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Beschwiegenes Morden

Hintergrund. Vor drei Monaten endeten in Sri Lanka die militärischen Auseinandersetzungen zwischen Regierungstruppen und den tamilischen "Befreiungstigern". Von Frieden ist der Inselstaat jedoch weit entfernt

Von Rainer Werning *

Läge die frühere britische Kolonie Ceylon, die sich nach der Unabhängigkeit (1948) im Jahre 1972 in Sri Lanka umbenannte, in der Balearen-Inselgruppe, hätten die dortigen innenpolitischen Entwicklungen seit Jahresbeginn einen beispiellosen Aufschrei und heftige Proteststürme ausgelöst. Statt dessen herrschte auf internationaler Ebene und in den Mainstream-Medien beklemmende Stille, als die Regierung der »Perle im (Indischen) Ozean«, wie Sri Lanka gern bezeichnet wird, zum letzten Gefecht gegen die ihr verhaßte »Terrororganisation« der Befreiungs­tiger von Tamil Eelam (Liberation Tigers of Tamil Eeelam, LTTE) aufrief. Vor drei Monaten, am 19. Mai, erklärten die Streitkräfte und die Regierung Sri Lankas schließlich den vollständigen Sieg, nachdem Wochen zuvor die LTTE ihre wichtigsten Stützpunkte im Nordosten der Insel räumen mußten. Eine der weltweit bestorganisierten Rebellenbewegungen, die sogar über eine rudimentäre Marine und Luftwaffe verfügte und den Regierungstruppen über ein Vierteljahrhundert lang die Stirn und zeitweise Paroli geboten hatte, lag plötzlich danieder. Ihre führenden Kader waren entweder geflüchtet, gefangengenommen oder getötet worden, darunter auch LTTE-Chef Velupillai Prabhakaran. Es begann der Siegesrausch des Mitte November 2005 mit einer scharfen Kampfansage gegen die LTTE zum Staatspräsidenten gewählten Mahinda Rajapakse.

Triumphalismus in Colombo

Überschwenglich war die Freude in Sri Lankas Hauptstadt Colombo, wo Feuerwerkskörper gezündet wurden und Rajapakse über Nacht zu einer nationalen Lichtgestalt aufstieg. Videos, die den Leichnam Prabhakarans in Endlosschleifen zeigten, untermalte der Präsident in seiner landesweit ausgestrahlten Ansprache mit den Worten an die tamilische Minderheit, jetzt sei die Zeit gekommen, die »Herzen der Tamilen zu gewinnen«. Sie, versicherte Rajapakse, sollten endlich »ohne Angst und Mißtrauen leben können«. Zwei Wochen später dann – das Land befand sich noch immer im Siegesrausch und staatlich verordneter Euphorie – zelebrierte die Staats- und Armeeführung den 3. Juni als Nationalfeiertag und ließ Tausende Soldaten inklusive schwerer Artillerie in einer Militärparade aufmarschieren.

Unerwarteten Rückenwind hatte der Präsident wenige Tage zuvor ausgerechnet von jener Organisation erhalten, von der man sich eigentliche kritische Töne erhofft hatte. Auf seiner elften Sondersitzung lobte der UN-Menschenrechtsrat in Genf die Regierung Sri Lankas ausdrücklich für ihren Sieg gegen die LTTE. Die Resolution wurde am 27. Mai mit 29 Ja- und gegen zwölf Neinstimmen sowie bei sechs Enthaltungen angenommen. Damit wurde die Regierung darin unterstützt, Hilfsorganisationen erst dann Zugang zu Flüchtlingslagern zu gewähren, wenn sie dies für angebracht hält. Obwohl selbst nicht Mitglied, hatte Sri Lanka mit Rückendeckung von Ländern wie China, Indien, Pakistan und Kuba einen Resolutionsentwurf vorgelegt, in dem es einseitig um tatsächliche oder mutmaßliche Kriegsverbrechen der LTTE ging. Die Forderung nach einer unabhängigen Untersuchung, wie sie beispielsweise der für den Asien-Pazifik-Raum zuständige Direktor von Amnesty International, Sam Zarifi, und die in Brüssel beheimatete International Crisis Group erhoben, wies Colombo umgehend und schroff zurück.[1] Statt dessen wurden in der Resolution die »internationale Staatengemeinschaft« und Unterorganisationen der Vereinten Nationen aufgefordert, der srilankischen Regierung dabei behilflich zu sein, die in den vormaligen Kampfgebieten notleidende Bevölkerung mit Trinkwasser, Nahrungsmitteln, sanitären Einrichtungen und medizinischer Betreuung zu versorgen.

