Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Keine Hoffnung auf Frieden in Sudan

"Teufelskreis von Gewalt und Verfall" - Ein Beitrag zur Typologie eines Befreiungs- und Bürgerkriegs

Unter dem Titel "Zerstörerischer Befreiungskrieg" veröffentlichte die Frankfurter Rundschau am 6. Juni 2001 eine Analyse von Bernd Ludermann über den anhaltenden Bürgerkrieg im Sudan. Bernd Ludermann ist Redakteur der in Hamburg erscheinenden Zeitschrift "der überblick". Der Beitrag erschien auch in der Zeitschrift "illoyal. Journal für Antimilitarismus", Nr. 15, Frühjahr 2001.
Wir dokumentieren den Beitrag stark gekürzt und konzentrieren uns dabei auf die Teile, die erstens eine auch theoretische Charakterisierung des Krieges versuchen und zweitens nach Auswegen aus dem komplexen Konfliktgeschehen fragen.


Zerstörerischer Befreiungskrieg

Von Bernd Ludermann

...
Seit 1983 bekämpft in Südsudan die Sudanesische Volksbefreiungsarmee (Sudan People's Liberation Army, SPLA) die Zentralregierung in Khartum. Sie fordert Selbstbestimmung für den Südteil des Landes; ob das auf einen eigenen Staat hinausläuft oder auf eine Autonomie, ist offen, zumal die SPLA unter dem Schlagwort "Neuer Sudan" offiziell die Demokratisierung des ganzen Landes und die Trennung von Staat und Religion verlangt. Die SPLA hatte Ende der 80er und hat erneut seit Mitte der 90er Jahre große Teile Südsudans unter Kontrolle. Doch der Bevölkerung hat der Krieg weniger Befreiung gebracht als unermessliches Leid. Nicht nur hat die Regierung in Khartum immer wieder Zivilisten vertrieben, ausgehungert und bombardiert; auch die SPLA hat schwere Übergriffe begangen und Hilfsgüter geraubt. Vor allem aber kämpfen zahlreiche Fraktionen und Milizen in Südsudan gegeneinander - vielfach mit Hilfe Khartums. Die SPLA und ihr politischer Arm, die Sudanesische Volksbefreiungsbewegung SPLM (Sudan People's Liberation Movement), kann bisher die Bevölkerung der "befreiten" Gebiete weder vor diesen Bruderkämpfen schützen noch vor den Hungersnöten, die der Krieg immer wieder verursacht.

...
... die Umstände für den Aufbau einer geeinten politischen Bewegung und entsprechender Institutionen sind in Südsudan besonders ungünstig. Dort herrschen beste Voraussetzungen dafür, dass Plünderung zum Kriegsmittel wird und ein Teufelskreis von Gewalt und wirtschaftlichem und politischem Verfall in Gang kommt. Mindestens sechs Faktoren fördern das Auftreten von Kriegsfürsten (warlords) - also von örtlichen Potentaten oder Milizchefs, die vom Krieg leben - und begünstigen Versuche der Regierung wie der Rebellenführer, sich mit ihnen zu verbünden.

Unerschlossenes Land

Erstens ist Südsudan ein kaum erschlossenes Land. Sowohl die britischen Kolonialherren als auch - nach der Unabhängigkeit 1956 - aufeinander folgende Regierungen in Khartum haben für die Entwicklung dort wenig getan. Etwa fünf bis sieben Millionen Menschen leben in Südsudan, der rund dreimal so groß ist wie Deutschland. Es gibt nur wenige Straßen und eine einzige Eisenbahnlinie; in der Regenzeit sind weite Teile des Landes praktisch unzugänglich. Die einzigen modernen Kommunikationsmittel haben internationale Hilfsorganisationen mitgebracht, die seit Ende der 80er Jahre dort unter dem Dach der Vereinten Nationen (UN) arbeiten. Es gibt kein Stromnetz für Radios, keine Post und keine Zeitungen, und ein großer Teil der Südsudanesen spricht zwar mehrere Sprachen, kann aber nicht lesen. Damit fehlen wichtige Medien für die Bildung einer Öffentlichkeit und damit für breit verankerte politische Bewegungen.

