Keine Hoffnung auf Frieden in Sudan
"Teufelskreis von Gewalt und Verfall" - Ein Beitrag zur Typologie eines Befreiungs- und Bürgerkriegs
Unter dem Titel "Zerstörerischer Befreiungskrieg" veröffentlichte die Frankfurter Rundschau am 6. Juni 2001 eine Analyse von Bernd Ludermann über den anhaltenden Bürgerkrieg im Sudan. Bernd Ludermann ist Redakteur der in Hamburg erscheinenden Zeitschrift "der überblick". Der Beitrag erschien auch in der Zeitschrift "illoyal. Journal für Antimilitarismus", Nr. 15, Frühjahr 2001.
Wir dokumentieren den Beitrag stark gekürzt und konzentrieren uns dabei auf die Teile, die erstens eine auch theoretische Charakterisierung des Krieges versuchen und zweitens nach Auswegen aus dem komplexen Konfliktgeschehen fragen.
Zerstörerischer Befreiungskrieg
Von Bernd Ludermann
...
Seit 1983 bekämpft in Südsudan die Sudanesische Volksbefreiungsarmee (Sudan People's Liberation Army, SPLA) die
Zentralregierung in Khartum. Sie fordert Selbstbestimmung für den Südteil des
Landes; ob das auf einen eigenen Staat hinausläuft oder auf eine Autonomie, ist
offen, zumal die SPLA unter dem Schlagwort "Neuer Sudan" offiziell die
Demokratisierung des ganzen Landes und die Trennung von Staat und Religion
verlangt. Die SPLA hatte Ende der 80er und hat erneut seit Mitte der 90er Jahre
große Teile Südsudans unter Kontrolle. Doch der Bevölkerung hat der Krieg
weniger Befreiung gebracht als unermessliches Leid. Nicht nur hat die Regierung in
Khartum immer wieder Zivilisten vertrieben, ausgehungert und bombardiert; auch
die SPLA hat schwere Übergriffe begangen und Hilfsgüter geraubt. Vor allem aber
kämpfen zahlreiche Fraktionen und Milizen in Südsudan gegeneinander - vielfach
mit Hilfe Khartums. Die SPLA und ihr politischer Arm, die Sudanesische Volksbefreiungsbewegung SPLM (Sudan
People's Liberation Movement), kann bisher die Bevölkerung der "befreiten"
Gebiete weder vor diesen Bruderkämpfen schützen noch vor den Hungersnöten, die
der Krieg immer wieder verursacht.
...
... die Umstände für den Aufbau einer geeinten politischen Bewegung und entsprechender Institutionen sind in
Südsudan besonders ungünstig. Dort herrschen beste Voraussetzungen dafür,
dass Plünderung zum Kriegsmittel wird und ein Teufelskreis von Gewalt und
wirtschaftlichem und politischem Verfall in Gang kommt. Mindestens sechs
Faktoren fördern das Auftreten von Kriegsfürsten (warlords) - also von örtlichen
Potentaten oder Milizchefs, die vom Krieg leben - und begünstigen Versuche der
Regierung wie der Rebellenführer, sich mit ihnen zu verbünden.
Unerschlossenes Land
Erstens ist Südsudan ein kaum erschlossenes Land. Sowohl die britischen
Kolonialherren als auch - nach der Unabhängigkeit 1956 - aufeinander folgende
Regierungen in Khartum haben für die Entwicklung dort wenig getan. Etwa fünf bis
sieben Millionen Menschen leben in Südsudan, der rund dreimal so groß ist wie
Deutschland. Es gibt nur wenige Straßen und eine einzige Eisenbahnlinie; in der
Regenzeit sind weite Teile des Landes praktisch unzugänglich. Die einzigen
modernen Kommunikationsmittel haben internationale Hilfsorganisationen
mitgebracht, die seit Ende der 80er Jahre dort unter dem Dach der Vereinten
Nationen (UN) arbeiten. Es gibt kein Stromnetz für Radios, keine Post und keine
Zeitungen, und ein großer Teil der Südsudanesen spricht zwar mehrere Sprachen,
kann aber nicht lesen. Damit fehlen wichtige Medien für die Bildung einer
Öffentlichkeit und damit für breit verankerte politische Bewegungen.
