Kein Friedensdialog, sondern erste Sondierungen
In Oslo beginnen Verhandlungen zwischen der Regierung Sri Lankas und den Befreiungstigern von Tamil Eelam (LTTE) - Friedensaktivistin Visaka Dharmadasa auf verlorenem Posten? Zwei Beiträge
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Gespräche in Oslo gescheitert
Gespräche über die Sicherheit internationaler Beobachter in Sri Lanka sind am 8. Juni 2006 kurz nach ihrer Aufnahme in Oslo gescheitert. Nach Angaben norwegischer Vermittler und srilankischer Delegationsmitglieder weigerten sich tamilische Rebellen, sich mit Regierungsvertretern aus Colombo direkt zu treffen. Es sei unmöglich gewesen, sich auf einen Modus für Direktgespräche zu einigen, sagte ein Sprecher des norwegischen Entwicklungshilfeministeriums, Espen Gullikstad.
Das Treffen nahe Oslo war für zwei Tage angesetzt. Es war auf norwegische Initiative vereinbart worden. Die skandinavische Beobachtermission, die den brüchigen Waffenstillstand in Sri Lanka überwachen soll, fühlt sich angesichts der in jüngster Zeit immer stärker aufflammenden Gewalt zunehmend bedroht. Seit April kamen bei Anschlägen, Überfällen und in Gefechten zwischen beiden Seiten mehr als 370 Menschen ums Leben.
Gefechte im Norden Sri Lankas
Bei Gefechten im umkämpften Norden Sri Lankas sind am 8. Juni mindestens 16 Menschen getötet worden. Nach Armeeangaben kam bei einem von mutmaßlichen tamilischen Rebellen verübten Überfall im Gebiet von Wanni ein Offizier ums Leben. Bei Kämpfen zwischen rivalisierenden Fraktionen der Befreiungstiger von Tamil Eelam (LTTE) im nordöstlichen Distrikt Trincomalee starben demnach 15 Rebellen. Die LTTE bestätigte die Angaben zunächst nicht. (AP, 8. Juni 2006)
Land am Scheideweg
Friedensaktivistin Visaka Dharmadasa streitet für ein Ende des Konflikts
Von Stefan Mentschel, Colombo*
Seit mehr als 20 Jahren stehen sich die Regierung Sri Lankas und die Befreiungstiger von Tamil
Eelam (LTTE) unversöhnlich gegenüber. Abseits vom Verhandlungstisch setzt sich eine Frau für
Frieden und Aussöhnung ein: Visaka Dharmadasa.
September 1998: Sri Lanka erlebt eine der blutigsten Phasen des Bürgerkriegs zwischen
Regierungstruppen und den Befreiungstigern von Tamil Eelam (LTTE), die seit Beginn der 80er
Jahre gewaltsam für die Unabhängigkeit des überwiegend von Tamilen besiedelten Nordens und
Ostens des Landes kämpfen. Höhepunkt ist eine Großoffensive der LTTE, bei der die Armee aus
der strategisch wichtigen Stadt Kilinochchi zurückgedrängt wird und mehr als 600 Soldaten
»verliert«. Den Begriff »getötet« verwenden die von der singhalesischen Bevölkerungsmehrheit
dominierten Streitkräfte nicht – offiziell gelten die Männer als vermisst.
Auch Visaka Dharmadasas Sohn – gerade 21 Jahre alt und Offizier – ist unter den Opfern von
Kilinochchi. Abfinden will sie sich damit jedoch nicht. Wenige Wochen nach dem LTTE-Angriff
gründet sie gemeinsam mit einigen Müttern und Vätern die Vereinigung von Eltern vermisster
Soldaten. »Eines unserer Ziele war, die Zahl im Einsatz Verschollener zu minimieren«, erinnert sich
Visaka Dharmadasa. »Denn die war nicht zuletzt so hoch, weil die Armeeführung wenig Interesse
daran hatte, die Toten zu identifizieren.« Mit Mahnwachen und anderen Aktionen macht die
Elternvereinigung öffentlich auf ihr Anliegen aufmerksam. Zudem setzt sie sich bei der
Armeeführung mit Erfolg dafür ein, dass alle Soldaten und Offiziere Erkennungsmarken tragen.
