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Nächster Interventionskandidat Sudan?

Von Lühr Henken *


Inhalt:
Die Haltung zu einem militärischen Eingreifen in den seit Februar 2003 virulenten Bürgerkrieg im sudanesischen Darfur wird selbst unter denen kontrovers diskutiert, die bisher die Militarisierung der deutschen Außenpolitik seit Ende der Blockkonfrontation vorangetrieben haben. Als Beispiele mögen folgende Aussagen aus der FDP, der SPD und auch der CDU/CSU gelten. Nachdem das Mitglied des Verteidigungsausschusses Elke Hoff (FDP) von ihrer zweiten Sudanreise 2006 zurückkam, sagte sie gegenüber dem Deutschlandfunk: „Ich bin also der festen Überzeugung, dass man mit dem weiteren Einsatz militärischer Mittel überhaupt nicht weiterkommen wird, sondern ich bin der Auffassung, dass wir alles dafür tun müssen, dass die ökonomische und wirtschaftliche Entwicklung im Sudan nach vorne kommt“ (www.dradio.de, 5.12.2006). Am 16.12.2006 gab der Tagesspiegel den FDP-Außenpolitiker Wolfgang Gerhardt mit der kontradiktorischen Aussage wieder, er halte „einen Kampfeinsatz im Sudan mit deutscher Beteiligung für unabdingbar.“ Während SPD-Fraktionschef Peter Struck im Deutschlandradio zu einem Bundeswehreinsatz im Sudan sagte: „Ich bin mir aber darüber im klaren, dass dies ein Mandat wäre, das schon ein brisantes Mandat wäre, schon auch mit Kampfeinsätzen der Soldaten verbunden sein könnte“ (FAZ 17.11.2006), wandte sich der CSU-Landesgruppenchef Peter Ramsauer vehement gegen einen Bundeswehreinsatz im Sudan. Vor dem Hintergrund, dass die sudanesische Regierung erklärt habe, eine aufgestockte UN-Truppe wie Feinde zu bekämpfen, wolle er keinen deutschen Soldaten in eine solche Mission schicken (Reuters 29.11.2006). Schon Ende Oktober hatte Hüseyin Aydin, MdB der Linkspartei, wegen seiner Forderung nach einem „UN-Mandat zur Einrichtung von sicheren Zonen für die bedrohte Zivilbevölkerung“, (Junge Welt 30.10.2006) Kritik aus den eigenen Reihen auf sich gezogen.

Anfang 2007 hatte sich die deutsche Debatte um einen Sudaneinsatz weitgehend wieder beruhigt. Der Bundestag hatte am 15. Dezember mit 466 zu 44 Stimmen (davon 38 Nein-Stimmen der Linksfraktion) für die Verlängerung des unveränderten AMIS-Mandats für Darfur bis zum 2. Juli 2007 gestimmt. Demnach darf die Bundeswehr bis zu 200 Soldaten einsetzen, um afrikanische Soldaten und Polizisten mit dem Flugzeug nach Darfur zu transportieren und ein Mandat nach Kapitel VII der UN-Charta erlaubt es, sie mit einer militärischen Schutzkomponente auf dem Flughafen zu versehen. Darüber hinaus dürfen sich bis zu 75 Bundeswehrsoldaten an der UN-Mission UNMIS im Süd-Sudan beteiligen. Dieses Mandat zur Überwachung des Waffenstillstands endet am 8. April 2007.

Die Afrikanische Union hat ihre 7000 Mann starke bewaffnete Beobachtermission AMIS über den 31. Dezember 2006 hinaus um ein halbes Jahr verlängert, nachdem die Umsetzung eines Beschlusses des UN-Sicherheitsrats vom 31. August 2006, UNMIS und AMIS zusammenzulegen, mit einem „robusten Mandat“ auszustatten und um 20.600 Soldaten und Polizisten zu verstärken, am Widerstand der sudanesischen Regierung scheiterte. Selbst Ultimaten des US-Präsidenten an Khartum, einer UN-Führung zuzustimmen, andernfalls gebe es einen – allerdings nicht spezifizierten - Plan B, ließen den sudanesischen Präsidenten Hassan al-Bashir unbeeindruckt. Anfang 2007 keimte vorübergehend Hoffnung auf, als der US-amerikanische Unterhändler Bill Richardson, Gouverneur des US-Bundesstaates New Mexiko, nach Gesprächen zwischen Al-Bashir und den Rebellengruppen, die das Darfur-Friedensabkommen vom Mai 2006 nicht unterzeichnet hatten, erklärte, beide Seiten hätten sich auf eine 60 Tage-Waffenruhe verständigt. Dieses wurde jedoch gleichentags von einer der Gruppen, der Justice and Equality Movement (JEM), dementiert.

Somit ist Anfang 2007 kein Ende des bewaffneten Konflikts in Sicht. Offensichtlich liegen die Ursachen tiefer und die Interessen der Beteiligten sind vielfältiger als sie bisher öffentlich wahrgenommen wurden. Im Folgenden soll es um eine Annäherung an die Hauptkonflikte im Süden und Westen des Landes gehen. Dabei wurde der Konflikt zwischen der Zentralregierung und den Bescha-Stämmen im Osten des Sudans ebenso ausgeklammert wie die Rolle der Lord Resistance Army (LRA) im Krieg im Süd-Sudan. Im Folgenden handelt es sich um einen Annäherungsprozess an einen schwierigen Konflikt in einem vielschichtigen großen Land. Dabei müssen – leider - auch Fragen offen bleiben und unterschiedliche Antworten auf dieselben Fragen im Raum stehen gelassen werden.

Land und Leute

Der Sudan hat eine Fläche von 2,5 Mio. km² (Nordsudan 1,85 Mio km², Südsudan 650.000 km²) und ist damit das größte Land Afrikas, und das zehngrößte der Erde. Es ist siebenmal so groß wie die Bundesrepublik Deutschland. Seine Nord-Südausdehnung beträgt etwa 2100 km, die Entfernung von der Westgrenze zum Tschad bis zur Ostgrenze nach Äthiopien misst etwa 1500 km. Klimatisch gehört es drei Zonen an: im Norden Wüstenklima, im Zentralsudan trockenheißes Steppenklima und im Süden wintertrockenes Savannenklima. Das Land hat eine sehr große landwirtschaftlich nutzbare Fläche von nahezu der doppelten Flächengröße Deutschlands, von der aber nur ein Bruchteil von 15 Prozent genutzt wird.

Mit 35,6 Millionen Einwohnern (2004) hat der Sudan seine Einwohnerzahl in den vergangenen 25 Jahren – trotz der Kriege – verdoppelt. Die sudanesische Bevölkerung ist sehr jung. 40 Prozent der Sudanesen sind unter 15 Jahre alt. Das weite Land ist sehr dünn besiedelt. Der Nil ist zusammen mit dem Atbara, der aus dem äthiopischen Hochland kommt, die Lebensader des Landes. Am Zusammenfluss von Weißem und Blauen Nil leben in Khartum (Hauptstadt), Omdurman und Bahri zusammen 6,2 Mio. Menschen. Rund jeder sechste Einwohner Sudans ist durch die Kriege der letzten 20 Jahre zum Flüchtling im eigenen Land geworden.

Die ethnische Zusammensetzung: Im Norden: die islamisch-arabische Bevölkerung (39 %). Im Westen: die islamischen Beggara-Stämme vor allem Fur, Zaghawa und Messalit (insges. 20 %), im Zentrum des Landes sowie im Süden sind nilotische Stämme vorherrschend, wie Dinka, Nuer, Shilluk u.a. (ca. 30. % der Bevölkerung, die hauptsächlich Anhänger verschiedener Naturreligionen sind), sowie Katholiken (10 %). Insgesamt wurden 572 Ethnien gezählt. Arabisch ist für 70 Prozent Mutter- und Verkehrssprache, im Südsudan Englisch sowie Stammessprachen (über 140 Sprachen). Sudan gilt als das vielfältigste Land in Afrika.

Das Durchschnittseinkommen liegt mit 781 US-Dollar (2005) beim Doppelten bis Dreifachen Schwarzafrikas und unterhalb der Hälfte Ägyptens. Seit 1999, dem Beginn des Rohölexports, verzeichnet das Land nahezu eine Verdreifachung des Bruttosozialprodukts. Der IWF gibt das Wirtschaftswachstum 2006 mit 12 Prozent an. Der Export hat sich seit 1999 vervierfacht. 78 % wird von Rohöl gedeckt. Es besteht eine sehr starke Abhängigkeit von der VR China. 2003 gingen 70 % des Exportwerts – eben vor allem Öl – dorthin.

Das Land bildet den Übergang von der arabischen Welt nach Afrika, bildet quasi wegen des Nils den Hinterhof Ägyptens (‚der weiche Unterleib’), liegt am geostrategisch wichtigen Roten Meer, der Wasserstraße, die Europa, Afrika und Asien verbindet. Dies in enger Nachbarschaft zur arabischen Halbinsel, der Tankstelle der Welt – will sagen, nicht nur wegen des Öls war und ist der Sudan geostrategisch von großer Bedeutung. Geschichte Sudans

Bis auf Darfur stand das Gebiet des heutigen Sudan seit dem 17. Jahrhundert unter ägyptischem Einfluss. Große Teile gehörten zum Osmanischen Reich, sind also islamisch geprägt. Bis Ende des 19. Jahrhunderts war Darfur ein eigenständiges Sultanat und das Sklavenreservoir Ägyptens. Ab 1885 bildete sich auf einem Gebiet zwischen dem heutigen Tschad und Äthiopien ein Mahdistaat, der sowohl Darfur als auch Khartum umfasste. 1898 schlugen britische Kolonialtruppen den Mahdistaat nieder. Die Faschodakrise zwischen Frankreich und Großbritannien führte 1899 zu den Grenzziehungen, die bis heute gelten. Der Sudan blieb britisch-ägyptisches Kondominium und wurde erst 1956 unabhängig. Seit 1955 gab es im Süden Kämpfe von Rebellen gegen die Dominierungsversuche des Nordsudan. Die Geschichte des Landes ist seitdem durch den Wechsel zwischen parlamentarischer Demokratie und Militärherrschaft - aber vor allem durch Kriege gekennzeichnet. Im Mai 1969 kam durch einen Staatsstreich Oberst Numeiri an die Macht, der zunächst eine Politik eines sudanesischen Sozialismus nach ägyptischem Vorbild Nassers und später in Anlehnung an die Sowjetunion verfolgte. Er billigte dem Südsudan ab 1972 eine weitgehende Autonomie zu, was zu einem - fragilen - Frieden mit dem Süden führte. Ab 1977 schwenkte er zum Westen über. 1979 stieß der US-Konzern Chevron auf Ölquellen im Süden. Numeiri kündigte als Folge dessen einseitig das Autonomieabkommen mit dem Süden auf. Da der Süden nun „plötzlich aller Rechte an den Rohstoffvorkommen beraubt (war), reagierte (er) mit erneuter Rebellion“ (Gérard Prunier, Le monde diplomatique, 13.12.2002). Nach der Bildung der Sudan People’s Liberation Army (SPLA) unter Führung von John Garang brach diese im Mai 1983 aus und beendete eine elfjährige Friedensphase. Die Einführung der Scharia (Striktes Alkoholverbot, die Einsetzung von Sondergerichten zur Aburteilung bestimmter Straftaten: Handabhacken für Diebstahl, Geschlechtertrennung im öffentlichen Leben, Verbot von Zinsen, Thilo Thielke, Krieg im Lande des Mahdi, Essen 2006, 400 Seiten, S. 200) als Ergebnis der Einflussnahme des islamischen Religionsführers Hassan al-Turabi, Muslimbruder und Doktorand der Sorbonne, im September 1983 verschärfte die Situation zusätzlich. Numeiri wurde im April 1985 entmachtet. Die dann einsetzende demokratische Periode scheiterte. Unter Führung von Omar al-Bashir, der auch heute noch Präsident des Sudans ist, übernahm das Militär am 30. Juni 1989 die Macht in Khartum. Dies mit massiver Unterstützung al-Turabis.