Zweitens haben die Briten dem Gebiet nur äußerst schwache Verwaltungsstrukturen hinterlassen, und die wurden bis 1983 weitgehend ausgehöhlt. Nach dem ersten Bürgerkrieg gegen den Norden 1956-72 hatte Südsudan unter der Vereinbarung von Addis Abeba eine Selbstverwaltung erhalten. Diese besaß jedoch keine eigene Steuerbasis, sondern hing von Zuweisungen aus Khartum ab. Numeri, der Präsident Sudans von 1969 bis 1985, nutzte das, um die dünne Elite des Südens uneinig und von seiner Person abhängig zu halten.

Drittens setzt sich die Bevölkerung Südsudans aus vielen unterschiedlichen Volksgruppen zusammen. Einige, vor allem in der Provinz Equatoria, sind Bauern; die im Zentrum - darunter Dinka, Nuer und Shilluk - sind überwiegend Viehzüchter und Halbnomaden. Zwischen mehreren Gruppen ist es traditionell zu Reibereien gekommen, nicht zuletzt wegen Viehdiebstahl. Und viele - darunter Dinka und Nuer - sind klassische Beispiele für staatenlose Gesellschaften, das heißt sie können nicht auf Erfahrungen mit eigener staatlicher Organisation zurückgreifen. Vergleiche legen den Schluss nahe, dass dies mehr Einfluss auf die Entwicklung von Rebellenbewegungen hat, als oft angenommen wird. Zum Beispiel fanden die Befreiungsbewegungen in Nord-Äthiopien und Eritrea - diese Gebiete hatten zu einem alten Kaiserreich gehört - zu einer quasi staatlichen Form, nicht aber die in Somalia - einer Gesellschaft ohne Staat, die anders als Südsudan ethnisch homogen ist.

Der vierte Faktor, der Kriegsherren begünstigt, ist die Schwäche des Staates in Nordsudan. Khartum kann das Land nicht ohne Rückgriff auf halb autonome Mittelsmänner und Milizen kontrollieren. Daher hat die Zentralregierung stets eine Politik des "Teile und Herrsche" verfolgt, die, sobald Khartum sich bedroht sah, in eine "Warlord-Strategie von oben" mündete. Dies war ein Grund, dass der Krieg 1983 neu ausbrach: Präsident Numeri suchte seit 1980 mit einer Verwaltungsreform den Süden zu schwächen und verursachte dort unter anderem Streit um neue Verwaltungsgrenzen; das veranlasste mehrere Völker in Südsudan, sich gegeneinander zu bewaffnen. Zudem eigneten Großfarmen an der Grenze von Nord- und Südsudan sich das Land arabischer Hirtenvölker an und drängten sie Richtung Süden. Als diese aufbegehrten, sah sich Numeri der Gefahr von Revolten im Süden wie im Norden des Landes gegenüber. Nun bewaffnete er die arabischen Hirten für Raubzüge gegen Dinka und lenkte so deren Unmut nach Süden ab. Demselben Prinzip sind seither alle Regierungen in Khartum gefolgt.

Fünftens haben die Verquickung mit Konflikten in den Nachbarländern und die Unterstützung aus dem Ausland den Verlauf des Krieges beeinflusst. Die SPLA/M war bis 1991 stark abhängig von Hilfe aus Äthiopien. Sie entstand 1983 aus spontanen Revolten gegen Numeris Politik sowie einer Meuterei von sudanesischen Armee-Einheiten unter ihrem Befehlshaber Kerobino. Beide Gruppen zogen nach Äthiopien, wo bereits Nuer- Rebellengruppen, die Anyanya 2, ein Rückzugsgebiet gefunden hatten. Der Einfluss der Militärregierung Äthiopiens, des Derg, war mit dafür verantwortlich, dass sich in den Auseinandersetzungen über die Führung der neuen, vereinten Rebellentruppe John Garang durchsetzte, ein Dinka aus Bor und Offizier der sudanesischen Armee. Die SPLM legte sich wie der Derg ein sozialistisches Programm zu. In ihrer Führung gaben Dinka, insbesondere aus Bor, den Ton an. Die Anyanya 2 und die SPLA lieferten sich in Südsudan noch bis 1986 blutige Kämpfe, wobei zum Teil auf beiden Seiten Nuer kämpften. Danach kam ein Versöhnungsprozess in Gang, und große Teile der Anyanya schlossen sich der SPLA an.

Die Flüchtlingslager in Äthiopien wurden zu einem logistischen und wirtschaftlichen Standbein der SPLA/M. ... Der Derg duldete das und versorgte die SPLA mit Waffen. Ein Preis dafür war, dass diese dem Derg gegen Rebellen in Äthiopien half, namentlich gegen die Oromo-Befreiungsbewegung, und auf Forderungen nach einem eigenen Staat verzichtete. Denn der Derg kämpfte selbst mit Sezessionsbewegungen und bestand auf dem Prinzip, bestehende Grenzen zu erhalten.

