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Tragödie in Darfur

Von Olaf Köndgen*

Bei der Beschreibung von Tätern und Opfern im Darfur-Konflikt beschränken sich die deutschen (ebenso wie die meisten europäischen und amerikanischen) Medien darauf, holzschnittartig "Araber" als Täter und "Afrikaner" als Opfer zu benennen. Diese Kategorien mögen als grobes Raster helfen, den Konflikt zu verstehen. Die äußerst komplexen ethnischen Strukturen in den verschiedenen Teilen Darfurs erhellen sie nicht. Darfur ist etwa so groß wie Frankreich und zählt ca. 6-7 Mio. Einwohner.

Darfur ist seit 1994 in drei administrative Einheiten aufgeteilt. Das zur Sahel-Zone gehörende Nord-Darfur ist die Heimat kamel- und viehzüchtender Nomaden und Halb-Nomaden, die in ihrer großen Mehrheit zum Volk der "afrikanischen" Zaghawa gehören. Daneben existiert in Nord-Darfur eine kleine Minderheit arabischsprechender Nomaden. West-Darfur wird - zu beiden Seiten des vulkanischen Djebel Marra - von den Fur, Massalit, Daju und Berti bewohnt, seßhaften, nicht-arabisch(sprechend)en, vor allem Hirse anbauenden Ackerbauern. Süddarfur schließlich ist die Heimat der arabischsprechenden Baggara, ebenfalls vieh- und kamelzüchtender Nomaden, die seit dem 18. Jahrhundert in Süd-Darfur ansässig sind und sich mit ihren afrikanischen Nachbarn vermischt haben. Alle Bewohner Darfurs sind Muslime. Das Arabische ist auch für Ethnien mit eigener Sprache eine von vielen benutzte Lingua Franca. Kein Teil Darfurs war jemals ethnisch homogen, die Identitäten sind oft fließend. So kann z.B. ein erfolgreicher Fur-Bauer mit Hilfe einer ausreichenden Anzahl Viehs zum Baggara werden und sich innerhalb weniger Generationen einen authentischen arabischen Stammbaum zulegen.[1] Mischehen zwischen "schwarzafrikanischen" und "arabischen" Stämmen sind häufig.

Das Sultanat Darfur

Der historische Konflikt um Land, Wasser und Ressourcen zwischen seßhaften Bauern und viehzüchtenden Nomaden ist bereits für das um 1650 gegründete Sultanat von Darfur belegt.[2] Den überwiegend nicht-arabischen Ethnien, die das Sultanat dominierten gelang es, mit Hilfe einer schlagkräftigen Kavallerie der Bedrohung durch die Nomaden Herr zu werden. 1874 brach dieses Gleichgewicht zusammen als der arabische Sklavenhändler Zubair Rahma Mansur das Fur-Sultanat zerstörte und dessen Ackerböden und Weidegründe für die Baggara-Nomaden zugänglich machte. Nach dem Zusammenbruch des Mahdi-Staates lebte das Fur-Sultanat unter Ali Dinar noch einmal auf und konnte sich bis 1916, als es von den Briten dem anglo-ägyptischen Kondominium einverleibt wurde, der fortdauernden Bedrohung der seßhaften Bevölkerung durch einfallende Nomaden erwehren. Die Briten überließen die Verwaltung weitgehend den Stammesoberhäuptern und beschränkten sich darauf, Sicherheit und Ordnung zu gewährleisten. Ebenso wenig wie die sudanesischen Regierungen nach der Unabhängigkeit, unternahm die britische Administration Anstrengungen, um Darfur aus seiner Isolation zu befreien. Nyala, die Hauptstadt Süd-Darfurs bekam zwar 1959 einen Eisenbahnanschluß, aber der Betrieb war und ist unregelmäßig und ändert an der Isolation des sudanesischen Westens wenig. El-Fascher wartet bis heute auf eine Eisenbahnanbindung und ist nur über unbefestigte Straßen zu erreichen. Robert Collins weist darauf hin, daß es in den letzten 200 Jahren keiner sudanesischen Regierung gelungen sei, Darfur tatsächlich zu regieren.

