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Wieder ein Journalist in Sri Lanka getötet

Wochenzeitung "Freitag" dokumentiert politisches "Testament" von Lasantha Wickramatunga

In jeder Ausgabe veröffentlicht der "Freitag" ein "Dokument der Woche". Wir dokumentieren im Folgenden den Beitrag von Lasantha Wickramatunga aus der letzten Ausgabe vom 29. Januar 2009. Der Autor wurde im Alter von 52 Jahren am 7. Januar in Colombo erschossen - zweifellos ein politischer Mord. Mit seinem Tod starb ein weiteres Stück Pressefreiheit in Sri Lanka. Der vorliegende Artikel ist eine Art politisches "Testament" des Journalisten.



Lasantha Wickramatunga

Wenn ich getötet werde, wird es die Regierung sein, die mich getötet hat

Sri Lanka - aus dem letzten Artikel des Journalisten Lasantha Wickramatunga *

In diesem Jahr wird die Zeitung Sunday Leader 15 Jahre alt, und in dieser Zeit hat sich in Sri Lanka vieles verändert, leider zum Schlechten. Wir leben in einem Bürgerkrieg, geführt von unbarmherzigen Akteuren, deren Blutdurst keine Grenzen kennt. Terror - ob von Terroristen oder vom Staat ausgeübt - ist an der Tagesordnung. Mord ist zum bevorzugten Instrument der Regierung geworden, um die Organe der Freiheit zu kontrollieren. Heute sind es die Journalisten, morgen werden es die Richter sein. Für keine dieser beiden Berufsgruppen sind die Risiken je höher gewesen.

Warum machen wir dann überhaupt weiter? Ich stelle mir diese Frage oft. Immerhin bin auch ich ein Ehemann und Vater dreier wunderbarer Kinder. Auch ich trage Verantwortung und habe Verpflichtungen, die über meine berufliche Tätigkeit hinausgehen. Ist es das Risiko wert? Freunde raten mir, wieder als Anwalt zu arbeiten, denn als solcher lässt sich weiß Gott auf risikoärmere Weise ein größeres Auskommen erwerben.

Ohne Wimperntusche und Styling-Gel

Andere - darunter politische Führer sowohl der Tamilen als auch der Singhalesen - haben wiederholt versucht, mich dazu zu bewegen, in die Politik zu gehen. Sogar ein Ministerposten wurde mir in Aussicht gestellt. Diplomaten, die wissen, welchen Risiken Journalisten in Sri Lanka ausgesetzt sind, haben mir sicheres Geleit in ihre Länder und ein Aufenthaltsrecht angeboten. Ich bin nicht hier geblieben, weil ich es unbedingt wollte. Doch es gibt einen Ruf der schwerer wiegt als ein hohes Amt, als Ruhm, Vermögen und Sicherheit. Es ist der Ruf des Gewissens.

Der Sunday Leader ist stets eine kontroverse Zeitung gewesen - wir nennen die Dinge beim Namen: ob es sich um Diebstahl oder Mord handelt, wir sagen, was Sache ist. Wir verstecken uns nicht hinter Euphemismen. Wir haben einen Skandal nach dem anderen aufgedeckt und nicht ein einziges Mal in diesen 15 Jahren konnte uns bewiesen werden, dass wir falsch lagen. Keine einzige Klage gegen uns war erfolgreich.

Die freien Medien sind ein Spiegel, in dem die Öffentlichkeit sich ohne Wimperntusche und Styling-Gel betrachten kann. Manchmal ist das Bild, das Sie als Leser in diesem Spiegel zu sehen bekommen, kein schönes. Doch während Sie vielleicht im Sessel - zurückgezogen und privat - vor sich hin murren, arbeiten die Journalisten, die Ihnen den Spiegel vorhalten, oft unter großer Gefahr für die eigene Person. Das ist unsere Berufung, der wir uns nicht entziehen.

Der Sunday Leader hat sich nie um Sicherheit bemüht, indem er ergeben die Sicht der Mehrheit verbreitete. Denn - machen wir uns da nichts vor - so verkauft man Zeitungen. Wir haben im Gegenteil - wie unsere Texte zuhauf beweisen - oftmals Gedanken ausgesprochen, die viele Menschen als geschmacklos erachten. So haben wir unerschütterlich die Ansicht vertreten, dass es ungeachtet der Notwendigkeit, den separatistischen tamilischen Terrorismus zu beseitigen, wichtiger sei, das Problem an der Wurzel zu fassen. Wir haben gesagt, die Regierung müsse bereit sein, Sri Lankas ethnische Konflikte in einem geschichtlichen Kontext und nicht als Terrorismus zu betrachten. Wir haben uns außerdem gegen den Staatsterrorismus im Rahmen des so genannten Krieges gegen den Terror stark gemacht. Wir taten das aus Entsetzen darüber, dass Sri Lanka das einzige Land der Welt ist, das regelmäßig die eigenen Bürger bombardiert. Dafür sind wir als "Verräter" beschimpft worden. Wenn das Verrat ist, was wir getan haben, erfüllt uns eine solche Bezeichnung mit Stolz.

Ebenso wenig sollte unser Abscheu gegen den Krieg als Unterstützung für die Liberation Tigers of Tamil Eelam [LTTE / Befreiungstiger von Tamil Eelam - die Red.] gedeutet werden. Die LTTE gehört zu den skrupellosesten und blutrünstigsten Organisationen, die je die Erde heimgesucht haben. Fraglos muss sie ausgemerzt werden. Doch dieses Ziel zu verfolgen, indem man die Rechte der tamilischen Bürger verletzt, gnadenlos Bomben wirft und Schüsse abfeuert, ist nicht nur falsch, sondern auch eine Schande für die Singhalesen, die Bevölkerungsmehrheit in unserem Land. Deren Anspruch, Hüter der Dharma [ein Begriff, mit dem Recht, Moral und Ethik des Hinduismus zusammengefasst werden - die Red.] zu sein, wird angesichts dieser Barbarei, die der Öffentlichkeit aufgrund der Zensur größtenteils unbekannt ist, für immer fragwürdig bleiben.