Vernichtungskrieg

Bereits Anfang des Jahres hatten das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) und andere Hilfs- und Menschenrechtsorganisationen beklagt, daß die Evakuierung von Verwundeten auf dem Seeweg sehr schwierig sei und auch die Konvois auf dem Landweg die Frontlinien nicht überqueren durften. Als wäre das für die betroffene Zivilbevölkerung im Osten und Norden des Landes nicht schon schlimm genug gewesen, hatten auch noch die nationale und die internationale Presse von Colombo einen Maulkorb verpaßt bekommen. Journalisten blieb der Zugang in die Kampfgebiete verwehrt. Dort noch anwesende ausländische Berichterstatter wurden unverzüglich des Landes verwiesen. Eine Gewähr dafür, daß nunmehr die srilankischen Streitkräfte nach Gutdünken schalten und walten konnten, was bedingt auch für die andere Seite galt. Laut der UN-Menschenrechtskommissarin Navi Pillay hatten in der letzten Kriegsphase Mitglieder der LTTE Kinder zwangsrekrutiert und Zivilisten als menschliche Schutzschilde mißbraucht.

Die vorhersehbare Katastrophe nahm in den letzten Kriegstagen ungeheure Ausmaße an. Das Rote Kreuz bezifferte die Zahl der zwischen die Fronten geratenen Flüchtlinge auf annähernd 300 000 Menschen. Am 27. Mai, als zeitgleich in Genf der UN-Menschenrechtsrat die Regierung in Colombo weißwusch, forderte das IKRK erneut Zugang zu allen Flüchtlingen. Zwei Tage später berichtete die in London erscheinende Times, daß infolge der Regierungsoffensive vom Jahresbeginn bis Ende April 7000 Zivilpersonen und ab dann bis zum 19. Mai täglich etwa 1000 Menschen in der Kriegszone im Nordosten ums Leben gekommen seien – die meisten durch schweren Artilleriebeschuß der Regierungstruppen.[2] Annähernd 300000 Flüchtlinge waren Anfang Juni in notdürftigen, von Militärs strikt bewachten Internierungslagern untergebracht, welche die Regierung in Orwellscher Sprachregelung nach wie vor als »Welfare centres« (Wohlfahrtszentren) bezeichnet. In ihnen, so gab die Armeeführung bekannt, werde man alle Personen überprüfen, um zu verhindern, daß sich unter ihnen LTTE-Mitglieder oder -Sympathisanten versteckten.

Als einziger Beobachter bisher durfte UN-Generalsekretär Ban Ki Moon kurz eines der Dutzenden Lager aufsuchen. »Das, was ich gesehen habe, hat mich unglaublich traurig und demütig gemacht«, sagte Ban hinterher, »ich habe die ganze Welt bereist und ähnliche Regionen besucht. Aber ich habe nirgendwo schlimmere Szenen gesehen.« Für die Betroffenen blieb seine Äußerung folgenlos. Tamilische Exilgruppen beschuldigen derweil die Vereinten Nationen, so die Korrespondentin des ARD-Hörfunkstudios Südasien, Sandra Petersmann, »Statistiken mit Opferzahlen zurückzuhalten, um die srilankische Regierung zu decken. Europäische Medien hatten vor kurzem unter Berufung auf geheime UN-Dokumente berichtet, daß allein zwischen dem 1. und dem 20. Mai täglich 1000 Menschen bei den letzten Gefechten im Nordosten Sri Lankas ums Leben gekommen sein sollen. Die Vereinten Nationen weisen das zurück. Niemand habe verläßliche Zahlen über die Opfer dieses Krieges, heißt es aus dem Hauptquartier in New York. Umso wichtiger wäre eine unabhängige Untersuchung: Vor allem für Sri Lanka, das seinen Frieden noch lange nicht gefunden hat.«[3]