"Vertreter der Zentralregierung besetzten die Peripherie mit verstreuten symbolischen Posten auf dem Land und einer Garnison und einem Gouverneur in der traditionellen Hauptstadt, aber zu keiner Zeit haben sie spürbar verwaltet, nachhaltig kontrolliert oder die üblichen Eigenschaften unter Beweis gestellt, die mit guter oder schlechter Regierungsführung verbunden werden."[3]

Zusammenbruch der traditionellen Konfliktlösungsmechanismen

Trotz der Vernachlässigung durch die Zentralregierung führte die lange Friedensperiode des Kondominiums und der ersten Jahrzehnte nach der Unabhängigkeit zu einer Verfünffachung der Bevölkerung, von ca. 1,3 Millionen Einwohnern Ende der 1950er Jahre bis heute auf ca. 6-7 Millionen. Zwar konnte ein Teil des Arbeitskräfteüberschusses auf den Baumwollfeldern der Gezira [4] beschäftigt werden, doch nahm der Bedarf an Wasserressourcen und Weidegründen in Darfur stetig zu. Die seit Mitte der 1980er anhaltenden Dürren und die fortschreitende Wüstenbildung verstärkten diese Entwicklung. Traditionell hatten die Stämme ihre Konflikte um Zugangsrechte zu Brunnen und Landbesitz mit Hilfe von Friedenskonferenzen (mu´tamarat as-sulh) gelöst. Die Entscheidungen der Stammesführer wurden gewöhnlich respektiert. Diese Konfliktlösungsmechanismen brachen 1986 zusammen, als der damalige Premierminister Sadiq al-Mahdi beschloß, seine Anhänger unter den Baggara mit automatischen Gewehren zu bewaffnen, um der wenig erfolgreichen sudanesischen Armee Hilfstruppen in ihrem Kampf gegen die SPLA an die Seite zu stellen. Bekannt geworden als "Murahilin", überzogen die Baggara-Kommandos in den nächsten zehn Jahren die Dinka der Provinzen Bahr al-Ghazal und Upper Nile mit regelmäßigen blutigen Überfällen.[5] In Süddarfur beheimatete Baggara, die Rizaigat, bekämpften ebenfalls zunächst die ihnen südlich benachbarten Dinka, um dann mit Hilfe ihrer Kalaschnikovs ihre Land- und Wasserkonflikte mit ihren nördlichen Nachbarn, den Fur, Massalit und Zaghawa für sich zu entscheiden.

