Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Sudan: "Für eine großzügige Aufstockung der Mittel für humanitäre Hilfsmaßnahmen"

Friedensbewegung appelliert an Bundestag und nennt sechs Gründe gegen einen Militäreinsatz

Im Folgenden dokumentieren wir eine Presseerklärung, die der Bundesausschuss Friedensratschlag anlässlich der bevorstehenden Entscheidung des Deutschen Bundestages über die Entsendung eines Bundeswehrkontingent in den Sudan veröffentlichte.

Dazu passt auch folgende Agenturmeldung vom 24. November 2004:
"Die sudanesische Regierung hat nach Angaben des staatlichen sudanesischen Fernsehens am Mittwoch den deutschen Botschafter in Khartum einbestellt, um gegen den geplanten Bundeswehreinsatz im Sudan zu protestieren. Der sudanesische Vize-Außenminister Nagib el Cheir Abdel Wahab habe dem deutschen Diplomaten gegenüber betont, dass es 'in der Verantwortung der sudanesischen Regierung liegt, für Frieden zu sorgen und die Bevölkerung zu schützen', berichtete das sudanesische Fernsehen am 24. Nov. Dies sei 'eine Frage der Souveränität', zitierte das Fernsehen den Politiker weiter. Ein Sprecher des Auswärtigen Amts in Berlin konnte den Bericht nicht bestätigen."
(AFP, 24.11.2004, 23 Uhr)



Presseerklärung*

Friedensbewegung gegen Militäreinsatz in Sudan

  • Morgen beschließt Bundestag Bundeswehreinsatz im Sudan
  • Sechs Gründe gegen Militäreinsatz
  • Friedensbewegung fordert Erhöhung der humanitären Hilfe
Kassel-Hamburg, 25. November: Am Freitag berät der Deutsche Bundestag über die Entsendung einer Bundeswehreinheit nach Afrika. Sie soll die Truppen der Afrikanischen Union bei ihrem Transport in die sudanesische Krisenregion Darfur unterstützen. Vorgesehen sind hierfür Lufttransportkapazitäten und ein Kontingent von bis zu 200 Soldaten. Die Bundeswehr handelt als Teil einer von der EU koordinierten Aktion zur "Unterstützung der AU bei der Aufstockung und Verstärkung sowie bei der Durchführung der Überwachungsmission AMIS mit Lufttransport in das Einsatzgebiet und bei der Rückverlegung".

Der Einsatz, der zunächst auf ein halbes Jahr befristet ist, kostet 6,75 Mio. Euro. Die EU stellt mehr als 80 Mio. Euro für ihre Militärmission zur Verfügung.

Völkerrechtlich wäre der Bundeswehreinsatz zulässig, da er auf UN-Resolutionen und entsprechende Hilfeersuchen durch die Afrikanische Union zurückgreifen kann. Die Frage ist allerdings, ob der Einsatz politisch vernünftig und humanitär hilfreich ist.

Der Bundesausschuss Friedensratschlag wendet sich gegen eine Beteiligung Deutschlands und der EU an den von der AU geplanten Militäraktionen in der Region Darfur. Statt dessen plädieren wir für eine großzügige Aufstockung der Mittel für humanitäre Hilfsmaßnahmen.

Für diese Haltung führen wir folgende Gründe an:

(1) Die von der Bundesregierung herausgegebenen und in den meisten Medien verbreiteten Berichte über die humanitäre Lage in der Krisenregion Darfur und im angrenzenden Tschad stellen die Situation in einem verzerrten Licht dar. Von "Völkermord", der sich dort unter den Augen der Weltöffentlichkeit vollzieht, wird nur von US-amerikanischen und deutschen Politikern gesprochen - von US-amerikanischen auch erst seit der Zeit, als sie ein Auge auf die immensen Erdölvorräte in Westsudan geworfen haben. Es gibt massive Umweltprobleme in der Region, Flüchtlingsströme und Vertreibungen (die indessen nicht nur den Dschandschawid-Milizen sondern auch den gegen die Zentralregierung kämpfenden Rebellenorganisationen zuzuschreiben sind). Die Lage ist schlimm, sehr schlimm sogar, aber sie ist nicht durch Mord und Totschlag gekennzeichnet. (Vgl. hierzu den Bericht des Leiters des Sudan-Projekts des Sonderforschungsbereichs der Uni Köln, Dr. Stefan Kröpelin, FR, 14.10.2004, Dokumentationsseite.)

