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Sudan: Die verbrannte Erde der Fur

Milizen und muslimische Soldaten des Regimes in Khartum vertreiben Hunderttausende

Von Dirk Schneider*

"Ich habe ihnen gerade die Köpfe weg geblasen", hört Mara Tepe am 29. Januar die Stimme des Piloten eines sudanesischen Antonow-Flugzeuges über einen Kurzwellensender. Seit dem frühen Morgen kreist seine Maschine im einlullenden Singsang über der sudanesisch-tschadischen Grenzstadt Tiné. Gerade hat er elf Bomben abgeworfen, von denen acht auf dem Gebiet des Tschad detoniert sind. "Allah ist mit den Gerechten! Wenn es sein Wille ist, töten wir sie alle", bellt der Pilot ins Mikrofon. Aber dann sieht er unter sich zwei Fahrzeuge der Vereinten Nationen und fragt die Kommandozentrale: "Was sind das für weiße Autos? Sollen wir die abschießen oder nicht?" Die UN-Helfer hören in ihren Jeeps ebenfalls mit und gehen in Deckung.

"Das ist nicht mehr mein Tiné, wie ich es kannte." Als die Ethnologin Mara Tepe erstmals seit Ausbruch der Kämpfe vor einem Jahr wieder durch die Stadt geht, sieht sie überall stinkende, aufgebrochene Kadaver von Ziegen, Eseln und Schafen. Daneben haben Flüchtlinge ihre Zelte aufgeschlagen; Konservenbüchsen und Plastiktüten säumen die ockerfarbenen Lehmstraßen und Bettler, die sie noch als Bauern kannte, suchen nach Essen, beim Gehen auf abgeschlagene Äste gestützt, die zumeist dicker sind als Arme und Beine.

Bei 50 Grad Mittagshitze stinkt Tiné-Tschad nach Tod, Kot und Müll, während gegenüber in Tiné-Sudan Milizionäre und Militärs apathisch im Schatten eines Panzerwracks vor sich hin dämmern und auf jedes Tier schießen, das sich in die Sandwanne zwischen den Stadtteilen Tinés - in den Todesstreifen zwischen Tschad und Sudan - verirrt hat.

Von einer Frau erfährt Mara, sudanesische Reitermilizen - Dschandschawid genannt - hätten ihr Dorf überfallen und geplündert. Danach sei sie nachts mit ihren sechs Kindern, einem Esel und etwas Wasser aufgebrochen, um den Sudan in Richtung Tschad zu verlassen. In der Dunkelheit hinter Sanddünen versteckt habe sie noch beobachten können, wie die Milizen einen Feuerwall um ihr Dorf legten, der sich den Stroh gedeckten Lehmhütten entgegen fraß. Sie wisse genau, darinnen hätten manchmal noch Leute gesessen. Danach habe sie erst recht versucht, sich mit ihren Kindern bis in die Grenzstadt Tiné durchzuschlagen.

Eine Geschichte, wie sie viele der 140.000 Flüchtlinge erzählen könnten, die nach Angaben von Human Rights Watch die Grenze zum Tschad bisher überschritten haben. Über eine Million Menschen sollen in den sudanesischen Grenzprovinzen Nord-Darfur und Süd-Darfur unterwegs sein - über 1.000 Dörfer sind zerstört, über 10.000 Sudanesen umgebracht, besonders Angehörige der Fur, Tama, Zaghawa und Masalit. Deren Völker sind wehrlos "ethnischen Säuberungen" ausgesetzt, wie sie der Sudan trotz eines Bürgerkrieges, der seit 50 Jahren für die Hölle auf Erden sorgt, kaum je erlebt hat.

In Tiné-Tschad sind viele der gestrandeten 12.000 Flüchtlinge von Schusswunden und Brandverletzungen gezeichnet, die im Nothospital der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen behandelt werden. Doch verfügt die Station über nicht mehr als 50 Betten und Pritschen, so dass täglich vor allem Kinder, denen nicht oder nicht mehr geholfen werden kann, in der Gluthitze der Sahara an Meningitis, Malaria und Unternährung sterben.

Die Wüste dringt weiter vor und mit ihr der Hass

Verkohlte Dörfer auf verbrannter Erde hinterlassen die Militäroperationen der sudanesischen Regierung in der Region Darfur, die nach dem Volk der Fur benannt ist. Auf einer Fläche fast so groß wie Deutschland leben in diesem Raum sechs Millionen Menschen aus 35 Völkern. Seit dem Militärputsch des Generals Ahmad Al-Bashir im Jahre 1989 regieren die arabisierten muslimischen Nordsudanesen in Darfur nach dem Prinzip des "Teile und Herrsche!", indem sie die muslimischen Nomadenstämme mit Geld und Waffen versorgen und die sesshaften muslimisch-afrikanischen Bauern der Fur, Masalit oder Zaghawa diskriminieren. Konflikte um Wasser, Wegerechte und Weidestellen können seither mit Massakern enden.