Die Regionalkriege

Nach dem islamistischen Putsch von 1989 eskalierte die Situation in Darfur. Die Baggara-Murahilin wurden weiterhin mit Waffen versorgt und fast unbemerkt von der westlichen Öffentlichkeit fanden in den 1990er Jahren in Darfur mehrere Regionalkriege statt, die in ihrer Konstellation als Vorläufer des heutigen Konflikts gelten können. 1990 kämpften mit Regierungstruppen verbündete arabischsprachige Beni Halba gegen die die SPLA unterstützenden Fur. 1996 führten die "arabischen" Rizaigat gegen die "afrikanischen" Zaghawa einen Regionalkrieg und 1997-1999 kam es zu einem längerdauernden Konflikt zwischen "afrikanischen" Massalit und "arabischen" Umm Jullul. Während die meist von arabischsprachigen Stämmen ausgehenden Angriffe und Plünderungen sich ungestraft fortsetzten, begann sich Anfang 2003 in den Verhandlungen zwischen Regierung und SPLA eine Annäherung abzuzeichnen. Die Fur und andere "afrikanische" Gruppen mußten befürchten, vom Prozeß der nationalen Versöhnung ausgeschlossen zu werden. Vor diesem Hintergrund rief die bereits im Jahr 2000 gegründete Darfur-Befreiungsfront (DLF) im Februar 2003 im Jabal Marra den allgemeinen Aufstand aus. Schon im März 2003 benannte sich die DLF in Sudanesische Befreiungsarmee [6] um, um deutlich zu machen, daß sie auch Massalit, Zaghawa und andere afrikanische Stämme vertrat. Der Aufstand der SLA (Sudan Liberation Army) war gut vorbereitet. Koordiniert mit Satellitentelefonen und ausgerüstet mit Kalaschnikovs, Granatwerfern, Panzerfäusten und sogenannten "Technicals" - Toyota-Kleintransportern mit aufmontierten Maschinengewehren - griff die SLA mit großem Erfolg Polizei- und Armeeposten an. Ihr erfahrener Kommandeur und Militärchef, Abdallah Abakkar, hatte zu den Truppen gehört, die 1990 den Zaghawa-Politiker Idriss Déby von Darfur aus in der tschadischen Haupstadt Njamena an die Macht gebracht hatten. Die wegen des Krieges im Südsudan ausgedünnten Regierungstruppen erlitten in Darfur im Frühjahr 2003 eine Reihe von Niederlagen. Trotz einer Truppenverlegung aus dem Südsudan und einer engen Zusammenarbeit mit Libyen und dem Tschad zur Abriegelung der Grenzen konnte die sudanesische Regierung nicht verhindern, daß die SLA im April 2003 den Flughafen der Hauptstadt Nord-Darfurs Al-Fascher besetzte, Kampfhelikopter und Antonov-Bomber zerstörte und einen Luftwaffengeneral gefangennahm. Um dem für die Regierungstruppen so wenig erfolgreichen Krieg eine günstige Wendung zu geben, entschloß sich Präsident Baschir zu drastischen Maßnahmen.

Janjawid

Die bewaffneten Reitermilizen "Janjawid", die schon im Oktober 2002 mit ihren ethnischen Säuberungen begonnen hatten, wurden in die Armee eingegliedert und mit besseren Waffen ausgerüstet. In den Gebieten der Aufständischen ließ man ihnen freie Hand.[7] Zur Herkunft der Janjawid kursieren verschiedene Versionen. Nach einer Darstellung rekrutieren sie sich vor allem aus den sogenannten "Abala", Gruppen kamelzüchtender Nomaden, die bereits in den 1970er Jahren aus dem Tschad und Westafrika in den Sudan migrierten, sowie aus Baggara aus Süd und Zentral-Darfur.[10] Andere Beobachter weisen darauf hin, daß die Geschichte der Janjawid bereits Anfang der 1990er Jahre im Tschad beginnt. Nachdem sich im Tschad Idriss Déby 1990 an die Macht geputscht hatte, nutzten die tschadischen Zaghawa, denen Déby angehört, ihre neue Vorrangstellung mit Hilfe der von Débys Rebellenbewegung zurückgelassenen Waffen zum Viehdiebstahl und Überfällen auf arabischsprechende Stämme. Diese flüchteten sich in den Sudan und bildeten als Selbstverteidigungsmiliz gegen die nachsetzenden Zaghawa die Janjawid. Die heutigen Janjawid setzen sich demnach aus zwei Gruppen zusammen. Ein Teil besteht aus diesen aus dem Tschad geflohenen arabischen Stämmen, die nun an den Zaghawa Rache nehmen. Die zweite Gruppe bilden indigene "arabische" Stämme des Sudan, die die Gelegenheit ergreifen, Darfur von seinen "afrikanischen" Bewohnern zu säubern. Ganz im Sinne der sudanesischen Regierung vertreiben sie damit gleichzeitig diejenige Bevölkerung, welche die SLA (Sudan Liberation Army) und das JEM (Justice and Equality Movement) unterstützt, aus Darfur.[8] Die SLA und das JEM rekrutieren sich vor allem aus Fur, Massalit, Zaghawa und anderen nicht-arabischsprechenden Ethnien. Zwar kooperieren SLA und JEM im Kampf gegen die Zentralregierung, ideologisch bestehen jedoch wichtige Unterschiede. Während die SLA für einen vereinigten, demokratischen und säkularen Sudan kämpft "bei voller Anerkennung der ethnischen, kulturellen, sozialen und politischen Diversität des Sudan"[9] sieht sich das JEM als Sachwalterin eines "vernachlässigten Zentralsudan, der vom Roten Meer bis nach Darfur reicht." In einem vom JEM im Internet veröffentlichten "Black Book" gibt die Gruppe außerdem ein klares Bekenntnis zu einer islamistischen Staatsdoktrin ab.[10] Von der Regierung wird das JEM beschuldigt, der verlängerte Arm der Gruppe um den seit März 2004 erneut inhaftierten früheren islamistischen Chefideologen Hasan al-Turabi zu sein. Fest steht, daß ihr heutiger Führer Khalil Ibrahim früher Mitglied der National Islamic Front Turabis war.

