UNO droht Sri Lankas Regierung
Sicherheitskräfte sollen Entwicklungshelfer ermordet haben
Von Stefan Mentschel *
Trotz Waffenruhe liefern sich in Sri Lanka Armee und Befreiungstiger seit Wochen heftige Kämpfe.
Nun haben skandinavische Waffenstillstandsbeobachter sowohl Regierung als auch Rebellen für
Verbrechen gegen die Zivilbevölkerung verantwortlich gemacht.
Die Erklärung sorgte für erhebliche Aufregung. Kurz vor seinem Ausscheiden als Chef der
skandinavischen Beobachtermission hat Generalmajor Ulf Henricsson die srilankischen
Sicherheitskräfte beschuldigt, für die Ermordung von 17 einheimischen Mitarbeitern der
französischen Hilfsorganisation »Action Contre la Faim« (Aktion gegen Hunger) verantwortlich zu
sein. Die mit Kopfschüssen exekutierten Helfer waren Anfang August in der heftig umkämpften Stadt
Muttur gefunden worden. Man sei »überzeugt«, so der Schwede, dass es zu dieser Zeit keiner
anderen bewaffneten Gruppe möglich war, eine solche Tat zu verüben. Ein Regierungssprecher
wies die Vorwürfe umgehend als haltlos zurück.
Gleichzeitig beschuldigte Henricsson die Befreiungstiger von Tamil Eelam (LTTE), hinter dem
Bombenanschlag auf einen Linienbus im Distrikt Anuradhapura zu stehen. Dabei waren im Juni 64
Menschen ums Leben gekommen, darunter viele Schulkinder.
Offiziell gilt in Sri Lanka noch eine vor viereinhalb Jahren unterzeichnete Waffenruhe. In der Realität
ist davon jedoch nichts mehr zu spüren. Seit Dezember gab es immer wieder schwere
Zwischenfälle. Vor einem Monat war die Lage eskaliert, nachdem Rebellen nahe der strategisch
wichtigen Stadt Trinconmalee ein Kanalsystem blockiert hatten. Die Armee reagierte mit Angriffen in
den Tamilen-Gebieten im Norden und Osten des Landes.
Die für die Überwachung des Waffenstillstands zuständigen Skandinavier stehen der Gewalt
weitgehend hilflos gegenüber. Und in den kommenden Monaten wird ihr Einfluss noch weiter
zurückgehen. Nachdem die LTTE im Mai von der EU auf die Liste der Terror-organisationen gesetzt
worden war, hatten die Rebellen den Rückzug aller Beobachter aus EU-Staaten – immerhin 39 von
57 – bis zum 1. September verlangt. Dänemark, Finnland und Schweden beugten sich dem Druck.
Zwar wollen Norwegen und Island die Mitarbeiterzahl auf insgesamt 30 aufstocken. Doch die
entstandene Lücke kann Henricssons Nachfolger, der norwegische Generalmajor Lars Johan
Sølvberg, damit nicht schließen.
»Der Abzug kommt zu einen Zeitpunkt, an dem es eigentlich angebracht wäre, die
Beobachtermission erheblich auszuweiten«, erklärt Paikiasothy Saravanamuttu, Direktor des
renommierten Zentrums für Politik-Alternativen in Colombo, gegenüber ND. Gleichzeitig sei es
jedoch fraglich, ob sich die Konfliktparteien davon beeinflussen lassen würden. Der Friedensforscher
Jehan Perera wurde noch deutlicher: »Wenn weder Regierung noch LTTE den Waffenstillstand
anerkennen, können selbst mehrere Hundert Beobachter nichts ausrichten.«
Unter dem faktischen Kriegszustand leidet vor allem die Zivilbevölkerung. Seit April wurden mehr als
200 000 Menschen zu Flüchtlingen. Um humanitäre Probleme gewaltigen Ausmaßes abzuwenden,
müssten nach jüngsten Berechnungen der Vereinten Nationen bis Jahresende etwa 37,5 Millionen US-Dollar aufgewendet werden. Doch die anhaltenden Kämpfe sowie bürokratische Hürden machen
es internationalen Hilfsorganisationen nahezu unmöglich, ins Krisengebiet vorzudringen. Nach
Veröffentlichung des Henricsson-Berichts drohte UN-Hilfskoordinator Jan Egeland nun sogar mit der
Einstellung sämtlicher Unterstützung für Sri Lanka, sollte die Sicherheit der Helfer nicht
gewährleistet werden. Das es soweit kommt, ist jedoch wenig wahrscheinlich, denn nach Ansicht
von Paikiasothy Saravanamuttu bietet verstärktes humanitäres Engagement der internationalen
Gemeinschaft auch die Möglichkeit, mäßigend auf Sri Lankas Konfliktparteien einzuwirken.
* Aus: Neues Deutschland, 2. September 2006
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