Sudan: "Für eine großzügige Aufstockung der Mittel für humanitäre Hilfsmaßnahmen"
Friedensbewegung appelliert an Bundestag und nennt sechs Gründe gegen einen Militäreinsatz
Im Folgenden dokumentieren wir eine Presseerklärung, die der Bundesausschuss Friedensratschlag anlässlich der bevorstehenden Entscheidung des Deutschen Bundestages über die Entsendung eines Bundeswehrkontingent in den Sudan veröffentlichte.
Dazu passt auch folgende Agenturmeldung vom 24. November 2004:
"Die sudanesische Regierung hat nach Angaben des staatlichen sudanesischen Fernsehens am Mittwoch den deutschen Botschafter in Khartum einbestellt, um gegen den geplanten Bundeswehreinsatz im Sudan zu protestieren. Der sudanesische Vize-Außenminister Nagib el Cheir Abdel Wahab habe dem deutschen Diplomaten gegenüber betont, dass es 'in der Verantwortung der sudanesischen Regierung liegt, für Frieden zu sorgen und die Bevölkerung zu schützen', berichtete das sudanesische Fernsehen am 24. Nov. Dies sei 'eine Frage der Souveränität', zitierte das Fernsehen den Politiker weiter. Ein Sprecher des Auswärtigen Amts in Berlin konnte den Bericht nicht bestätigen."
(AFP, 24.11.2004, 23 Uhr)
Presseerklärung*
Friedensbewegung gegen Militäreinsatz in Sudan
-
Morgen beschließt Bundestag Bundeswehreinsatz im Sudan
- Sechs Gründe gegen Militäreinsatz
- Friedensbewegung fordert Erhöhung der humanitären Hilfe
Kassel-Hamburg, 25. November: Am Freitag berät der Deutsche Bundestag
über die Entsendung einer Bundeswehreinheit nach Afrika. Sie soll die
Truppen der Afrikanischen Union bei ihrem Transport in die sudanesische
Krisenregion Darfur unterstützen. Vorgesehen sind hierfür
Lufttransportkapazitäten und ein Kontingent von bis zu 200 Soldaten. Die
Bundeswehr handelt als Teil einer von der EU koordinierten Aktion zur
"Unterstützung der AU bei der Aufstockung und Verstärkung sowie bei der
Durchführung der Überwachungsmission AMIS mit Lufttransport in das
Einsatzgebiet und bei der Rückverlegung".
Der Einsatz, der zunächst auf ein halbes Jahr befristet ist, kostet 6,75
Mio. Euro. Die EU stellt mehr als 80 Mio. Euro für ihre Militärmission
zur Verfügung.
Völkerrechtlich wäre der Bundeswehreinsatz zulässig, da er auf
UN-Resolutionen und entsprechende Hilfeersuchen durch die Afrikanische
Union zurückgreifen kann. Die Frage ist allerdings, ob der Einsatz
politisch vernünftig und humanitär hilfreich ist.
Der Bundesausschuss Friedensratschlag wendet sich gegen eine Beteiligung
Deutschlands und der EU an den von der AU geplanten Militäraktionen in
der Region Darfur. Statt dessen plädieren wir für eine großzügige
Aufstockung der Mittel für humanitäre Hilfsmaßnahmen.
Für diese Haltung führen wir folgende Gründe an:
(1) Die von der Bundesregierung herausgegebenen und in den meisten
Medien verbreiteten Berichte über die humanitäre Lage in der
Krisenregion Darfur und im angrenzenden Tschad stellen die Situation in
einem verzerrten Licht dar. Von "Völkermord", der sich dort unter den
Augen der Weltöffentlichkeit vollzieht, wird nur von US-amerikanischen
und deutschen Politikern gesprochen - von US-amerikanischen auch erst
seit der Zeit, als sie ein Auge auf die immensen Erdölvorräte in
Westsudan geworfen haben. Es gibt massive Umweltprobleme in der Region,
Flüchtlingsströme und Vertreibungen (die indessen nicht nur den
Dschandschawid-Milizen sondern auch den gegen die Zentralregierung
kämpfenden Rebellenorganisationen zuzuschreiben sind). Die Lage ist
schlimm, sehr schlimm sogar, aber sie ist nicht durch Mord und Totschlag
gekennzeichnet. (Vgl. hierzu den Bericht des Leiters des Sudan-Projekts
des Sonderforschungsbereichs der Uni Köln, Dr. Stefan Kröpelin, FR,
14.10.2004, Dokumentationsseite.)