Strategie der verbrannten Erde

Die Regierung gewährt den Janjawid, die eine zentrale Rolle in ihrer Strategie der "verbrannten Erde" in Darfur spielen, nachweislich vielfältige Unterstützung.

Regierungstruppen kämpfen Seite an Seite mit den Janjawid, erhalten Waffenlieferungen, Luftunterstützung in Form von Bombardements und andere logistische Hilfe. Seit Februar 2003 sind hunderte von Dörfern völlig oder teilweise zerstört worden, mindestens 1,2 Mio. Einwohner Darfurs sind Opfer von Vertreibungen, davon befinden sich bis zu 200.000 im Tschad, die übrigen in Lagern auf sudanesischem Staatsgebiet. Diese Lager befinden sich meist unter Regierungskontrolle und sind damit auch den Janjawid zugänglich. Die Zahl der Todesopfer der ethnischen Säuberungen wurde von den Medien lange stagnierend mal mit 10.000, mal mit 30.000 angegeben. Wie der Korrespondent der NZZ in Nairobi anmerkt "lassen sich mit diesen Zahlen im Westen die Massen wohl kaum zum Protest gegen das Morden in Darfur mobilisieren."[11] Inzwischen, Ende Juli 2004 werden diese Zahlen zögerlich nach oben korrigiert. Die UNO geht inzwischen von bis zu 50.000 Konfliktopfern aus, Flüchtlingsbefragungen und Hochrechnungen führen zu Schätzungen von 135.000-180.000 Toten.[12] Die sudanesische Regierung, die in den Anfangsmonaten des Konflikts die Existenz der Janjawid geleugnet hat, dementiert bis heute, die Reitermilizen zu unterstützen oder in irgendeiner Weise mit ihnen zusammenzuarbeiten. Dokumente, die Human Rights Watch vorliegen, lassen allerdings kaum Zweifel an einer engen Waffenbrüderschaft zwischen Regierung und Janjawid und damit an der Mitverantwortung der sudanesischen Regierung für die zahlreichen in Darfur begangenen Kriegsverbrechen.[13]