Brüchiger Waffenstillstand

Das betrifft erst recht den Umgang mit der tamilischen Minderheit auf der Insel. Bereits wenige Jahre nach der Staatsgründung in der vormaligen britischen Kolonie Ceylon im Jahre 1948 kam es zu gewaltigen Ausschreitungen gegen die Tamilen, und bereits 1956 wurde das von der Mehrheit gesprochene Singhalesisch zur einzigen Staatssprache erhoben. Nach antitamilischen Pogromen im Jahre 1983 eskalierte der Konflikt und weitete sich fortan zum bewaffneten Kampf zwischen Regierungstruppen und den Liberation Tigers of Tamil Eelam aus, die nunmehr einen eigenen Staat im Norden und Osten forderten. Ein Hoffnungsschimmer zeichnete sich am Horizont ab, als auf Initiative der norwegischen Regierung schließlich am 22.Februar 2002 die Chefunterhändler der srilankischen Regierung und der LTTE ihre Unterschrift unter das formelle Waffenstillstandsabkommen setzten. Es sollte den Grundstein eines Friedensprozesses bilden, an dessen Ende eine für beide Seiten akzeptable und vor allen Dingen friedliche Beilegung des Konflikts stehen sollte. Anton Balasingham, der damalige Chefunterhändler und politische Stratege der LTTE, zeigte sich sehr zuversichtlich und bezeichnete das Abkommen als »ein gut ausgearbeitetes, gültiges Instrument des Friedens«.

Rückblickend entsprach das einer reichlich (zweck-)optimistischen Einschätzung. Zu der Zeit stand noch nicht die Forderung nach einem eigenen tamilischen Staat im Norden und Osten der Insel im Vordergrund, sondern im Sinne der früheren Präsidentin Chandrika Kumaratunga (1994-2005) eine Art eingeschränkte Autonomie in den Provinzen dieser kriegsgezeichneten Region. Darüber hinaus blieb nicht nur der seit 1979 bestehende Prevention of Terrorism Act No. 48 in Kraft, wonach verdächtigte Tamilen unter dem Vorwand der LTTE-Mitgliedschaft ohne Gerichtsverhandlung über Monate und auch Jahre hinter Gitter gesperrt werden konnten. Colombo hatte nach der Ermordung von Außenminister Lakshman Kadirgamar [4] Ende August 2005 zusätzliche Notstandsmaßnahmen in Kraft gesetzt, die unter anderen der UN-Sonderberichterstatter für außergerichtliche Hinrichtungen, Professor Philip Alston, Ende März 2006 scharf kritisierte, weil sie staatlicher Willkür Tür und Tor öffneten. Zuvor war die LTTE 2004 intern stark geschwächt worden. Dazu kam die Verwüstung ihrer Einflußgebiete durch den verheerenden Tsunami am 26.Dezember 2004.

»Terrororganisation« LTTE

Der frühere stellvertretende LTTE-Chef und Militärchef der Organisation in der Ostprovinz, Vinayagamoorthy Muralitharan alias Oberst Karuna, kehrte im März 2004 seinen Genossen den Rücken und warf der Führung unter Velupillai Prabhakaran vor, die dortigen Tamilen lediglich als »LTTE-Kanonenfutter« für Kommandounternehmen im Norden zu opfern und sie ansonsten zu vernachlässigen. Die Folge: Die stetige Entsendung von Rekruten aus dem Osten in die LTTE-Hochburgen im Norden blieb aus, und die Stärke der Tamil Tigers stagnierte bei 10000 bis 15000 Kämpfern. Fortan agierte die von Karuna gegründete paramilitärische Truppe unter dem Schutz der srilankischen Armee, die ihrerseits ihre Kampfeinheiten beträchtlich aufstockte – von 100000 auf 160000 Mann. Diese Überlegenheit vermochten die besser ausgebildeten und bewaffneten Regierungstruppen von 2006 bis 2008 immer mehr zu ihren Gunsten zu nutzen und entscheidende Terraingewinne zu verzeichnen. Dies betraf vor allem die für die LTTE lebensnotwendigen Nachschubwege und logistischen Zentren entlang der östlichen Küstengebiete.