(2) Die Außenpolitik der Bundesregierung gegenüber Sudan ist von einer feindseligen Haltung gegenüber der Zentralregierung in Khartum geprägt. Seit längerem heizen Außen- und Entwicklungsministerium die Diskussion durch ständig wiederholte Forderungen nach einem entschiedenen militärischen Eingreifen von außen in Darfur an. Nachdem die Außenminister der EU bei der Ratssitzung am 2. November beschlossen hatten, durch verschiedene Maßnahmen den "politischen Druck" auf die Regierung und die Rebellenorganisationen erhöhen zu wollen, erklärte Außenminister Fischer in einer Regierungserklärung vor dem Deutschen Bundestag am 11. November: "Ich verhehle nicht: Aufgrund unserer nationalen Position wären wir gerne weitergegangen." Durchaus möglich also, dass die Bundesregierung im Sudan auch noch andere als die vermeintlichen humanitären Ziele verfolgt - oder was ist sonst unter einer "nationalen Position" zu verstehen?

(3) Die 6,75 Mio. Euro, die für die Bundeswehraktion bereitgestellt werden, sind sinnvoller einzusetzen. Dasselbe gilt in noch höherem Maß für die über 80 Mio. Euro der Europäischen Union. Schon mit wenigen Millionen Euros könnte man mobile Ärzte finanzieren, statt mit unvergleichlich höherem Aufwand die immense Logistik für die von weither eingeflogenen afrikanischen Militärs aufzubauen. Jeder Hubschrauberflug kostet mehr als die Rettung eines Kinderlebens. Der Bundeswehreinsatz-Antrag der Bundesregierung stützt sich auf die UN-Resolutionen vom Juli und September 2004. Die neueste UN-Resolution, die am 19. November in Nairobi verabschiedet wurde, betont die Wichtigkeit der humanitären Hilfe und fordert die Mitgliedstaaten auf, "dringende und großzügige Beiträge zu den humanitären Maßnahmen bereitzustellen" (UN-SR-Res. 1574).

(4) Eine militärische Befriedung des Gebiets, das so groß ist wie Frankreich, ist auch mit noch so vielen Truppen nicht möglich. Das viele Geld, das von der EU, aber auch von den afrikanischen Staaten für militärische Aktionen ausgegeben werden soll, wird im besten Fall verpuffen, aber kaum ein einzelnes Unrecht verhindern oder Menschenleben schützen. im wahrscheinlicheren Fall aber zu einer Komplizierung der Lage in Darfur und später womöglich auch in den Herkunftsländern der Truppen führen.

(5) Es drängt sich der Verdacht auf, dass die Bundesregierung mit dem Sudan-Einsatz ein weiteres Mal versucht, unter dem Deckmantel der "humanitären Hilfe" die Bevölkerung an Militäreinsätze zu gewöhnen. Abgesehen davon wird es aller Voraussicht nach nicht bei dem jetzt beantragten halbjährigen Einsatz bleiben, da auch der Einsatz der AU zumindest auf ein Jahr angelegt ist. Leicht möglich, dass die Bundeswehr in länger dauernde und ausgreifende Gewaltkonflikte verstrickt wird.

(6) Offenkundig ist auch, dass die Bundesregierung den Sudan-Einsatz benutzt, um sich bei bestimmten Kreisen der Vereinten Nationen lieb Kind zu machen, strebt sie doch nach einem ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat.

Aus all diesen Gründen warnen wir vor einer militärischen Verstrickung Deutschlands in den Sudankonflikt. Den Problemen in Darfur und im angrenzenden Tschad ist nicht mit Militär beizukommen. Die dafür vorgesehenen Ressourcen sind in wirklich humanitäre Hilfsmaßnahmen einschließlich technischer Hilfen zu investieren.

Für den Bundesausschuss Friedensratschlag:
Lühr Henken, Hamburg (Sprecher)
Peter Strutynski, Kassel (Sprecher)

* Diese Erklärung wurde auch an die Mitglieder des Auswärtigen Ausschusses der Bundestags sowie an die Abgeordneten der Koalition geschickt.


Zu weiteren Beiträgen über Sudan

Zur Presse-Seite

Zur Seite "Friedensbewegung"

Zurück zur Homepage