Der sechste Faktor, der Kriegsherren begünstigt, ist die Eigendynamik des andauernden Bürgerkriegs. Sie schuf rasch einen Zustand der Gesetzlosigkeit. Milizen jeder Seite wurden zur besten Aufstiegschance für junge Männer, und der Anreiz, zu rauben, war groß, zumal die Kämpfer in der Regel bis heute keinen Sold bekommen. Das führte dazu, dass sich die SPLA in den 80er Jahren insbesondere unter Völkern, die junge Männer für Milizen der Regierung abgestellt hatten, wie eine Besatzungsarmee aufführte. Dies schürte ethnische Ressentiments weiter. Was hielt die SPLA/M dennoch zusammen? Zum einen die Führungsweise: Dass die Rekruten in Lagern in Äthiopien ausgebildet wurden, löste sie aus lokalen Bindungen und erschwerte den Kommandeuren in Südsudan, sich eigene Milizen aufzubauen. Garang schaltete seine Konkurrenten stets schnell aus - manche wurden umgebracht, andere interniert wie 1987 Kerobino, der Führer der Meuterei von 1983. Die Führungsgruppe um Garang konnte zudem die Hilfe, die die SPLA aus Äthiopien erhielt, zentral kontrollieren und damit die Kommandeure bei der Stange halten. ... 1990 kontrollierte sie große Teile Südsudans einschließlich der meisten Städte.

Doch genau in diesem Moment zerbrach sie in mehrere Fraktionen. ...
Die Spaltung der SPLA wurde begünstigt von weltpolitischen Umbrüchen, die die Bedingungen für den Krieg in Südsudan veränderten: Khartum war in den 80er Jahren vom Westen unterstützt worden, während die SPLA als kommunistisch galt. Als der Ost-West-Konflikt zu Ende ging, eroberte die radikal-islamische National Islamic Front (NIF) mit einem Putsch 1989 die Macht in Khartum, schlug sich im zweiten Golfkrieg 1990 auf die Seite Iraks und bat Iran erfolgreich um Militärhilfe (die SPLA wurde dann schließlich von den USA und Uganda unterstützt).

Hilfe auf dem Kriegsschauplatz

Wichtiger noch war, dass Rebellen in Äthiopien 1991 den Derg stürzten. Damit verlor die SPLA/M erstens dessen Hilfe. Zweitens lösten Oromo-Kämpfer die verhassten Lager in Äthiopien auf und trieben etwa 270 000 Flüchtlinge zurück in den Sudan, so dass auch der Zugang zu Hilfsgütern in den Lagern endete. Kurz zuvor war, veranlasst von der Hungersnot von 1988, eine UN-Nothilfeoperation in Nord- wie Südsudan mit Khartum und der SPLA ausgehandelt worden, die Operation Lifeline Sudan (OLS). Seitdem wird Hilfe auf dem Kriegsschauplatz selbst statt in Flüchtlingslagern geleistet. Die internationalen Hilfswerke müssen sich dazu mit örtlichen Machthabern verständigen. Die können Hilfsgüter nun gleichsam dezentral unterschlagen, auch wenn die Hilfswerke das durch Kontrollen zu verhindern suchen.

Der Verlust der Hilfe vom Derg und das neue Muster der Nothilfe veränderten zusammen die Kriegsökonomie derart, dass die zentrale Führung einer Rebellentruppe erschwert wurde. Machar und Akol profitierten davon 1991 als Erste. Gleichzeitig sind aber die Rebellen nun gezwungen, ihre Kriegsmittel mehr als früher im Land zu erheben - also entweder stärker zu plündern oder die Bevölkerung zu bewegen, die Kämpfer mehr oder weniger freiwillig zu unterstützen. Weil auf lange Sicht nur der zweite Weg politisch und militärisch Erfolg verspricht, hat das schließlich Reformen in der SPLA/M begünstigt.

