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Selbstverwaltung für Tamilen?

Sri Lanka: Größte Partei der Minderheit veröffentlichte Wahlmanifest

Von Henri Rudolph, Delhi *

Die größte politische Vertretung der tamilischen Minderheit in Sri Lanka hat sich in ihrem Manifest zu den Parlamentswahlen am 8. April für »regionale Selbstverwaltung« in der Nord- und der Ostprovinz ausgesprochen.

Die 2001 gegründete Tamilische Nationale Allianz (TNA), die bisher 22 Abgeordnete im Parlament stellte, vertrat meistens den Standpunkt der Befreiungstiger von Tamil Eelam (LTTE), die einen tamilischen Separatstaat in Sri Lanka anstrebten, im Mai vorigen Jahres jedoch von den Streitkräften des Landes militärisch besiegt wurden. In ihrem Wahlmanifest spricht die TNA nun von »Machtteilung in einer föderalen Struktur« und einer »geteilten Souveränität«. Die angestrebte Autonomie soll sich vornehmlich auf Landbesitz, Finanzen und Steuern, Recht und Ordnung beziehen. Die Allianz verlangt zudem Rückkehr und Rehabilitation der 300 000 bei Kriegsende vertriebenen Tamilen, die in Flüchtlingslagern untergebracht wurden. Die militärischen »Hochsicherheitszonen«, in denen die Streitkräfte noch immer Grund und Boden besetzt halten, müssten aufgelöst und das frühere Rebellengebiet entmilitarisiert werden. Die mehrheitlich von Tamilen bewohnten Provinzen sollten vereinigt werden, rund eine Million Auslandstamilen sollten zurückkehren können.

Der TNA-Abgeordnete Suresh Premachandra befürwortete gegenüber der BBC angesichts der »veränderten globalen und regionalen Situation« eine »föderale Lösung« für Sri Lanka. Sein Kollege Rajavarothiam Sampanthan sagte, die meisten Tamilen wollten weder Gewalt noch Abspaltung, sondern Gleichberechtigung.

Kurz nach der Veröffentlichung des Manifests meldete sich allerdings der Kanadische Tamilenkongress (CTC), der die stärkste Exilgemeinde vertritt: Die Forderung nach einem Separatstaat sei nicht aufgegeben. Die Medien hätten die TNA falsch zitiert. CTC-Chef David Popalapillai erklärte: »Wir kämpfen für einen Status, ähnlich dem von Puerto Rico gegenüber den USA – zwei Nationen mit einem Reisepass. Die Insel Sri Lanka wird ein Land mit zwei Nationen sein, einer tamilischen und einer singhalesischen.«

Die TNA in Colombo erläuterte daraufhin ihre Position: Sie habe die Forderung nach Selbstbestimmung nicht aufgegeben, jedoch nie die Schaffung eines eigenen Staates »Eelam« propagiert. Laut Verfassung verwirkt jede politische Partei in Sri Lanka ihr Recht auf Vertretung im Parlament, wenn sie für eine Sezession eintritt.

Bei der Präsidentenwahl im Januar hatte die TNA den ehemaligen Armeegeneral Sarath Fonseka unterstützt, der gegen Präsident Mahinda Rajapakse verlor und inzwischen juristisch verfolgt wird. Einige Mitglieder wurden aus der Partei ausgeschlossen, andere gründeten eine neue Gruppe. Der Einfluss der TNA auf die tamilischen Wähler ist deshalb schwer einzuschätzen. Geht die Regierung in Colombo nicht auf das Manifest ein, will die Allianz jedenfalls eine Kampagne des zivilen Ungehorsams inszenieren.

Präsident Mahinda Rajapakse hat unterdessen beschlossen, ein Komitee mit der Forschung nach den Ursachen des ethnisch-sozialen Konflikts und der daraus resultierenden 25-jährigen militärischen Auseinandersetzung zu beauftragen. Offensichtlich will er damit einer Initiative von UNO-Generalsekretär Ban Ki Moon begegnen, der angekündigt hat, ein Expertengremium zwecks Untersuchung von Kriegsverbrechen in der letzten Phase der Offensive der Regierungsstreitkräfte im Frühjahr 2009 zu bilden.

* Aus: Neues Deutschland, 18. März 2010


Autonomie oder Eigenstaatlichkeit?

Sri Lanka: Innertamilische Auseinandersetzung um das TNA-Programm zu den Wahlen im April

Von Ashok Rajput, Neu-Delhi **

Die Tamilische Nationale Allianz (TNA), die größte politische Vertretung der Tamilen in Sri Lanka, hat sich in ihrem Manifest zu den Parlamentswahlen am 8. April für »regionale Selbstherrschaft« in der Nord- und der Ostprovinz ausgesprochen. Obwohl die 2001 gegründete Partei, die mit 22 Abgeordneten im Parlament meistens den Standpunkt der Befreiungstiger von Tamil Eelam (LTTE) vertrat, sich nicht ausdrücklich von der alten Forderung nach einem eigenen Staat distanzierte, wird diese Erklärung als Abkehr von der bisherigen Maximalforderung bewertet. Die TNA spricht von »Machtteilung in einer föderalen Struktur« sowie von »geteilter Souveränität zwischen den Menschen, die die Insel bewohnen«. Die angestrebte Autonomie soll sich vornehmlich auf Landbesitz, Finanzen und Steuern, Recht und Ordnung beziehen.

In ihrem Wahlmanifest verlangt die Allianz weiterhin die Rückkehr und Rehabilitation der etwa 300000 tamilischen Inlandsvertriebenen, die in der letzten Kriegsphase Haus und Hof verlassen mußten und in Flüchtlingslager interniert wurden. Im Mai 2009 endete der Krieg mit der militärischen Niederlage der LTTE. Die TNA will, daß die militärischen »Hochsicherheitszonen« aufgelöst werden, in denen die Streitkräfte noch immer Grund und Boden besetzt halten, sowie eine Entmilitarisierung des früheren Rebellengebietes. Die Partei unterstützt die Heimkehr von rund einer Million Auslandstamilen. Suresh Premachandra, ein TNA-Abgeordneter, befürwortete gegenüber der BBC angesichts der »veränderten globalen und regionalen Situation« eine »föderale Lösung«.

Kurz nach der Veröffentlichung des Manifests meldete sich der Kanadische Tamilen Kongreß (CTC), der die stärkste Gruppierung in der tamilischen Diaspora repräsentiert, zu Wort: Die Forderung nach einem eigenen Staat sei nicht aufgegeben. Die Medien hätten die TNA falsch zitiert. Nach wie vor seien die vier Grundprinzipien gültig: separates Heimatland, Recht auf Selbstbestimmung, Bewahrung der eigenen tamilischen Identität sowie Bürgerrechte für jene Tamilen, die im 18. Jahrhundert aus Indien kamen. CTC-Chef David Popalapillai erklärte: »Wir kämpfen für einen Status, ähnlich dem von Puerto Rico gegenüber den USA – zwei Nationen mit einem Reisepaß. Die Insel Sri Lanka wird ein Land mit zwei Nationen sein, eine tamilische und eine singhalesische.«

Im Parlament Sri Lankas hatte die TNA bis vor einiger Zeit 22 Abgeordnete. Doch inzwischen wurden einige Mitglieder aus der Partei ausgeschlossen, und einige gründeten eine neue Gruppe. Geht die Regierung in Colombo nicht auf das Manifest ein, dann will die TNA mit einer Kampagne des zivilen Ungehorsams nach dem Vorbild Mahatma Gandhis ihren Forderungen Nachdruck verleihen.

** Aus: junge Welt, 16. März 2010


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