Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Von Löwen und Tigern

Regierung gegen Befreiungsbewegung: Ende Oktober beginnen in Genf die Verhandlungen zu Sri Lanka. Kann der lädierte Waffenstillstand wiederhergestellt werden?

Von Gerd Schumann *

Ab diesem Samstag (28. Oktober 2006) wird, so alles gut geht, wieder verhandelt. Nach monatelanger Sendepause und heftigen militärischen Kämpfen zwischen den feindlichen Lagern sitzen sich unter norwegischer Moderation die singhalesischen »Löwen« – Sri Lankas Wappentier – und die tamilischen »Tiger« – Symbol der Befreiungsbewegung – gegenüber. Das geschieht aus gutem Grund auf neutralem Boden in Genf, und auch nicht im Einflußbereich der EU: In der Schweiz gilt die von Brüssel am 30. Mai verfügte Ächtung der Befreiungstiger von Tamil Eelam (LTTE) nicht, und die hochkarätige Tiger-Delegation mit Politchef Tamilchelvan an der Spitze braucht keine Repressalien zu befürchten. Anders als im Berlin von heute. Ebendort durfte sich noch vor anderthalb Jahren jener Tamilchelvan im Gespräch mit junge Welt für eine gerechte, gleichberechtigte Verteilung der Tsunami-Spendengelder einsetzen. Das geht nun nicht mehr. Seine Organisation befindet sich auf der EU-Terrorliste, und er selbst gilt als »nicht erwünschte Person«.

Ein unsäglicher Beschluß der Europäer. Wie soll ein Friedensprozeß, der zum Ziel hat, einen seit 23 Jahren mit kriegerischen Mitteln ausgetragenen Dauerkonflikt zu beenden, erfolgreich sein, wenn eine Seite mittendrin zum Paria erklärt wird? Bei der Stigmatisierung der LTTE durch das Europäische Parlament – lediglich die nordische Linke machte nicht mit dabei– mußten die abgenutzten Argumente aus dem vergangenen Jahrhundert herhalten, nach denen die Tiger weiter Selbstmordanschläge verübt, Kindersoldaten rekrutiert und Spendengelder bei den bis zu 300000 tamilischen Flüchtlingen in der europäischen Diaspora eingetrieben hätten. Vorwürfe, die die LTTE selbst zurückweist; unabhängige Beobachter der srilankischen Verhältnisse bezeichnen ihre Wiederholung als »entwicklungsignorant«; die Tiger hätten sich durchaus verändert.

Sri Lanka: Land, Leute und Geschichte

19,2 Millionen Einwohner bewohnen die Insel südöstlich des indischen Subkontinents. Die Bevölkerung ist ethnisch heterogen. Mit etwa 70 Prozent stellen die Singhalesen den bei weitem größten Anteil. Die Tamilen folgen mit 18 Prozent. Sie werden in Indien- und Jaffna-Tamilen unterschieden: Die indischen Tamilen wurden im 19. Jahrhundert von der britischen Kolonialmacht unter sklavenähnlichen Bedingungen als Arbeiter für die Teeplantagen nach »Ceylon« gebracht. Acht Prozent der Einwohner sind Nachkommen arabischer und malaiischer Muslime. Die Singhalesen bekennen sich überwiegend zum Buddhismus, die Tamilen zum Hinduismus.

33 Prozent der Bevölkerung arbeiten in der Landwirtschaft, 24 Prozent in der Industrie und über 42 Prozent im Dienstleistungssektor, der größte Teil von ihnen in der Tourismusbranche. Die Zeit verschiedener regionaler Königreiche endete 1518 mit der Besetzung der Küsten durch portugiesische Kolonialisten. Es folgten die Niederlande und Großbritannien als Besatzer. Am 4.2.1948 entließ London die Insel in die Unabhängigkeit. Die folgenden Jahrzehnte wurden durch Kontroversen zwischen der singhalesisch dominierten Regierung und vor allem den Tamilen mitgeprägt. So wurden den Indien-Tamilen 1948/49 Staatsbürgerschaft und Wahlrecht entzogen, und 1956 wurde das Sinhala (Singhalesisch) zur einzigen Nationalsprache erhoben.

