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Sudan: Chronik wichtiger Ereignisse

Juni bis August 2008


Juni
  • Arabische Firmen haben den Sudan als Investitionsland für landwirtschaftliche Projekte ins Auge gefasst. (3. Juni) Nach Investitionen in die Erdölindustrie sowie das Bankwesen wollen Ägypten, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate die großen Ackerflächen im Sudan für den Anbau von Getreide nutzen. Das afrikanische Land biete neben den großen Arealen auch genug Wasser und beherberge billige Arbeitskräfte und sei daher besonders geeignet für die Investitionen im Agrarwesen, so die Sprecher der drei arabischen Staaten. Neben den wirtschaftlichen Überlegungen sind auch politische Erwägungen involviert: Viele der Gebiete, die für landwirtschaftliche Nutzung bereit stehen, befinden sich in der Nähe des weitgehend autonomen Südsudan, der im Jahr 2011 in einem Referendum über die Abspaltung vom Norden entscheiden wird. Arabische Firmen und Bauer entlang der Grenze zwischen Nord und Süd anzusiedeln, ist ein weiterer Schritt in der Strategie der Arabisierung des Erdölreichen Südsudan, die Khartum bereits seit mehreren Jahrzehnten im Kampf gegen die schwarzafrikanische Bevölkerungsmehrheit verfolgt.
  • Der US-amerikanische Sondergesandte Richard Williamson hat die Aussetzung der amerikanischen Friedensbemühungen in Khartum bekannt gegeben. (3. Juni) Er erklärte: „Ein Frieden auf dem Papier kann die Lage des sudanesischen Volkes nicht ändern.“ Williamson verließ den Sudan. Der sudanesische Staatschef Omar al-Baschir bekräftigte wiederum, seine Regierung bleibe der Fortführung der Friedensgespräche nicht abgeneigt.
  • Ein Flugzeug der Sudan Airways ist mit 214 Personen an Bord kurz nach seiner Landung in Khartum explodiert. Die Ursache der Explosion bleibt ungeklärt. (10. Juni) Bei dem Unglück sollen weniger Menschen gestorben sein, als anfänglich angenommen. Die Explosion ist eine von mehreren Flugzeugkatastrophen im Sudan.
  • Der sudanesische Präsident Omar al-Baschir und sein südsudanesischer Stellvertreter Salva Kiir haben einem Handlungsplan für die Region Abyei zugestimmt. (10. Juni) Der erste Schritt des Handlungsplanes schreibt vor, dass die aus Nordsudanesen, SPLA-Kämpfern und Polizisten bestehenden Truppen innerhalb von zehn Tagen die Kontrolle über die umkämpfte Region übernehmen und sichern. Anschließend sollen die Zugangsstrassen wieder geöffnet werden. Damit soll den Geflohenen die Rückkehr in ihre Heimatstadt ermöglicht werden. Dann soll laut des Handlungsplans eine Interimsverwaltung eingesetzt werden, deren Chef aus der Mitte der SPLA gewählt werden soll, während sein Stellvertreter zu Präsident al-Baschirs National Congress Party gehören muss. Im wichtigsten Punkt des Plans geht es um den umkämpften Grenzverlauf der Region. Die beiden Seiten wollen laut Plan die Entscheidung hierüber einem internationalen Schiedsgericht überlassen. Aber dieses Vorgehen ist nicht neu. Bereits zuvor wurde von internationaler Seite Ähnliches versucht, was letztlich die Gewalt zwischen Rebellen und Regierungsarmee in Abyei nicht verhindern konnte.
Juli
  • Die regierungsnahen sudanesischen Reitermilizen haben die internationale Friedenstruppe in der Krisenregion Darfur angegriffen. Die Vereinten Nationen verurteilten den Übergriff als einen "nicht akzeptablen Akt extremer Gewalt". Der Anschlag sei der schwerste seit Beginn der von den Vereinten Nationen und der Afrikanischer Union (AU) geführten Friedensmission gewesen: Laut Berichten des Sicherheitsrats erfolgte der Angriff durch 200 Reiter der Miliz, die von rund 40 mit Waffen ausgestatten Fahrzeugen unterstützt wurden. Die Angreifer töteten sieben Blauhelm-Soldaten und verletzten mindestens 19 weitere. (9. Juli)
  • Der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag Luis Moreno-Ocampo beantragt einen Haftbefehl gegen den sudanesischen Präsidenten Omar al-Baschir. (14. Juli) Der Vorwurf lautet Völkermord. Das ist das erste Mal, dass ein amtierendes Staatsoberhaupt von dem Strafgerichtshof offiziell eines Verbrechens beschuldigt wird. Die sudanesische Regierung zeigt sich empört: Ein Versuch, den Präsidenten zu verhaften, so ein Regierungssprecher, würde als Kriegserklärung betrachtet werden. Ocampos Vorgehen gilt als juristisch konsequent. Bereits im April 2007 beantragte der Chefkläger Haftbefehle gegen zwei hochrangige Mitglieder der sudanesischen Regierung, Ali Kushayb und Achmed Haroun. Kushayb ist ein Anführer der regierungsnahen Dschandschawid-Milizen, Haroun ist ehemaliger Minister für innere Angelegenheiten und laut Zeugenaussagen eine der treibenden Kräfte der Dschandschawid.