Die Ressource Öl

Welche Motive hat die sudanesische Regierung für einen Krieg gegen die eigene Bevölkerung? Es kann wenig Zweifel darüber bestehen, daß das Regime Umar al-Bashirs, trotz der Kaltstellung Hasan al-Turabis und einer scheinbar pragmatischeren Haltung seit einigen Jahren, nach wie vor eine islamistische und - in diesem Kontext von Bedeutung - eine arabo-zentrische Agenda hat. Es ist daher nur folgerichtig, daß ausschließlich die nicht-arabophone Bevölkerung Darfurs das Opfer von Mord, Vergewaltigung, Brandschatzung und Vertreibung ist. Begleitet werden die ethnischen Säuberungen von einer Rethorik, die sich rassischer Kategorien wie "Arab", "Zurq" (Schwarzer) oder auch "Abid" (Sklave) bedient.[14] Sudan-Kenner Sean O´Fahey kommt zu dem Schluß, daß "…viele der rassistischen Gesinnungen, die traditionell gegen Sklaven gerichtet waren, sich nun gegen seßhafte nicht-arabische Gemeinschaften wenden."[15] Neben der Öffnung weiter Gebiete für ihre arabophone Klientel entzieht die Regierung in Khartum gleichzeitig den Rebellen von SLM und JEM mit Hilfe einer Politik der verbrannten Erde das Operationsgebiet und die sie unterstützende Bevölkerung. Schließlich sind wirtschaftliche Interessen für die Politik der sudanesischen Regierung in Darfur mitentscheidend. Die in Süd-Darfur und dem angrenzenden West-Kordofan - dem sogenannten Block 6 - vorhandenen Erdölvorkommen sollen der Regierung helfen, die Erdölproduktion von gegenwärtig 300.000 Barrel auf 500.000 Barrel täglich zu steigern. Die in Süd-Darfur und West-Kordofan vorhandenen Erdölreserven sollen ca. 900 Millionen Barrel betragen, im Wert von heute ca. 30 Milliarden Dollar. Angesichts eines jährlichen Erdölexportes im Wert von etwa 2 Mrd. Dollar (2003) stehen hier, zusammen mit den Vorkommen anderer Gebiete große Reserven bereit.[16] Bereits in diesem Jahre wird eine von der China National Petroleum Corporation (CNPC) gebaute Pipeline den Betrieb aufnehmen, um zunächst Öl aus West-Kordofan und später aus Süd-Darfur nach Khartum zu pumpen.[17] Auch für die noch nicht erschlossenen Konzessionen im sogenannten Block 12, der das gesamte Nord-Darfur, sowie Teile von West- und Süd-Darfur abdeckt, stehen bereits Interessenten aus Rußland, Bulgarien, Rumänien, Japan und Irland bereit. Das Aufhetzen verschiedener Ethnien gegeneinander und die nachfolgenden Vertreibungen in Darfur, durchgeführt auch zur Kontrolle der Ölproduktion setzen eine Strategie fort, die seit der Ära Numeiris entwickelt und verfeinert wurde. "Es hat fast zwei Jahrzehnte und verschiedene Regierungen gedauert, um diese Strategie zu entwickeln und zu verfeinern. [Sie] hat erreicht, was direkte Militäraktionen der Zentralregierung allein niemals erreicht hätten: eine eindeutige Kontrolle bestimmter Ölfelder im Südsudan. Die politische Taktik war es, die lenkende Hand der Regierung zu verschleiern indem Stellvertreter der Regierung - landhungrige Nachbarn - ermutigt wurden, die Bauernbevölkerung der Ölfelder anzugreifen. War die Bevölkerung ausgedünnt, konnte die Regierung eine Sicherheitszone um die ölproduzierenden Gebiete errichten, damit ausländische Ölgesellschaften in Ruhe und Sicherheit mit der Förderung beginnen konnten, während jene, die seit Generationen auf dem Land gelebt hatten, Frieden, Sicherheit, Heimat, Tiere, Ernten, Familien und oft auch ihr Leben verloren."[18]