Zweitens haben die Briten dem Gebiet nur äußerst schwache
Verwaltungsstrukturen hinterlassen, und die wurden bis 1983 weitgehend
ausgehöhlt. Nach dem ersten Bürgerkrieg gegen den Norden 1956-72 hatte
Südsudan unter der Vereinbarung von Addis Abeba eine Selbstverwaltung erhalten.
Diese besaß jedoch keine eigene Steuerbasis, sondern hing von Zuweisungen aus
Khartum ab. Numeri, der Präsident Sudans von 1969 bis 1985, nutzte das, um die dünne Elite
des Südens uneinig und von seiner Person abhängig zu halten.
Drittens setzt sich die Bevölkerung Südsudans aus vielen unterschiedlichen Volksgruppen zusammen. Einige, vor
allem in der Provinz Equatoria, sind Bauern; die im Zentrum - darunter
Dinka, Nuer und Shilluk - sind überwiegend Viehzüchter und Halbnomaden.
Zwischen mehreren Gruppen ist es traditionell zu Reibereien gekommen, nicht zuletzt wegen Viehdiebstahl. Und viele -
darunter Dinka und Nuer - sind klassische Beispiele für staatenlose Gesellschaften, das heißt sie können nicht auf Erfahrungen mit eigener staatlicher
Organisation zurückgreifen. Vergleiche legen den Schluss nahe, dass dies mehr Einfluss auf die Entwicklung von
Rebellenbewegungen hat, als oft angenommen wird. Zum Beispiel fanden die
Befreiungsbewegungen in Nord-Äthiopien und Eritrea - diese Gebiete hatten zu einem alten Kaiserreich gehört - zu einer quasi staatlichen Form, nicht aber die in
Somalia - einer Gesellschaft ohne Staat, die anders als Südsudan ethnisch
homogen ist.
Der vierte Faktor, der Kriegsherren
begünstigt, ist die Schwäche des Staates in Nordsudan. Khartum kann das Land
nicht ohne Rückgriff auf halb autonome Mittelsmänner und Milizen kontrollieren.
Daher hat die Zentralregierung stets eine Politik des "Teile und Herrsche" verfolgt,
die, sobald Khartum sich bedroht sah,
in eine "Warlord-Strategie von oben" mündete. Dies war ein Grund, dass der Krieg
1983 neu ausbrach: Präsident Numeri suchte seit 1980 mit einer
Verwaltungsreform den Süden zu schwächen und
verursachte dort unter anderem Streit
um neue Verwaltungsgrenzen; das veranlasste mehrere Völker in Südsudan, sich
gegeneinander zu bewaffnen. Zudem
eigneten Großfarmen an der Grenze von Nord- und Südsudan sich das Land
arabischer Hirtenvölker an und drängten sie Richtung Süden. Als diese
aufbegehrten, sah sich Numeri der Gefahr von Revolten im Süden wie im Norden
des Landes
gegenüber. Nun bewaffnete er die arabischen Hirten für Raubzüge gegen Dinka und
lenkte so deren Unmut nach Süden ab. Demselben Prinzip sind seither alle
Regierungen in Khartum gefolgt.
