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Die Entwicklungsprojekte warten nicht auf die Einsicht der Armen

In den sudanesischen Nuba-Bergen stören die Nachwirkungen des Bürgerkrieges

Von Franz Altmann *

Die schnelle Realisierung der »Millenniumentwicklungsziele (MDG) scheitert, wo Kriege das Gesamtgefüge nachhaltig gestört haben. Ein Beispiel sind die Nuba-Berge in Sudan.

Ein Dorf in den westlichen Nuba-Bergen. Etwa 30 Männer und Frauen sitzen unter einem einsamen, alten Baum auf dem Dorfplatz. Vor ihnen steht die Lehrerin neben einer Tafel. Der Wind lässt die Blätter der Notizblöcke flattern und weht den Anwesenden Sand in die Augen. Die Lehrerin heißt Fatouma. Sie ist Angestellte einer großen deutschen Entwicklungsorganisation, die sich in den Nuba-Bergen für die Rehabilitierung der lokalen Landwirtschaft engagiert. Das Thema der nachmittäglichen Unterrichtsstunde heißt »Projektmanagement.«

Die Kursteilnehmer sind Kleinbauern, Viehhirten und Hausfrauen. Und sie sind Mitglieder des örtlichen Dorfentwicklungskomitees. Der gewählte Präsident des Komitees, Izzedin Osman, listet die Probleme seiner Gemeinde auf: »Wir haben zu wenig Wasser in der Trockenzeit, es gibt keine Gesundheitsversorgung in unserem Dorf und das Schulgebäude ist von Termiten zerfressen. Bewaffnete Konflikte zwischen Nubastämmen und Nomaden in der Region hindern die Leute daran, ihre Felder zu bewirtschaften. Die Regierung tut nichts.«

Wie die meisten Landbewohner in Sudan lebt Izzedin Osman mit seinen zwei Frauen und zwölf Kindern in einer traditionellen Hütte aus Lehm und Stroh. Im Durchschnitt hat jedes Familienmitglied gerade mal einen halben Dollar pro Tag zur Verfügung. Seine älteren Söhne ziehen jedes Jahr mit den eigenen Rindern Hunderte von Kilometern durch die kargen Ebenen. Fatouma erklärt den Ausweg aus der Misere: »Ihr müsst lernen, euch zu organisieren, Projekte zu planen und selbstständig an Fördergelder heranzukommen.« Dann erklärt sie, was Dezentralisierung bedeutet und was sich internationale Organisationen unter einer modernen Zivilgesellschaft vorstellen. Derzeit ist die Zivilgesellschaft im ländlichen Sudan abgehängt von den urbanen Zentren. Sie ist ein System aus Zweckgemeinschaften und Verwandtschaft.

Jedoch hat der Jahrzehnte dauernde Bürgerkrieg die empfindliche Koexistenz von Ackerbauern und Viehzüchtern unterschiedlicher Stämme in tödliche Rivalitäten verkehrt, die auch nach dem Friedensabkommen immer wieder Opfer fordern. »Stammeskonflikte«, so ein Mitarbeiter der deutschen Hilfsorganisation, »sind Ressourcenkonflikte. Und Ressourcenkonflikte werden hier schnell politische Konflikte.« »Die zentrale Streitfrage lautet: Wem gehört das Land«, erläutert Ismael Hareika, Vertreter einer einflussreichen Nomadengruppe. »Die Nubastämme erheben historischen Anspruch. Die Nomaden wiederum brauchen viel Weideland und Wasser.«

Auf nationaler Ebene versuchen politische Parteien diese Rivalitäten auszunutzen. Vor allem der regierende Nationalkongress (NCP) unter Präsident Omar al-Baschir und die den Südsudan auf Unabhängigkeitskurs steuernde Sudanesische Volksbefreiungsbewegung (SPLM) des Vizepräsidenten Salva Kiirs instrumentalisieren Stammesrivalitäten für ihre immer noch ungeklärten Territorialstreitigkeiten über erdölreiche Gebiete in Zentralsudan – wie etwa Abiyei. Vergangenen Juni wurde die Provinzstadt Abiyei bei Kämpfen vollständig zerstört. Mehrere tausend Menschen wurden obdachlos.

Nach Einschätzung eines leitenden Mitarbeiters der Vereinten Nationen in der Provinzhauptstadt Kadugli »sitzen wir alle auf einem Pulverfass: Die Armeen ziehen sich

zwar gemäß dem Friedensabkommen hinter ihre Linien zurück. Aber die inoffiziellen Milizen und Guerillagruppen bleiben auf dem Gebiet des militärischen Gegners«. Politische Loyalitäten, so haben die UN beobachtet, werden von lokalen Führern skrupellos gehandelt. Die unterschwellig weiter schwelende Gewalt frustriert viele Versuche, die schwache Infrastruktur auf dem Land zu verbessern. Kai Schmidt, Projektleiter der deutschen Organisation, erläutert das so: »In kommunales Eigentum möchten viele Gemeinden, traumatisiert durch jahrzehntelang wiederkehrende Willkür und Vertreibungen, nach wie vor nicht investieren. Die allernächste Zukunft scheint zu unsicher.«

Um an schnelles Geld heranzukommen, holzen die Menschen das Buschland ab. Gewiefte Händler erzielen damit guten Gewinn in den nördlichen Großstädten. Das Land verwüstet langsam aber stetig. Da es für die meisten Menschen keine andere Altersicherung gibt als den eigenen Nachwuchs, ist die Geburtenrate sehr hoch. Mit der Folge, dass die Bevölkerungszahlen steigen und die natürlichen Ressourcen noch knapper werden. Dazu kommt die schleichende Austrocknung der Region durch den Klimawandel.

Angesichts der Komplikationen, in die sich internationale Organisationen bei der Realisierung von langfristigen Entwicklungszielen in Sudan verstricken, verlieren viele internationale Geldgeber die Geduld und beschränken sich auf das übersichtliche Geschäft mit der Nothilfe wie im Kriegsgebiet Darfur. Ein Straßenbauprojekt hingegen, das die erwähnte deutsche Hilfsorganisation in den Nuba-Bergen durchführen wollte, wurde abgebrochen, weil die anliegenden Dörfer sich nicht innerhalb von drei Monaten auf den Straßenverlauf einigen konnten. Jeder Klan wollte, dass die Straße durch sein Dorf liefe und die eigene Bevölkerung an den Bauarbeiten verdienen könne. Aber der enge Zeitplan der Geldgeber ließ keinen Raum für weitere Verhandlungen. »Es braucht viel Zeit bis die Leute hier verstehen, wie Entwicklung funktioniert«, kommentierte einer der vermittelnden Stammesältesten das Scheitern des Projektes. »Aber Entwicklung kann offenbar nicht auf uns warten.«

* Aus: Neues Deutschland, 7. April 2009


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