Innenpolitisch ging es Khartum um die Umsetzung der Scharia im Süden, außenpolitisch exponierte sich der Sudan 1991 an der Seite Iraks und erhielt als Unterstützung für den Kampf gegen den Südsudan Waffen aus dem Iran und auch militärische Unterstützung Libyens. Nicht unbedeutend der deutsche Anteil: Die Lieferungen des Iran beinhalteten 1991 50.000 deutsche G3-Sturmgewehre aus iranischer Lizenzproduktion - Und: Bis 1994 produzierte die von der bundeseigenen Fritz-Werner (Geisenheim) 1959 in Khartum errichtete Munitionsfabrik mit deutscher Hilfe 7,62-mm-Munition für G-3-Gewehre (Roman Deckert, Deutsches Kriegsgerät im Sudan). Während die Regierung in Khartum in dem Guerilla-Krieg um das Öl des Südens auch von den Golfstaaten unterstützt wurde, „versorgt Amerika über Nachschubbasen in Uganda (Gulu Air Base), Eritrea und Äthiopien die sudanesischen Rebellen mit Waffen und Ausrüstung, von denen sich Washington nach Auffassung westlicher Diplomaten in Khartum nach einem etwaigen Sieg der SPLA die Exklusivrechte für die Vermarktung des sudanesischen Öls erhofft“ (FAZ 29.7.1998). Der Bürgerkrieg zwischen der Regierungsarmee und der SPLA führte bis 1994 zu 1,3 Mio. Toten und rd. 3,5 Mio. Vertriebenen (Fischer-Weltalmanach 1995, Sp. 596). Unter Fortsetzung des Bürgerkrieges begannen Ende Oktober 1997 offizielle Verhandlungen zwischen Khartum und der SPLA, die im Oktober 2002 zur Vereinbarung einer Waffenruhe für den gesamten Sudan führte.

In Etappen wurden sechs verbindliche Teilabkommen erzielt, die dann mit dem Abkommen von Nairobi im Januar 2005 (Comprehensive Peace Agreement, CPA) nach über sieben Jahren Verhandlungen, davon in den letzten zwei Jahren unter ständigem Druck der USA, in Kraft traten. Mit dem CPA wurde ein 21 jähriger Bürgerkrieg beendet. Das Abkommen sieht im Wesentlichen vor:
  • Einen dauerhaften Waffenstillstand
  • Vizepräsident des Sudan wird Dr. John Garang, Führer der SPLA. Nach dessen Tod in Folge eines Hubschrauberabsturzes wurde sein Stellvertreter Salva Kiir sein Nachfolger
  • SPLA-Vertreter erhalten 28 Prozent der Parlamentssitze und in der nationalen Exekutive
  • Die sudanesische Armee verlässt bis Mitte 2007 den Südsudan
  • Ende 2009 finden gesamtsudanesische Präsidenten- und Parlamentswahlen statt
  • Nach sechs Jahren Übergangszeit soll ein Referendum im Süden über den Verbleib im Sudan entscheiden
  • Während der Übergangszeit bis Mitte 2011 teilen sich Nord und Süd die Öleinnahmen des Südens zur Hälfte
  • die Scharia gilt nur im Norden, mit Ausnahme der dort lebenden Christen

Am 25. März 2005 beschloss der UN-Sicherheitsrat (UN-SR 1590), das Friedenabkommen im Süden durch eine 10.000 Soldaten starke UN-Truppe (UNMIS) mit einem Mandat nach Kapitel VII der UN-Charta zu überwachen. Diese Resolution wird umgesetzt.

Deutsche Industrieprojekte im Sudan

Zeitweilig Schlagzeilen hierzulande machte das Bestreben der Thormählen Schweißtechnik AG aus dem schleswig-holsteinischen Bad Oldesloe, eine Eisenbahnlinie vom Südsudan nach Kenia zu bauen, um für den Abtransport des Öls nicht mehr auf die Pipeline angewiesen zu sein, die durch den Norden nach Port Sudan verläuft. Alle Indizien deuten mittlerweile jedoch darauf hin, dass sich dieser milliardenschwere Deal zerschlagen hat. Die Firma ist zum Jahresende 2006 aufgelöst worden, weil sich die Mitinhaber mit Thormählen über das Sudan-Projekt zerstritten haben. Zwar soll der Initiator des Projekts, Klaus Thormählen, seine Belegschaft in eine neue Firma in Barsbüttel mitgenommen haben und Thormählen wurde am 22. August 2006 damit zitiert, dass es ihm im Zusammenhang mit dem Sudan-Projekt gelungen sei, den US-Generalkonsul dafür zu gewinnen, dass er seine Kontakte zu einem Hersteller für US-Speziallokomotiven nutze. Allerdings gibt es seither keine neuen Veröffentlichungen mehr über Thormählen. Und zuvor hatte die „Railway Gazette International“ (10.8.2006) geschrieben, dass von allen Vorhaben, Eisenbahnen quer durch Afrika zu bauen, diejenige von Thormählen als das „am weitesten Hergeholte“ eingestuft werden müsse. (http://www.railwaysafrica.com/news_africa/sudan.php) Und: Der Bericht der Linksparteiabgeordneten Paech und Schäfer über ihre Sudanreise sagt lapidar: Das Eisenbahnprojekt „ist offensichtlich eine Chimäre und spielt im Sudan selbst keine Rolle“ (Norman Paech/Paul Schäfer, Bericht einer Sudanreise 2. bis 7. Oktober 2006, S. 6 /regionen/Sudan/reise.html). Damit dürfte auch das Großprojekt zum Wiederaufbau Südsudans gestorben sein, was zusätzlich zum Eisenbahnbau den Aufbau der Energieerzeugung, der Nilschifffahrt, der Telekommunikation, einer Fluggesellschaft und einer neuen Hauptstadt für den Südsudan vorsah. Denn die aufgelöste Thormählen Schweißtechnik AG war „gebeten“ worden, „die Leitung“ dieser Großprojekte „zu übernehmen“. (www.thormaehlen-schweisstechnik.de abgelesen 29.11.2004, der URL ist inzwischen gelöscht). Das Volumen des Eisenbahnprojekts mit einer 4100 km langen Strecke wurde dort mit 2,5 Mrd. USD, das Gesamtprojekt mit 8 Mrd. USD angegeben. Die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) berichtete damals: „Mit den deutschen Firmen Thyssen-Krupp, Siemens, Strabag und Radio Hamburg hat Thormählen eine Holding-Gesellschaft gegründet, welche beim Wiederaufbau des Südens mitwirken soll“ (NZZ 27.11.2004). Die Holding wird gegenstandslos sein, denn Siemens verkündete Mitte Januar 2007, den Sudan zu verlassen. „Wir haben uns entschieden, dort mit all unseren Geschäftszweigen auszusteigen.“ So Siemens-Chef Kleinfeld gegenüber dem Spiegel (22.1.2007).

Perspektiven des Südsudans

Als Folge des Nord-Süd-Krieges kamen insgesamt etwa zwei Millionen Menschen ums Leben, etwa vier Millionen Menschen wurden innerhalb Sudans vertrieben. Von denen befinden sich mehr als zwei Millionen in Slums rund um die Hauptstadt Khartum, manche von ihnen seit mehr als zwei Jahrzehnten, die andern leben verstreut im Norden. Fast eine Million Menschen sollen sich noch im Ausland befinden, davon 750.000 in Uganda. Zusammen mit der UN wird an der Rückführung gearbeitet. 63 Prozent wollen laut Befragungen so schnell wie möglich zurück, 25 Prozent später. Allerdings wird die Rückführung nur langsam vonstatten gehen. Ein UN-Programm stellt für 2007 100 Mio. Dollar zur Verfügung. Die Regierung hofft, damit 150.000 Menschen in den Süd-Sudan zurückführen zu können.

Die Umsetzung des CPA von Nairobi wird, wenn auch zögerlich, umgesetzt. Auch die Zahlung von 50 Prozent der Öleinnahmen an den Süden funktioniert. Im Jahr 2005 flossen als 50 Prozent-Anteil der Öleinnahmen 702 Mio. US-Dollar in den Süden. (www.sudantribune.com 16.3.2006). Für die ersten fünf Monate in 2006 waren es 473 Mio. Dollar. (www.sudantribune.com 5.8.2006) Allerdings schreitet die Entwaffnung nur langsam voran und es kommt immer wieder zu kleinen Schießereien. Ende November 2006 war es in der Stadt Malakal, Hauptstadt der Provinz Oberer Nil, zu den heftigsten Kämpfen zwischen SPLA und Regierungstruppen seit Abschluss des CPA gekommen. 150 Tote und 500 Verletzte wurden gezählt.

Ungeachtet dessen laufen die Vorbereitungen für die gesamtsudanesischen Parlaments- und Präsidentenwahlen, die Ende 2009 abgehalten werden sollen. Die südsudanesische SPLM vermeldete Ende Dezember, bereits Zehntausende neue Mitglieder in Gliedstaaten des Nordens gewonnen zu haben (www.sudantribune.com 27.12.2006).

Bevor wir zu Darfur übergehen, ist eine Analyse der Rohstoffe wichtig.

Erdöl – Reserven - Konzessionen

(Siehe zum Folgenden die Karte mit den Ölfeldern.)

Der Boden Sudans ist rohstoffreich. Eisen, Kupfer, Zinn, Blei, Asbest, Gold, Gips, Steinsalz, Bauxit, Uran, Platin und 1 Mio. t Chrom werden genannt. Jedoch die mit Abstand größte Bedeutung hat dabei das Rohöl. Die US-Firma Chevron hatte 1973 als erste nach Öl gesucht, wurde 1979 fündig, und hatte 1983 80 Prozent einer Konzession in der Provinz Bahr al Ghazal erworben, wo es drei Mrd. Barrel Öl vermutete. Zwei Jahre später jedoch verließ Chevron den Sudan, weil John Garangs SPLA drei ihrer Mitarbeiter tötete. Die SPLA sah die Ölgesellschaften als „legitime militärische Ziele“ an, weil die Einnahmen aus dem Ölgeschäft der islamischen Regierung in Khartum zu gute kamen. Auch die französisch-belgische Total nutzt ihre Konzession des riesigen in Südsudan gelegenen Blocks B seit 1985 nicht mehr. 1997 verhängte die Clinton-Regierung Sanktionen gegen den Sudan wegen der „fortgesetzten Förderung des Terrorismus“ (Von 1991 bis 1996 verdiente Osama Bin Laden im Sudan Geld vor allem mit dem Straßenbau). Khartum galt als Verbündeter Irans und Förderer islamistischer Gruppen in Afrika. US-amerikanischen Investoren im Sudan drohten seitdem drakonische Strafen. Als einziger US-Ölkonzern hält die texanische Marathon einen derzeit ungenutzten Anteil von 32,5 Prozent am von Total geführten Konsortium des Blocks B.