Fünftens haben die Verquickung mit Konflikten in den Nachbarländern und die
Unterstützung aus dem Ausland den
Verlauf des Krieges beeinflusst. Die SPLA/M war bis 1991 stark abhängig von Hilfe
aus Äthiopien. Sie entstand 1983 aus spontanen Revolten gegen Numeris
Politik sowie einer Meuterei von sudanesischen Armee-Einheiten unter ihrem
Befehlshaber Kerobino. Beide Gruppen
zogen nach Äthiopien, wo bereits Nuer-
Rebellengruppen, die Anyanya 2, ein Rückzugsgebiet gefunden hatten. Der
Einfluss der Militärregierung Äthiopiens, des Derg, war mit dafür verantwortlich,
dass sich in den Auseinandersetzungen über die Führung der neuen, vereinten
Rebellentruppe John Garang durchsetzte, ein Dinka aus Bor und Offizier der
sudanesischen Armee. Die SPLM legte sich wie der Derg ein sozialistisches
Programm zu. In ihrer Führung gaben Dinka, insbesondere aus Bor, den Ton an.
Die Anyanya 2 und die SPLA lieferten sich in Südsudan noch bis 1986 blutige
Kämpfe, wobei zum Teil auf beiden Seiten Nuer kämpften.
Danach kam ein Versöhnungsprozess in Gang, und große Teile der Anyanya
schlossen sich der SPLA an.
Die Flüchtlingslager in Äthiopien wurden zu einem logistischen und wirtschaftlichen Standbein der SPLA/M. ... Der Derg duldete das und versorgte die SPLA mit
Waffen. Ein Preis dafür war, dass diese dem Derg gegen Rebellen in Äthiopien
half, namentlich gegen die Oromo-Befreiungsbewegung, und auf Forderungen nach
einem eigenen Staat verzichtete. Denn der Derg kämpfte selbst mit
Sezessionsbewegungen und bestand auf dem Prinzip, bestehende Grenzen zu
erhalten.
Der sechste Faktor, der Kriegsherren
begünstigt, ist die Eigendynamik des
andauernden Bürgerkriegs. Sie schuf rasch einen Zustand der Gesetzlosigkeit.
Milizen jeder Seite wurden zur besten Aufstiegschance für junge Männer, und der
Anreiz, zu rauben, war groß, zumal die Kämpfer in der Regel bis heute keinen Sold
bekommen. Das führte dazu, dass sich die SPLA in den 80er Jahren insbesondere
unter Völkern, die junge Männer für Milizen der Regierung abgestellt hatten, wie
eine Besatzungsarmee aufführte. Dies schürte ethnische Ressentiments weiter.
Was hielt die SPLA/M dennoch zusammen? Zum einen die Führungsweise: Dass
die Rekruten in Lagern in Äthiopien ausgebildet wurden, löste sie aus lokalen
Bindungen und erschwerte den Kommandeuren in Südsudan, sich eigene Milizen
aufzubauen. Garang schaltete seine Konkurrenten stets schnell aus - manche wurden umgebracht, andere interniert wie
1987 Kerobino, der Führer der Meuterei von 1983. Die Führungsgruppe um Garang
konnte zudem die Hilfe, die die SPLA aus Äthiopien erhielt, zentral
kontrollieren und damit die Kommandeure bei der Stange halten. ... 1990 kontrollierte sie große Teile Südsudans einschließlich
der meisten Städte.
Doch genau in diesem Moment zerbrach sie in mehrere Fraktionen. ...
Die Spaltung der SPLA wurde begünstigt von weltpolitischen Umbrüchen, die die
Bedingungen für den Krieg in Südsudan veränderten: Khartum war in den 80er
Jahren vom Westen unterstützt worden, während die SPLA als kommunistisch galt. Als der Ost-West-Konflikt zu
Ende ging, eroberte die radikal-islamische National Islamic Front (NIF) mit einem
Putsch 1989 die Macht in Khartum, schlug sich im zweiten Golfkrieg 1990 auf die
Seite Iraks und bat Iran erfolgreich um Militärhilfe (die SPLA wurde dann
schließlich von den USA und Uganda unterstützt).