  • Libyen und Südafrika versuchen im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen die Aussprechung eines Haftbefehls gegen Omar al-Baschir zu blockieren. (27. Juli) Sie sind nicht die einzigen: Die ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates Russland und besonders China wollen von einer Anklage des sudanesischen Präsidenten absehen. Auch die Afrikanische Union und die Arabische Liga haben den Antrag des Internationalen Strafgerichtshofes gerügt. Kritische Stimmen in Bezug auf den Haftbefehl gibt es außerdem auch auf US-amerikanischer Seite: Der ehemalige Sonderbeauftragte für Darfur, Andrew Natsios, hält einen Prozess gegen al-Baschir für ein „herannahendes Desaster“. Es könne die letzte Option auf eine politische Lösung des Darfur-Konflikts untergraben. (17. Juli)
  • Präsident al-Baschir hat angekündigt, im September zur UN-Vollversammlung in die Vereinigten Staaten zu reisen. (17. Juli) Einen Versuch, ihn dort zu verhaften, werde das Staatsoberhaupt als eine Kriegserklärung werten. Laut der "Washington Post" haben einige hochrangige Diplomaten Bedenken gegen den Haftbefehl für al-Baschir. Es heißt, der Präsident sei die Schlüsselfigur bei den Bemühungen der internationalen Gemeinschaft zur Beendigung des Darfur-Konflikts. Der sudanesische UN-Botschafter ließ verlauten: "Ocampo spielt mit dem Feuer". (17. Juli) Wenn die Vereinten Nationen ihr Engagement im Sudan ernst meinten, sollten sie Ocampo zurück halten. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon hat die juristische Untersuchung gegen Präsident Omar al-Baschir ebenfalls kritisiert: Eine Anklage hätte „sehr ernsthafte negative Auswirkungen auf den Einsatz zur Erhaltung des Friedens.“ Gleichzeitig plädierte Ban Ki Moon für eine raschere Stationierung der internationalen Friedenstruppe in Darfur. Bislang befindet sich erst ein Teil der insgesamt 20.000 Soldaten vor Ort.
  • Das sudanesische Parlament hat beschlossen, nicht mit dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag zusammen zu arbeiten. Der Sudan, so die Begründung, habe das Gericht nie anerkannt. (17. Juli)
  • Der Sudan will die im Mai eingefrorenen diplomatischen Beziehungen zum Nachbarstaat Tschad wieder aufnehmen. (18. Juli)
  • Experten zufolge ist der Einfluss von Präsident al-Baschir keineswegs so groß, wie es in den Medien den Anschein mache. Zwei Ereignisse der letzten Wochen hätten negative Auswirkungen auf al-Baschirs Einfluss. (18. Juli) Erstens hat der Angriff von Darfur-Rebellen auf die Hauptstadt Khartum zu hohen Schäden geführt und zweitens schmälerten die anhaltenden Kämpfe mit dem Regierungspartner der Sudan People's Liberation Army (SPLA) im erdölreichen Landeszentrum die Macht des Präsidenten.
  • Präsident Omar al-Baschir bereist für einige Tage die Krisenregion Darfur. Die Reise gilt international als ein Versuch al-Baschirs, die Vorwürfe des Internationalen Strafgerichtshofes in Den Haag zu schwächen. Al-Baschir bezeichnet den Vorwurf, seine Regierung sei an einem Genozid beteiligt, als Lüge. (24. Juli)
  • Die Bundesrepublik will sich weiterhin in Darfur militärisch engagieren. Ein Mandat des Bundestags erlaubt den Einsatz von bis zu 325 deutschen Soldaten. Bei dem Treffen von Minister Jung und Ban Ki Moon lobte der UN-Generalsekretär das Engagement der deutschen Regierung. (15. Juli)
  • Die Vereinten Nationen haben am 31. Juli die Friedensmission in Darfur verlängert. Obgleich die Mission im Vorfeld aufgrund des beantragten Haftbefehls gegen Präsident al-Baschir heftig diskutiert wurde, stimmten 14 Mitglieder des UN-Sicherheitsrates der Fortsetzung der Friedensmission zu, während die Vereinigten Staaten sich ihrer Stimme enthielten. Die Friedensmission ist bislang nicht ihren Zielen nachgekommen. Beispielsweise befinden sich vor Ort lediglich ein Drittel der Soldaten, deren Zahl insgesamt 26.000 betragen sollte.
August
  • Die Vereinten Nationen fordern die Überprüfung von mehr als 30 Todesurteilen, die die sudanesische Regierung gegen Rebellen aus Darfur erlassen hat. Dabei wurde kritisiert, dass vermeintliche Geständnisse unter Anwendung von Folter erfolgt seien und sich unter den 30 Inhaftierten auch Minderjährige befänden. (7. August)
  • Die Bundeswehr soll sich ein weiteres Jahr an den beiden internationalen Friedenseinsätzen im Sudan beteiligen. Das hat das Bundeskabinett am 13. August beschlossen. Der Bundestag muss diesem Mandat noch zustimmen. Insgesamt kann sich Deutschland mit bis zu 325 Soldaten beteiligen, derzeit sind 40 im Einsatz.