Wie viel Öl lagert in Sudans Boden?

1995 noch wurden die nachgewiesenen Erdölreserven des Sudan mit lediglich 300 Mio. Barrel angegeben. Für Ende 2005 gibt British Petroleum (BP) die nachgewiesenen Vorräte bereits mit 6,4 Milliarden Barrel an (BP Statistical Review of World Energy 2006, 21 Seiten, Seite 6). Damit liegt der Sudan auf Platz 20 in der Welt - zwischen Aserbaidschan und Katar – und hat die Mitgliedschaft in der OPEC beantragt.

Bisher nicht einzuordnen ist eine geradezu spektakuläre Aussage über die sudanesische Ölmenge, die in der FAZ am 29. Juli 1998 veröffentlicht wurde: „Der damals (in den 80er Jahren, L.H.) für Sudan zuständige Geschäftsträger von Chevron, Payne, soll die Auffassung vertreten haben, dass Sudan über mehr Ölreserven verfügt als Iran und Saudi-Arabien zusammen. Deshalb investierte das Unternehmen angeblich rund 10 Milliarden Dollar zur Erkundung der Öllagerstätten des Sudan.“ Wenn das zuträfe, wäre das sensationell. (Um die Größenordnungen klar zu machen: Saudi-Arabien verfügt über 264 Milliarden Barrel also über das 40fache der im Sudan nachgewiesenen Menge und der Iran steht mit 137,5 Mrd. Barrel in der BP-Liste.) Eine Bestätigung für die angebliche Feststellung des Chevron-Managers gibt es bis heute nicht. Falls diese Aussage von qualitativer Bedeutung sein sollte, dürfte sie zumindest der US-Außenministerin Rice bekannt sein, denn sie gehörte bis 1995 zehn Jahre lang dem Chevron-Aufsichtsrat an.

Die bisher ausgebeuteten Erdöllagerstätten liegen zum größeren Teil auf dem Gebiet Süd-Sudans. Dabei wird der riesige Block B (früher Block 5) im Süden nicht ausgebeutet. Westliche Firmen haben ihre Konzessionen im Süden verkauft: die kanadische Talisman (am Block 2, Ende 2002), die österreichische OMV (am Block 5 B, September 2003), die schwedische Lundin (am Block 5 A) 2003. Sie beugten sich der jahrelangen Kritik zahlreicher Menschenrechtsorganisationen, die ihnen u.a. Unterstützung von Völkermord im Südsudan vorwarfen. Die Konzessionen werden heute von der Chinese National Petroleum Corporation (CNPC), der malaysischen Petronas, der indischen Oil and Natural Gas Corporation (ONGC), und verschiedenen sudanesischen Firmen sowie einer südafrikanischen Gesellschaft gehalten. Kleine Anteile halten auch je eine Ölgesellschaft aus Katar und den Emiraten. Dazu die genannten aus den USA und Frankreich/Belgien. Nach fachkundiger Schätzung – offizielle sudanesische Zahlen sind nicht verfügbar – lagern in den Ölquellen, in denen derzeit gefördert wird, noch 2,229 Mrd. Barrel. (Egbert Wesselink, in: Oil and the Future of Sudan, Conference Report, Juba, 1./2.11.2006, 49 Seiten, www.ecosonline.org). Hier summieren sich die noch förderbaren Anteile von CNPC auf 1 Mrd., von Petronas auf gut 600, von ONGC auf knapp 300 Mio. Barrel. Seit August 2006 wird über eine zweite – weiter östlich gelegene - Pipeline das Rohöl aus dem Süden nach Port Sudan geleitet.

Aussagen über den Ölinhalt von Block B im Süden, an dem Total und Marathon mit jeweils 32,5 % beteiligt sind, sind nicht verfügbar.

Die tägliche Ölfördermenge in Barrel entwickelt sich rapide. Waren es 2002: 240.000, 2003: 270.000, 2004: 300.000, 2005: 340.000 so waren es 2006 täglich durchschnittlich 430.000 und die Prognose für 2007 liegt bei 620.000 Barrel (www.africanoiljournal.com). In zwei bis drei Jahren wird eine tägliche Fördermenge von 1 Mio. Barrel angestrebt.

Seit Juli 2002 ist zwischen dem Norden und dem Süden vereinbart gewesen, dass sechs Jahre nach Abschluss des Friedenvertrages der Süden sich in einem Referendum selbständig machen darf. Das hätte praktisch zur Folge: Wenn es zu der Unabhängigkeit käme, was bis heute Wille von 95 Prozent der südlichen Bevölkerung ist (Paech/Schäfer, Reisebericht, S.5), würde das für den Norden bedeuten, dass es ab dann auf die Öleinnahmen des Südens verzichten müsste.

Spätestens seit Dezember 2003, als sich beide Seiten darauf einigten, dass in der sechsjährigen Übergangszeit die Öleinnahmen des Südens zur Hälfte auch dem Süden zukommen sollen, läuft die Konzessionsvergabe im Norden auf Hochtouren. (Siehe PDF-Datei Ölfeldkarte des Sudan, Stand August 2006 http://www.ecosonline.org/back/pdf_reports/Maps/oilfieldmap%20Sudan%20ECOS.pdf)

Die Chinesische CNPC erhielt zu 95 Prozent die Konzession im Block 6, der in West-Kordofan und Süddarfur, also im Norden liegt. Mitte 2004 meldeten die Chinesen erstmals „bedeutsame Funde“ (NZZ 16.6.2004). Damals war die Vergabe der Blöcke 10 bis 15 (alle im Norden gelegen) noch offen. Im November 2004 las man in der NZZ: „Die grossen amerikanischen Ölfirmen Chevron Texaco und Exxon Mobil dringen darauf, wieder ins sudanesische Ölgeschäft einsteigen zu können“ (NZZ 27.11.2004). Präsident Bush hatte zugesagt, nach einem Friedensschluss zwischen Nord und Süd, der damals unmittelbar bevorstand, die Sanktionen gegen Khartum aufzuheben. Das ist dann aber nicht geschehen, sondern Bush hat die Wirtschaftssanktionen, die Clinton 1997 gegen den Sudan erlassen hatte, aufrechterhalten und im Oktober 2006 sogar erweitert. Demzufolge bleibt das Vermögen sudanesischer Regierungsmitglieder in den USA eingefroren. „Zudem erließ Bush ein Verbot jeglichen Handels mit der Öl- und petrochemischen Industrie Sudans“ (FAZ 16.10.2006).

Die letzten veröffentlichten Angaben über die Konzessionsvergabe vom August 2006 besagen, dass Block 14 - ganz im Norden an der Grenze zu Libyen und Ägypten gelegen - an die südafrikanische Petro SA zu 80 Prozent gegangen ist. Block 15 erhielten mehrheitlich Petronas und CNPC. Der Block 12 (insgesamt 320.000 km² groß) wurde in A und B aufgeteilt. Block 12 A umfasst Nord-Darfur, 12 B Westdarfur – beide umkämpft. 12 A soll an ein Konsortium vergeben worden sein, dass von der indischen Reliance angeführt wird. Die NZZ schrieb: „Das Konzessionsgebiet 12 A ist noch kaum erforscht, doch es umfasst auch ein rund 50.000 Quadratkilometer großes ehemaliges Meeresbecken, in dem sich Erdöllagerstätten befinden könnten“ (NZZ 4.2.2006). Für 12 B ist die indische ONGC Videsh im Gespräch. Aber entschieden ist nichts. Die Blöcke 10, 11und 13 sind in jedem Fall noch frei. Allerdings werden die Aussichten auf Ölfunde als mäßig eingeschätzt (Wesselink, S. 15). Wir halten fest: Kein westlicher Ölkonzern ist in die Vergabe von neuen Konzessionen im Norden einbezogen und im Süden liegen die Förderarbeiten westlicher Ölkonzerne brach.

Darfur

Darfur, die „Heimat der Fur“ im Westen des Sudan ist etwa so groß wie Frankreich, wobei Norddarfur, das hauptsächlich aus Wüste besteht, etwa genauso groß ist wie West- und Süddarfur zusammen. Die Einwohnerzahl wird mit rund 6 Millionen angegeben. Unter den insgesamt 80 Ethnien und Stämmen Darfurs sind die Fur mit 800.000 die größte Ethnie, gefolgt von den Zaghawa (190.000) und den Masalit (185.000). Der bewaffnete Konflikt seit Februar 2003 hat dort zu zwei Millionen Binnenflüchtlingen und 218.000 Flüchtlingen in den Tschad hinein geführt. Die Angaben über die Zahl der direkt oder an den Folgen des Darfurkonflikt seit Anfang 2003 bis Anfang 2007 Getöteten hat die unvorstellbare Spanne von 9.000 bis 530.000 und wird später untersucht.

Zur Vorgeschichte des Bürgerkrieges: Konflikte gab es dort seit Langem zwischen sesshaften Ackerbauern und nomadisierenden Kamel- und Viehzüchtern um Wasserstellen und fruchtbares Land. Dürreperioden Mitte der 80er Jahre verschärften die Situation noch. Faktum ist: Die Region wurde von Khartum vernachlässigt.

Was sind Janjawid?