Außerdem wird eine militärische Besetzung der nördlichen und östlichen Regionen von Sri Lanka dazu führen, dass die Tamilen in diesen Gebieten für immer ein jeglicher Selbstachtung beraubtes Leben als Bürger zweiter Klasse führen müssen. Die Wunden des Krieges werden diese Menschen auf ewig zeichnen. Ein Problem, für das eine politische Lösung möglich war und bleibt, wird zu einer eiternden Wunde, die für alle Ewigkeit Unfrieden hervorbringen wird. Sollte ich wütend und frustriert wirken, liegt das allein daran, dass die Mehrheit meiner Landsleute und die gesamte Regierung diese so deutlichen Zeichen nicht sehen.

Es ist weithin bekannt, dass ich zwei Mal brutal überfallen und mein Haus einmal von Maschinengewehrfeuer durchsiebt wurde. Trotz scheinheiliger Zusicherungen der Regierung gab es nie polizeiliche Ermittlungen, und die Angreifer wurden nie gefasst. Ich habe in jedem dieser Fälle Grund zu der Annahme, dass die Überfälle von der Regierung veranlasst wurden. Wenn ich letztendlich getötet werde, wird es die Regierung sein, die mich getötet hat.

Scheinheiliges Getöse

Die Ironie liegt darin, dass Präsident Mahina Rajapaksa und ich, was kaum jemand weiß, über ein Vierteljahrhundert lang befreundet waren. Ich vermute sogar, dass ich einer der wenigen Menschen bin, die ihn regelmäßig mit seinem Vornamen und der vertrauten singhalesische Ansprache oya ansprechen.

Ich weiß, dass dieser Präsident nach meinem Tod für das übliche scheinheilige Getöse sorgen und die Polizei aufrufen wird, umgehend und gründlich zu ermitteln.

Doch wie all die Untersuchungen in der Vergangenheit, wird auch aus dieser nichts werden. Sprechen wir die Wahrheit aus: die Regierung weiß, wer hinter meinem Tod stehen wird, wagt es aber nicht, die Täter beim Namen zu nennen. Wer dies tut, schwebt in tödlicher Gefahr.

Was mich betrifft, habe ich die befriedigende Gewissheit, aufrecht gegangen zu sein und mich niemandem gebeugt zu haben. Ich bin diesen Weg nicht allein gegangen. Kollegen aus anderen Zeitungen und Sendern haben mich begleitet: die meisten von ihnen sind tot oder ohne Gerichtsverfahren inhaftiert worden oder befinden sich in weit entfernten Ländern im Exil. Andere leben im Schatten der Gefahr und des Todes.

Der Regierung wird nie vergessen können, dass sich mein Tod unter ihrem Blick ereignet hat. Bei aller Seelenqual, die den Präsidenten und seine Minister - dessen bin ich mir gewiss - plagen wird, werden sie keine andere Wahl haben, als meine Mörder zu schützen: Sie werden dafür sorgen, dass der Schuldige niemals verurteilt wird. Sie haben keine Wahl.

Oft werde ich gefragt, warum ich solche Risiken auf mich nehme und oft wird mir gesagt, es sei lediglich eine Sache der Zeit, bis man mich zur Strecke bringt. Selbstverständlich weiß ich das: Es ist unvermeidbar. Wenn wir als Journalisten nicht jetzt die Stimme erheben, wird es morgen niemanden mehr geben, der für die spricht, die es selbst nicht können, ob es sich nun um die ethnischen Minderheiten, die Benachteiligten oder die Verfolgten handelt.

Ein Vorbild, das mich meine journalistische Karriere hindurch stets begleitet hat, ist das des deutschen Theologen Martin Niemöller. In seiner Jugend war er Antisemit und Hitler-Bewunderer.

Als die Nazis in Deutschland 1933 an die Macht kamen, erkannte er den Nazismus als das, was er war. Es waren nicht nur die Juden, die Hitler ausrotten wollte - die Nazis wollten jeden beseitigen, der anders dachte als sie. Martin Niemöller erhob deshalb seine Stimme und wurde von 1937 bis 1945 in die Konzentrationslager Sachsenhausen und Dachau gesteckt und beinahe hingerichtet.

Ungebeugt und ohne Angst

Wenn Sie sich als Leser auch an sonst nichts erinnern, dann wenigstens an dies: Der Sunday Leader ist für Sie da - für die Singhalesen, für die Tamilen, für Muslime, Angehörige niedriger Kasten, Homosexuelle, Dissidenten oder Behinderte.

Die Belegschaft dieser Zeitung wird weiter kämpfen, ungebeugt und ohne Angst, mit dem Mut, für den man sie kennt. Halten Sie diese Hingabe nicht für selbstverständlich. Gehen Sie davon aus, dass alle Opfer, die wir Journalisten bringen, weder unserem eigenen Ruhm noch unserer Bereicherung dienen: Wir bringen diese Opfer für Sie. Ob Sie dieses Opfer wert sind, ist eine andere Frage. Ich für meinen Teil habe weiß Gott mein Bestes getan.

Zwischentitel von der Redaktion/Übersetzung aus dem Englischen: Zilla Hofman

* Aus. Freitag 05, 28. Januar 2009


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