  • Die USA haben einen Angriff von Regierungstruppen auf ein Flüchtlingslager im Sudan als völkerrechtswidrig verurteilt. Das Außenministerium erklärte am 25. August in Washington, die Regierung sei besorgt über den willkürlichen Einsatz von Schusswaffen in dem Lager Kalma im Süden der Region Darfur. Nach Augenzeugenberichten kamen bei dem Angriff mindestens 32 Menschen ums Leben, die Regierung sprach von fünf getöteten Soldaten und sieben weiteren Todesopfern. Dieser Darstellung zufolge kam es zu einer Schießerei, als Soldaten in dem Lager nach illegalen Waffen suchten.
  • Ein Flugzeug mit mehr als 100 Menschen an Bord ist in der sudanesischen Region Darfur entführt worden. Dies verlautete am 26. August aus sudanesischen Sicherheitskreisen. Ein mit einem Messer bewaffneter Mann habe das Passagierflugzeug kurz nach dem Start in Nyala im Süden Darfurs in seine Gewalt gebracht. Es sei nach Libyen umgeleitet worden, nachdem Ägypten keine Landeerlaubnis erteilt habe. Die libyschen Behörden bestätigten, dass das Flugzeug in der südlichen Wüstenregion Kufra nahe der Grenze zum Sudan gelandet sei. Den sudanesischen Angaben zufolge gehört die Maschine der privaten Fluggesellschaft Sun Air. An Bord waren demnach 94 Passagiere sowie eine nicht exakt bezifferte Anzahl von Besatzungsmitgliedern. Das Flugzeug sei auf dem Weg in die sudanesische Hauptstadt Khartum gewesen. Nyala ist die Hauptstadt von Süd-Darfur.
  • Für die 87 Passagiere des am 26. Aug. im Sudan entführten Flugzeuges ist der Alptraum am 27. Aug. zu Ende gegangen. Die Entführer ließen alle Passagiere auf dem Flugplatz der libyschen Oase Al-Kafra frei. Mehrere von ihnen waren wegen der Hitze und des Sauerstoffmangels an Bord ohnmächtig geworden. Das berichtete ein Mitarbeiter der libyschen Zivilluftfahrtbehörde, dementierte aber, wonach die Entführer aufgegeben haben sollen. Die Entführer, die nach eigenen Angaben einer Rebellenorganisation aus der sudanesischen Konfliktregion Darfur angehören, und die sechs Besatzungsmitglieder seien immer noch an Bord der Maschine. Politische Forderungen stellten sie nicht. Der Pilot der Boeing 737 der privaten sudanesischen Luftfahrtgesellschaft Sun Express übermittelte dem Flughafendirektor von Al-Kafra per Funk eine Botschaft der Entführer, die erklärten, die Maschine solle aufgetankt werden. Sie wollten nach Paris weiterfliegen. Die libyschen Verhandlungsführer wollten ihrerseits versuchen, die Entführer dazu zu bringen, auch den Piloten und die anderen Besatzungsmitglieder freizulassen.
    Die Entführer gehören nach eigenen Angaben der von Abdelwahid Nur geleiteten Splittergruppe der Sudanesischen Befreiungsarmee (SLA) aus Darfur an. Sie hatten die Maschine auf einem Flug von Nyala (Süd-Darfur) in die sudanesische Hauptstadt Khartum in ihre Gewalt gebracht. Zunächst verlangten sie vom Piloten, nach Paris zu fliegen, landeten dann jedoch am Abend in Al-Kafra. Abdelwahid Nur, der im französischen Exil lebt, dementierte in der Nacht gegenüber dem arabischen Nachrichtensender Al-Dschasira, dass die Entführer zu seiner Organisation gehören.
    Nach libyschen Angaben sind unter den freigelassenen Passagieren fünf Lokalpolitiker aus Darfur, zwei ägyptische Polizeioffiziere, zwei Äthiopier und ein Ugander.
  • Die Stationierung der internationalen Friedenstruppe in der sudanesischen Bürgerkriegsregion Darfur kommt weiterhin nur zögerlich voran. Ende Juli gab es statt der geplanten 26.000 Mann lediglich 8.100 Soldaten und weniger als 1.900 Polizisten, wie UN-Generalsekretär Ban Ki Moon am 29. August dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen berichtete. Als Gründe für die Verzögerungen nannte Annan wachsende Unsicherheit und logistische Schwierigkeiten. Das Mandat für die gemeinsame Friedenstruppe (UNAMID) der Vereinten Nationen und der Afrikanischen Union begann Anfang des Jahres. Bei einem Angriff auf eine UNAMID-Patrouille kamen am 8. Juli sieben Soldaten ums Leben. Dabei sei der dringende Bedarf an Hubschraubern und Aufklärungsflugzeugen deutlich geworden, sagte Ban. Selbst bei einer vollständigen Stationierung der Friedenstruppe könne der Konflikt nur auf dem Verhandlungsweg dauerhaft gelöst werden.


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