Schauen wir uns die Konfliktbeteiligten genauer an und beginnen mit den Janjawid. Dazu gibt es zwei recht präzise Beschreibungen von Mitte 2004. Die erste aus der FAZ, die zweite aus der NZZ. In der FAZ steht zusammengefasst: Diese berüchtigten Janjawid („unsterbliche Ritter“) stammen zum größten Teil aus dem Tschad, von wo sie Anfang der 90er Jahre von der neuen Herrscherelite des Putschpräsidenten Déby, den Zaghawa, nach Darfur vertrieben wurden. In Darfur herrschte damals bereits das Faustrecht auch hier wurden sie von den Zaghawa verfolgt, die traditionell beiderseits der Grenze leben. „Von 1992 an reagierten die arabischen Tschader in Sudan mit der Gründung von Selbstverteidigungsgruppen auf die Übergriffe der Zaghawa [...] Die Mehrheit dieser Gruppe stellen die tschadischen Walad Zeith, die Ethnie des ehemaligen tschadischen Botschafters in Washington, Ahmat Hassballah Soubiane, der heute zu den schärfsten Kritikern Débys gehört. Der Chef der Maharié wiederum, der zweitstärksten Gruppe innerhalb der Djandjawid, ist ein direkter Verwandter des ehemaligen tschadischen Außenministers Mahamat Saleh Annadir, dem ebenfalls wenig Sympathien für Déby nachgesagt werden“ (FAZ 28.7.2004). Der NZZ-Bericht, ein Monat später verfasst, sieht die Mehrheit der Janjawid bei Sudanesen. „Die neuen Janjawid sind Nomaden der Bani Hussein und Bani Helba.“ Wiedergegeben wird dann die Aussage eines SLA-Vertreters (Die SLA sind die militärischen Gegner der Janjawid). In den vergangenen Jahren seien diese Kamel-Nomaden wegen Dürre und zunehmender Versteppung ihrer Weiden mehr und mehr nach Süden und bis in die Nähe der Bauerndörfer vorgedrungen.“ Sie seien nach der Erhebung in Darfur im Februar 2003 von Khartum gegen die SLA aufgehetzt worden. „Die heutigen Janjawid nähmen auch Fremde in ihre Reihen auf - frühere Widerstandskämpfer aus dem Tschad oder gewöhnliche Kriminelle aus afrikanischen Ländern, welche sich in Darfur leichte Beute erhofften“ (NZZ 20.8.2004). 1994 führte Khartum in Darfur Verwaltungsreformen durch, die das Siedlungsgebiet der sesshaften Fur auf drei Gliedstaaten aufteilte, und damit ihren politischen Einfluss schwächte. Ebenso erging es den ebenfalls sesshaften Masalit, dessen Heimatgebiet in eine Vielzahl von Emiraten aufgeteilt wurde und den Arabischsprachigen zugeteilt wurde. „Diese ‚Reform’ führte in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre zu einem im Ausland kaum beachteten Aufstand , in dessen Verlauf von Khartum unterstützte arabische Milizen Dörfer nieder brannten und Zehntausende Masalit ins tschadische Exil trieben“ (NZZ 22.5.2004). Diese Arabermilizen werden Janjawid genannt. Andere verlegen die Gründung der Janjawid in das Jahr 1999. „In Dar Massalit hatte zunehmender Widerstand der schwarzen ‚Urbevölkerung’ gegen arabische Dominanz zu verstärkten militärischen Aktionen der Regierung geführt.“ Weil die Regierung für ihren Krieg gegen den Süden immer mehr Schwarze aus Darfur rekrutierten, habe dies in den Gebieten der Massalit zu Unruhen geführt, die die Regierung brutal niederwarf. Die Regierung begann in Süddarfur arabische Freiwillige auszubilden und entlohnte sie. „Zum ersten mal wüteten Dschandschawid in Darfur (1999), mehr als 30 Dörfer wurden niedergebrannt, mehr als ein Tausend Massalit getötet. Die meisten, hieß es, seien aus dem Tschad gekommen, um hier in Darfur, einen panarabischen Krieg zu führen“ (Thielke, S. 246). Der Begriff Janjawid stammt von ihren Gegnern, den „Rebellen“. Er ist unscharf. In wie weit es sich um unpolitische - rein kriminelle - Gruppen handelt, die vom Kamel- und Rinderdiebstahl, Plünderungen und Überfällen leben, und wie weit der Regierungseinfluss auf diese Gruppen reicht, lässt sich nicht klar feststellen. Klar ist, dass sie mit äußerster Brutalität morden und brandschatzen.

Die Aussagen darüber, in welchem Verhältnis Janjawid und Regierung zueinander stehen, ist widersprüchlich. Die Regierung behauptet, sie habe mit den Janjawid nichts zu tun, diese seien Räuber und Banditen. Dem widersprach der Bericht einer UN-Untersuchungskommission zum Völkermord. Darin wird festgestellt, „dass die Janjawid, Milizen seien, die unter der Kontrolle der Behörden stünden oder zumindest auf deren Komplizenschaft oder Duldung zählen könnten. Außerdem bilde die Regierung die Milizen aus und liefere ihnen Nachschub. Auch gewähre sie ihnen Straflosigkeit“ (NZZ 2.2.2005). Einen weiteren Beleg für Zusammenarbeit lieferte der Korrespondent der NZZ, der im Frühjahr 2006 einen Janjawid-Anführer besuchte, der mindestens 600 Männer nördlich der Grenzstadt zum Tschad Geneina befehlige. Dieser bejahte, „es gebe eine Koordination mit den staatlichen Sicherheitskräften, er könne auch den Einsatz der drei auf dem Flugplatz bereit stehenden chinesischen Mi-24 Kampfhelikopter anfordern“ (NZZ 15.4.2006). Der mächtigste Janjawid-Führer Musa Hilal soll allein 20.000 von ihnen befehligen (Thielke, S. 13).

Konfliktverlauf in Darfur

Als der Sudan seit 1999 durch den Ölexport mehr und mehr prosperierte und sich zwischen Khartum und dem Südsudan mit dem Abkommen von Machakos im Juli 2002 eine friedliche Einigung anbahnte, aber sich zugleich an der prekären Situation in Darfur nichts änderte, bildete sich die Darfur Liberation Front (DLF). Sie nahm im Februar 2003 eine kleine Destrikthauptstadt in Darfur ein, die von Regierungstruppen im März allerdings zurückerobert wurde. Daraufhin benannte sich die DLF um in Sudan Liberation Army (SLA). Dies in Anlehnung an die SPLA Südsudans, von der sie im März 2002 militärisch ausgebildet worden sein soll. „Bereits im März 2003 eroberten die Rebellen die Bergregion Jebel Marra im zentralen Darfur und die Stadt Tine an der Grenze zum Tschad. Ihr bedeutendster Erfolg gelang ihnen am 25. April 2003 bei einem Überraschungsangriff in al-Fasher, der Hauptstadt der Region Nord-Darfur“ (Arbeitsgemeinschaft Kriegsursachenforschung, AKUF, Das Kriegsgeschehen 2004, Hamburg 2005, 254 Seiten, S. 212). „Die Desperados der Sudan Liberation Army und des islamischen Justice and Equality Movement (griffen) zu ihren Kalaschnikows und überfielen 80 Polizeistationen, diverse Kasernen und Regierungsgebäude. Mindestes acht Antonowmaschinen sollen damals zerstört und 685 sudanesische Polizisten von den Rebellen getötet worden sein“ (Thielke, S. 35). Die Regierung – ob dieses plötzlichen Kriegsausbruchs alarmiert - reagierte im Juli mit brutalen Luftangriffen. „Lokale Banden wurden bewaffnet und auf ihren Beutezügen von Kampfhubschraubern und Kriegsflugzeugen der Armee unterstützt. Den apokalyptischen Reitern der Dschandschawid war der Auftrag erteilt worden: ‚Tötet die Sklaven’“ (Thielke, S. 35). Unter Vermittlung des Tschad ausgehandelte Waffenstillstandsvereinbarungen hielten nicht. Die Regierung startete im Februar 2004 eine weitere Großoffensive. Der Konflikt weitete sich zu einem regelrechten Krieg aus. Janjawid-Milizen brannten Dörfer nieder. Nach UN-Schätzungen forderten die Kämpfe bis Ende März 2004 mindestens 10.000 Opfer (Fischer Weltalmanach 2005, S. 415). Die NZZ analysiert: Das sudanesische Regime schlage deshalb so hart zu, weil Turabi „offensichtlich die Rebellen dazu benutzt, um seine Rückkehr an die Macht in Khartum zu betreiben“ (NZZ 22.5.2004). Die Leute des Muslimbruders al-Turabi in Khartum kommen meist aus Darfur. „Die größere Bedrohung aus Sicht des Regimes in Khartum (liegt) bei der JEM (Justice and Equalitiy Movement) und ihren Kontakten zum Popular Congress (PC), der Partei Hassan at-Turabis. Dieser gilt als Führer der Islamisten im Sudan und war bis 1999 neben Präsident Bashir der mächtigste Mann in der sudanesischen Regierung. Turabi wurde Ende März 2004 unter anderem wegen seiner Verbindungen zur JEM verhaftet“ (AKUF 2004, S. 214). Und: „Manche halten ihn (al-Turabi, L.H.) für den ‚Erfinder’ der Bewegung für Gerechtigkeit und Gleichheit (JEM), einer der beiden in Darfur aktiven Rebellengruppen“ (FAZ 7.7.2005). Und: „’Die Rebellion in Darfur stellt für die Regierung in Khartum eine größere Bedrohung dar als der lang andauernde Rebellenaufstand im Süden’, glaubt Charles Snyder, Afrika-Experte der Bush-Administration. Gerade die Verbindung von Islamistenführer Hassan al-Turabi mit dem JEM könne für Baschir gefährlich werden. Diese Bedrohung sei auch der Grund für die Brutalisierung des Konflikts (Quelle: The East African, Nairobi, 28.6.2004“; Thielke, S. 152). Die Lage in Darfur spitzte sich 2004 weiter zu. „Aufnahmen eines US-Spionagesatelliten zeigen die Zerstörung von mindestens 400 Dörfern in Darfur. Rund 56.000 Häuser seien zerstört worden.“ (Quelle: Associated Press, 25.6.2004, Thielke, S. 151). „Die Art der Kriegsführung der Armee, insbesondere aber der der Dschandschawid-Milizen, machte den Darfur-Konflikt zum weltweit blutigsten der 2004 geführten Kriege“ (AKUF 2004, S. 214).

Verhandlungen zwischen der Regierung einerseits, der eher säkularen SLA und der islamistischen JEM andererseits, scheiterten daran, dass die Janjawid nicht einbezogen waren und ihre mörderischen Attacken fortsetzten. Der US-Kongress bezeichnete die Ereignisse in Darfur am 22. Juli 2004 als Genozid.

Ist es Völkermord?

Bis heute wird vom Völkermord auch mit dem Zusatz „in Zeitlupe“ gesprochen. Nachdem US-Präsident Bush im September 2004 vom Völkermord sprach, setzte der UN-Sicherheitsrat eine fünfköpfige Kommission ein, die nach dreimonatiger Arbeit einen über 170 Seiten langen Bericht vorlegte, der zu dem Schluss kam, „dass die verbreiteten und systematischen Angriffe der Regierungstruppen und –milizen auf Zivilisten zwar Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellen könnten. Aber um einen Genozid handle es sich nicht, vor allem weil der Massenmord im Rahmen einer Guerillabekämpfung erfolgt sei. Auch wenn kein Völkermord stattgefunden habe, bedeute das aber nicht, dass die begangenen Verbrechen weniger schlimm als ein Genozid seien. Auch die Rebellen hätten sich Verbrechen zuschulden kommen lassen, doch sei deren Zahl im Vergleich mit jenen des Regierungslagers gering“ (NZZ 2.2.2005). Der Völkerrechtler Prof. Norman Paech, der sich Anfang Oktober 2006 im Sudan aufhielt, stellt in seinem mit Paul Schäfer zusammen verfassten Bericht fest: „Die Begriffe Völkermord und ethnische Vertreibung passen auf die Gewaltverbrechen, die in Darfur begangen werden, nicht. [...] In dem Konflikt spielen ethnische, rassische oder religiöse Motive keine Rolle“ (Paech/Schäfer, Reisebericht, S. 1).

Die Darfur-Krise bekam eine zusätzliche Dramatik dadurch, dass immer neue Ölfunde gemeldet wurden, und sich die bekannten Ölfelder immer mehr in Richtung Westen – also nach Darfur - verschoben haben. Die FAZ gab die Forderung der Darfur-Rebellen wieder: „Neben der Entwaffnung der Djandjawid und der Schaffung eines Rechtsstaates verlangen sie dreizehn Prozent der künftigen Öleinnahmen“ (FAZ 27.7.2004).

