"In Sudan ticken zwei Zeitbomben"
Al-Shafie Khodr Saeed von der SCP über neue und alte Konflikte im seit Juli zweigeteilten Land
Al-Shafie Khodr Saeed ist studierter
Mediziner und saß die letzten fünf Jahre der Diktatur von Dschafar al-
Numeiri (1969-1985) im Gefängnis. Er ist Politbüro-Mitglied der Sudanesischen KP (SCP) und war im Führungskreis
des Oppositionsbündnisses Nationale Demokratische Allianz
tätig. Bei seinem Aufenthalt in Deutschland sprach mit ihm für das "neue deutschland" (ND) Martin Ling.
Die UN-Mission im Südsudan
(UNMISS) warnte jüngst wieder
vor einer umfassenden Konfrontation
zwischen Sudan und dem
seit Juni selbstständigen Südsudan.
Wie schätzen Sie das Risiko
ein?
Wir haben bereits Krieg, wenn
auch nicht direkt zwischen Sudan
und Südsudan. Dennoch ist Sudan
von der westlichen Grenze zu
Tschad bis hin zur östlichen Grenze
nach Äthiopien eine Kriegszone.
In Darfur wird immer noch gekämpft.
Hinzu wird in den Nuba-
Bergen, in Süd-Kordofan, und dem
Gebiet des Blauen Nils seit der Sezession
Südsudans heftig gekämpft.
Dort – in Gebieten des
Nordens – kämpft die Zentralregierung
gegen Einheiten, die einst
zur südsudanesischen Befreiungsbewegung
gehört haben. Es
gibt dort viele 100 000 Vertriebene,
es gibt Flächenbombardements,
es werden Panzer eingesetzt,
Städte besetzt. Das ist nichts
anderes als Krieg. Die Regierung
in Khartum bezeichnet das als regulären
Krieg, die andere Seite als
barbarischen. Die Situation ist
extrem schlecht. Es gibt zwei Zeitbomben,
die einen Krieg zwischen
Sudan und Südsudan auslösen
könnten: Die beiden Grenzregionen
Süd-Kordofan und Blauer Nil
und der vollkommen ungeklärte
Status der Provinz Abyei, wo ein
Referendum über die Zukunft aussteht.
Hatte Baschir kein Interesse an
einem gemeinsamen Staat mit dem
ölreichen Süden?
Unglücklicherweise wurde in der
Übergangsperiode von 2006 bis
2011 nicht das Fundament für ein
geeintes Sudan gelegt. Baschir und
seine Leute waren nur an ihrem
Machterhalt interessiert. Sie orientieren
auf einen arabisch-islamischen
Staat und waren froh, den
Süden loszuwerden.
Zwischen Sudan und Südsudan
sind manche Streitfragen beigelegt
worden, andere wie die endgültige
Grenzziehung oder die
Verteilung der Öleinnahmen nicht.
Wie wirkt sich das auf die wirtschaftliche
Lage aus?
Die Lage ist sehr schlecht. Zum einen
stockt der Ölexport wegen der
ausstehenden Einigung und am Öl
hängen mehr als 60 Prozent der
Staatseinnahmen. Zudem kommt
das Missmanagement der Regierung
in Khartum, deren wirtschaftspolitische
Maßnahmen
nicht der Bevölkerung, sondern
nur den herrschenden Eliten zugutekommen.
Unter Omar al-Baschir
herrscht seit 1989 das, was
wir als parasitären Kapitalismus
bezeichnen. Die Eliten haben in
Sudan traditionell kein Interesse
an einer Entwicklung der Produktivkräfte
des Landes, an einer Akkumulation
von Kapital. Sie haben
nur Interesse als Angestellte des
Staates ihr Einkommen zu sichern.
Und plötzlich wurden Teile
von ihnen große Geschäftsleute
unter Baschir, sofern sie loyal zur
arabisch-islamischen Führungsgruppe
waren. Inzwischen liegt die
Wirtschaft danieder.
Wie reagieren Sie darauf?
In dieser Situation müssen wir politisch
agieren: Unsere Forderungen
sind: Den Krieg sofort zu stoppen,
Verhandlungen zu beginnen,
eine Verfassunggebende Versammlung
einzuberufen, um den
Sudan neu zu strukturieren. Unser
Fernziel ist, den Sudan wieder zu
vereinigen. Wir von der Sudanesischen
Kommunistischen Partei
(SCP) sind immer für die Einheit
des Landes eingetreten. Wir stehen
für ein stabiles, unabhängiges,
multikulturelles, multiethnisches
und multireligiöses Gesellschaftsmodell.
Wir wollen den
Reichtum der Vielfalt nutzen. Unglücklicherweise
kann die Regierung
in Khartum mit solchen Vorstellungen
nichts anfangen. Und
das ist gefährlich: Wenn der Krieg
weitergeht, ist es nur eine Frage
der Zeit, bevor nach dem Südsudan
andere Regionen wie die Nuba-
Berge oder Darfur für eine Sezession
eintreten.
Wie fest im Sattel sitzt Baschir
überhaupt noch?
Wir glauben, dass sich mit dem
Baschir-Regime kein Staat mehr
machen lässt, Reformen mit Baschir
sind aussichtslos. Deshalb
arbeiten wir mit anderen Oppositionsgruppen
zusammen an einem
Wechsel. Es gibt im ganzen Land
Forderungen nach Veränderungen,
von den Gewerkschaften, von
den Studenten. Es gibt überall Unruhe
und Demonstrationen.
Welchen politischen Spielraum
hat die Sudanesische KP?
Die SCP ist seit 2005 wieder legalisiert.
Wir haben eine eigene Zeitung
und ein Hauptquartier. Allerdings
gibt es keine eindeutige
demokratische Atmosphäre im
Moment. Deswegen hatten wir bereits
die Parlamentswahlen im
April 2010 wie viele andere Oppositionsparteien
boykottiert, weil
ein freier Wahlkampf nicht möglich
war. Wir werden durch Sicherheitsorgane
überwacht. Allerdings
gibt es eine Art Gleichgewicht:
Das Regime kann nicht offensiv
gegen die Partei vorgehen
und sie direkt attackieren, die SCP
wiederum kann nicht im großen
Stil politisch arbeiten. Deshalb
versuchen wir, ein niedriges Profil
zu haben und mit anderen Gruppen
zu kooperieren.
Wie wirkt sich die sogenannte
Arabellion auf Sudan aus?
Die Arabellion ist sehr wichtig. Das
zeigt sich bei einem Blick auf die
Geschichte der Aufstände in Sudan,
wie sie 1964 und 1985 zum
Sturz der jeweiligen Diktatur geführt
haben und bei denen Ägypten
Einfluss nahm. Wir sind sehr
eng mit Ägypten verbunden, haben
ähnliche soziale und kulturelle
Wurzeln. Deswegen ist besonders
die Entwicklung in Ägypten von
Bedeutung. Inzwischen gibt es
mehr als 25 Jugendorganisationen
in Sudan. Manche von ihnen sind
mit Parteien verbunden speziell
mit der SCP, andere sind unabhängig.
Die Bewegungen fordern
Freiheit, Wohlstand, Demokratie
und sind offensichtlich von der
Demokratiebewegung in Ägypten
inspiriert. Das Baschir-Regime
weiß das ganz genau und hat deswegen
Jubelfeiern nach dem Sturz
Mubaraks in Sudan untersagt. Sie
fürchten, dass das Beispiel in Sudan
Schule machen könnte.
* Aus: neues deutschland, 1. Dezember 2011
Zurück zur Sudan-Seite
Zur Südsudan-Seite
Zurück zur Homepage