Hilfe auf dem Kriegsschauplatz
Wichtiger noch war, dass Rebellen in Äthiopien 1991 den Derg stürzten. Damit
verlor die SPLA/M erstens dessen Hilfe. Zweitens lösten Oromo-Kämpfer die
verhassten Lager in Äthiopien auf und trieben etwa 270 000 Flüchtlinge zurück in
den Sudan, so dass auch der Zugang zu Hilfsgütern in den Lagern endete. Kurz
zuvor war, veranlasst von der Hungersnot von 1988, eine UN-Nothilfeoperation in
Nord- wie Südsudan mit Khartum und der SPLA ausgehandelt worden, die
Operation Lifeline Sudan (OLS). Seitdem wird Hilfe auf dem Kriegsschauplatz
selbst statt in Flüchtlingslagern geleistet. Die
internationalen Hilfswerke müssen sich dazu mit örtlichen Machthabern
verständigen. Die können Hilfsgüter nun gleichsam dezentral unterschlagen, auch
wenn die Hilfswerke das durch Kontrollen zu verhindern suchen.
Der Verlust der Hilfe vom Derg und das neue Muster der Nothilfe veränderten
zusammen die Kriegsökonomie derart, dass die zentrale Führung einer
Rebellentruppe erschwert wurde. Machar und Akol profitierten davon 1991 als
Erste. Gleichzeitig sind aber die Rebellen nun gezwungen, ihre Kriegsmittel mehr
als früher im Land zu erheben - also entweder stärker zu plündern oder die
Bevölkerung zu bewegen, die Kämpfer mehr oder weniger freiwillig zu unterstützen.
Weil auf lange Sicht nur der zweite Weg politisch und militärisch Erfolg verspricht,
hat das schließlich Reformen in der SPLA/M begünstigt.
Vorerst aber zerbrach sie in zwei Fraktionen. Da zu wenige Kommandeure zu
Machar und Akol überliefen, als dass
diese die SPLA übernehmen konnten, spalteten sie sich ab und suchten die
Verständigung mit Khartum. Die Regierung kam militärisch wieder in die Offensive
und eroberte zahlreiche Garnisonen zurück. Kerobino schloss sich 1993 nach seiner
Flucht aus der SPLA-Haft Machar und Akol an. Ihre Allianz zerbrach aber schon
1994 in drei Teile. Diese und drei weitere Milizgruppen aus Südsudan schlossen
1997 einen Sonderfrieden mit Khartum, obwohl paradoxerweise Machar und Akol,
anders als die SPLA/M, nach außen für die Sezession Südsudans eintreten. Beide
haben diesen Sonderfrieden im vergangenen Jahr als gescheitert bezeichnet, weil
Khartum seine Zusagen nicht einhalte.
Geschürte Gefechte
Seit 1991 kämpfen so in Teilen Südsudans Abspaltungen von der SPLA in
wechselnden Allianzen gegen diese, gegen Khartum und gegeneinander. Mehrere
Hungersnöte und ein großer Teil der schlimmsten Übergriffe auf Zivilisten in
Südsudan sind das Ergebnis solcher von Khartum geschürter Gefechte. So waren
seit 1983 die schlimmsten Menschenrechtsverletzungen und Plünderungen von
Nahrung in Südsudan in den Fraktionskämpfen der Jahre 1991-93 zu
verzeichnen.
Kurz, die Geschichte der Abspaltungen von der SPLA ist großenteils die ihrer
Degeneration zu Warlord-Truppen. Die Entwicklung der SPLA ist komplizierter. Sie
stand nach der Abspaltung Machars und Akols, den militärischen Verlusten und
dem Ende der Hilfe vom Derg unter großem Reformdruck. Dadurch gewannen die
Kritiker Garangs in der SPLA/M an Gewicht. Sie forderten, bereits im Krieg
Institutionen aufzubauen, die der Rechtlosigkeit entgegenwirken; die Bewegung
solle ihre Kämpfer zwingen, die Bevölkerung zu schonen, damit sie auf Dauer von
dieser unterstützt wird, sowie mehr Debatten zulassen und das Nationalgefühl
Südsudans fördern. Zur selben Zeit begann die UN-Hilfsoperation OLS, die SPLA
zur Einhaltung humanitärer Grundsätze und des Kriegsvölkerrechts zu drängen.