Im seit 1983 geführten Krieg zwischen Regierung und tamilischer Befreiungsbewegung LTTE starben 65000 Menschen, darunter 18000 LTTE-Guerillas. 800000 Menschen flüchteten innerhalb des Landes, eine Million verließen Sri Lanka. Im Februar 2002 wurde unter norwegischer Vermittlung ein Waffenstillstand geschlossen, der trotz verstärkter Kampfhandlungen in den vergangenen Monaten offiziell weitergilt. Die LTTE kontrolliert große Gebiete des tamilisch besiedelten Nordens und des Ostens und hat dort eigene Verwaltungsstrukturen aufgebaut.



Hätte die EU vor dem Waffenstillstand vom Februar 2002 ähnlich grobschlächtig argumentiert, die Verhandlungen wären schon damals gescheitert. Seinerzeit befand sich die singhalesische Regierung in Colombo, die die Insel elitär als zentralistischen Staat verwaltet, vor allem militärisch und ökonomisch in der Defensive. Die Wirtschaftskrise verschärfte sich zusehends und verunsicherte die Mächtigen im Industrie- und Handelszentrum Colombo, der Hauptstadt des Landes. Verhandlungen wurden auch aus deren Sicht zum Gebot der Stunde.

Fünf Jahres danach steht es um die Friedenschancen in Sri Lanka schlecht. Auch durch die einseitige Parteinahme der EU ermutigt, rückten Truppen der Zentralregierung Ende Juli erstmals wieder seit Beginn der Waffenruhe auf tamilisches Gebiet im Nordosten der Insel vor. Seitdem starben 1500 Soldaten, LTTE-Guerilleros und Zivilisten, Hunderttausende Binnenflüchtlinge wurden gezählt, Zehntausende Menschen flohen über See nach Tamil Nadu, den indischen Bundesstaat auf dem Festland.

Begonnen hatte der Krieg 1983 mit dem »Schwarzen Juli«, als einige tausend Tamilen Pogromen singhalesischer Rassisten zum Opfer fielen. Die aus verschiedenen Organisationen der tamilischen Minderheit hervorgegangene LTTE schlug im Norden der Insel zurück und forderte einen unabhängigen Staat – ein Wendepunkt in der Geschichte dieser Bevölkerungsgruppe: Sie stellt etwa 18 Prozent der 19 Millionen Einwohner, 70 Prozent sind Singhalesen. Der kolonialen Unterdrückung, die 1948 mit der Unabhängigkeit der Insel von Großbritannien endete, folgten ab 1956 eine diskriminierende Sinhala-only-Politik und damit verbunden eine schleichende Singhalisierung des gesamten Lebens. Soziale Gegensätze wurden zunehmend hinter der ethnisch-religiösen Konfrontation verdeckt. Die Tamilen wehrten sich zunächst im Rahmen des Systems, schlossen sich 1976 zusammen, die Befreiungsbewegung entstand. Sie bediente sich ideologisch auch beim Marxismus.

Am Vorabend der Genfer Verhandlungen scheinen die Fronten zwischen den Verhandelnden verhärtet. Die tamilische Seite baute während der Waffenstillstandsjahre staatsähnliche Strukturen im von ihr kontrollierten Nordosten auf. Derweil präsentiert sich die neue singhalesische Regierung streng ethno-nationalistisch und hält strukturell und inhaltlich am singhalesischen Zentralismus fest. Spielraum für Föderalismus oder Autonomie scheint es nicht zu geben – weder seitens der Löwen noch der Tiger.

* Aus: junge Welt, 28. Oktober 2006


"Inspiriert von Antiterrorpropaganda"

Zu den Erfolgsaussichten der Sri-Lanka-Verhandlungen. Ein Gespräch mit John P. Neelsen und Peter Schalk **

Wie kann der angeschlagene Friedensprozeß in Sri Lanka fortgesetzt werden?

Neelsen: Nur über eine Internationalisierung. Sri Lanka ist ein kleines, hochverschuldetes und abhängiges Land. Zweitens braucht eine Befreiungsbewegung wie die LTTE, wenn sie aus der Kategorie »Guerilla« herauskommen will, einen internationalen Status. Das war mit dem Waffenstillstandsabkommen erstmals gegeben. Sie wurde – zumindest verbal – als gleichberechtigt anerkannt. Dabei muß es bleiben. Das Tokio-Quartett aus USA, EU, Japan, Norwegen muß eine neutrale Haltung einnehmen.