AMIS – die Beobachtertruppe der AU

Eine Serie von UN-Resolutionen führte ab 2004 dazu, dass die Afrikanische Union (AU) ihre Mission AMIS, die für die Herstellung einer sichereren Umgebung für die Rückkehr von Binnenflüchtlingen und ihre humanitäre Hilfe zuständig ist, damit aber überfordert war, immer weiter aufstockten. Die Bundeswehr beteiligte sich daran seit Dezember 2004 dreimal mit Transportflügen (12/2004: 196 gambische Soldaten nach El Fasher, 10/2005: 280 ghanaische Polizisten und 3/2006: 538 senegalesische Soldaten). AMIS hat vor allem Überwachungs- und Kontrollaufgaben des nicht vorhandenen Waffenstillstands. Die Soldaten sollen Zivilisten nur „in ihrer unmittelbaren Nähe und bei akuter Bedrohung im Rahmen ihrer Möglichkeiten“ schützen. Der Schutz von Zivilisten ist also „nicht die eigentliche Mission“ der Soldaten (FAZ 22.10.2004). AMIS wird unter misslichen Umständen eine gute Arbeit attestiert, kann die Aufgaben aber nicht erfüllen. Trotz der Finanzierung durch die EU, die sachfremd aus der Afrika-Entwicklungshilfe-Faszilität bis Januar 2006 insgesamt 242 Millionen Euro gegeben hat, leidet AMIS unter Geld- und Ausrüstungsmangel. Auch fehlt wegen der nur kurzen und unsicheren Mandatsverlängerungen eine Perspektive. Das führt zur Demotivierung der afrikanischen Soldaten und Polizisten.

Weiter in der Chronologie: „Nach Monaten relativer Ruhe, auch aufgrund der Präsenz von tausenden AU-Militärbeobachtern in der Region, kam es ab September 2005 zu neuen Kämpfen in der Region. Hintergrund waren die am 15.9.2005 wieder aufgenommenen Friedensgespräche in Abuja“ (Fischer Weltalmanach 2007, S. 460). Dabei ist der von den „Rebellen“ 2003 begonnene Krieg mit eigenen Kräften nicht zu gewinnen. „Die SLA verfügt im Jahr 2005 über 11.000 Kämpfer, die in dreizehn Brigaden organisiert seien. 70 Prozent des Territoriums von Darfur, behauptet SLA-Präsident Abd al-Wahid Mohammed al-Nur, werden von der SLA oder des JEM kontrolliert“ (Thielke, S. 231). Die Städte sind unter Kontrolle der Regierung. Die sudanesische Armee umfasst 104.800 Soldaten und verfügt an schweren Waffen über 200 Kampfpanzer T-54/T-55, 1.105 Artilleriesysteme, 24 Kampfhelikopter und über folgende Kampfflugzeuge: 19 MiG-29, 6 MiG-23, 5 MiG-21, 5 F-5 Tiger (The Military Balance 2005/2006, S. 399). Spekuliert wird über das Kalkül der Rebellen – in Analogie zum Verhalten der UCK im Kosovo - Regierung und Janjawid zu Überreaktionen zu provozieren, bis UNO, USA, NATO oder EU dort eingreifen, und in ihrem Interesse Druck auf Khartum auszuüben, so wie die US-Regierung es zu Gunsten der SPLA vorgemacht haben (Thielke S. 95).

Bush und die NATO

Jan Pronk, der damalige UN-Sondergesandte für den Sudan, forderte am 14.1.2006 in seinem Bericht an den UN-Sicherheitsrat erstmals, als Folge der Tatsache, dass die Friedensbemühungen der AU gescheitert seien, eine 12.000 bis 20.000 Soldaten starke UN-Blauhelmtruppe für Darfur, ausgestattet mit einem robusten Mandat. Kofi Annan sagte, „die sudanesische Regierung müsse einsehen, dass wir eine erweiterte Truppe mit Soldaten von außerhalb Afrikas einbringen. [...] Laut Annan,“ so die FAZ weiter, „denken die Vereinten Nationen an eine mobile Einsatztruppe mit Hubschraubern und taktischer Unterstützung aus der Luft, die bei Bedarf schnell zur Stelle sei“ (FAZ 14.1.2006). US-Präsident Bush forderte im Februar mehr Soldaten für Darfur. Er sagte: „Es bedarf einer Nato-Verantwortung für Planung und Organisation und vermutlich der Verdoppelung der Zahl der Friedenstruppen, um dort das Gefühl von Sicherheit zu schaffen“ (NZZ 20.2.2006). Und im März war er mit dem Satz zu vernehmen: „Wir arbeiten an einer Strategie, die der Allianz erlauben würde, die Führungsrolle zu übernehmen“ (NZZ 21.3.2006). Im April verkündete ein Sprecher Bushs, es „werde erwogen, mehrere Hundert Nato-Berater in den Sudan zu schicken, die sich jedoch nicht an militärischen Aktionen beteiligen sollen. Ihre Aufgabe würde vielmehr darin bestehen, den Kräften der Afrikanischen Union in Fragen der Logistik, der Kommunikation, des Nachrichtendienstes und anderer Funktionen zur Seite zu stehen“ (NZZ 11.4.2006). Dies würde als Übergangsmaßnahme angesehen, bis eine UN-Truppe als Ersatz für die AU-Truppe mit breiterem Mandat aufgestellt sei. NATO-Generalsekretär De Hoop Scheffer schloss Ende April allerdings den Einsatz von NATO-Bodentruppen in Darfur aus (NZZ 26.4.2006). Welche Weiterungen ihres Engagements die NATO in Darfur über die Transportaufgaben hinaus plant, ist seitdem nicht nach außen gedrungen. Sudans Präsident bekräftigte mehrfach seine Ablehnung einer UN-Blauhelmtruppe. Erstmals am 20. Juni lieferte er eine Begründung: „Hinter der Forderung nach ihrem Einsatz stünden kolonialistische Überlegungen“ (NZZ 23.6.2006).

Friedensvertrag für Darfur

Nach zwei Jahren zähen Verhandlungen unter der Führung der Afrikanischen Union und in der Schlussphase unter dem Druck der USA, Großbritanniens, der EU und der UNO wurde am 5. Mai 2006 ein Friedensabkommen zwischen der sudanesischen Regierung und Teilen der Rebellen in Abuja/Nigeria unterzeichnet. Von den großen Rebellengruppen unterzeichnete lediglich die „militärisch schlagkräftigste Kampfgruppe, die weite Gebiete im Norden und Osten Darfurs kontrolliert“ (NZZ 6.5.2006), die von Minni Arkou Minnawi angeführte SLA-Fraktion, die die Zaghawa repräsentiert. Die Fraktion des SLA-Gründers Abdelwahid al-Nur unterzeichnete nicht. Er repräsentiert die Fur, und damit angeblich etwa zwei Drittel der Menschen in den Flüchtlingslagern (Jan Pronk, weblog Nr. 26, 28.6.2006, www.janpronk.nl). Pronk machte die Zerstrittenheit Minnawis und Al-Nurs dafür verantwortlich, dass letzterer nicht unterzeichnete, nachdem der erste unterzeichnet hatte. Beide waren seit November 2005 getrennte Wege gegangen. Ebenso wenig unterzeichnete die JEM und die Janjawid waren schon gar nicht direkt an den Verhandlungen beteiligt. Zudem fehlte mit dem National Movement for Reform and Democracy (NMRD) eine dritte Rebellengruppe, „die etwa 1000 Kämpfer umfassen soll, und die stärkste Rebellenbewegung in Westdarfur ist“ (NZZ 15.4. 2006). Was mit einer vierten Rebellengruppe ist, die ein Sicherheitsoffizier der UNO im März 2005 als ‚tschadische Janjawid’ bezeichnete, „die über eine Flotte Geländewagen mit aufgeschraubten Maschinengewehren verfügten“ (NZZ 12.3.2005), ist unbekannt.

Das Abkommen von Abuja (Darfur Peace Agreement, DPA) vom 5. Mai 2006 beinhaltet folgende Punkte:
  • Waffenstillstand zwischen den beteiligten Parteien
  • Entwaffnung der Janjawid-Milizen vor der Entwaffnung der anderen Rebellengruppen
  • Eingliederung von 4000 Rebellen in die sudanesischen Streitkräfte
  • Eingliederung von 1000 Rebellen in die lokalen Polizeieinheiten
  • Ausbildung/Fortbildung von 3000 Rebellen
  • 70 Prozent der Sitze in den Legislativen der Darfur-Bundesstaaten für die Rebellen
  • Schaffung des Postens eines „Hauptberaters des Präsidenten“ für Darfur (das ist Minnawi geworden)
  • Referendum in Darfur über die Schaffung einer Region Darfur, anstatt der derzeitigen drei Bundesstaaten
  • Kompensationszahlungen, Einrichtung eines Wiederaufbau- und Entwicklungsfonds für Darfur in Höhe von 300 Mio. US-Dollar im Jahr 2006 und jeweils 200 Mio. in den folgenden Jahren.

Die maßgeblich von al-Turabi beeinflusste JEM lehnt den Vertrag ab, weil sie erstens einen Posten als Vizepräsident des Sudan fordert, analog zur SPLA, zweitens die sofortige Zusammenlegung der drei Darfur-Provinzen zu einer und drittens analog zum Abkommen mit dem Süden, ein Referendum über die Unabhängigkeit Darfurs.

Fortsetzung der Kampfhandlungen

Am 24. Mai 2006 wurden bereits wieder „neue Kämpfe“ aus Darfur gemeldet. „Offensichtlich handelt es sich um Offensiven der beiden Rebellengruppen, die den Friedensvertrag nicht unterschrieben haben,“ (FAZ 24.2006) meldet die FAZ. Anfang Juli machte die neugegründete Rebellengruppe National Redemption Front (NRF) mit einem spektakulären Überfall mit etwa 50 schwerbewaffneten Fahrzeugen auf einen entlegenen Ort in Nord-Kordofan – östlich von Darfur – auf sich aufmerksam. Was ist die NRF? Unter dem Dach der NRF vereinigen sich drei Gruppen: Teile der SLA, die sich „Gruppe der 19“ (G19) nennen, JEM und die Sudan Federal Democratic Alliance. Der SLA-Gründer al-Nur ist nicht dabei. Die NRF besteht hauptsächlich aus den Ethnien der Massalit, Zaghawa und Berti. Die Fur sind nicht vertreten. Ein Sprecher der NRF erklärte, „mit dem Angriff wolle man beweisen, dass man überall im Sudan zuschlagen könne“ (NZZ 5.7.2006). Er erklärte zugleich den Waffenstillstand von 2004 für beendet. „Man kann davon ausgehen, dass hinter der NRF,“ schrieb die NZZ, „die Geheimdienste Eritreas und Tschads stehen“ (NZZ 5.7.2006). Wie eng die Beziehungen des Tschad zu den Rebellen Darfurs sind, war spätestens seit Anfang Mai 2006 bekannt: „Man muß nur in die Grenzregion reisen,“ schrieb der FAZ-Afrikakorrespondent, „um Zeuge der massiven Unterstützung der Tschader für die Rebellen in Darfur zu werden. Die tschadischen Zaghawas liefern den sudanesischen Zaghawas Lebensmittel, Waffen, Munition und sichere Rückzugsgebiete“ (FAZ 3.5.2006). Das bestätigt die NZZ Ende Juli: „Laut mehreren glaubwürdigen Quellen sollen Flugzeuge mit Waffen aus Eritrea in der tschadischen Stadt Abéché gelandet sein. Das für die Rebellen aus Darfur bestimmte Kriegsmaterial sei unter den Augen der am Flugplatz von Abéché stationierten französischen Soldaten ausgeladen worden“ (NZZ 28.7.2006). Kurz zur Erklärung: Tschad ist Frankreichs Flugzeugträger in Afrika. Die Landebahn ihres Stützpunkts in N’Djamena ist die längste in Afrika. Paris hat dort 1200 Soldaten stationiert, die das Regime Débys aktiv stützen. Es besteht zudem eine militärische Kooperation zwischen USA und Tschad. Die sprudelnden Ölquellen im Tschad sind zu 65 % in der Hand von Chevron und Exxon. Frankreich verletzt somit das Waffenembargo der EU (seit 1994) und des UN-Sicherheitsrats vom 30.7.2004 (UN-Resolution 1556), das gegen Rebellengruppen und Milizen in Darfur verhängt worden ist. Gegen Khartum besteht ebenfalls ein Waffenembargo der UNO seit dem 29. März 2005 (UN-Resolution 1591), was ebenfalls – von anderen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrats - unterlaufen wird. So stellte das UN-Expertenpanell für die Überwachung der Sudan-Sanktionen fest: „Die Regierung des Sudans verletzt weiterhin das Waffenembargo, indem sie Ausrüstung und Waffen nach Darfur verlegt, die Janjaweed mit Waffen und Munition versorgt und von den Janjaweed sowie tschadischen Rebellen unterstützt wird, damit Sudans Streitkräfte Rebellengruppen angreifen können“ (taz 13.10.2006).