(2) Die Außenpolitik der Bundesregierung gegenüber Sudan ist von einer
feindseligen Haltung gegenüber der Zentralregierung in Khartum geprägt.
Seit längerem heizen Außen- und Entwicklungsministerium die Diskussion
durch ständig wiederholte Forderungen nach einem entschiedenen
militärischen Eingreifen von außen in Darfur an. Nachdem die
Außenminister der EU bei der Ratssitzung am 2. November beschlossen
hatten, durch verschiedene Maßnahmen den "politischen Druck" auf die
Regierung und die Rebellenorganisationen erhöhen zu wollen, erklärte
Außenminister Fischer in einer Regierungserklärung vor dem Deutschen
Bundestag am 11. November: "Ich verhehle nicht: Aufgrund unserer
nationalen Position wären wir gerne weitergegangen." Durchaus möglich
also, dass die Bundesregierung im Sudan auch noch andere als die
vermeintlichen humanitären Ziele verfolgt - oder was ist sonst unter
einer "nationalen Position" zu verstehen?
(3) Die 6,75 Mio. Euro, die für die Bundeswehraktion bereitgestellt
werden, sind sinnvoller einzusetzen. Dasselbe gilt in noch höherem Maß
für die über 80 Mio. Euro der Europäischen Union. Schon mit wenigen
Millionen Euros könnte man mobile Ärzte finanzieren, statt mit
unvergleichlich höherem Aufwand die immense Logistik für die von weither
eingeflogenen afrikanischen Militärs aufzubauen. Jeder Hubschrauberflug
kostet mehr als die Rettung eines Kinderlebens. Der
Bundeswehreinsatz-Antrag der Bundesregierung stützt sich auf die
UN-Resolutionen vom Juli und September 2004. Die neueste UN-Resolution,
die am 19. November in Nairobi verabschiedet wurde, betont die
Wichtigkeit der humanitären Hilfe und fordert die Mitgliedstaaten auf,
"dringende und großzügige Beiträge zu den humanitären Maßnahmen
bereitzustellen" (
UN-SR-Res. 1574).
(4) Eine militärische Befriedung des Gebiets, das so groß ist wie
Frankreich, ist auch mit noch so vielen Truppen nicht möglich. Das viele
Geld, das von der EU, aber auch von den afrikanischen Staaten für
militärische Aktionen ausgegeben werden soll, wird im besten Fall
verpuffen, aber kaum ein einzelnes Unrecht verhindern oder Menschenleben
schützen. im wahrscheinlicheren Fall aber zu einer Komplizierung der
Lage in Darfur und später womöglich auch in den Herkunftsländern der
Truppen führen.
(5) Es drängt sich der Verdacht auf, dass die Bundesregierung mit dem
Sudan-Einsatz ein weiteres Mal versucht, unter dem Deckmantel der
"humanitären Hilfe" die Bevölkerung an Militäreinsätze zu gewöhnen.
Abgesehen davon wird es aller Voraussicht nach nicht bei dem jetzt
beantragten halbjährigen Einsatz bleiben, da auch der Einsatz der AU
zumindest auf ein Jahr angelegt ist. Leicht möglich, dass die Bundeswehr
in länger dauernde und ausgreifende Gewaltkonflikte verstrickt wird.
(6) Offenkundig ist auch, dass die Bundesregierung den Sudan-Einsatz
benutzt, um sich bei bestimmten Kreisen der Vereinten Nationen lieb Kind
zu machen, strebt sie doch nach einem ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat.
Aus all diesen Gründen warnen wir vor einer militärischen Verstrickung
Deutschlands in den Sudankonflikt. Den Problemen in Darfur und im
angrenzenden Tschad ist nicht mit Militär beizukommen. Die dafür
vorgesehenen Ressourcen sind in wirklich humanitäre Hilfsmaßnahmen
einschließlich technischer Hilfen zu investieren.
Für den Bundesausschuss Friedensratschlag:
Lühr Henken, Hamburg (Sprecher)
Peter Strutynski, Kassel (Sprecher)
* Diese Erklärung wurde auch an die Mitglieder des Auswärtigen Ausschusses der Bundestags sowie an die Abgeordneten der Koalition geschickt.
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