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Schicksalsjahr für Sudans Süden

April-Wahlen in der teilautonomen Region werden zum Stabilitätsbarometer für das Land

Von Marc Engelhardt, Juba *

Fünf Jahre nach seinem Beginn am 9. Januar 2005 erreicht der Friedensprozess in Südsudan seine entscheidende Phase. Doch Gewalt, Korruption und Unterentwicklung gefährden die brüchige Stabilität. Allein in der abgelaufenen Woche sind mindestens 140 Menschen ums Leben gekommen.

Von der frisch asphaltierten Hauptstraße, die den Flughafen von Juba mit dem Stadtzentrum verbindet, kann man sie sehen: die neuen, klimatisierten Gebäude, in denen die Regierung des teilautonomen Südsudans eingezogen ist. In den fünf Jahren seit Unterzeichnung des Friedensvertrags, der einen der längsten Bürgerkriege Afrikas offiziell beendet hat, ist aus den Kriegsruinen der Stadt am Weißen Nil eine vorzeigbare Hauptstadt gewachsen. Am Fluss drängen sich Bars und Restaurants, selbst einen Supermarkt mit importierten Köstlichkeiten gibt es. Immer mehr Länder eröffnen diplomatische Vertretungen in der Kapitale des noch halbautonomen Südens, auch die Bundesrepublik Deutschland. Denn wenn Juba eines Tages tatsächlich Hauptstadt eines unabhängigen Südsudans wird, will niemand fehlen.

2010 ist das entscheidende Jahr für die Zukunft Südsudans, unter dessen Boden fast der gesamte Ölreichtum der Region liegt. Kein Gebiet in Afrika ist so unterentwickelt wie dieses. Schuld sind 20 Jahre Kämpfe zwischen dem islamisch-arabisch geprägten Nordsudan und der Rebellenbewegung im schwarzafrikanischen Süden. Der ehemalige Rebellenführer Salva Kiir, inzwischen Präsident Südsudans, glaubt fest, dass alles besser wird, wenn die Region erst unabhängig ist. Dafür gibt es eine Voraussetzung: Nur wenn die für April angesetzten Wahlen reibungslos über die Bühne gehen, wie es der Friedensvertrag vorsieht, wird im kommenden Jahr in einer Volksabstimmung über die Autonomie des Südens entschieden. Wenn die Wahl scheitert, hätte Kiirs Intimfeind Omar al Baschir – der mit internationalem Haftbefehl gesuchte Präsident Sudans – eine Ausrede, den Friedenszug entgleisen zu lassen.

David Gressly, Regionalkoordinator der UN-Mission in Südsudan (UNMIS), ist von Berufs wegen optimistisch: »Niemand will wirklich einen Konflikt, weder der Norden noch der Süden«, glaubt der US-Amerikaner. »Natürlich gibt es Sicherheitsprobleme, aber im Vergleich zu Afghanistan oder Somalia ist die Lage hier beherrschbar.« Der Vergleichsmaßstab zeigt, wie explosiv die Lage wirklich ist. »Manche Massaker beginnen aufgrund von Gerüchten, dann jagt ein Vergeltungsangriff den anderen – und auf einmal haben wir Dutzende Tote«, erklärt Gressly.

Giovanni Bosco, Chef der UN-Koordination für humanitäre Hilfe, hat wegen der Gewalt schon mehrere Mitarbeiter verloren. Die ständig wachsende Unsicherheit, sagt er, gefährde den Frieden. »Bei einem einzigen Angriff auf einen Konvoi des Welternährungsprogramms wurden mehr als 100 südsudanesische Soldaten erschossen.« Zwar habe es in entlegenen Regionen schon immer ethnische Konflikte gegeben. »Aber jetzt gibt es keine Gefechte mehr, sondern regelrechte Massaker, und viele Opfer sind Frauen und Kinder.«

300 000 Südsudanesen sind Bosco zufolge im vergangenen Jahr geflohen, mehr als 2500 bei Kämpfen ums Leben gekommen. Dazu kommt Nahrungsmittelmangel nach einer Missernte. »Und die südsudanesische Regierung kann nichts tun, weil sie in der schlimmsten Haushaltskrise ihrer Geschichte steckt.« 95 Prozent des Haushalts bestreitet sie aus Ölerlösen, die jedoch im Vergleich zum Boomjahr 2008 auf weniger als die Hälfte gesunken sind. Wegen der Wirtschaftskrise fließen zudem weniger Hilfsgelder.

»Selbst Südsudans Regierung gibt zu, dass die Lage auf dem Land heute schlimmer ist als im Bürgerkrieg«, warnt Maya Mailer, die für die britische Hilfsorganisation Oxfam arbeitet. »Viele Nothelfer sind abgezogen, und die Entwicklungshilfe hat sich zu lange auf die Städte konzentriert.« Weil die erwartete Friedensdividende ausgeblieben ist, glaubt Mailer, ist das Interesse an der April-Wahl in der Region gering.

