Darfur
Von Norbert Mattes *
Der Sudan ist Afrikas größter Staat, in seiner Ausdehnung etwa vergleichbar mit Westeuropa. Im frühen 19. Jahrhundert begannen die Khediven (osmanische Vizekönige) von Ägypten weite Teile des Landes zu erobern. Dabei kamen drei Gebiete unter osmanische Vewaltung: die Sultanate Funj im Zentralsudan und Dar Fur („Land der Fur“) im Westen, beides die wichtigsten ökologischen Zonen, sowie die südliche Peripherie (im Winkel des Bahr al-Ghazal und Bahr Al-Abyad). Der Zentralsudan bezieht das ganze Jahr über sein Wasser aus dem Nil. Die zwei Hauptflüsse des Nil, der blaue und der weiße Nil, haben ihren Ursprung in Äthiopien und Uganda, treffen sich in Khartum und fließen weiter nach Ägypten. Neben den vom Nil bewässerten Landstrichen sind weite Gebiete Wüste, Semiwüste oder Savanne mit ihren unterschiedlichen Niederschlagsmengen. Die Provinz Darfur im Westen ist, ebenso wie das östlich benachbarte Kordofan, vollkommen auf Regenfeldbau angewiesen.
Das Sultanat Dar Fur wurde 1650 gegründet und blieb bis zur Eroberung durch die Osmanen im 19. Jahrhundert unabhängig. Im frühen 20. Jahrhundert wurde es durch Großbritannien kolonisiert. Politisch gehört Darfur heute zum Sudan, geographisch ist es stärker mit den Nachbarländern Tschad, Libyen und der Zentralafrikanischen Republik verbunden, da der im Herzen von Darfur gelegene Jebel Marra, eine mächtige Bergregion mit einer Reihe erloschener Vulkane, seit je eine Barriere gegenüber dem kulturellen Einfluss vom Niltal her bildete.
In den 60er Jahren wurde das Gebiet von der Dürre des Sahel heimgesucht; die Wüste breitete sich in vier Jahrzehnten um ungefähr 100 km nach Süden aus. Bewohner des Sahel, Nomaden aber auch Sesshafte, setzten sich daraufhin in Richtung auf die fruchtbareren Regionen des Jebel Marra und damit in das Zentrum der Provinz Darfur in Bewegung. Wie die Dürre keine Grenzen kennt - verloren auch die Betroffenen im Kampf ums Überleben ihren Sinn für Grenzen zwischen Ländern oder Stammesgebieten.
Die Provinz Darfur zerfällt in drei geographische Zonen, die vom tropischen Grün des Jebel Marra bis zu der Wüste im Norden reichen: Zunächst das Hauptkratergebiet des Jebel Marra mit einem Salz- und einem Süßwassersee, an dem die verschiedensten Früchte angebaut werden. Eine Reihe von großen Wadis sorgen periodisch für Wasser. Die Gebiete um den Jebel Marra sowie in dem westlich davon, zwischen dem Hochland und der Grenze zum Tschad gelegenen Dar Massalit gehören zu den reichsten landwirtschaftlichen Gebieten des Sudans. Sodann der Qoz, die südliche Savannenregion, der sich mit seinem relativ regulären Niederschlägen und saisonalen Wasserzufluss für Besiedlung und Viehzucht eignet . Schließlich die wasserlose Wüste im Norden der Provinz, die ungefähr ein Drittel von Darfur ausmacht . Nur der südliche Rand dieser Wüste weist periodischen Niederschlag auf.
Die Lebensräume von Hochland, Savanne und Sahel prägen naturgemäß die Lebensformen ihrer Bewohner: im Zentralen Hochland erlaubt der Regenfeldbau eine sesshafte Bevölkerung, in der südlichen Savanne bestimmen Viehnomaden (Baggara) und im nördlichen und nordöstlichen Teil der Provinz Kamelnomaden (Abbala) das Bild.
Die große Dürrekatastrophe und Hungersnot 1984/1985 und die Bewaffnung der Stämme änderte die gesamte soziale Ordnung in Darfur. Die Mahamid verloren ihre Kamele, sie wurden Bauern oder Arbeiter in den Städten wie Kebkabiya, Birka Saira und anderen Dörfern. Die sesshaften Rizeigat mit ihren wenigen Ressourcen konnten kaum wo anders hin, weil sie die Kosten für den Transport und die Gründung neuer Höfe nicht aufbringen konnten. Wege aus der Armut waren oft der Beitritt in Milizen und Banditengangs. Das Überleben in Darfur hatte seinen Preis. Die ländlichen Strukturen erholten sich nie mehr. Zu dieser Katastrophe kam eine von Menschen gemachte, die ebenfalls die alte Ordnung zerstörte: Waffen. Als der Regen ausblieb kam die Flut der halbautomatischen Waffen. Julie Flint und Alex de Waal schreiben: „Die Kalashnikov änderte die moralische Ordnung von Darfur. Die Abbala hatten ihren Ehrenkodex der Loyalität, Gastfreundschaft, starker Selbstdisziplin wenn es um das Weiden der Kamele ging und gemeinsame Verantwortlichkeit für Mord. Das Prinzip des Zahlens von Blutgeld an die Familie eines in einer Fehde getöteten Menschen zeigte, dass Gewalt eine kollektive Verantwortlichkeit hatte…Die AK-47 mit der man eine ganze Familie …. abschlachten konnte, fegte diese Ordnung beiseite.“ Eine Kalashnikov kostete auf dem Markt in Darfur 40 Dollar. Folgendes Sprichwort machte die Runde: „The Kalash brings cash; without a Kalash you´re trash.“ Die Regionalregierung in al-Fasher hatte weder die Ressourcen noch den Willen diese „kriminelle Epidemie“ zu kontrollieren.
„So signifikant wie das Ausbleiben des Regens und der Reichtum an Waffen war ein neuer politischer Trend in Darfur: Arabische Vormachtstellung. Ende der 80er Jahre verwickelten sich die alten Beduinenintrigen in nationale und internationale Strömungen, die weitaus stärker waren als sie. Die Ursache dieser Strömungen lagen in der Politik des libyischen Staatsführers Colonel Gaddafi. Die Wurzeln der arabischen Vormachtstellung in Darfur liegen nicht in den arabisierten Eliten, die in Khartum an der Macht waren. Sie liegen in der Saharapolitik“ Gaddafis, der von einem arabischen Staat träumte. Der Tschad stand auf seiner Prioritätenliste an erster Stelle, er war die erste Stufe um einen arabischen Gürtel durch Afrika zu etablieren. Deshalb nahm er auch einige arabische Oppositionsbewegungen auf, die „Arab Gathering“ genannt wurden, und bildete sie militärisch in der Kufraoase im Südosten des Landes, nahe der Grenze zu Darfur, aus. Die USA und Frankreich durchkreuzten diesen Plan, sie unterstützten damals Hissène Habré, den Präsidenten des Tschad, aber auch Präisdent Numeiri.
Dieser Beitrag erschien in: INAMO (Informationsprojekt Naher und Mittlerer Osten e.V.), Heft Nr. 58/Sommer 2009, 15. Jahrg., Seite 19
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