Ende Juli 2006 griffen sudanesische Regierungstruppen und Janjawid Stellungen der NRF um Al-Fashir, der Hauptstadt Nord-Darfurs, an. Am 28. August startete das sudanesische Militär eine neue Offensive gegen NRF-Stellungen um Al-Faschir. Die UNO-Hochkommissarin für Menschenrechte Arbour forderte eine Untersuchung einer Reihe von Massakern, deren Regierungsmilizen Ende August in Süddarfur bezichtigt werden. „Arabischstämmige Milizen hätten mit Wissen und Unterstützung der Regierung 45 Dörfer in der Gegend von Buram angegriffen und dabei wahrscheinlich mehrere hundert Zivilisten ermordet“ (NZZ 10.10.2006). „Angriffe auf Hilfsorganisationen sind mittlerweile Alltag in Darfur, wobei die meisten von Rebellengruppen ausgeführt werden“ (FAZ 2.9.2006). Die sudanesische Armee baute ihre Stützpunkte in Al-Fasher und Kutum aus und bombardierte Stellungen der NRF. Gemeinsam mit Minnawis Truppen gingen sie gegen SLA-Kämpfer al-Nurs vor. „Seit kurzem verfügen die Rebellen gar über Fliegerabwehrlenkwaffen östlicher Herkunft, mit denen sie anscheinend eine Regierungsmaschine abgeschossen haben“ (NZZ 23.9.2006). Im Zuge der Großoffensive der Regierungstruppen kam es Anfang Oktober zu heftigen Gefechten mit der NRF in Nord-Darfur an der Grenze zum Tschad. Mindestens 80 Schwerverletzte seien in ein tschadisches Krankenhaus eingeliefert worden. Reuters meldet, die Rebellen hätten 70 Fahrzeuge erbeutet und 100 Soldaten und Milizionäre gefangengenommen.

Die Zersplitterung der Rebellengruppen

Seit Ende Juli 2006 ist Al-Nur von seinen Kommandeuren abgesetzt und durch Ahmed Abdelshaffei ersetzt worden. Allerdings gab es von Seiten der Feldkommandeure im Dezember 2006 erneute Ergebenheitsadressen gegenüber ihrem Gründer Al-Nur. Al-Nur lehnt das Abkommen von Abuja ab und verurteilt auch die nachträgliche Unterzeichnung durch einige SLM-Feldkommandeure im libyschen Tripoli am 19.11.2006. Zuvor sind schon zwei kleinere Gruppen dem DPA von Abuja beigetreten, zum einen die SLM „Free Will“ und ein JEM „Peacewing“. Das mag vielleicht optimistisch stimmen, ist aber militärisch ohne Belang, wenn man sich die Vielzahl der bewaffneten Gruppen vor Augen führt. Jan Pronk führte Mitte Oktober 2006 auf, dass es sich bei den Kämpfen in Süddarfur nicht so sehr um politisch motivierte Kämpfe handelt, sondern hauptsächlich um Stammeskämpfe. Er führt Kämpfe in Gereida auf (wo die hauptsächlich Zaghawa orientierte SLM/Minnawi-Miliz mit Teilen der Massalit zusammengestoßen ist), in Buram (wo die Habanya, unterstützt von den Falata, ihre Heimat von den Zaghawa reinigen wollte, die in den 1970ern in dieses Gebiet kamen nach der Dürre in Nord-Darfur), in Sheria (wo die Zaghawa aus der Stadt vertrieben wurden und ihnen der Zutritt verweigert wird, trotz des Friedens zwischen der Regierung und der Zaghawa-basierten Miliz von SLA/Minnawi) und in Muhajeria, wo die Kämpfe fortgesetzt werden, und niemand weiß, wer gegen wen kämpft und warum (Jan Pronk, Weblog Nr. 35, 14.10.2006, www.janpronk.nl,Übersetzung L.H.). Ende November meldeten NRF und SLM, dass sie in Süd-Kordofan ein von sudanesischer Armee bewachtes Ölfeld angegriffen und „signifikant zerstört“ hätten (www.sudantribune.com, 27.11.2006). Anfang Dezember 2006 meldete sich eine weitere Rebellengruppe „Popular Forces Troups“ (PFT), die sich selbst als einen arabischen Stamm aus Darfur begreife, und gegen die Marginalisierung der Darfur-Region den bewaffneten Kampf gegen die sudanesische Armee aufgenommen habe (www.sudantribune.com, 7.12.2006). Mitte Dezember macht die AU rückgekehrte Janjawid für die Verschlechterung der Lage in Darfur verantwortlich. Sie seien von der Regierung mit neuen Waffen versorgt worden (FAZ 18.12.2006). Und der Vorsitzende der Waffenstillstandskommission verurteilte Ende Dezember die Regierung wegen des Bombardements von Rebellenstellungen mit Antonow-Maschinen auf zwei Dörfer in Norddarfur (www.sudantribune.com, 30.12.2006). Anfang 2007 kündigte eine Gruppe aus der SLA Minni Arkou Minnawi die Gefolgschaft und bildete eine neue, die sich Great Sudan Liberation Movement (GSLM) nennt. (www.sudantribune.com 13.1.2007). Hier wird deutlich, dass die Zersplitterung der Rebellen größer ist denn je – Ende Januar ist von 12 Rebellengruppen in Darfur die Rede. Die Kämpfe und die Bombardements gehen weiter.

Kämpfe im Tschad und in der Zentralafrikanischen Republik

Seit Anfang November 2006 verlagerte sich das Kampfgeschehen immer weiter in Richtung Westen, so dass der Darfurkonflikt zu einem Regionalkonflikt zu werden droht, der auch Tschad und die Zentralafrikanische Republik (ZAR) mit in Leidenschaft zieht. Human Rights Watch (HRW) berichtete Mitte November von Bombardierungen von Zivilisten durch die sudanesische Luftwaffe in Westsudan und Osttschad seit Ende Oktober (www.sudantribune.com 16.11.2006). Frisch bewaffnete tschadische arabische Milizen, darunter auch solche aus dem Sudan, hätten 60 Dörfer von Afrikanern in der ersten Novemberhälfte im Südosten Tschads angegriffen, die zudem noch einige Hundert Kilometer in zerklüfteter Landschaft auseinander liegen, dabei einige Hundert Zivilisten ermordet und 10.000 Menschen in die Flucht gejagt und ihre Dörfer meist geplündert. Insgesamt gibt es im Osten 90.000 tschadische Binnenflüchtlinge. Mitte November rief daraufhin die tschadische Regierung den Notstand aus und zog eine Generalmobilmachung in Erwägung. Unterdessen haben sich zwei Rebellengruppen im Osten des Tschad neu formiert, die den Sturz Débys anstreben. Dieser Versuch war im April bereits blutig in der Hauptstadt N’Djamena gescheitert.

Ein Vertreter des sudanesischen Außenministeriums bestätigte, dass Khartum die tschadischen Rebellen unterstützt: „Die innere politische Entwicklung im Tschad führte zur Unterstützung der dortigen Rebellen durch Sudan, weil es Kräfte in Tschads Regierung gibt, die die Rebellen in Darfur unterstützen. Und weil die Grenze zwischen Sudan und Tschad offen und unkontrollierbar ist und wir zwanzig Stämme haben, weiß niemand, wer die Grenze überquert“ (taz 27.11.2006).

Die Zentralafrikanische Republik sieht sich seit Ende Oktober einem Angriff ausgesetzt, in dessen Folge einige Städte im Osten des Landes unter Kontrolle der Guerilla Union des forces démocratiques pour le rassemblement (UFDR) kamen. Eine Aufstandsbewegung gibt es dort schon seit Jahren. Kämpfe mit Regierungstruppen führten dort zu 150.000 intern Vertriebenen, 80.000 sind in den Tschad und nach Kamerun geflüchtet. (NZZ 27.1.2007) . Tschad hat 150 Soldaten in die ZAR geschickt und Frankreich seine 200 Mann starke Truppe um 100 Mann sowie Hubschrauber verstärkt. Zum Hintergrund muss man wissen, dass in der ZAR Diamanten abgebaut werden und der Präsident Bozizé mit Hilfe Débys an die Macht in Bangui geputscht wurde.

Das Kampfgeschehen tobte also weiter. Der Tschad und die ZAR sind ebenso einbezogen wie Süd-Kordofan - alle außerhalb von Darfur gelegen. Die beteiligten Gruppen innerhalb und außerhalb Darfurs sind nicht überschaubar. Frontlinien sind nicht auszumachen. Eine Unterscheidung von Freund und Feind ist schlechterdings nicht möglich. Hier als „robuste Blauhelme“ neutral bleiben zu wollen, ist zum Scheitern verurteilt. Sie würden schnell zur Kriegspartei auf der einen oder auf der anderen Seite.

Wie viele Tote forderte der Bürgerkrieg in Darfur?

Im Folgenden wird ein Überblick über Meldungen in deutschsprachigen Medien gegeben, die die Stationen an Schätzzahlen über Getötete in Darfur wiedergeben. Denn die Zahl der Getöteten ist ein außerordentliches Politikum in dem Konflikt. Mit dem Verweis auf hohe Opferzahlen wird die Forderung nach einer Militärintervention verknüpft. Hier die Chronologie: Nach UN-Schätzungen forderten die Kämpfe bis Ende März 2004 mindestens 10.000 Opfer (Fischer Weltalmanach 2005, S. 415), rd. 10.000 (Die Welt 7.4.04), rd. 30.000 (Die Welt 23.7.04), über 30.000 (FAZ 24.7.04), 50.000 (FAZ 26.7.04), 10 bis 30.000 (Die Welt 27.7.04), über 30.000 (Die Welt 28.7.04), mehr als 100.000 (NZZ 16.9.2004), 50.000 (Die Welt 20.9.04), 70.000 (Die Welt, 6.11.04). „In den letzten acht Monaten hat der Konflikt bis zu 70.000 Menschen das Leben gekostet“ (Antrag der Bundesregierung Ds 15/4227 vom 17.11.04, Seite 1), mindestens 180.000 (FAZ 24.3.05), mehr als 200.000 (FAZ 25.1.06). Charakteristisch ist die Sprunghaftigkeit und Widersprüchlichkeit der Zahlen. Die Quellen für die Zahlen wurden meist nicht genannt.