Vorerst aber zerbrach sie in zwei Fraktionen. Da zu wenige Kommandeure zu Machar und Akol überliefen, als dass diese die SPLA übernehmen konnten, spalteten sie sich ab und suchten die Verständigung mit Khartum. Die Regierung kam militärisch wieder in die Offensive und eroberte zahlreiche Garnisonen zurück. Kerobino schloss sich 1993 nach seiner Flucht aus der SPLA-Haft Machar und Akol an. Ihre Allianz zerbrach aber schon 1994 in drei Teile. Diese und drei weitere Milizgruppen aus Südsudan schlossen 1997 einen Sonderfrieden mit Khartum, obwohl paradoxerweise Machar und Akol, anders als die SPLA/M, nach außen für die Sezession Südsudans eintreten. Beide haben diesen Sonderfrieden im vergangenen Jahr als gescheitert bezeichnet, weil Khartum seine Zusagen nicht einhalte.

Geschürte Gefechte

Seit 1991 kämpfen so in Teilen Südsudans Abspaltungen von der SPLA in wechselnden Allianzen gegen diese, gegen Khartum und gegeneinander. Mehrere Hungersnöte und ein großer Teil der schlimmsten Übergriffe auf Zivilisten in Südsudan sind das Ergebnis solcher von Khartum geschürter Gefechte. So waren seit 1983 die schlimmsten Menschenrechtsverletzungen und Plünderungen von Nahrung in Südsudan in den Fraktionskämpfen der Jahre 1991-93 zu verzeichnen.

Kurz, die Geschichte der Abspaltungen von der SPLA ist großenteils die ihrer Degeneration zu Warlord-Truppen. Die Entwicklung der SPLA ist komplizierter. Sie stand nach der Abspaltung Machars und Akols, den militärischen Verlusten und dem Ende der Hilfe vom Derg unter großem Reformdruck. Dadurch gewannen die Kritiker Garangs in der SPLA/M an Gewicht. Sie forderten, bereits im Krieg Institutionen aufzubauen, die der Rechtlosigkeit entgegenwirken; die Bewegung solle ihre Kämpfer zwingen, die Bevölkerung zu schonen, damit sie auf Dauer von dieser unterstützt wird, sowie mehr Debatten zulassen und das Nationalgefühl Südsudans fördern. Zur selben Zeit begann die UN-Hilfsoperation OLS, die SPLA zur Einhaltung humanitärer Grundsätze und des Kriegsvölkerrechts zu drängen.

Das Ergebnis war eine Reihe von Reformen. Militärisch waren sie erfolgreich: Einige Kommandeure, die sich 1991 abgespalten hatten, kehrten zur SPLA zurück ... Die SPLA hat seitdem Terrain zurückgewonnen und beherrscht erneut große Teile Südsudans.

Wichtiger waren politisch-institutionelle Veränderungen. Die SPLA/M beschloss 1994, dass ihr humanitärer Arm, die Southern Sudan Relief Agency (SRRA), selbstständiger werden und die Verwaltung der von ihr kontrollierten Gebiete vom Militär getrennt werden sollten. Gruppen außerhalb der SPLM sollten mehr Spielraum erhalten. Wie tief diese Reformen in der Praxis gehen, ist umstritten und schwer zu beurteilen. Einige Fortschritte sind zu verzeichnen. So zeigt sich die SPLA/M jetzt toleranter gegenüber einheimischen Organisationen wie Frauen- und Kirchengruppen. Auch wenn viele von diesen der SPLA/M zumindest nahe stehen, stärkt das den zivilen Teil der Bewegung. Die Menschenrechtsbilanz der SPLA/M hat sich etwas gebessert, seit sie 1994 mit der OLS Mindestregeln für Nothilfe vereinbart und sich zur Achtung des Kriegsvölkerrechts bekannt hat; sie rekrutiert weniger Kindersoldaten und hungert von der Regierung gehaltene Städte nicht mehr aus.

Es scheint zudem, dass sich die Art geändert hat, wie die SPLA/M sich aus dem Land ernährt - darauf ist sie ja mehr als früher angewiesen. Dass Soldaten und Kommandanten gewaltsam plündern, wird noch berichtet, ist aber seltener geworden. Stattdessen zieht die SPLM stärker mit Hilfe der traditionellen Häuptlinge (Chiefs) Abgaben in Naturalien ein, oder Chiefs und Ortskommandanten verteilen Hilfsgüter um. Das könnte einen allmählichen Übergang anzeigen von willkürlicher Plünderung zu einer Art Besteuerung, die zwischen Ortskommandant, Chief sowie (wo vorhanden) Zivilverwaltung ausgehandelt wird. Die SPLA/M kassiert zudem von internationalen Hilfswerken Gebühren, zum Beispiel für die Einreise von Ausländern und für die Einfuhr von Funkgeräten. Und sie verdient an der Ausfuhr von etwas Edelhölzern und Gold; die Profite daraus kommen einer kleinen Führungsgruppe zugute.

