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Auf Kollisionskurs

Machtkampf zwischen Regierung und Justiz in Sri Lanka geht weiter

Von Hilmar König *

Sri Lankas Chefrichterin Shirani Bandaranayke mußte Anfang der Woche in Colombo zur zweiten Anhörung vor einem parlamentarischen Sonderkomitee erscheinen. Das Gremium tagt hinter verschlossenen Türen und soll die Stichhaltigkeit von 14 Anklagepunkten gegen Frau Bandaranayke prüfen.

Im Vorfeld dieser zweiten Vernehmung hatte die Regierungsseite eine riesige Demonstration in Colombo organisiert, auf der mit Nachdruck der Rücktritt der höchsten Richterin gefordert wurde. Aber auch ihre Sympathisanten hatten mobil gemacht: die Spitze des buddhistischen Klerus, katholische Priester, oppositionelle Parlamentsabgeordnete, Richter, Rechtsanwälte, Gewerkschaftsverbände und Bürgerrechtler. Sie alle befürchten, daß das Vorgehen des autoritär herrschenden Staatspräsidenten Mahinda Rajapakse, der hinter der Kontroverse steckt, der erste Schritt sein könnte, der Unabhängigkeit des Gerichtswesens in Sri Lanka ein Ende zu bereiten.

Gegen die Chefrichterin, die erste Frau auf diesem Posten in dem süd¬asiatischen Land, hatten am 1. November 117 Abgeordnete der Regierungskoalition (UPFA) einen Prozeß zu einem Amtsenthebungsverfahren (Impeachment) eingeleitet. Dafür wurde das parlamentarische Sonderkomitee gebildet, dem sieben UPFA-Abgeordnete und vier Vertreter der Opposition angehören. Damit sind die Weichen eigentlich schon gegen Frau Bandaranyake gestellt, zumal die Angeklagte gegen zwei Komiteemitglieder bereits einmal Urteile fällte.

Vorgeworfen wird der Chefrichterin unter anderem Amtsmißbrauch, Korruption, ein unerklärlich hohes Vermögen und Verschleierung ihrer Bankkonten. Ihre – bis jetzt noch gar nicht bewiesenen – Verfehlungen, so die Regierungsseite, hätten den Höchsten Gerichtshof und das Amt des Chefrichters in Verruf gebracht. Die Beschuldigte wies alle Vorwürfe zurück und ließ erklären, »kein Jota« davon stimme. Von ihren Berufskollegen einmütig unterstützt, verlangt sie eine transparente, öffentliche Anhörung und die Chance, Augenzeugen zu befragen und in Dokumente einzusehen. Seit der Bildung des Komitees befinden sich Regierung und Höchster Gerichtshof nun auf offenem Kollisionskurs.

Für die Opposition wie für unabhängige Beobachter bestehen keine Zweifel, daß es sich bei dem Impeachment um einen politisch motivierten Schachzug des Rajapakse-Clans handelt. Sie sprechen offen von politischer Hexenjagd. Die im Jahre 2011 vom Staatspräsidenten ernannte Chefrichterin ist bei den Mächtigen in Ungnade gefallen. Besonders scharfe Kritik mußte sie einstecken, als sie es gewagt hatte, einen Gesetzentwurf als verfassungswidrig einzustufen. Dieser sollte dem Minister für wirtschaftliche Entwicklung, Basil Rajapakse, einem Bruder des Staatsoberhauptes, mehr Machtbefugnisse zuschanzen. Bruder Chamal lenkt die Geschicke des Parlaments und Bruder Gotabhaya ist Verteidigungssekretär. Somit hat die Familie alle Fäden in der Hand.

Sri Lankas Richter und Anwälte gingen wegen des Impeachments als erste auf die Barrikaden. Sie bewerten es als eklatante Bedrohung der Unabhängigkeit des Gerichtswesens. Es bestehe die Gefahr, argumentieren sie, daß die Exekutive – also der Rajapakse-Clan – nach diesem Präzedenzfall entscheiden würde, was legal und was ungesetzlich ist. Die Gerichtsbarkeit würde zum bloßen Erfüllungsgehilfen der vier Brüder degradiert werden.

Die Asiatische Menschenrechtskommission urteilte, das Impeachment sei nicht nur eine Attacke gegen eine Person, sondern gegen den Höchsten Gerichtshof als Institution, gegen das gesamte Gerichtswesen Sri Lankas, ja gegen das System der Gewaltenteilung. Die UNO-Sonderberichterstatterin für die Unabhängigkeit von Richtern und Anwälten, Gabriela Knaul, verwies in einem Appell auf die »Nichtabsetzbarkeit von Richtern« als einer der Hauptsäulen zur Garantie einer unabhängigen Gerichtsbarkeit. Dieses Prinzip dürfe nur unter außergewöhnlichen Umständen unberücksichtigt bleiben. Sie rief Colombo auf, unverzüglich Maßnahmen zu ergreifen, um die Integrität der Rechtsbehörden zu gewährleisten.

Wird Shirani Bandaranayke tatsächlich abgesetzt, erhält Mahinda Rajapakse, der 2010 zum zweiten Mal zum Staatsoberhaupt gewählt worden war, noch mehr Macht. Bereits kurz nach seiner Wiederwahl hatte er mit Verfassungsänderungen das ohnehin autoritäre Präsidialsystem noch verschärft und seine Befugnisse enorm erweitert.

* Aus: junge Welt, Freitag, 07. Dezember 2012


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