sondern um geostrategische Überlegungen. Die Demütigung Serbiens als Bedingung für die westliche Vorherrschaft im Balkan einerseits; das Ringen mit den Staaten des Südens und mit Peking um Einfluß in Afrika andererseits. Dabei steht bei der Schaffung eines neuen nordostafrikanischen Staats zuvorderst der Zugriff auf Öl – in anderen Regionen des Kontinents auch auf andere Bodenschätze. In jedem Fall gilt es, Dominanz zu halten oder zurückzuerobern.

Jetzt also Afrika. Weit über ein Jahrzehnt nach dem Ende Jugoslawiens und dem Kosovo-Krieg werden weitere Grenzen zur Disposition gestellt. Die anhaltende soziale Verelendung ebenso wie die schleichende Abkehr Afrikas von neokolonialistischer Bevormundung – vorgetragen durch Internationalen Währungsfonds, USA oder EU in Gestalt von Privatisierungsauflagen und der Globalisierungsverlangen ohne Zollschranken – befördert das Spalte-und-herrsche.

Im Südsudan, das seine Unabhängigkeit nach jüngsten Angaben nun am 9. Juli erklären will, steht die Staatsbildung noch bevor. Die neue Armee wird derzeit aus der Rebellengruppe SPLA unter westlicher Anleitung ebenso geformt wie die zukünftige Polizei. Die Postenverteilung in der Verwaltung regelt die Einparteienregierung der SPLM. Ob in Sachen Ölexport eine alternative Infrastruktur zur vorhandenen Pipelineroute über Khartum und Port Sudan aufgebaut werden wird, steht noch nicht fest. Ebensowenig der Grenzverlauf zwischen Nord und Süd, die Frage des Umgangs mit der 30-Milliarden-Euro-Verschuldung der alten Republik Sudan.

Eines indes machte Außenministerin Hillary Clinton am Montag klar: Favorisierter Partner der USA wird der Südsudan sein. Sie räumte Khartum – warum nicht Dschuba? – eine Frist von sechs Monaten ein, um alle Auflagen des Friedensabkommens von 2005 zu erfüllen. Und das bedeutet: Das letzte Wort wird von der SPLM gesprochen – ob in Sachen Öl, Grenzfestlegung, Verteilung der Einnahmen. Wenn der Rest-Sudan die Auflagen nicht erfüllt, bleibt er »Schurkenstaat«, zu dem ihn Washington 1993 erklärt hatte.

Aus dem chinesischen Statement läßt sich folglich auch Besorgnis ablesen. Außenministeriumssprecher Long Lei erklärte, Peking werde den Willen und die Wahl der südsudanesischen Bevölkerung respektieren. Man hoffe, alle offengebliebenen Fragen zwischen beiden Seiten »durch Dialog und Konsultation zu lösen«.

* Aus: junge Welt, 9. Februar 2011


Zu weiteren Beiträgen über Sudan

Zurück zur Homepage