Frieden im Südsudan

Nach zwei Jahren fast ununterbrochener Verhandlungen haben die sudanesische Regierung und die SPLM/A in Niavasha Ende Mai 2004 drei Protokolle unterschrieben, die als Grundlage eines Friedensvertrages zur Beendigung des seit 1983 andauernden Krieges im Südsudan dienen sollen. Die Einigung ist vor allem auf Druck der Vereinigten Staaten zustandegekommen,[19] die im Wahlkampfjahr 2004 einen außenpolitischen Erfolg dringend gebrauchen kann. Angesichts des militärischen und diplomatischen Debakels im Irak und ihres ebenfalls problematischen Engagements in Afghanistan können die USA in den Sudan-Konflikten die moralische Führung übernehmen, ohne mit Widerstand ihrer westlichen Verbündeten rechnen zu müssen. Die beiden Friedenspartner haben sich in den Friedensprotokollen über die Verteilung des nationalen Reichtums und die Verteilung der Macht im Staat geeinigt und dabei alle anderen Gruppen und Regionen ausgeschlossen. Der Konflikt in Darfur zeigt jedoch überdeutlich, daß der Friedensschluß von Niavasha nicht ausreicht, um den Sudan zu stabilisieren. Wie die Darfur-Krise im Rahmen einer umfassenden politischen Reform gelöst werden kann, wird im August in Kairo bei einem Treffen zwischen dem Oppositionsbündnis National Democratic Alliance (NDA)[20] und Vertretern der sudanesischen Regierung zur Sprache kommen.[21]

Resolution des Sicherheitsrats

Obwohl das US-Repräsentantenhaus die Menschrechtsverletzungen in Darfur als Genozid qualifiziert hat und auch europäische Regierungen auf Taten drängen, hat sich bis Ende Juli 2004 der UN-Sicherheitsrat noch nicht zur Verhängung von Sanktionen durchringen können. Ein von den USA eingebrachter Resolutionsentwurf drohte zwar mit Sanktionen, sollten die Janjawid nicht binnen 30 Tagen entwaffnet werden, der Entwurf mußte jedoch mehrere Male abgeschwächt werden, da er - nicht zuletzt aufgrund ökonomischer Interessen - auf den Widerstand von sechs der 15 Mitglieder des Sicherheitsrates stieß, darunter China, Rußland, Algerien und Pakistan. Die schließlich Ende Juli angenommene Resolution des UN-Sicherheitsrats fordert zwar die Beendigung der Greueltaten gegen Zivilisten und die Entwaffnung der Janjawid-Milizen bis Ende August 2004, konkrete Maßnahmen bei Nichterfüllung werden jedoch nicht angedroht. Trotz dieser verwässerten Resolution, die den Begriff "Sanktionen" nicht benutzt, um die sudanesische Regierung nicht unter Druck zu setzen, haben sich China und Pakistan der Stimme enthalten. Im Sicherheitsrat unterstützt von einer Gruppe von Ländern mit wirtschaftlichen Interessen im Sudan,[22] weiß die sudanesische Regierung, daß die USA und ihre westlichen Verbündeten sich - trotz aller Drohungen -kaum zu einer militärischen Intervention in Darfur entschließen werden. Und während die Menschenrechtsverletzungen in Darfur sich fortsetzen, beginnt dort die sommerliche Regenzeit, die den Hilfskonvois den Transport von Lebensmitteln immer schwieriger macht. Den Janjawid entkommen, bahnt sich für die Flüchtlinge nun in den Lagern eine Hungerkatastrophe an. Derweil gibt die Regierung Umar als-Baschirs um Zeit zu gewinnen, wenig überzeugend vor, dem mörderischen Treiben der Janjawid Einhalt gebieten zu wollen. Ob die von Sudan und den UNO im August vereinbarte Rückkehr der Flüchtlinge und die Friedensverhandlungen zwischen Regierung und Rebellen [23] in Nigeria tatsächlich eine Wende zum Bessern einleiten, blieb abzuwarten. Skepsis ist angebracht.