Die Abkehr von Karuna traf die LTTE-Führung weitaus schwerer, als sie zugeben mochte. Denn »der Überläufer Karuna und seine Gefolgsleute (hatten) präzise Informationen über Standorte und Zusammensetzung der LTTE-Truppen geliefert, was für den militärischen Geheimdienst natürlich sehr wertvoll war. Colombo erhielt auch verdeckte Unterstützung durch den indischen Geheimdienst, vor allem Informationen über Schiffe. Indien schickte außerdem Ausbilder für Piloten und Radarspezialisten. Moderne Militärtechnologie kam aus Israel und den USA.«[5] Für den Oberst zahlte sich das Arrangement mit Colombo aus, wie denn im Gegenzug Regierungstruppen die von Karuna miteingefädelte Rückeroberung des Ostens zur entscheidenden Großoffensive gegen die Hauptstellungen der LTTE im Norden nutzten. Mitte März dieses Jahres bedankte sich Staatspräsident Mahinda Rajapakse für die Kollaboration; er ernannte den Oberst zum Minister für Nationale Integration und Aussöhnung. Zuvor war Karuna mit etwa 2000 Gefolgsleuten der regierenden Freiheitspartei Sri Lankas (SLFP) beigetreten und hatte von Rajapakse persönlich die Mitgliedskarte überreicht bekommen.

Als am zweiten Weihnachtstag 2004 Sri Lanka vom Tsunami getroffen wurde, »befand sich der 2002 initiierte Friedensprozeß zwischen der Regierung und den LTTE bereits seit eineinhalb Jahren in einer Sackgasse. Die Zerstörungen durch den Tsunami waren aber derart groß, daß im Nachgang der Katastrophe vielfach Hoffnungen laut wurden, der Wiederaufbau werde die Konfliktparteien zwangsweise wieder zusammenbringen. Bis Mitte 2005 schien dieser Optimismus gerechtfertigt. Im Juni aber reichte die singhalesisch-nationalistische Partei Janatha Vimukthi Peramuna (JVP) Klage beim obersten Gerichtshof ein gegen die von Präsidentin Kumaratunga bereits unterzeichneten Zusammenarbeitsverträge mit der LTTE bezüglich des Wiederaufbaus. Das Gericht gab der Klage teilweise statt. Dies hatte zur Folge, daß die LTTE vom gemeinsamen Wiederaufbau ausgeschlossen wurden – die erhoffte Annäherung der Konfliktparteien war gescheitert.«[6] Einzig von der tamilischen Diaspora gespendete Gelder sorgten dafür, daß wenigstens ein Bruchteil der Schäden beseitigt und ein wenig Not gelindert werden konnte. Die internationale Staatengemeinschaft duldete ohne nennenswerte Proteste diese in großem Stil unterlassene Hilfeleistung der herrschenden singhalesischen Elite in Colombo. Sie sorgte statt dessen dafür, daß der nach den Ereignissen vom 11. September 2001 von der Bush-Regierung verkündete »weltweite Krieg gegen den Terror« nunmehr auch in diesem Teil Südasiens instrumentalisiert wurde, um die LTTE zu Konzessionen zu drängen und den Konflikt in Sri Lanka zu beenden. Nach dem Vorbild der von den USA bereits zuvor aufgestellten »Liste ausländischer terroristischer Organisationen« entschied sich auch die Europäische Union zu einem solchen Schritt und setzte die LTTE am 29. Juni 2006 auf ihre Terrorliste – ein Akt, der die Organisation nicht nur delegitimieren und ihren Nachschub beträchtlich einschnüren, sondern auch zum Abzug der skandinavischen Waffenstillstandsbeobachter führen sollte. Die Folge: Bereits 2006 begann die Regierung in Colombo mit der Rückeroberung der von den LTTE kontrollierten Gebieten im Osten und kündigte dann auch im Januar 2008 offiziell den Waffenstillstand auf.