Fragwürdig ist weniger, dass die SPLA sich Mittel beschafft - das ist unvermeidlich -, sondern dass wenig davon der Bevölkerung zugute zu kommen scheint. Die zivile Verwaltung ist außer in der Provinz Equatoria und einigen Teilen Bar el Ghazals noch äußerst schwach. Die SPLM versucht kaum ernsthaft, grundlegende Wohlfahrtsaufgaben mit ihren Einnahmen zu erfüllen - etwa die Straßen zu verbessern und so die Gefahr von Hungersnöten zu vermindern -, sondern überlässt dies weitgehend ausländischen Hilfswerken oder wirbt deren Geld dafür ein.

Sehr schwach sind auch die Institutionen der Rechtspflege. ... Menschenrechtsorganisationen lasten der SPLA weiter Fälle von Mord, Zwangsrekrutierung und Raub an und klagen, dass sie kaum je etwas gegen die verantwortlichen Kommandeure unternimmt.

Die Missstände verweisen einerseits darauf, dass die SPLA wie die übrigen Fraktionen und Milizen den Mechanismen des Krieges unterliegt. Sie kann etwa örtliche Kommandeure nicht streng kontrollieren - aus logistischen Gründen und weil die sich abspalten könnten, wenn die SPLA sie verprellt.

Andererseits ist fraglich, ob die Führungsspitze der SPLA ihre Bekenntnisse zu mehr Demokratie ernst meint. Über Konflikte in der Führung dringt wenig Klares nach außen; Machtgerangel und ethnische Spannungen spielen aber anscheinend weiter eine Rolle. Manche Beobachter vermuten zum Beispiel, dass Garang seinen Nuer-Kommandanten schwere Waffen vorenthält, damit sie nicht zu stark werden; das erkläre, dass die SPLA die Ölförderanlagen nicht wirksam angreift, obwohl das Öl die Kriegskasse der Regierung und mancher Milizführer füllt. Auch zeigen die Militärs nach wie vor wenig Neigung, den eigenen politischen Gremien Entscheidungsbefugnisse zu überlassen. Diplomaten, die an Friedengesprächen beteiligt sind, behaupten sogar, dass ein Ende der Kämpfe Garangs Kontrolle über die SPLM in Frage stellen würde und der SPLA-Chef deshalb an Frieden gar nicht interessiert sei.

Inwieweit kann also die SPLA/M dem Sog zum Kriegsherrentum entkommen, der in den Umständen und der Dauer des Bürgerkrieges begründet ist? Der Befund ist gemischt. Immerhin wird in ihren Gebieten insgesamt weniger brutale Gewalt gegen Zivilisten verzeichnet als in denen von Milizen, die aus Abspaltungen der SPLA entstanden sind. Am schwersten leidet die Bevölkerung, wo mehrere Trupps sich bekriegen. So klagt die amerikanische Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch, dass die zurzeit schlimmsten Übergriffe gegen Zivilisten in Südsudan bei Kämpfen zwischen verschiedenen Nuer-Kommandanten (darunter Machar) im Gebiet der Ölfelder nahe der Grenze von Nord- und Südsudan begangen werden.

Die SPLA/M unterscheidet sich von anderen Milizen auch durch ihre Versuche, eine Verwaltung aufzubauen und Hilfslieferungen nach klaren Regeln abzuwickeln. Das wird dadurch begünstigt, dass sie ein großes Gebiet dauerhaft beherrscht. Aber es bleibt unzureichend.

Wieweit sich das ändert, wird nicht zuletzt davon abhängen, ob Organisationen aus der Bevölkerung wie Kirchen, Frauengruppen und traditionelle Würdenträger zusammen mit örtlichen Verwaltungskräften der SRRA die Militärs zähmen können - vielleicht gefördert von außen, etwa den UN. Ein wichtiger Schritt dazu sind die Friedensgespräche zwischen Dinka und Nuer sowie verschiedenen Gruppen der Nuer, die sudanesische Kirchen (unterstützt unter anderem von kenianischen und deutschen) in den vergangenen Jahren in Gang gesetzt haben. Die SPLA/M scheint bisher diese Versöhnungsinitiativen zu unterstützen. Sie haben aber nur begrenzte Wirkung: Milizführer können sie mit Gewalttaten sabotieren, und eine Ausweitung des Krieges kann sie gefährden. So führen die erwähnten Kämpfe im Ölfördergebiet zur Vertreibung von Nuer ins Gebiet der Dinka, verschärfen die Konkurrenz um knappe Nahrung dort und untergraben die Friedensinitiativen von unten. Diese Vertreibungen scheinen im Übrigen ein bewusstes Ziel der Regierung in Khartum zu sein, die mehrere beteiligte Nuer-Milizen unterstützt - so kann das Erdöl ungestört gefördert werden.