Doch Visaka Dharmadasa will mehr. »Mir wurde schnell klar, dass nur ein Ende des Konflikts das
Leiden dauerhaft beenden kann.« Bislang habe der Krieg mehr als 64 000 Todesopfer gefordert,
Menschenrechtsverletzungen seien auf beiden Seiten an der Tagesordnung. Darüber hinaus
verhindere die anhaltende Gewalt die wirtschaftliche Entwicklung des Landes, weiß die resolute
Aktivistin und ergänzt: »Dieser Konflikt zerstört unsere Gesellschaft.« Daher habe sie sich
entschlossen, für einen dauerhaften Frieden zu streiten – und das mit Frauen aus dem Süden Sri
Lankas sowie aus dem LTTE-dominierten Norden und Osten. Im Jahr 2000 ruft sie die Vereinigung
vom Krieg betroffener Frauen ins Leben, mit der auch Brücken zwischen Müttern und Ehefrauen
getöteter oder vermisster Regierungssoldaten und Rebellen gebaut werden sollen.
Wenige Monate vor Abschluss des Waffenstillstandsabkommens zwischen Regierung und LTTE im
Februar 2002 organisiert Visaka Dharmadasa eine landesweite Unterschriftenkampagne für eine
friedliche Lösung des Konflikts. Fast 100 000 Menschen unterschreiben den an beide Seiten
gerichteten Aufruf. Es folgen Demonstrationen, Treffen singhalesischer und tamilischer Frauen,
Seminare, Gespräche mit srilankischer Regierung und der LTTE-Führung.
»In den letzten Jahren haben wir uns zu einer zivilgesellschaftlichen Organisation entwickelt, die von
allen respektiert und gehört wird«, sagt Visaka Dharmadasa nicht ohne Stolz. Die Frage, ob sie
keine Angst habe, zwischen die Fronten zu geraten, verneint sie: »Als Mutter eines vermissten
Soldaten und eines Soldaten, der noch in der Armee dient, genieße ich das Vertrauen des Militärs.
Und durch zahlreiche Gespräche und Aktivitäten im Norden und Osten des Landes weiß auch die
LTTE, dass ich nur für ein Ziel arbeite: den Krieg zu beenden.«
Dass der Erfolg ihrer Mission nicht zuletzt von den Konfliktparteien abhängt, weiß die
Friedensaktivistin. Und sie weiß auch, dass es Rückschläge gibt. So erlebt Sri Lanka seit Ende 2005
trotz geltenden Waffenstillstands ein Wiederaufflammen der Gewalt, dem schon mehr als 600
Menschen zum Opfer gefallen sind – die Hälfte davon Zivilisten. Gespräche zwischen Regierung
und LTTE scheiterten im Februar.
Umso mehr ermutigt Visaka Dharmadasa daher, dass heute und morgen in Oslo ein neuerlicher
Versuch unternommen wird, den Konflikt am Verhandlungstisch zu lösen. »Ich bin froh, dass beide
Seite wieder direkt miteinander sprechen, denn 98 Prozent der Menschen in diesem Land wollen
Frieden.« Bei ihrem jüngsten Aufenthalt in Kilinochchi – heute Hauptsitz der LTTE-Spitze – habe sie
zudem den Eindruck gewonnen, dass die Führung der Befreiungstiger an Gesprächen mit der
Regierung interessiert sei. Und auch Premierminister Mahinda Rajapakse wolle keinen Krieg, ist sie
überzeugt. »Sri Lanka steht am Scheideweg, und ich hoffe sehr, dass sich beide Seiten bald auf ein
dauerhaftes Friedensabkommen einigen.«
* Aus: Neues Deutschland, 8. Juni 2006
Zwischenschritt auf dem Dialogpfad
Die Regierung ist uneins über Kurs gegenüber tamilischen Befreiungstigern
Von Hilmar König, Delhi*
Das heute (8. Juni 2006) in Oslo beginnende zweitägige Treffen zwischen Vertretern der Regierung Sri Lankas und
der tamilischen Rebellenorganisation LTTE (Befreiungstiger von Tamil Eelam) ist keine Fortsetzung
des Friedensdialogs. Viel mehr geht es nach Monaten blutiger Gewalt um die Wiederaufnahme von
Kontakten zwischen den verfeindeten Parteien.