Ausländische Interessen

Daß international seitdem nur äußerst verhalten interveniert wurde, um die neuerlich eskalierten Kampfhandlungen zwischen den Protagonisten zu stoppen, erklärt sich aus dem Interessengeflecht rivalisierender Großmächte. Der Indische Ozean ist einer der bedeutendsten Seewege im Handel zwischen dem Nahen Osten sowie Südost- und Ostasien, über den beispielsweise 80 Prozent der japanischen und 60 Prozent der chinesischen Öllieferungen transportiert werden. Schon deshalb ist es neben Indien auch für China, Japan und die USA von vitalem Interesse, hier unbedingt Flagge zu zeigen und Machtstellungen – inklusive militärstrategisch wichtiger Stützpunkte wie die von den USA und Großbritannien gemeinsam betriebene große Basis auf der Insel Diego Garcia – zu wahren. Während des Golfkrieges von 1991 war Diego Garcia ein wesentlicher Stützpunkt der B-52-Bombergeschwader. Das Atoll, mehr als 1000 Kilometer südlich von Colombo, war wichtig für die Logistik militärischer Operationen in Afghanistan im Rahmen von »Enduring Freedom« als auch während der Irak-Invasion im Frühjahr 2003. Als Regionalmacht hatte sich Indien von 1987 bis 1990 mit einer eigenen »friedenssichernden Truppe« in Sri Lanka engagiert, die allerdings im Sinne Colombos agierte. Neu-Delhi wollte unbedingt verhindern, daß die Unterstützung der eigenen tamilischen Bevölkerung im Süden des Landes für die LTTE militante Formen annahm und destabilisierend wirkte. Sri Lanka selbst verfügt mit dem Hafen von Trincomalee im östlichen Teil der Insel – sozusagen im Homeland von Tamil Eelam – über einen ausgezeichneten Naturhafen, der auch größeren Kriegsschiffen und selbst Unterseebooten sicheren Schutz bieten könnte. In Trinco, wie die Stadt kurz genannt wird, ist auch der Großteil der landesweiten Ölreserven gelagert, so wie schon zur Zeit der britischen Kolonialherrschaft. Mittlerweile hat auch Japan starkes Interesse an dieser Region bekundet, weil dort unter anderem beträchtliche Mengen des zur Produktion von Mikrochips benötigten Ilmenit (auch als Titaneisen oder Titaneisenerz bekannt) vermutet werden.

Quo vadis?

Die Art und Weise, wie Colombo sein »letztes Gefecht« gegen die LTTE führte und selbstherrlich zelebrierte, läßt auf Dauer mit Blick auf Frieden und Aussöhnung nichts Gutes erwarten. Die Regierung sieht sich jetzt mit dem Problem konfrontiert, wie sie etwa 200000 junge Soldaten und Reservisten demobilisieren will, ohne daß diese das Heer der Arbeitslosen vergrößern oder in paramilitärisches Bandenwesen abdriften.

Bereits am 30. Januar 2009 hatte die LTTE-Führung Selvarajah Pathmanathan offiziell zu ihrem Auslandschef und Verantwortlichen für internationale Beziehungen ernannt. Pathmanathan, der in der Vergangenheit unter verschiedenen Decknamen operierte, war es auch, der den Tod von Velupillai Prabhakaran zuerst vehement dementierte, dann aber bestätigte und schließlich in mehreren Interviews mit internationalen Fernseh- und Rundfunkstationen sowie über die den LTTE nahestehende Webseite TamilNet die militärische Niederlage seiner Organisation eingestand. Seither beteuerte Path­manathan aus dem Exil, die LTTE würden der Gewalt abschwören und den demokratischen Weg einschlagen.[7] Früher hatte sich der Mann um das Auslandsgeschäft der Tamil Tigers gekümmert, Gelder in der tamilischen Diaspora akquieriert, und er soll außerdem den Waffennachschub organisiert haben.