Fußnoten
  1. R.S. O´Fahey: A complex ethnic reality with a long history. International Herald Tribune, 15. Mai 2004.
  2. Zur Geschichte Darfurs siehe Peter Holt: Dar Fur, in Encyclopaedia of Islam, Vol.II, S.121-125.
  3. Gleiches gilt für den Südsudan und die Red Sea Hills. Siehe Robert O. Collins: Disaster in Darfur, erscheint in Géopolitique Africaine, Juli 2004.
  4. Gebiet zwischen Blauem und Weißem Nil.
  5. John Garang, die Führungspersönlichkeit der SPLA/M ist ein Dinka.
  6. SLA, nicht zu verwechseln mit der südsudanesischen SPLA unter John Garang.
  7. Jean-Louis Péninou: Als die Reiter Gewehre erhielten. Le Monde Diplomatique, 14.5.2004.
  8. Vgl. "Um den Islam geht es nicht/Konflikt in Darfur ist auch ein tschadischer Krieg". Thomas Scheen, FAZ 28.07.2004 und "Au pays des Djandjawid, Séverin Georges Guetta, Le Temps - http://www.ramadji.com/27062004_au_pays_des_janjaweed.html
  9. The Sudan Liberation Movement and Sudan Liberation Army (SLM/SLA): Political Declaration (http://www.slma.tk/.
  10. In "The Black Book: Imbalance of Power and Wealth in Sudan".http://www.sudanjem.com definiert die JEM fünf Grundpfeiler des islamistischen Staates, darunter, wenig überraschend, die Anwendung der Schari´a.
  11. Verharmloster Massenmord in Darfur, NZZ 24. Juli 2004.
  12. EU-Aussenminister wollen Khartum zur Einstellung der Gewalt bewegen, NZZ 26. Juli 2004.
  13. Darfur Documents Confirm Government Policy of Militia Support. Human Rights Watch, Washington, 19. Juli 2004.
  14. John Ryle: Disaster in Darfur, The New York Review of Books, August, 12, 2004. Aufschlußreich hierzu ein Text des JEM (To be or not to be, Sudan at crossroads, Muhammad Jalal Ahmad Hashim): "Je schwärzer du bist und je afrikanischer du bist, desto stigmatisierter wirst du. Die Grade der Stigmatisierung sind in absteigender Linie wie folgt: afrikanische Gesichtszüge (dicke und breite Nase und Lippen und wuscheliges kurzes Haar) - Schwärze (der Hauptfarbe O.K.) - eine afrikanische Sprache - schließlich kein Muslim zu sein. Die Stigmatisiertesten sind jene, die die drei Grade des Stigmas in sich vereinen, wie die Mehrheit der Südsudanesen. Die Afrikaner der Nuba-Berge und die Ingassana kommen direkt nach den Südsudanesen. Dann kommen die Völker des westlichen Sudan, unabhängig von ihrer Stammeszugehörigkeit…"
  15. R.S. O´Fahey: A complex ethnic reality with a long history. International Herald Tribune.
  16. Nach anderen Berichten betragen die Einnahmen aus der Ölförderung 1,5 Milliarden US$ im Jahr, bzw. 45% der Staatseinnahmen. Siehe: Öl statt Sanktionen, Thomas Scheen, FAZ, 27. Juli 2004.
  17. China lieferte drei neue Waffenfabriken an den Sudan, s.o. John Ryle: Disaster…
  18. Sudan, Oil and Human Rights. Human Rights Watch, Washington 2003, S.50.
  19. Mit Unterstützung Großbritanniens, Norwegens und der IGAD (Intergovernmental Authority on Development).
  20. Der NDA gehören die SPLM/A, sowie alle größeren politischen Parteien, vor allem des Nordens an. Die SLA ist inzwischen der NDA formell beigetreten.
  21. Bloody Denials, Gamal Nkrumah, Al-Ahram Weekly, 29.Juli-4.August 2004.
  22. So hat z.B. Rußland zwölf MiG-29 Kampfflugzeuge in den Sudan verkauft.
  23. Mehr als eine Million Menschen soll zurückkehren, NZZ, 22. August 2004.
* Olaf Köndgen, Islamwissenschaftler und Cheflektor, Islam-Nahost, Brill Academie Publishers Leiden, Niederlande.


Dieser Beitrag erschien in: inamo (Informationsprojekt Naher und Mittlerer Osten e.V.), Nr. 39, 2004

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