Es geht um wenig und doch um viel: Es gibt weder Gespräche zur Waffenruhe, die in Sri Lanka seit
2002 besteht, noch zur Lösung des seit 1973 schwelenden ethnisch-sozialen Konflikts zwischen der
tamilischen Minderheit und der singhalesischen Mehrheit, stellte Colombos Delegationsleiter Dr.
Palitha Kohona am Vorabend des Treffens in Oslo klar. Das bescheidene Ziel: Die Regierung wolle
die LTTE davon überzeugen, zur Fortsetzung des im Frühjahr in Genf begonnenen Dialogs dorthin
zurückzukehren.
Dennoch gehen politische Beobachter in Colombo davon aus, dass wenigstens die Arbeit der Sri
Lanka Monitoring Mission (SLMM), die die Einhaltung der Waffenruhe kontrolliert und Verstöße
dagegen registriert, zur Debatte stehen wird. Denn ihrer Meinung nach hat sich mit der
Entscheidung der EU, die Befreiungstiger auf die »internationale Terroristen-Liste« zu setzen und
damit dem Beispiel der USA, Indiens und einiger anderer Staaten zu folgen, die Lage weiter
kompliziert. Damit gerate die bislang neutrale Rolle der SLMM in Gefahr, weil einige der
Teilnehmerländer EU-Mitglieder sind.
Die spannende Frage ist in diesem Zusammenhang, ob die LTTE unter den neuen Bedingungen die
jetzige Zusammensetzung der Beobachtermission akzeptieren. Unübersehbar bleibt der
Widerspruch, dass die Rebellenorganisation zwar von einigen Staaten offiziell das Attribut
»terroristisch« verpasst bekommen hat, aber von der Regierung Sri Lankas nicht als solche
eingestuft wird.
Das Treffen in Oslo wird also lediglich ein Zwischenschritt auf dem Weg nach Genf sein. Im
günstigsten Fall einigt man sich in der Hauptstadt des norwegischen Vermittlers auf einen Termin für
die nächste Dialogrunde in der Schweiz. Die Regierung von Premier Mahinda Rajapakse beteuert
immer wieder, sich für eine Regelung des Konflikts engagieren zu wollen. Doch sie agiert auf
dünnem Eis. Ihr wichtigster Partner, die singhalesisch-nationalistische Volksbefreiungsfront (JVP),
zieht nicht mit. Sie unterstützt unter Vorbehalt den Premier, hält sich aber von der Regierung fern.
Die JVP hält nichts von Kompromissen und »Besänftigungsversuchen« Colombos gegenüber den
Rebellen. Gerade legte sie einen eigenen Plan zur »Ausrottung des LTTE-Terrorismus« vor. Ihr von
beträchtlichen Teilen der Bevölkerung geteiltes Härte-Konzept erhält mit jeder Gewalttat neue
Nahrung. Am Dienstag tötete bei Vavuniya im Nordosten ein explodierender Sprengsatz zwei
Polizisten. Zwei Personen wurden verletzt. Gleichfalls am Dienstag fuhr ein Bus außerhalb
Colombos auf eine Mine. Fahrer und Schaffner erlitten Verletzungen. Im Nordosten wurden vier
tamilische Zivilisten erschossen aufgefunden. Seit Anfang April registrierten die Behörden trotz
formeller Waffenruhe 375 Tote.
* Aus: Neues Deutschland, 8. Juni 2006
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