Das Ergebnis war eine Reihe von Reformen. Militärisch waren sie erfolgreich:
Einige Kommandeure, die sich 1991 abgespalten hatten, kehrten zur SPLA zurück
... Die SPLA hat seitdem Terrain zurückgewonnen und beherrscht erneut große Teile Südsudans.
Wichtiger waren politisch-institutionelle Veränderungen. Die SPLA/M beschloss
1994, dass ihr humanitärer Arm, die
Southern Sudan Relief Agency (SRRA), selbstständiger werden und die Verwaltung
der von ihr kontrollierten Gebiete vom Militär getrennt werden sollten. Gruppen
außerhalb der SPLM sollten mehr Spielraum erhalten. Wie tief diese Reformen in
der Praxis gehen, ist umstritten und schwer zu beurteilen. Einige
Fortschritte sind zu verzeichnen. So zeigt sich die SPLA/M jetzt toleranter
gegenüber einheimischen Organisationen wie Frauen- und Kirchengruppen. Auch
wenn viele von diesen der SPLA/M zumindest nahe stehen, stärkt das den zivilen
Teil der Bewegung. Die Menschenrechtsbilanz der SPLA/M hat sich etwas
gebessert, seit sie 1994 mit der OLS Mindestregeln für Nothilfe vereinbart und sich
zur Achtung des Kriegsvölkerrechts bekannt hat; sie
rekrutiert weniger Kindersoldaten und hungert von der Regierung gehaltene
Städte nicht mehr aus.
Es scheint zudem, dass sich die Art
geändert hat, wie die SPLA/M sich aus dem Land ernährt - darauf ist sie ja mehr
als früher angewiesen. Dass Soldaten und Kommandanten gewaltsam plündern,
wird noch berichtet, ist aber seltener
geworden. Stattdessen zieht die SPLM stärker mit Hilfe der traditionellen
Häuptlinge (Chiefs) Abgaben in Naturalien ein, oder Chiefs und Ortskommandanten
verteilen Hilfsgüter um. Das könnte einen allmählichen Übergang anzeigen von
willkürlicher Plünderung zu einer Art
Besteuerung, die zwischen Ortskommandant, Chief sowie (wo vorhanden)
Zivilverwaltung ausgehandelt wird. Die SPLA/M kassiert zudem von internationalen
Hilfswerken Gebühren, zum Beispiel für die Einreise von Ausländern und für die
Einfuhr von Funkgeräten. Und sie verdient an der Ausfuhr von etwas Edelhölzern
und Gold; die Profite daraus kommen einer kleinen Führungsgruppe zugute.
Fragwürdig ist weniger, dass die SPLA sich Mittel beschafft - das ist unvermeidlich
-, sondern dass wenig davon der Bevölkerung zugute zu kommen scheint. Die zivile
Verwaltung ist außer in der
Provinz Equatoria und einigen Teilen Bar el Ghazals noch äußerst schwach. Die
SPLM versucht kaum ernsthaft, grundlegende Wohlfahrtsaufgaben mit ihren
Einnahmen zu erfüllen - etwa die Straßen zu verbessern und so die Gefahr von
Hungersnöten zu vermindern -, sondern überlässt dies weitgehend ausländischen
Hilfswerken oder wirbt deren Geld dafür ein.
Sehr schwach sind auch die Institutionen der Rechtspflege. ... Menschenrechtsorganisationen lasten der SPLA weiter Fälle
von Mord, Zwangsrekrutierung und Raub an und klagen, dass sie kaum je etwas
gegen die verantwortlichen Kommandeure unternimmt.