Die in Dorfgemeinschaften ansässigen Ethnien fühlen sich von den nomadisierenden Clans der Kababish und Hawawir verdrängt und ausgeplündert. Besonders während der Trockenzeit wird spürbar, wie in Ostafrika die Räume enger werden - die Nomaden weiden dann ihre Kamelherden auf den Feldern der Sesshaften, die sich mit Viehraub und dem Vergiften von Brunnen revanchieren. Für die Unerbittlichkeit, mit der dieser Streit ausgetragen wird, sorgt weniger ein religiös motivierter Kampf der Kulturen - vielmehr schürt der Konflikt um die Verteilung der versiegenden Ressourcen Hass und Gewalt. Es ist buchstäblich mit den Händen zu greifen, wie die Wüste Jahr um Jahr weiter vordringt und Wasser zur größten Kostbarkeit werden lässt.

Der Alptraum, die Reiter der Apokalypse kommen bis nach Tiné

Seit der Unabhängigkeit des Sudan im Jahre 1956 hat der Norden an seiner Macht nicht rütteln lassen und stellte bisher sämtliche Präsidenten und Premierminister. Durch den Verkauf von Rohöl nimmt die Regierung inzwischen pro Jahr zwei Milliarden Dollar ein. "Von diesem Geld sehen die Regionen absolut nichts. Alles fließt in die Villenviertel von Khartum", weiß Adam Ibrahim Eltom, der in Tiné aufgewachsen ist und in Deutschland Ökonomie studiert hat. Es gehe der Regierung von Ahmad al-Bashir auch nicht um Sozialismus, Kapitalismus oder Islamismus - das Gerede darüber sei nur Staffage, um die eigenen Taschen zu füllen. "Während sich in Khartum Autohäuser, Supermärkte und Computerläden um Kunden drängen, fehlt es im Süden und in der Region Darfur an Strom, Wasser, Schulen und Straßen." Seit Wochen hat Ibrahim Eltom nichts von seiner Familie gehört. Die Angst um ihr Schicksal verlasse ihn nie, er versuche daher, sich mit Vorträgen und Vereinsarbeit für die Darfur-Hilfe "unter Strom zu halten, um nicht im Schlaf von Tiné träumen zu müssen".

Um den Bürgerkrieg zwischen dem Norden und Süden eindämmen zu können, vereinbarten im vergangenen Jahr die Sudanese People´s Liberation Army (SPLA) unter John Garang und Präsident Ahmad al-Bashir Friedensgespräche, bei denen es um einen Waffenstillstand (der inzwischen ausgerufen wurde) sowie den Zugriff auf die Macht und natürlichen Reichtümer ging. Von diesen Verhandlungen blieben die anderen Völker und Provinzen ausgeschlossen, so dass Khartum frei von Verträgen und Skrupeln in Darfur mit aller Härte vorgehen kann. Dabei kennen die apokalyptischen Reiter der Stammesmilizen und die Verbände der regulären Armee kein Erbarmen - nicht nur, dass ganze Dorfgemeinden der Fur oder Masalit ausgelöscht werden, es häufen sich auch Übergriffe auf das Territorium des Tschad. "Aus Angst verstecken sich schon zehnjährige Hirtenkinder, denen ihre Eltern nicht mehr helfen können, mit ihrem Vieh in der Wüste", erzählt Mara Tepe. "Wenn sie Glück haben und nicht entdeckt werden, erreichen sie völlig erschöpft den Tschad."

Bis auf Holz gibt es auf dem Markt in Tiné-Tschad noch genug für alle, die bezahlen können. Zwar bringen die Händler aus dem Sudan kein Obst, Gemüse oder Benzin mehr über die Grenze, doch aus Libyen kommen noch Hirse, Zucker und Schlachtvieh. "Das Einzige, was aus dem Sudan hier eintrifft, sind schlechte Nachrichten", sagt Mara Tepe. "Gerade haben wir erfahren, dass die Dschandschawid, die ›Reiter mit den Gewehren‹, wie sie sich nennen, die Grenzstadt Kulbus, 80 Kilometer südlich von Tiné, geschleift haben. Wenn sie bis hierher vordringen, braucht die Sonne über der Stadt gar nicht mehr aufzugehen. Dann wird alles ganz schwarz sein."

Spendenkonto:
Darfur Hilfe. Sparkasse Münster Ost
Konto-Nr. 34 20 00 06 / BLZ 400 501 50

* Aus: Freitag 23, 28. Mai 2004


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