Seit Ende 2005 wurde die Zahl der durch den Darfur-Konflikt direkt Getöteten und an den Folgen von Unternährung und Krankheiten Gestorbenen mit 200.000 angegeben. In den USA kursierten dagegen Schätzungen des Außenministeriums von 60.000 bis 160.000. (Robert Zoellick, Washington Post, 24.4.2005). Eine Studie der beiden US-amerikanischen Soziologie-Professoren John Hagan und Alberto Polloni kam Mitte September 2006 nach Auswertung von Untersuchungen der WHO und Médecins Sans Frontière zu der Feststellung, dass die Zahl der Toten in der Zeit von Anfang 2004 bis Mai 2006 zwischen 170.000 und 255.000 liege (The New Scientist, 14.9.2006). Sie hatten die Todesrate pro 100.000 (Crude mortality rate, CMR) für Westdarfur für den Zeitraum Anfang 2004 bis Mitte 2005 (19 Monate) auf 49.288 (in einer Spannweite von 40.850 bis 67.598 gelegen) festgelegt, diese bis Mitte Mai 2006 hochgerechnet und das Gebiet um Süd- und Norddarfur erweitert. 200.000 sei eine untere Grenze, stellten sie fest, es könnten aber auch 400.000 sein. („Well, 200.000 dead is the cautious statistical floor. That’s the low end of the range, with the actual number being even possibly over 400.000.” Hagan in Newsweek, 14.9.2006). Daraus machte das UNICEF-Vorstandsmitglied Ann M. Veneman am 15. September 2006: “It is estimated that more than 400.000 people have lost their lives in the continuing conflict.” (www.unicef.org/media/media_35922.html) Daraus wurden dann Meldungen fabriziert, wie: „... Bei den Kämpfen in Darfur sind seit 2003 nach UN-Schätzungen rund 400.000 Menschen getötet und 3 Mio. vertrieben worden...“ (Radio Vatikan 9.10.2006) und „Bei den Kämpfen wurden seit 2003 nach UN-Schätzungen 400.000 Menschen getötet und drei Millionen vertrieben“ (Deutsche Welle, 15.11.2006). Dabei hatte es gar keine UNO-Schätzung gegeben, sondern ein UNICEF-Vorstandsmitglied gab eine Schätzung Anderer wieder. BBC News berichtet am 15. September 2006 komplett anders über die Studie Hagans und Pollonis. Überschrift: „Darfur toll ‚at least 200.000’“ (BBC News 15.9.2006) und Associated Press berichtete am 16.9.2006 von der Hagan/Polloni-Studie unter der Überschrift: „About 200.000 killed in Sudan’s Darfur region“. Hierzulande stiegen daraufhin in den Meldungen die Zahlen über die Getöteten kurzfristig auf 300.000 an, haben sich aber wieder auf 200.000 Anfang 2007 eingependelt. Hagan und Polloni verwarfen bewusst Schätzungen des Literatur-Professors Eric Reeves (www.sudanreeves.org), der, finanziert von der Stiftung des ebay-Gründers Omidyar, sich seit sieben Jahren mit dem Sudan beschäftigt, beim US-Kongress vorträgt und diverse Aufsätze zu Darfur veröffentlicht hatte. Reeves kam bereits am 11. März 2005 auf 380.000 Tote, und am 28. April 2006 auf 480.000 bis 530.000 Tote.

Im vierten Quartal 2006 begann hierzulande zumindest in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung eine Kampagne ganzseitiger Anzeigen, die bisher insgesamt achtmal jeweils in ähnlicher Aufmachung geschaltet wurden. Ihr einseitiger Inhalt: „Seit 2003 haben die Milizen des sudanesischen Präsidenten Omar al-Bashir ganze Dörfer abgeschlachtet, in denen seine Bürger lebten – nur aufgrund ihrer Volkszugehörigkeit. 400.000 unschuldige Männer, Frauen und Kinder wurden ermordet und Abertausende wurden vergewaltigt, gefoltert und terrorisiert. Weitere 2,5 Millionen Menschen wurden aus ihren Häusern vertrieben und sind nun vom Tod durch Hunger und Krankheit bedroht. Die Friedenstruppen der Vereinten Nationen könnten diesem Gemetzel ein Ende setzen, aber Präsidenten al-Bashir lässt sie nicht ins Land und breitet seine Terrorkampagne weiter aus. Besorgte Bürger aus aller Welt tun sich zusammen, um der Gewalt ein Ende zu setzen. Machen Sie mit. Wir müssen mehr tun. Um Darfur zu retten“ (Anzeige FAZ 19.12.2006). Bei einem Stückpreis von 36.326,40 €, fragt man sich, wer hinter der angegebenen Website www.GlobeForDarfur.org steckt. Zu finden sind international tätige NGOs, die sich je in unterschiedlicher Zusammensetzung unter anderem gegen Vergewaltigungen in Darfur, für die Entwaffnung der Janjawid und auch für die Einrichtung einer Flugverbotszone einsetzen. Nach eigenem Bekunden handelt es sich um 178 Organisationen mit 180 Mio. Mitgliedern. Darunter Amnesty International, American Jewish Organisation, Human Rights Watch, International Crisis Group, Save Darfur Coalition, Gesellschaft für bedrohte Völker und die World Evangelical Alliance. „Darunter sind Menschenrechtler, Gewerkschafter, Schauspieler, Nobelpreisträger und Olympiasieger. My Space, das bekannteste und wohl grösste soziale Netzwerk im Internet, rief zum Spendensammeln die Konzerte ‚Rock for Darfur’ ins Leben. Mit der Aktion ‚Dollars for Darfur’ sammeln Schüler an rund 27.000 Highschools in den USA Geld. ‚Ich habe diese Art der Mobilisierung unter Studenten seit der Anti-Apartheid-Bewegung vor 25 Jahren nicht mehr gesehen’, sagt John Hefferman vom Holocaust Museum in Washington. [...] Das Darfur-Bündnis hat nach eigenen Angaben Millionen von Spendengeldern in sehr emotionale Zeitungs- und Fernsehwerbung gesteckt, um die US-Bürger aufzurütteln“ (www.nachrichten.ch, 23.11.06). Bekannteste Aushängeschilder sind die US-Mimen George Clooney und Mia Farrow. US-Präsident Bush unterstützt diese Kampagne ebenso wie die Führung der Demokraten. Als erstes Kabinettsmitglied hatte sich Heidemarie Wieczorek-Zeul für eine Teilnahme der Bundeswehr an einer UN-Mission in Darfur ausgesprochen. Sie spricht von „Völkermord in Zeitlupe“ und forderte ein Ende des Blutbades. „In den vergangenen drei Jahren wurden 400.000 Männer, Frauen und Kinder ermordet. 2,5 Mio. Menschen wurden vertrieben,“ sagte die Ministerin (Bild am Sonntag, 25.11.2006) Diese Zahlenangaben decken sich auffallend mit denen aus der Anzeigenkampagne.

Bei all diesen Zahlen handelt es sich um Abschätzungen, die auf hochgerechneten statistischem Material fußen, das zu unterschiedlichen Zeiten an unterschiedlichen Orten meist durch Befragungen erhoben wurde und dessen Aussagekraft bezweifelt werden kann. Das tut auch der sudanerfahrene Kölner Geograph und Wüstenforscher Stefan Kröpelin. Er bezweifelt diese hohen Totenzahlen, da es an „quantifizierbaren Beweisen“ fehle. Er fragt: „Wenn tatsächlich 2.000 Dörfer zerstört wurden, warum werden diese Daten dann nicht vorgelegt?“ Und: auch punktuelle Überprüfungen einer von USAID herausgegeben Karte mit Hilfe von Quick-Bird-Aufnahmen „ergaben vielmehr in einem der angeblich am schlimmsten betroffenen Gebiete keine einzige niedergebrannte Hütte“ (www.friedensratschlag.de, Der inszenierte Konflikt, 9.1.2007). Außerdem sei es kein Geheimnis, so Kröpelin, dass Hilfs- und Menschenrechtsorganisationen in Zeiten knapper werdender Kassen einem zunehmend heftigen Ringen um Mittel unterliegen. Das habe zur Folge: „Je drastischer die humanitäre Situation in den jeweiligen Einsatzgebieten dargestellt und je höher die Opferzahlen beziffert werden, desto mehr staatliche und Spendengelder sind zu erwarten.“

Wie bedeutsam die Zahl der Getöteten als politische Waffe ist, unterstreicht die Feststellung des sudanesischen Präsidenten al-Bashir. Er zählte „nicht einmal 9.000“ (FAZ und Junge Welt 29.11.2006) durch Kampfhandlungen Getötete in Darfur. Freilich legte auch er keine Belege vor. Offizielle Schätzungen der UNO oder einer ihrer Unterorganisationen gibt es nicht, obwohl dies die Bundesregierung behauptet: „Nach Schätzungen der Uno sind mehr als 200.000 Menschen in Folge des Konflikts ums Leben gekommen“ (www.bundesregierung.de, 30.11.2006). Der Autor neigt nach derzeitigem Stand am ehesten dazu, die Totenzahl im Bereich von 200.000 anzusiedeln. Sie kann aber auch deutlich darunter oder deutlich darüber liegen.

Der UN-Menschenrechtsrat hat sich Mitte Dezember dazu durchgerungen, eine fünfköpfige Fachgruppe nach Darfur zu entsenden, die überprüfen soll, „ob sich die Gewalttaten dort verschlimmert haben und die Lage der etwa zwei Millionen Flüchtlinge tatsächlich verschlechtert hat“ (FAZ 14.12.2006).

Flüchtlinge

Die UN-Organisation für humanitäre Nothilfe im Sudan OCHA Sudan (www.sudanig.org) ermittelte, dass von den 6,2 Millionen Einwohnern Gesamt-Darfurs etwa vier Millionen vom Konflikt betroffen sind. Am 1.10.2006 zählten sie 1,97 Binnenflüchtlinge in Darfur. Zum Vergleich: Genau drei Jahre zuvor waren es noch 607.000 gewesen. Von den vier Millionen versorgt OCHA etwa 63 Prozent. Im dritten Quartal 2006 nahm die Zahl der Binnenflüchtlinge um 234.000 zu. Die Tendenz ist steigend. Dazu kommen etwa 218.000 darfurische Flüchtlinge in 12 Lagern im Tschad an der Grenze zum Sudan. Etwa 13.000 Helfer aus 80 NGOs und 13 UNO-Organisationen sind rund um die Uhr mit der Versorgung der Menschen in Darfur beschäftigt. Die Rückkehr der Flüchtlinge bei fortgesetzten Kämpfen ist unmöglich. Dies verhindert die Bestellung ihrer Felder, so dass die Abhängigkeit von ausländischer Hilfe selbst weit nach Beendigung der Kämpfe noch notwendig ist.