Sog zum Kriegsherrentum

Doch gleich, wieweit die SPLA dem Sog zum Kriegsherrentum weiterhin unterliegt - kritische Unterstützer halten sie für die einzige Kraft, die den Aufbau eines südsudanesischen Gemeinwesens voranbringen könnte. In der Tat können Gruppen der Zivilgesellschaft nicht allein die Dynamik des Kriegherrentums brechen. Hierzu ist auch ein Machtzentrum nötig, das Kriegsfürsten teils einbinden, teils zum Frieden zwingen und so ein Gewaltmonopol erringen kann. In Frage kommen dafür nur die Regierung und die SPLA.

Beide unternehmen entsprechende Versuche. Khartum hat Ende April zahlreiche Milizführer zu einer Konferenz in Südsudan zusammengeholt, um sie zu einer einheitlichen Kraft unter dem Kommando der regulären Armee zusammenzufassen. Die SPLA verhandelt unter anderem mit Machar, der einen Weg aus seinem Bündnis mit der Regierung sucht, obwohl er weiter von dieser Waffen annimmt. Es wird aber wohl keiner Seite gelingen, den Spielraum der Kriegsfürsten entscheidend einzudämmen, bevor der Krieg zwischen der SPLA und Khartum beendet ist - vertraglich oder durch den Sieg einer Seite. Denn da eine einheitliche Truppe aus dem Süden sich auch gegen Khartum wenden könnte, wird die Regierung auf die Strategie des "Teile und Herrsche" nicht verzichten, solange der Krieg andauert. Und stets haben einige Milizführer Hilfe aus Khartum für eigene Zwecke nutzen und sich der Kontrolle der SPLA entziehen können.

Ein Sieg einer Seite ist nicht in Sicht. Innere Schwierigkeiten hemmen die Kriegsführung beider großer Gegner. Präsident Bashir trägt seit Ende 1999 einen Machtkampf mit Hassan al-Turabi aus, dem führenden islamistischen Politiker. Dessen Partei hat im Februar eine Vereinbarung mit der SPLM ausgehandelt, die sehr allgemeine Grundsätze zur Überwindung des Krieges und der Diktatur festhält. Für die SPLM ist das vor allem eine Taktik, die Elite des Nordens zu spalten. Bashir hat seitdem Turabi und mehrere seiner Parteigänger inhaftieren lassen; doch nun hat er Schwierigkeiten, 15 im April tödlich verunglückte hohe Offiziere zu ersetzen, ohne auf Sympathisanten Turabis zurückzugreifen. Umgekehrt hat die SPLA/M schon 1995 mit mehreren Oppositionsgruppen in Nordsudan - darunter der bis 1989 in Khartum regierenden Umma-Partei - ein Bündnis geschlossen, die Nationale Demokratische Allianz (NDA), und Fronten auch im Norden des Landes eröffnet. Bashir versucht seit einiger Zeit mit einem gewissen Erfolg, die NDA zu spalten, indem er ihren Führern politische Betätigungsmöglichkeiten in Khartum anbietet.

Auch ein Friedensschluss ist nicht abzusehen. Khartum wird den Süden schon wegen der Ölvorkommen nicht ziehen lassen und ist international weniger unter Druck als noch vor einigen Jahren - zum Teil als Folge des Kriegs zwischen Eritrea und Äthiopien und zum Teil, weil die Ölvorkommen die Europäer wie die USA zu einer weniger kritischen Haltung gegenüber Khartum bewegen. Wahrscheinlich wird daher Südsudan vorerst im destruktiven Patt gefangen bleiben. Für Kriegsfürsten ist das eine gute Nachricht. Für die Bevölkerung bedeutet es dagegen, dass die nächste Hungerkatastrophe nur eine Frage der Zeit ist.

Aus: Frankfurter Rundschau, 6. Juni 2001 (stark gekürzt)

Zurück zur Sudan-Seite

Zurück zur Seite "Regionen"

Zurück zur Homepage