Die Missstände verweisen einerseits darauf, dass die SPLA wie die übrigen Fraktionen und Milizen den Mechanismen
des Krieges unterliegt. Sie kann etwa örtliche Kommandeure nicht streng
kontrollieren - aus logistischen Gründen und weil die sich abspalten könnten, wenn
die SPLA sie verprellt.
Andererseits ist fraglich, ob die Führungsspitze der SPLA ihre Bekenntnisse zu
mehr Demokratie ernst meint. Über Konflikte in der Führung dringt wenig Klares
nach außen; Machtgerangel und ethnische Spannungen spielen aber
anscheinend weiter eine Rolle. Manche
Beobachter vermuten zum Beispiel, dass Garang seinen Nuer-Kommandanten
schwere Waffen vorenthält, damit sie nicht zu stark werden; das erkläre, dass die
SPLA die Ölförderanlagen nicht
wirksam angreift, obwohl das Öl die Kriegskasse der Regierung und mancher
Milizführer füllt. Auch zeigen die Militärs nach wie vor wenig Neigung, den eigenen
politischen Gremien Entscheidungsbefugnisse zu überlassen. Diplomaten, die an
Friedengesprächen beteiligt sind, behaupten sogar, dass ein Ende der Kämpfe
Garangs Kontrolle über die SPLM in Frage stellen würde und der SPLA-Chef
deshalb an Frieden gar nicht interessiert sei.
Inwieweit kann also die SPLA/M dem Sog zum Kriegsherrentum entkommen, der
in den Umständen und der Dauer des Bürgerkrieges begründet ist? Der Befund ist
gemischt. Immerhin wird in ihren Gebieten insgesamt weniger brutale Gewalt
gegen Zivilisten verzeichnet als in denen von Milizen, die aus Abspaltungen der
SPLA entstanden sind. Am schwersten leidet die Bevölkerung, wo mehrere Trupps
sich bekriegen. So klagt die amerikanische Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch, dass die zurzeit
schlimmsten Übergriffe gegen Zivilisten in Südsudan bei Kämpfen zwischen
verschiedenen Nuer-Kommandanten (darunter Machar) im Gebiet der Ölfelder nahe
der Grenze von Nord- und Südsudan
begangen werden.
Die SPLA/M unterscheidet sich von anderen Milizen auch durch ihre Versuche,
eine Verwaltung aufzubauen und Hilfslieferungen nach klaren Regeln abzuwickeln.
Das wird dadurch begünstigt, dass sie ein großes Gebiet dauerhaft
beherrscht. Aber es bleibt unzureichend.
Wieweit sich das ändert, wird nicht zuletzt davon abhängen, ob Organisationen aus
der Bevölkerung wie Kirchen, Frauengruppen und traditionelle Würdenträger
zusammen mit örtlichen Verwaltungskräften der SRRA die Militärs zähmen können
- vielleicht gefördert von außen, etwa den UN. Ein wichtiger Schritt dazu sind die
Friedensgespräche zwischen Dinka und Nuer sowie verschiedenen Gruppen der
Nuer, die sudanesische Kirchen (unterstützt unter anderem von kenianischen und
deutschen) in den vergangenen Jahren in Gang gesetzt haben. Die SPLA/M
scheint bisher diese Versöhnungsinitiativen zu unterstützen. Sie haben aber nur
begrenzte Wirkung: Milizführer können sie mit Gewalttaten sabotieren, und eine
Ausweitung des Krieges kann sie gefährden. So führen die erwähnten Kämpfe im
Ölfördergebiet zur Vertreibung von Nuer ins Gebiet der Dinka, verschärfen die
Konkurrenz um knappe Nahrung dort und
untergraben die Friedensinitiativen von
unten. Diese Vertreibungen scheinen im Übrigen ein bewusstes Ziel der Regierung
in Khartum zu sein, die mehrere beteiligte Nuer-Milizen unterstützt - so kann das
Erdöl ungestört gefördert werden.
