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Chaos vor Sezession

Ein Dreivierteljahr vor der möglichen Eigenstaatlichkeit steht der Südsudan am Abgrund

Von Gerd Schumann *

Im Sudan soll im April gewählt werden. Das Datum gilt als letzter Meilenstein für die Umsetzung des »Umfassenden Friedensabkommens« (CPA) zwischen der Regierung in Khartum und der südsudanesischen Befreiungsbewegung SPLM, der heutigen Staatspartei, aus dem Januar 2005. Die Übergangszeit vom Bürgerkrieg zur Stabilisierung würde dann Anfang 2011 durch ein Referendum über die Abspaltung der ölreichen »Autonomen Region Südsudan« von der »Republik Sudan« gesetzt werden. Falls dieses geschähe, wäre es eine Zäsur in der Geschichte des Kontinents. Erstmals im postkolonialen Afrika würden Grenzen verändert.

Ob es tatsächlich zur ersten Abstimmung seit fast einem Vierteljahrhundert kommt, ist derzeit völlig offen. Sowohl infrastrukturelle Probleme als auch innenpolitische Turbulenzen vor allem in den beiden Krisenprovinzen Darfur und Südsudan lassen eine erneute Verschiebung wahrscheinlich werden. Es wäre das dritte Mal. Zuletzt war die für Februar 2010 vorgesehene Abstimmung gecancelt worden. Als Begründung mußten die Regenzeit ebenso herhalten wie Verzögerungen bei der Auswertung der Volkszählung.

Streit um Sitzverteilung

Auch wenn das Wetter im April weniger regnerisch ausfallen wird, hat sich bis heute an den organisatorischen wie politischen Problemen kaum etwas geändert. Im Gegenteil hält der Streit um den Zensus und damit um die Sitzverteilung im Parlament zu Khartum an, weite Teile des größten Flächenstaats Afrikas bleiben unzugänglich, Hunderttausende Flüchtlinge vor allem in der Grenzregion zum Tschad, anhaltende bewaffnete Kämpfe um Darfur sowie auch immer wieder Auseinandersetzungen im Südsudan erschweren die Organisierung. Unabhängig von den praktischen Problemen ist das politische Interesse daran, das Votum überhaupt durchzuführen, unterschiedlich ausgeprägt.

Für das neue Establishment im Südsudan, das im Januar den fünften Jahrestag des Friedensvertrags von 2005 mit Khartum feierte, stellt sich die Abstimmung eher als lästige Pflicht dar. Absoluten Vorrang hat für sie, das Sezessionsreferendum vorzubereiten und für sich zu entscheiden. Ein Mehrheits-Ja zur Abspaltung würde der Führung der ehemaligen Rebellen einen eigenen Staat und die Kontrolle über etwa drei Viertel des sudanesischen Öls bescheren.

Dementsprechend stellte die Partei als Spitzenkandidaten für die Präsidentschaft den wenig bekannten Yassir Arman auf – und nicht ihren gewichtigen Führer Salva Kiir. Dieser bevorzugt, sich um den Posten des »Präsidenten« des teilautonomen Südsudans, über den – wie über regionale und kommunale Strukturen auch – ebenfalls abgestimmt wird, zu bewerben. Der zur Zeit einflußreichste, als korrupt geltende SPLM-Politiker, der den im Juli 2005 bei einem Hubschrauberabsturz unter immer noch nicht geklärten Umständen tödlich verunglückten John Garang beerbte, würde zum ersten Staatschefs nach der eventuellen Abspaltung des Südsudan werden – ein verlockendes Ziel. Dabei kann er sich, wie schon Garang, insbesondere auf die Gunst der USA stützen.

Das Interesse Washington und auch der EU an einer Anspaltung vom als »Schurkenstaat« geächteten Land liegt auf der Hand. Lieber den Einfluß über den halben Sudan erringen, als weiter mit den schroff antiwestlich agierenden Regierenden in Khartum mit Präsident Omar Al-Baschir an der Spitze zu tun zu haben, lautet die Rechnung. Auf dieser geht es vor allem um die riesigen Mengen von schwarzem Gold im Süden. Allerdings könnte der Streit über den Grenzverlauf zwischen Nord und Süd noch zu massiven Auseinandersetzungen führen, da sich die derzeit vorgesehene Linie quer durch für riesigen Ölfelder zieht.«Wenn es gut läuft, wird das friedlich geschehen, wenn es schlecht läuft, wird die Sezession begleitet von einem neuen Krieg«, spekulierte bereits der Spiegel (10/2010).

Spiel mit dem Feuer

In jedem Fall spielen diejenigen, die auf die Abspaltung setzen, mit dem Feuer. Damit sie den Zugriff auf das Öl erhalten, das bisher überwiegen über Khartum nach China exportiert wird, setzen sie auf ein Regime in der südsudanesischen Hauptstadt Dschuba, das bereits heute gescheitert ist. Eine Bilanzierung der im Friedensabkommen CPA vorgesehenen »demokratischen Transition« fällt ebenso wie die politischen, wirtschaftlichen und militärischen Neuorganisation des Landes desaströs aus, und das, obwohl (oder gar weil?) der Übergangsprozeß von bis zu 10000 UN-Soldaten der UNMIS, darunter auch 75 »Militärbeobachter« aus Berlin, begleitet wird.

Der Südsudan unter SPLM-Herrschaft weist eine Analphabetenrate von 85 Prozent aus, ein Gesundheitswesen existiert quasi nicht, die Müttersterblichkeit ist groß wie sonst nirgendwo, 2500 Menschen starben im vergangenen Jahr bei Überfällen und Kämpfen, 350000 flohen vor Elend und Gewalt. Derweil existiert kaum eine Kontrolle über die neue Elite. So sieht der CPA vor, daß Khartum 50 Prozent der Einnahmen aus dem Ölgeschäft nach Dschuba überweist. Milliardenbeträge flossen, »so gut wie nichts davon« kam an – zumindest »nicht bei denen, die es dringend brauchen«, so der Spiegel. Fünf Jahre nach Erklärung einer Teilselbständigkeit liegt der Südsudan abgewirtschaftet am Boden.

* Aus: junge Welt, 15. März 2010


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