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Noch zu retten?

Wenn der Einmarsch des Westens einen "Völkermord" verhindern soll: Ein neues Buch über den Darfur-Konflikt

Von Gerd Bedszent *

Die Provinz Darfur ist klammheimlich wieder aus den Schlagzeilen verschwunden und mit ihr ein angeblicher Völkermord der sudanesischen Regierung. Ins trübe Licht der Weltöffentlichkeit war die Region durch eine mustergültige Kampagne für eine militärische Intervention des Westens geraten. Zu deren eingehender Bewertung hat Mahmood Mamdani jetzt eine umfangreiche Untersuchung vorgelegt. Der Anthropologe und Politikwissenschaftler aus den USA, aufgewachsen in Uganda, erklärt den Darfur-Konflikt sehr detailliert aus der Regionalgeschichte, und verbindet das mit einer erbitterten Polemik gegen die US-amerikanische Organisa­tion »Save Darfur«. Deren Verständnis des Konflikts als einer Vertreibung und Ausrottung der Einheimischen durch nachträglich in den Westen des Landes eingewanderte »Araber« ist bei genauerer Betrachtung nicht nachvollziehbar.

Die Region ist schon lange Durchzugsgebiet und Fluchtziel afrikanischer Wanderbewegungen. Auf Nomadenstämme aus dem Norden, die sich der türkischen Herrschaft entziehen wollten, folgten im 19. Jahrhundert Flüchtlinge aus belgischen und französischen Kolonien im Südwesten. Zum Teil übernahmen einheimische Stämme Sprache und Kultur der Einwanderer, zum Teil gaben diese ihre Traditionen auf und assimilierten sich. Das Ergebnis war ein buntes Völkergemisch. Die Unterteilung in »Araber« und »Afrikaner« erfolgte erst durch die britische Kolonialmacht, die nach der Niederschlagung des Mahdi-Aufstandes Ende des 19.Jahrhunderts bestrebt war, die einzelnen Stämme und Völker gegeneinander auszuspielen.

Der Bürgerkrieg in den Jahren 2003 und 2004 geht auf eine Reihe von Dürrekatastrophen zurück, die man dem Klimawandel zuschreiben kann. In der Wüste ansässige Nomadenstämme verloren in der Trockenheit ihre Existenzgrundlagen. Die ebenfalls unter der Dürre leidenden ackerbautreibenden Stämme bildeten Milizen und verwehrten den nach Süden drängenden Nomaden den Zugang zu Ländereien. Die Ackerbauern verwiesen auf überkommene Besitzrechte an Grund und Boden, die Nomaden auf ihre Rechte als Staatsbürger, die eine Teilhabe an den natürlichen Ressourcen des Landes garantierten. Die Unfähigkeit der instabilen sudanesischen Zentralregierung, mit diesem Konflikt umzugehen, führte zu seiner Verschärfung. Stammesmilizen erklärten sich zu Befreiungsbewegungen oder verbündeten sich mit den Truppen der Zentralregierung. Der Bürgerkrieg im Nachbarland Tschad sorgte für reichlich Nachschub an Waffen und Munition. Aus dem Niedergang des Nomadentums hervorgegangene Banditengruppen, sogenannte »Dschandschawid«, plünderten unterschiedslos regierungstreue und aufständische Stämme, ließen sich aber auch von der Regierung als Hilfstruppen in Sold nehmen.

Das blutige Chaos, in dem die Provinz zeitweilig versank, wurde von der Bewegung »Save Darfur« instrumentalisiert, schreibt Mamdani. Die zivilgesellschaftlichen Kriegsbefürworter setzten alles daran, die US-Regierung zum militärischen Einmarsch zu bewegen. Darfur ließ sich für sie nur durch den Sturz der Regierung retten. »Save Darfur« verfügte über sehr viel Geld. Nicht ein Cent davon kam bei den Betroffenen an. Finanziert wurden ausschließlich PR-Agenturen, die wiederholt mit völlig an den Haaren herbeigezogenen Opferzahlen operierten, um Betroffenheit zu erzeugen. Als der Bürgerkrieg dank des Eingreifens der Union Afrikanischer Staaten bereits im Abflauen war, forderte die Organisation ernsthaft die Einrichtung einer Flugverbotszone. Die Umsetzung hätte eine sofortige Beendigung der Lebensmittel-Hilfslieferungen bedeutet. Plünderungen und Morde wären vorprogrammiert gewesen.

Das Buch »Blinde Retter« ist ein Plädoyer für die Selbsthilfe der Völker Afrikas. Mamdani wendet sich gegen jede Art militärischer Einmischung der Industriestaaten in Konfliktregionen. Die Rekolonialisierung »gescheiterter Staaten« unter dem Deckmantel des Schutzes der Menschenrechte oder des Kriegs gegen den Terror garantiert ihm zufolge die Fortsetzung des Blutvergießens, indem sie jede Aussicht auf Versöhnung zunichte macht.

Mahmood Mamdani: Blinde Retter - Über Darfur, Geopolitik und den Krieg gegen den Terror. Aus dem Englischen übersetzt von Maren Hackmann. Edition Nautilus, Hamburg 2011, 384 Seiten, 29,90 Euro (D), 30,80 Euro (A), 47,90 sFr; ISBN 978-3-89401-736-1

* Aus: junge Welt, 2. April 2011

Lesen Sie auch:

Darfur (Sudan): Genozid: Ja oder Nein - Der Streit um die Toten
Auszüge aus Mahmoud Mamdani: Saviors and Survivors (deutsche Übersetzung; erstmals in der Zeitschrift "inamo" veröffentlicht) (3. August 2009)




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