Sog zum Kriegsherrentum
Doch gleich, wieweit die SPLA dem Sog zum Kriegsherrentum weiterhin unterliegt
- kritische Unterstützer halten sie für die einzige Kraft, die den Aufbau eines
südsudanesischen Gemeinwesens voranbringen könnte. In der Tat können
Gruppen der Zivilgesellschaft nicht allein die Dynamik des Kriegherrentums
brechen. Hierzu ist auch ein Machtzentrum nötig, das Kriegsfürsten teils
einbinden, teils zum Frieden zwingen und so ein Gewaltmonopol erringen kann. In
Frage kommen dafür nur die Regierung und die SPLA.
Beide unternehmen entsprechende Versuche. Khartum hat Ende April zahlreiche
Milizführer zu einer Konferenz in Südsudan zusammengeholt, um sie zu einer
einheitlichen Kraft unter dem Kommando der regulären Armee zusammenzufassen.
Die SPLA verhandelt unter anderem mit Machar, der einen Weg aus seinem
Bündnis mit der Regierung sucht, obwohl er weiter von dieser Waffen annimmt. Es
wird aber wohl keiner Seite gelingen, den Spielraum der Kriegsfürsten
entscheidend einzudämmen, bevor der Krieg zwischen der SPLA und Khartum beendet ist -
vertraglich oder durch den Sieg einer Seite. Denn da eine einheitliche Truppe aus
dem Süden sich auch gegen Khartum wenden könnte, wird die Regierung auf die
Strategie des "Teile und Herrsche" nicht verzichten, solange der Krieg andauert.
Und stets haben einige Milizführer Hilfe aus Khartum für eigene Zwecke nutzen und
sich der Kontrolle der SPLA entziehen können.
Ein Sieg einer Seite ist nicht in Sicht. Innere Schwierigkeiten hemmen die
Kriegsführung beider großer Gegner. Präsident Bashir trägt seit Ende 1999 einen
Machtkampf mit Hassan al-Turabi aus, dem
führenden islamistischen Politiker. Dessen Partei hat im Februar eine Vereinbarung
mit der SPLM ausgehandelt, die sehr allgemeine Grundsätze zur Überwindung des
Krieges und der Diktatur festhält. Für die SPLM ist das vor allem eine Taktik, die
Elite des Nordens zu spalten. Bashir hat seitdem Turabi und mehrere seiner
Parteigänger inhaftieren lassen; doch nun hat er Schwierigkeiten, 15 im April
tödlich verunglückte hohe Offiziere zu ersetzen, ohne auf Sympathisanten Turabis
zurückzugreifen. Umgekehrt hat die SPLA/M schon 1995 mit mehreren
Oppositionsgruppen in Nordsudan - darunter der bis 1989 in Khartum regierenden
Umma-Partei - ein Bündnis geschlossen, die Nationale
Demokratische Allianz (NDA), und Fronten auch im Norden des Landes eröffnet.
Bashir versucht seit einiger Zeit mit einem gewissen Erfolg, die NDA zu spalten,
indem er ihren Führern politische Betätigungsmöglichkeiten in Khartum anbietet.
Auch ein Friedensschluss ist nicht abzusehen. Khartum wird den Süden schon
wegen der Ölvorkommen nicht ziehen lassen und ist international weniger unter
Druck als noch vor einigen Jahren - zum Teil als Folge des Kriegs zwischen Eritrea
und Äthiopien und zum Teil, weil die Ölvorkommen die Europäer wie die USA zu
einer weniger kritischen Haltung gegenüber Khartum bewegen. Wahrscheinlich wird
daher Südsudan vorerst im destruktiven Patt gefangen bleiben. Für Kriegsfürsten
ist das eine gute Nachricht. Für die Bevölkerung bedeutet es dagegen, dass die
nächste Hungerkatastrophe nur eine Frage der Zeit ist.
Aus: Frankfurter Rundschau, 6. Juni 2001 (stark gekürzt)
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