Die Auseinandersetzung um die UN-Truppe in Darfur

Am 9. Mai 2006 beauftragte der UN-Sicherheitsrat Kofi Annan mit der Aufstellung einer UN-Truppe für Darfur, die hauptsächlich aus afrikanischen Truppen zusammengesetzt sein sollte. Im Juni bekräftigte Präsident al-Baschir die Ablehnung einer UN-Mission in Darfur: „Ich schwöre, dass es keine internationale Militärintervention in Darfur geben wird, solange ich im Amt bin. Zugleich versprach er, gegen alle zu kämpfen, die sein Land wieder ‚kolonisieren’ wollten“ (FAZ 28.6.2006). Der UN-Sicherheitsrat hat am 31. August eine von den USA und Britannien eingebrachten Resolution (UN-Res. 1706) angenommen. Sie sieht vor, das Gebiet der UNMIS-Mission in Süd-Sudan auf Darfur auszuweiten und sie um 17.300 Soldaten sowie 3.300 Polizisten zu erweitern. Mit der Verlegung sollte ab dem 1. Oktober begonnen werden. Ihr Mandat erlaubt, Zivilisten „mit allen Mitteln“ zu verteidigen, ist also ein Mandat nach Kapitel VII der Charta. China, Russland und Katar enthielten sich der Stimme. Allerdings ist das Mandat an die Zustimmung des Sudans gebunden, der diese Resolution nach wie vor ablehnt. US-Präsident Bush wollte indes eine Erlaubnis des Sudans nicht abwarten. „Die Uno müsse keine Einladung erhalten, sondern könne eine Resolution verabschieden, die erkläre, dass nun einmarschiert werde, um Leben zu retten, sagte er“ (NZZ 18.9.2006).

Kurz vor Ablauf ihres Mandats am 30. September verkündete die AU, es bis Ende 2006 zu verlängern. Zudem solle die Truppe um 4000 auf 11.000 Soldaten aufgestockt werden. Die Finanzierung erfolge durch die Arabische Liga. Sudans Präsident Al-Baschir: „Die vom Sicherheitsrat beschlossene Friedensmission sei eine ‚typische Kopie der Koalitionstruppen im Irak.’ Hinter dem Plan, Zehntausende ‚Blauhelme’ angeblich zum Schutz der Zivilbevölkerung nach Darfur zu senden, stecke in Wahrheit die Absicht der Vereinigten Staaten, die Kontrolle über die sudanesische Hauptstadt Khartum zu gewinnen, um das Land auszuplündern“ (FAZ 21.9.2006).

Mitte November kam es in Addis Abeba zu einem Treffen der fünf ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrats, der AU, Kofi Annans, Vertretern afrikanischer Staaten und auch Sudans. Als Ergebnis verkündete Annan eine Übereinkunft, die jedoch postwendend von Khartum in wesentlichen Punkten in Frage gestellt wurde. Annan sprach von einer gemischten Operation von AU und UN („hybrid“) mit vorwiegend afrikanischem Charakter, dessen Kommandostruktur von der UN gestellt werde und eine Truppe von 17.000 Soldaten und 3.000 Polizisten umfassen solle. Allerdings ist dem Protokoll zu entnehmen, dass all dies unter sudanesischem Vorbehalt steht und erst noch mit Khartum konsultiert werden müsse. (www.sudantribune.com, 18.11.2006) Vereinbart wurde ein Vorgehen in drei Phasen, dessen Modalitäten zwischen den drei Parteien UN, AU und der sudanesischen Regierung einvernehmlich abgestimmt werden sollen. Sudan reklamiert daraus für sich ein Vetorecht. In einer ersten Stellungnahme begrüßte El-Bashir eine UN-Unterstützung, die Kommandostruktur solle allerdings bei der AU bleiben und allenfalls 9.000 AU-Soldaten seien ausreichend (FAZ 29.11.2006). Ansonsten suche er mit Kofi Annan nach einem Mittelweg.

Am 23.12.2006 forderte Präsident Al-Bashir den scheidenden UN-Generalsekretär in einem Brief auf, die Phasen 1 und 2 umzusetzen und überließ es UNO und AU die Größe der Truppe der Hauptphase 3 festzulegen. Er erwarte einen entsprechenden Beschluss des UN-Sicherheitsrats. Im Januar machte er allerdings noch mal deutlich, dass die Truppe eine afrikanische und eine afrikanisch geführte sein solle (www.sudantribune.com, 24.1.2007). El-Bashir erklärt sich in dem Brief mit Friedensgesprächen unter der Ägide von UN und AU mit den Rebellengruppen, die das DPA nicht unterzeichnet haben, einverstanden. Bis Ende Januar entsendet die UN im Rahmen von Phase 1 103 Offiziere, 33 Polizeiberater und 48 Zivilisten zur Unterstützung der AU-Mission nach Darfur. Ausrüstung für 21 Mio. US-Dollar werde mitgeliefert. Bezüglich der Bekleidung hat man sich auf die „Uniformen ihrer Heimatländer, blaue UN-Barette und Armbänder der AU-Truppe AMIS“ geeinigt. Phase 2 „soll dann mehrere hundert Soldaten, Polizisten und zivile Fachkräfte sowie logistische Hilfe umfassen, zu der auch Flugzeuge gehören könnten“ (FAZ 28.12.2006).

Schlagzeilen machte eine Meldung in der Financial Times am 13.12.2006, die ein Licht auf Bushs/Natsios Drohung mit einem Plan B warf: Der britische Premier Blair habe die Einrichtung einer Flugverbotszone über Darfur ‚als eine Idee’ während eines Treffens mit US-Präsident Bush für den Fall angesprochen, dass Khartum sich gegen eine UN-Friedenstruppe stelle. Blair „habe die USA zu scharfen Maßnahmen gegen die Regierung in Khartum gedrängt. Die US-Regierung erwäge unter anderem Luftangriffe und eine Seeblockade“ (ZEIT online, Tagespiegel, 13.12.2006). US-Außenamtssprecher McCormack sagte, dieser Bericht greife jeglicher Militärplanung „weit voraus.“

Verhandlungspositionen der Rebellen

Der Führer der SLM Abdelwahid al-Nur hat Anfang 2007 dezidiert Friedensgespräche mit Khartum abgelehnt und den Rücktritt der Regierung gefordert, um sie durch ein säkulares demokratisches System des Gesamtsudans zu ersetzen. Er könne nicht mit einem Regime verhandeln, dass Völkermord in Darfur begehe (www.sudantribune.com, Interview 3.1.2007). Mitte Januar forderte er, NATO-Truppen nach Darfur zu schicken. In einem Pariser Appell forderte er die EU und die NATO auf, zu handeln, wie sie es in Bosnien taten. Die SLA halte sich an das Waffenstillstandsabkommen von 2004 und würde sich lediglich gegen Angriffe verteidigen. Verhandlungen mit Khartum seien erst nach Erfüllung von Bedingungen möglich: Stopp der Tötungen in Darfur, die Rückkehr der Vertriebenen, Schutz der Bevölkerung durch internationale „Peacekeepers“. Zudem sei die Einigung innerhalb der SLM fortgeschritten. Die G19 (bisher Bestandteil der NRF) habe sich in die SLM unter al-Nur reintegriert. Außerdem sei bald mit der Wiedereingliederung Achmed Abdelshaffeis in die SLM zu rechnen (www.sudantribune.com 17.1.2007). Abdelshaffei verhandelte kurz darauf mit dem Sondergesandten des US-Präsidenten Andrew Natsios im Tschad. Abdelshaffei betonte, dass erst dann Gespräche mit Khartum aufgenommen werden könnten, nachdem sich die SLM wiedervereinigt habe und forderte so schnell wie möglich eine UN-Peacekeeping-Truppe.

Schlussfolgerungen

Hinter dem Drängen der USA auf eine Militärintervention – selbst ohne Zustimmung Khartums - steckt das Interesse am sudanesischen Öl und an der geostrategischen Lage des Landes. Allerdings wird jeglicher Versuch, ohne Zustimmung Khartums militärisches Personal in den Sudan zu schaffen, auf dessen militärischen Widerstand treffen, er käme einer Kriegserklärung gleich und würde die Lage eskalieren. Das Ergebnis wäre desaströs. Das vorgebliche Ziel, damit Frieden schaffen zu wollen, wäre zum Scheitern verurteilt.

Im Übrigen ist nicht damit zu rechnen, dass gegen den Widerstand Khartums Truppen nach Darfur gebracht werden. Denn Russland, aber vor allem die VR China, sperren sich entscheiden dagegen, und plädieren strikt für eine Verhandlungslösung. Würden die USA und die EU sich dennoch zu anderem entschließen, geriete die gesamte internationale Architektur ins wanken. Das dem Westen gegenüber moderate Verhalten Chinas und Russlands bezüglich Iran und Nordkorea würden aufs Spiel gesetzt und ein Veto im UN-Sicherheitsrat über die Unabhängigkeit des Kosovo wäre vorprogrammiert.

So erweisen sich die Drohungen Bushs und Blairs vorerst als Bluff. Bush hat das Ultimatum verstreichen lassen. Und die US-Administration hat eine andre Taktik eingeschlagen, um sein strategisches Ziel zu erreichen. Sie bemüht sich fortan um eine Einigung der darfurischen Rebellengruppen auf eine gemeinsame Verhandlungsposition gegenüber Khartum. Bushs Mann im Sudan Natsios forderte sogar die Rebellengruppen auf, vom Ziel, die Regierung in Khartum stürzen zu wollen, abzulassen (www.sudantribune.com, 21.1.2007). Der strategische Vorteil einer Verhandlungslösung, die zu einer Einstellung der Kampfhandlungen und einer Machtteilung führt, für die USA wäre, dass sie dann ihr Wirtschaftsembargo gegenüber dem Sudan aufheben könnten, so dass die US-Ölkonzerne und auch andere westliche Ölgesellschaften ihre Konzessionen nutzen und sich um neue bemühen könnten. Diesen Verhandlungsweg einzuschlagen, scheint der US-Administration erfolgversprechender zu sein, als bis 2011 auf eine – vage - Unabhängigkeit des Südens zu setzen, um erst danach im Süden die Ölförderung aufzunehmen. Ein Friedensschluss erleichtert auch die Umsetzung der UN-Resolution vom 31. 8. 2006 zur Implementierung der rund 20.000 UN-Blauhelmen.

Abschließend noch einige Bemerkungen zur deutschen Beteiligung an AMIS und UNMIS. Für die Beteiligung der Bundeswehr an UNMIS mit bis zu 75 Beobachter gibt es keine sachliche Notwendigkeit. Die Bundestagsentscheidung ist zu einer Zeit entstanden als Rot-Grün um einen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat buhlte. Der Dienst ist nicht effektiv und bei Soldaten nicht begehrt, weil er eher der Karriere schadet (vgl. Reisebericht Paech/Schäfer, S. 7).

Die deutsche Lufttransportleistung im Rahmen von AMIS in Darfur umfasste jeweils einen Airbus und vier Transall C-160. Diese Flüge können auch von afrikanischen Staaten geleistet werden, denn die Summe aller in Afrika verfügbaren Herkules-Transportmaschinen (leistungsfähiger als die Transall) beläuft sich auf 102. Aber Transportmaschinen werden wohl anderweitig gebraucht. So wunderte sich Thilo Thielke im ostkongolesischen Bukavu über „Dutzende ruandischer Maschinen“. Ihre Funktion: Kongolesische Bodenschätze nach Kigali, in die ruandische Hauptstadt, fliegen. (Thielke, S. 233) Ruanda stellt für AMIS drei der acht Bataillone und lässt sie von der US-Airforce transportieren.

Links zu den im Text erwähnten Dokumenten:
* Lühr Henken, Hamburg, ist einer der Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag;
Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um die überarbeitete und aktualisierte Fassung eines Vortrags beim "13. Friedenspolitischen Ratschlag", 2. und 3. Dezember 2006, in der Uni Kassel.



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