Derweil ist unter den etwa eine Million im Ausland lebenden Tamilen eine Debatte über die Bildung einer provisorischen transnationalen Regierung von Tamil Eelam entbrannt. Auf Websiten wie TamilNet, Tamil Eelam Online und Tamil National wurden seit Mitte Juni etliche Beiträge veröffentlicht, in denen über eine solche Regierung diskutiert wird. Visuvanathan Rudrakumaran, Koordinator des »Komitees für die Bildung einer Provisorischen Transnationalen Regierung von Tamil Eelam«, betonte bereits am 16. Juni in einer neun Punkte umfassenden Erklärung, daß auch weiterhin die Unabhängigkeit und Souveränität der Eelam-Tamilen auf der Agenda stünden. Eine solche Regierung müsse von der Basis aufgebaut werden. Das Komitee setzt sich unter anderem für Wahlen auf lokaler und internationaler Ebene ein und strebt sowohl mit internationalen Nichtregierungsorganisationen als auch mit tamilischen Gruppen eine enge Kooperation an, die bislang nicht mit dem ­LTTE zusammenarbeiteten. Schließlich soll eine konstitutionelle Versammlung gebildet werden und die Wahl einer Exekutive erfolgen. Die Vorarbeiten zu alledem sollen bis zum Jahresende abgeschlossen sein. Sri Lankas Außenminister Rohitha Bogollagama reagierte prompt: Für Path­manathan sei bereits ein Haftbefehl ausgestellt, den er mehreren Amtskollegen überreicht habe. Und die Bildung einer provisorischen zransnationalen Regierung von Tamil Eelam sei nichts weiter als »Halluzination«.[8]

Inzwischen konnte Bogollagama Vollzug melden: Der 55jährige LTTE-Chef wurde Anfang August in Malaysia von srilankischen Sicherheitsleuten in Kollaboration mit örtlichen Geheimdienstlern festgenommen und via Bangkok an einen geheimgehaltenen Ort in Sri Lanka verschleppt.

Anmerkungen
  1. International Crisis Group (ICG): »Crisis in Sri Lanka – The current situation / Updated 21 May 2009«, Brussels
  2. Am 29. Mai 2009 veröffentlichte The Times drei Berichte über die Massaker in Sri Lanka und gleichzeitig entsprechendes Videomaterial.
  3. Petersmann, Sandra: »Zwei Wochen nach Ende des Bürgerkriegs – Sri Lanka feiert offiziell Sieg über Rebellen«, ARD-Hörfunkstudio Neu-Delhi, 3.6.2009
  4. Kadirgamar, ein Tamile und erbitterter Gegner Prabhakarans, wurde, so die Regierung in Colombo, das Opfer eines LTTE-inspirierten Attentats, was diese offiziell dementierten
  5. Meyer, Eric Paul: »Sieg ist keine Lösung – In Sri Lanka haben sich die letzten Tamil Tigers hinter der Zivilbevölkerung verschanzt«, in: Le Monde diplomatique (dtsch. Ausgabe), Berlin/Zürich, 13.3.2009
  6. Lüthy, Florian: »Sri Lanka – aktuelle Situation. Ein Update«, hg. von der Schweizerischen Flüchtlingshilfe, Bern, November 2006, 18 Seiten, hier: S. 1
  7. Siehe: tamiltruth.de/2009/06/13/die-neue-stimme-der-tamilischen-rebellen/
  8. Siehe: www.tamileelamonline.com, 16.6.2009: »Committee for the formation of a Provisional Transnational Government of Tamil Eelam – Press statement released by Mr. Visuvanathan Rudrakumaran, Coordinator of the Committee for the formation of a Provisional Transnational Government of Tamil Eelam« & Hull, C. Bryson: »Sri Lanka scoffs at new Tamil exiled government«, Meldung der Nachrichtenagentur Reuters aus Colombo, 17.6.2009
* Aus: junge Welt, 13. August 2009


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