»Fast alle Südsudanesen, mit denen ich spreche, sind unzufrieden mit der Regierung, weil sie korrupt ist oder weil die derzeitigen Abgeordneten ihren Wahlkreis noch nie besucht haben«, weiß die Mitarbeiterin einer anderen Hilfsorganisation. »Vor der Unabhängigkeit des Südens wollen sie sich noch nicht mit der Regierung anlegen, aber der Unmut ist riesig.« In einem Bürgerkriegsland, wo in fast jeder Hütte noch eine Kalaschnikow gelagert wird, könnte aus dem Unmut schnell mehr als eine Krise werden.

Zahlen und Fakten

  • Am 9. Januar 2005 unterzeichneten Sudans Präsident Omar Hassan al Baschir und der damalige Führer der südsudanesischen Rebellenbewegung SPLA, John Garang, in Kenia einen Friedensvertrag. Damit endeten 20 Jahre Bürgerkrieg mit mehr als zwei Millionen Toten.
  • Der Vertrag sieht eine Übergangsphase bis 2011 vor. Bis dahin regieren beide Parteien landesweit gemeinsam. Der Präsident des teilautonomen Südsudan, Salva Kiir, ist zugleich Vizepräsident Sudans.
  • Für 2010 sieht der Vertrag die ersten freien Wahlen in Sudan seit 24 Jahren vor. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung gibt zum ersten Mal ihre Stimme ab. 2011 soll eine Volksabstimmung über die Autonomie Südsudans stattfinden.
  • Umstritten ist der Verbleib der Ölquellen, die entlang der Grenze beider Landesteile liegen. Eine friedliche Loslösung des Südens dürfte nur möglich sein, wenn auch der Norden von den Ölgewinnen profitiert.


* Aus: Neues Deutschland, 9. Januar 2010


Krisenregion Südsudan vor neuer Katastrophe

Verheerende Bilanz der Regionalregierung fünf Jahre nach Abschluß des Friedensvertrags

Von Raoul Wilsterer *


Vor fünf Jahren, am 9.Januar 2005, endeten die Kämpfe zwischen Truppen der sudanesischen Zentralregierung und der südsudanesischen Befreiungsarmee (SPLA). Nach zwei Jahrzehnten Krieg schlossen die Kontrahenten einen Friedensvertrag. Seitdem stellen die Rebellen aus dem Süden den Vizepräsidenten in Khartum und verfügen über eine eigene Regierung in dem von ihnen beherrschten Gebiet mit weitgehenden Autonomierechten.

Die Bilanz ihrer Tätigkeit indes ist katastrophal – und ob es überhaupt möglich sein wird, im Südsudan die im Zeitraum vom 11. bis 18. April vorgesehenen landesweiten Wahlen, die der Friedensvertrag vorsieht, durchzuführen, wird immer stärker bezweifelt. Am Donnerstag warnten internationale Hilfsorganisationen gar vor einem neuen Krieg im Südsudan. Die Region drohe, in »Gewalt, Armut und politischen Spannungen zu versinken«, erklärten zehn Nichtregierungsorganisationen gemeinsam.

Im zurückliegenden Jahr seien im Südsudan rund 2500 Menschen getötet und 350000 vertrieben worden. Weniger als die Hälfte der Menschen hatte demnach Zugang zu sauberem Wasser, und die Müttersterblichkeitsrate gehörte zu den höchsten weltweit. Hilfsgüter kämen wegen fehlender Straßen nicht bei den Empfängern an. Eines von sieben Kindern starb vor seinem fünften Lebensjahr, vier Fünftel der Erwachsenen waren Analphabeten. Die Mitverfasserin des Berichts, Maya Mailer von Oxfam, erklärte, wenn die Gewalt weiter eskaliere, drohe 2010 im Südsudan »einer der größten Katastrophenfälle in Afrika«. Auch die katholische Kirche warnt vor einem neuen Krieg: Besonders betroffen sei der Südsudan, »in dem viele Christen leben« (Radio Vatikan, 7.1.).

Salva Kiir, als südsudanesischer Regionspräsident Nachfolger des bei einem mysteriösen Hubschrauberabsturz 2005 tödlich verunglückten John Garang, macht – neben Khartum – äußere Umstände für das Desaster in seinem Herrschaftsgebiet verantwortlich. Wegen des sinkenden Ölpreises hätten sich die Einnahmen 2009 im Vergleich zum Vorjahr halbiert. Jetzt gelte es, »die Wahlen zu überstehen«. Hauptaufgabe des vom Westen, insbesondere den USA, unterstützten 58jährigen Gegenspielers von Sudans Präsidenten Omar Hassan Al-Baschir ist es, günstige Bedingungen für das 2011 vorgesehene Referendum über die Unabhängigkeit des Südens zu schaffen. Insofern sei die Abstimmung im April eine »Schicksalswahl«.

Wichtigstes Objekt der Begierde aller Beteiligten: das Öl des Südsudan, das derzeit vertraglich China zugesichert ist.

** Aus: junge Welt, 9. Januar 2010


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