Die EU schien 2001/2002 zu Beginn des Friedensprozesses diplomatisch bemüht. Welche Gründe gab es für Brüssel, diese Rolle aufzugeben und die Befreiungstiger auf ihre Terrorliste zu setzen?

Schalk: Offiziell meldete die internationale Sri Lanka Monitoring Commission (SLMC) Verstöße gegen den Waffenstillstandsvertrag. Die LTTE habe die Vereinbarungen verletzt. Stichworte: Kindersoldaten, Anschläge. So entstand ein falsches LTTE-Bild, das inspiriert ist von der Antiterrorismuspropaganda der USA. Federführend war bei der Formulierung der neuen EU-Position Großbritannien. Die US-Meinung schwingt in dem Text mit.

Neelsen: Es gab von Beginn an international keine neutrale Haltung in dem Konflikt. Die LTTE repräsentiert nach außen hin den Widerstand der Tamilen als unterdrückte Minderheit. Völlig eindeutig ist: Es gibt die systematische Repression der Tamilen durch den srilankischen Staat, und es geschieht nichts, um zu irgendeiner Lösung zu kommen. Statt diesen Ausgangspunkt international anzuerkennen, wird die LTTE in die Terrorismusecke gestellt.

Entscheiden bei den Verhandlungen nicht die srilankischen Parteien selbst über Erfolg oder Mißerfolg?

Neelsen: Natürlich müssen letztlich die direkt Beteiligten eine Lösung finden, und zwar eine langfristig tragfähige. Und da frage ich, inwieweit die Regierung überhaupt Fortschritte erzielen will. Was bisher auf den Tisch gelegt wurde, orientierte sich stets am unitaren Staat, also einer zentralistischen Ordnung. Es gab zig Kommissionen, die eine Autonomieregelung verhandeln sollten. Da hat sich nichts bewegt.

Aber hat die LTTE nicht längst Fakten geschaffen, indem sie eine eigene Verwaltung in den von ihr kontrollierten Gebieten einrichtete?

Neelsen: Als die LTTE ihren Vorschlag für eine interne Verwaltung vorlegte, wurde er erst einmal vom srilankischen Premier als Diskussionsgrundlage akzeptiert. Dieses wiederum benutzte die allmächtige Präsidentin Chandrika Kumaratunga als Vorwand, um die Regierung zu stürzen. Das sei ein Angriff auf die territoriale Integrität und widerspräche also der Verfassung.

Am 26. Dezember 2004 dann wurde Sri Lanka Opfer der Tsunami-Katastrophe. Zunächst sah es so aus, als könnten sich Regierung und LTTE angesichts der Not schnell verständigen...

Schalk: Die LTTE wollte bei dem international getragenen »gemeinsamen Mechanismus« mitmachen, damit zusammen mit der Regierung die Hilfen für die Betroffenen koordiniert und verteilt werden könnten. Die Regierung wollte diesen Mechanismus nicht.

Neelsen: Und die EU, USA, Japan, die die Geberkonferenzen organisiert hatten, haben akzeptiert, daß die LTTE nicht als gleichberechtigter Partner vertreten ist. Es gab von vornherein ungleiche Karten – der Umgang mit den Tsunami-Folgen ist hierfür der beste Beweis.

Wie verhält sich die Linke auf singhalesischer Seite angesichts der anhaltenden Diskriminierung der Tamilen?

Neelsen: Die traditionelle Linke, von der trotzkistischen bis zur kommunistischen, ist weitgehend marginalisiert. Oder sie ist durch ihre Regierungsbeteiligung in den Sog der ethno-nationalistischen Politik gezogen worden. Es gibt eine kleine Minderheit, die sich wehrt. Sie ist selbst Repressalien ausgesetzt. Der Druck ist stark, und weite Teile der armen Bevölkerung lassen sich anstecken von der rassistischen Propaganda.

Interview: Gerd Schumann

** John P. Neelsen ist Professor für Entwicklungssoziologie an der Universität Tübingen;
Peter Schalk Professor für Religionswissenschaften an der Universität Uppsala, Schweden

Aus: junge Welt, 28. Oktober 2006



Zurück zur Sri Lanka-Seite

Zurück zur Homepage